Ceilidh nennt es der Schotte, wenn Menschen zusammenkommen, um miteinander zu singen, zu tanzen und Spaß zu haben. Ein vorweihnachtlicher Besuch auf dem vielleicht stimmungsvollsten und stimmigsten Weihnachtsmarkt Europas – im überdimensionalen Adventskalender Edinburgh. Text: Jan Schnettler

»Ten!«, erschallt es aus Tausenden erwartungsfroher Kehlen, vornehmlich von Kindern und ihren Eltern. Als der Countdown bei »Six!« angekommen ist, sind längst auch flanierende Passanten und zufällig vorbