Ich erwartete vielerlei von meiner Reise nach Kyushu, der südlichen Hauptinsel Japans: Lauthals Karaoke singen, hoch versierte Toilettenspülungen bezwingen und in Zen-Gärten um inneren Frieden ringen. Bereits nach dem ersten Tag auf dem Eiland schwant mir: Die Japan-Klischees finden sich in Kyushu ebenso schnell, wie sich andere widerlegen. Die Insel ist ein heißes Pflaster und hält mit Unerwartetem in Atem.

Seit genau zwei Stunden bin ich nun im Tal des Glücks und muss ständig grinsen. Nicht, weil ich zu viel Sake getrunken habe. Ich stehe vor einem Café, wo sich im Inneren Schmusekätzchen tummeln. Ein Café, wo Streicheleinheiten zum Kaffeetrinken verteilt werden. Schmusen und kuscheln mit Haustieren gegen Eintritt. Kurios. Aber schön!

»Wir haben zu Hause meistens keinen Platz und keine Zeit für Haustiere«,

erklärt Reiseführer Masato Furukawa. Der 60-Jährige führt uns durch den geheimnisvollen und noch gänzlich unentdeckten Süden Japans, der Insel Kyushu.

Das Tal des Glücks. Fukuoka. So heißt die mit 1,5 Millionen Einwohnern größte Stadt Kyushus. Unsere erste Station auf einer Reise voller Widersprüche und Gegensätze, die am Ende wunderlicherweise doch irgendwie ein Ganzes ergeben.

 Suizenji-Park_ Kyushu- Japan

Ulrike Klaas

Ein Trip, der auf den Kreislauf wirkt wie ein Kardioprogramm – friedvolle Momente und aufrührende Erlebnisse reihen sich in unregelmäßigen Intervallen aneinander. In einem Land, wo ein »Nein« mit einem »Vielleicht« beantwortet wird, scheint ebenso viel möglich wie unmöglich.

Eine etwas andere Millionenmetropole

Fukuoka ist eine grell blinkende, von hohen Glasbauten dominierte Metropole, wo nicht ein Papierchen auf dem Bürgersteig herumflattert, obwohl in der Stadt nirgends ein Mülleimer aufzutreiben ist. Wo sorgsam gekleidete Menschen bei Rot sittsam warten, bis sich das Ampelmännchen grün färbt. Eine Millionenmetropole, wo das »Fahrrad abstellen verboten«-Schild auf dem Bahnhofsvorplatz tatsächlich respektiert wird. Und wo die Einwohner sich bei Sonnenuntergang vor die kleinen Buden am Flussufer hocken, um eine köstliche Ramen-Suppe zu schlürfen.

Ebenso skurril wie die Katzen-Cafés: Die meisten Japanerinnen trippeln mit Minischritten in zu großen Schuhen über die Bürgersteige. Ein Einheitsgang, den ich auf ganz Kyushu beobachte. Der trippelnde Gang ist noch erklärbar, denn er rührt aus alten Geisha-Zeiten, als der Gang die Männer  bezirzte. Grazil, anmutig, sexy und zugleich niedlich soll er auch heute noch auf die Männerwelt wirken. Die zu großen Schuhe? Auf diese Frage ernte ich während der kompletten Reise ein irritiertes Achselzucken. In Japan muss nicht alles zwingend einen Grund haben.

Lippen vom Schönheitsdoc

Aber ein Ziel sollte man haben. Wir steigen in den Shikansen, den Hochgeschwindigkeitszug, der uns von Fukuoka nach Kumamoto beamt, der drittgrößten Stadt des Eilandes. Eine Fahrt mit dem Shikansen, Besuche in Zen-Gärten und der Shinto-Schreine gehören zum Pflichtprogramm – auch wenn sie mit dem typischen Klischee einer Japan-Reise behaftet sind. Den wohl schönsten Garten finde ich in Kumamoto.

Schönster Garten in Kumamoto - Suizenji-Park_ Kyushu- Japan

Ulrike Klaas

Der Suizenji-Park beeindruckt mit seiner prachtvollen, perfektionistischen Ordnung – selbst mich, die Botanik-Banausin. Der Fujiyama thront sanftmütig in der Mitte des fein säuberlich hergerichteten Areals, nur sein Sahnehäubchen fehlt. Im Teich dümpeln Heerscharen von Kois. Karpfen, die so heilig sind wie Kühe in Indien, deshalb wohl die einzige Fischart, die in Japan nicht auf dem Tisch landet. Ihre Mäuler öffnen und schließen sich im stillen Rhythmus, umringt von schlauchbootartigen Lippen, wie sie eigentlich nur der Schönheitsdoktor hinbekommt. Jeder Vater soll der Legende zufolge bei der Geburt seines Nachkommen einen Koi kaufen, denn sie gelten als Symbol für Stärke, Glück, Tapferkeit, Erfolg und ein langes Leben, erklärt uns Reiseführer Masato Furukawa.

Koi im Park von Komamoto - Kyushu Japan

Ulrike Klaas

Die bunten Karpfen können bis zu 60 Jahre alt werden. Glück und Segen erwarten auch die Besucher der Shinto-Schreine. Am wunderschönen Aso-Schrein kaufe ich mir für günstige 100 Yen die Zukunft. Den Zettel binde ich anschließend an einen der Pfähle, wo alle frommen Wünsche im Wind flattern und auf Erfüllung warten.

Schon einmal etwas von Chonkaegoma gehört?

Während man den Klischees begegnet und sie bestaunt, erstaunt Kyushu immer wieder mit Unvorhergesehenem. Weiteres Beispiel dafür: Der Club der fliegenden Kreisel, auf den ich an einem schönen Samstagnachmittag vor der Burg Kumamotos treffe. Hidenori Kavagutchi ist der Vorsitzende des illustren Clubs, deren Mitglieder sich in weißer Einheitskluft jeden Samstag im Park versammeln und einen flache, runde Scheibe auf einem Seil erst in die Höhe werfen und dann kunstvoll balancierend kreisen lassen.

Club der Kreisel vor der Burg Kumamoto

Ulrike Klaas

Die Sportart, die der 71-Jährige und seine betagten, freundlichen Sportskumpanen betreiben, nennt sich: Chonkaegoma. Ein Sport mit Zen-Charakter, denn auf mich wirkt es beruhigend, sich ganz auf die runde Scheibe zu fokussieren. Umso erschrockener bin ich, als ich die Burg betrete und plötzlich einem Schwert schwingenden Samurai gegenüberstehe, der ein kriegerisches Gebrüll von sich gibt. Doch zwischen uns steht die Sprachbarriere. Ob das wohl Japans letzter Samurai ist?

Mangas-vor-der-Burg-von-Kumamoto-kyushu

Ulrike Klaas

Hilfesuchend schaue ich mich um und sehe überall Jugendliche, die wie lebende Manga-Figuren vor den Kameras der asiatischen Touristen posen. Ich fühle mich in ein lebendes Comic verfrachtet.

»Cosplay nennt man das«,

sagt Masato Furukawa. Figuren aus Manga, Ani­me, Computerspiel oder Film werden mit Kostüm und Charakteren möglichst originalgetreu nachgeahmt. Erfrischend unangepasst in dem sonst regelverliebten Japan.

Mit dem Vulkan ist nicht gut Eier essen

Noch faszinierender als die Kuriositäten sind die einsamen Traumlandschaften Kuyshus, die nicht mit exotischer Üppigkeit, sondern mit harmonischer Unaufdringlichkeit faszinieren. Wenn das Wort »Idyll« einen Ursprung hätte, dann wäre es gewiss hier. Der Aso-Nationalpark ist ein Zen-Garten, ohne als solcher angelegt zu sein. Vom Bahnhof in Kumamoto hatten wir unsere Reise mit dem Bus in Richtung Nationalpark fortgesetzt. Dunkelgrüne Berge, die im Sonnenlicht schimmern wie mit Samt überzogen, umrahmen eine japanische Bilderbuchlandschaft aus pastellfarbenen, grünen Reisfeldern, weiten Grasebenen und Feldern, wo Erdbeeren, Zwiebeln und Mais angebaut werden. Nichts stört das Auge. Die Farben sind nicht zu blass und nicht zu kraftvoll. Die Berge nicht zu grob, aber auch nicht zu sacht. Die pure Harmonie!

Schwefelspuckender Vulkan-Aso-in-Kyushu-Japan

Ulrike Klaas

Ja, wenn da nicht dieser bestialische Schwefelgestank wäre – so als hätten ganze Generationen von Hühnern vergessen, ihre Eier auszubrüten, die nun vor sich hinfaulen.Der Aso ist heute nicht guter Stimmung. Irgendetwas hat ihn in Aufruhr versetzt, und nun spuckt er Gas und Schwefel und verstört die wenigen Besucher, die in sein Innerstes schauen möchten. Aber die Seilbahn hinauf zum Krater ist geschlossen, der Anblick des kochenden Vulkankessels bleibt uns verwehrt. Der Dampf klammert sich in Sekundenschnelle wie Klebstoff an die Haut und löst bei den Besuchern einen Reizhusten aus, sodass sie schnell wieder in die Busse fliehen.

In Panik verfallen? Niemals!

Wieder liegen Zen und Harakiri ungeahnt nah beieinander – trifft die Schönheit der Landschaft rund um den Aso auf den bestialischen Gestank, der Lunge und Atemwege kollabieren lässt. Wir tuckern wieder den Berg hinab. Vorbei an grasenden Kühen, die so vor Gesundheit strotzen, dass sie in jeder Milch- und Fleisch­werbung perfekte Darsteller wären.

»Das sind Wagyū-Rinder«,

erklärt Masato Furukawa. Ihr Fleisch sei eine Delikatesse, die es nur in Japan gebe und weltweit ein gefragtes Luxusprodukt sei, denn aus dem Wagyu-Rind werde beispielsweise das edle Kobe-Beef hergestellt.

Bis auf den tobenden Aso ein wirklich friedvolles Fleckchen Erde. Doch der Schein trügt: Der Aso ist der größte und aktivste Vulkan Japans und zählt zu einem der größten Krater der Welt, mit spektakulären 120 Kilometern Umfang. Ein Supervulkan mit fünf Vulkanen, die im Inneren wie angespitzte Bleistifte in die Höhe ragen. Einer von ihnen ist noch aktiv: der Naka-dake. Umso brisanter, dass rund 90.000 Menschen in unmittelbarer Nähe leben. Auf einem Boden, der so unberechenbar vor sich hinbrodelt, wie die Sitten und Bräuche der Japaner für westliche Touristen dastehen. Die Erde in Japan hält nie still, ist immer in Bewegung und stellt ihre Kräfte gerne zur Schau. Das Land, ein Spielball im Kräftemessen der Elemente, gelegen auf vier Erdplatten. See- und Erdbeben, Tsunamiwellen und Vulkanausbrüche gehören zum Leben der Bewohner dazu. Diese trotzen den Gewalten mit stoischer Ruhe. In Panik verfallen angesichts der unberechenbaren Naturgewalten?

»Wir haben Angst vor der Panik. Deswegen bekommen wir keine!«,

erklärt Reiseführer Masato Furukawa resolut.

Ob man das nun entspannt oder ignorant nennen mag – vielleicht sind die Japaner gelöster, weil sie viel Zeit in den heißen Quellen verbringen. Den sogenannten Onsen, die überall auf der Insel zu finden sind.

Hitze verteribt Kummer und Sorgen

Es sind kleine Orte wie Kurokawa, die unbemerkt von europäischen Reisenden in der Wellnessliga ganz oben mitspielen – und das, bevor das Wort »Wellness« überhaupt erfunden war. Kurokawa ist ein Ort, eigens dafür errichtet, um bei den Gästen für Zerstreuung und Erholung zu sorgen. Zen in seiner ursprünglichen Form. Ein Kurort, tief eingesunken im Tal, der mit jeder Pore Entschleunigung ausstrahlt. Das Rauschen des Baches, der sich zwischen den 24 Ryokans, den traditionellen japanischen Hotels – allesamt mit eigener Quelle – seinen Weg gebahnt hat, klingt so berauschend monoton wie eine gute Entspannungs-CD.

Heiße Quellen auf Kyushu - Japan

Ulrike Klaas

Die Luft ist so rein und klar, als wäre ihr nie Schlechtes widerfahren. So wandeln die Besucher von Ryokan zu Ryokan, von Quelle zu Quelle, die mit ihren verschiedenen Mineralienzusammensetzungen jeweils für etwas anderes gut sind: von Herz über Haut bis hin zu Schönheit. Dabei trägt der ganze Ort Yukata. Die unkomplizierte, leichtere und alltäglichere Variante des Kimonos – einfacher zu binden und preisgünstiger, denn ein Kimono besteht zu 100 Prozent aus Seide. Dazu trägt man Geta, japanische Holzschuhe, die wie Flipflops anmuten, nur klobiger und mit Stoffriemen. Nicht zu verwechseln mit den Toilettenschuhen, die ich fälschlicherweise zunächst als »Ausgehschuhe« ausmachte, da sie in meinem Hotelzimmer direkt am Eingang standen. Oder mit den »Hausschuhen«, die ich in meinem traditionell gestalteten japanischen Zimmer mit edler Tatami-Matte aus Reisstroh tragen soll.

Japanerinnen im Onsen-Look

Ulrike Klaas

Mit der Auswahl der Schuhe geht es mir wie bei der Wahl des richtigen Essbestecks in einem Drei-Sterne-Restaurant. In Japan gibt es keine Fettnäpfchen, es gibt Fetttröge. Auch im Onsen. Die Schuhe streife ich zu spät ab. Ich brause mich im Stehen ab und nicht, wie die Etikette es verlangt, auf einem kleinen Holzschemel und vergesse das kleine Handtuch, das man sich in kaltes Wasser getunkt auf die Stirn legt, um den Schweiß in Schach zu halten Doch wenn man diese Hürde gemeistert hat, ist im siedend heißen Quellwasser, das auf erträgliche 40 Grad heruntergekühlt wird, die Schmach schnell erträglich. Jeder Muskel entspannt sich. Nach zehn Minuten fühle ich mich allerdings wie ein gekochter Hummer, flüchte unter die kühle Dusche und falle anschließend in einen tiefen, friedvollen Schlaf.

Nagasaki bewegt

Den habe ich auch bitter nötig, denn in Nagasaki, unserer nächsten Station, bleibe ich schlaflos. Beeindruckt von der bewegenden Geschichte der Stadt, die einst als kleines Fischerdorf ihr Dasein fristete. Im 16. Jahrhundert kamen die Portugiesen, brachten das Christentum mit, das von Nagasaki aus seinen Anfang in Ostasien nahm. Noch heute zeugen zahlreiche katholische Kirchen, wie die sehenswerte Oura-Kirche nahe dem Hafen, vom portugiesischen Erbe. Wie auch der allgegenwärtige Biskuitkuchen namens »Castella«, der in Vanille oder Grünteegeschmack erhältlich ist. Als das Land unter dem Tokugawa-Regime für zwei Jahrhunderte (1633 bis 1853) hermetisch abgeriegelt wurde, nahm Nagasaki eine zentrale Rolle ein, denn es war der einzige Ort, der mit seiner vorgelagerten Handelsinsel Dejima Kontakt zur Außenwelt hatte.

Blick auf den Hafen von Nagasaki

Ulrike Klaas

Niederländische Schiffe durften hier weiter ankern, und so lebten im 17. und 18. Jahrhundert holländische Handelsleute auf Dejima, die zwar die fächerförmige Insel nicht verlassen durften, aber ihr Wissen und ihre Kultur drang ins Innere des Landes. So wurde aus dem einstigen abgelegen Provinznest ein Zentrum des Fortschritts, denn holländische Wissenschaftler und Ärzte gaben ihr Wissen an japanische Schüler weiter. Nach der Öffnung Japans machte sich Nagasaki mit der Mitsubishi-Werft einen Namen als Industriezentrum. Noch heute werden hier mit die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt gebaut. Doch der Ruf als einer der wichtigsten Häfen Japans brachte Nagasaki im Zweiten Weltkrieg auch viel Leid.

Tik-tak-tik-tak – das monotone Ticken jagt mir einen Schauer über den Körper. Dunkelheit empfängt die Besucher am Eingang zur Ausstellung des Atombombenmuseums. Fahles Licht fällt auf eine abgegriffene Standuhr. Doch das Ticken kommt nicht von dieser Uhr. Für die Standuhr ist die Zeit lange stehen geblieben. Am 9. August 1945, um 11:02 Uhr, als die Atombombe »Fat Man«, die eigentlich die Mitsubishi-Werft treffen sollte, den bis dato größten Waffenhersteller Japans, Nagasaki und das Leben von 70.000 Menschen auslöschte. Das Museum zeigt mit allerlei Alltagsgegenständen wie der Uhr, teils ramponierte und geschmolzene Rosenkränze und von der Hitze der Explosion deformierte Glasflaschen eindrucksvoll die Zerstörung. Kleine Zeitzeugen mit tief berührender, großer Wirkung.

Wasserflaschen gegen die Durst

Auch das Schicksal der Überlebenden soll mich die nächsten Tage nicht mehr loslassen. Sie verloren nicht nur ihre Familien, ihr Haus und gesamtes Hab und Gut, sondern auch ihr Ansehen. Ausgestoßene ohne Chancen auf einen Job oder einen Lebenspartner. Ohne Platz in der Gesellschaft. Ihre einzige Chance auf eine Zukunft: Nagasaki verlassen und die eigene Herkunft leugnen. Nur wenige Meter entfernt vom Atombombenmuseum erinnert ein weit in den Himmel ragendes Denkmal an die Opfer und ist zugleich Kennzeichen des Hypozentrums. Davor stehen aufgereiht Wasserflaschen.

»Für die Opfer«,

erklärt Reiseführer Masato Furukawa. Die Hitze und die ganzen Verbrennungen – die Leute damals hätten wahnsinnigen Durst gehabt und an Wasser war schwer heranzukommen. Ein Stillleben, das tief bewegt.

Denkmal-Opfer-Atombombe-Nagasaki

Ulrike Klaas

Nur eines bleibt im Museum und auch sonst gänzlich unerwähnt: Die Atombombe machte aus Japan eine Opfernation. Alle grausamen Verbrechen, die Japan an Nachbarnationen wie China und Korea beging, blieben ungesühnt. Vom Täter zum Opfer innerhalb weniger Tage. In den Geschichtsbüchern ist dieser dunkle Teil der japanischen Geschichte zumindest seit 1997 kurz erwähnt. Was bleibt, ist, die eigenen Lehren aus der Geschichte zu ziehen.

Perfekte Kulisse für 007 in »Skyfall«

Böse Geister der Vergangenheit könnten nicht unweit des Hafens noch ihr Unwesen treiben. Die gruseligste Sehenswürdigkeit Nagasakis ist nur mit dem Boot erreichbar. Hashima, die Insel der Vergessenen, taucht als graue Betonwüste am Horizont auf. Von Weitem erinnert ihre Form stark an ein Schiff, weswegen sie den Beinamen »Gunkanjima«, übersetzt Kriegsschiff-Insel, trägt.

007 auf der Spur: Geisterinsel-Hashima-vor-Nagasaki

Ulrike Klaas

Ab 1887 bauten hier Tausende von Arbeitern unterseeische Kohle ab. Ein gefährliches Unterfangen. Die Familien lebten mit in dieser trostlosen Betonwüste aus Hochhäusern. Kein Baum, keine Wiese. Nichts Grünes blitzt zwischen den verfallenen Wohnblocks mit zerborstenen Fensterscheiben hervor. Wenn ein Unglück unter Tage passierte, ertönte eine Sirene. Dann blieb Frauen und Kindern nur zu hoffen, dass ihr Familienoberhaupt überlebte. Unvorstellbar, wie ein Leben auf Hashima ausgesehen haben muss. 1974 wurde die Mine geschlossen, und die Familien verließen fluchtartig die Insel. Die perfekte Kulisse für einen Bösewicht. Das dachten sich auch die Macher des letzten James-Bond-Films «Skyfall«, die Filmbösewicht Raoul, gespielt von Javier Bardem, auf der Geisterinsel einquartierten. Eine Betonhölle, die ich möglichst schnell wieder verlassen möchte.

Man muss nicht alles verstehen: Die 99-Insel-Landschaft hat 208 Inseln

Die Achterbahnfahrt geht weiter, denn auf Gänsehaut und Herzrasen folgt am nächsten Tag wieder die in sich ruhende Schönheit Kyushus. Die 99-Insel-Landschaft beweist, dass das Eiland die absolute Naturschönheit Japans ist. Eine unangetastete, wilde und zugleich stille Schönheit, die eine Harmonie ausstrahlt, die ihresgleichen sucht. Die Sinne nehmen mehr und mehr das Hier und Jetzt wahr, und die Gedanken geben Ruhe.

99-Insel-Landschaft

Ulrike Klaas

Üppig bewachsene Hügel, hinter denen ab und an das Meer aufblitzt. Kleine Fischerdörfchen, die sich in den Buchten auftun. Warum es 99-Insel-Landschaft heißt, obwohl es genau genommen 208 Inseln sind, sei dahin gestellt.

Kaum habe ich wieder eine Zen-artige Ruhe erlangt, wartet hinter der nächsten Ecke erneut Unerwartetes, das aus der Bahn wirft. Zunächst lugt Amsterdam Centraal zwischen hohen Baumwipfeln hervor. Lebensecht und detailgetreu. Was bitte macht der Hauptbahnhof Amsterdams mitten im Süden Japans? Getoppt wird Kleinholland in Japan nur noch vom Dresdner Zwinger, der einige Kilometer entfernt plötzlich am Weges­rand auftaucht. Eine perfekte Nachbildung, bestückt mit wertvollem Porzellan aus aller Welt. Arita, eine Porzellan-Hochburg und die Partnerschaftsstadt von Meißen, liegt in der Nähe. Ob das der Grund für den Dresdner Zwillingsbau ist?

Nachbildung Dresdener-Zwinger

Ulrike Klaas

Doch ich habe verstanden, dass man auf Kyushu nicht immer alles verstehen muss! Die innere Ruhe hilft dabei. Und vielleicht ist Zen der Schlüssel zum Verständnis! So sind es vor allem die Gegensätze, die faszinieren. Die man zu begreifen versucht, aber niemals verstehen wird. Zu unterschiedlich sind die Denkweisen und Kulturen. Eines ist sicher: Der nächste Wow-Effekt lässt nie lange auf sich warten. Und dass ich wiederkommen muss, denn ich habe versäumt, Karaoke zu singen! Das wäre dann der nächste Wow-Effekt, aber eher für meine Zuhörer – im negativen Sinn.

 

Anreise. Mit KLM via Amsterdam nach Fukuoka. www.klm.com

Rundreise. Der Reiseveranstalter Windrose bietet Rundreise in Kyushu  von/bis Fukuoka an.

Infos. Japanische Fremdenverkehrszentrale, Kaiserstr. 11, 60311 Frankfurt, Tel.: 069 20353

Den ausführlichen Kyushu-Guide mit allem Wissenswerten über die Insel von Ünerkünften bis zu Ausflusgtipps undTipps zur Vremeidung von Fettnäpfchen finden Sie hier.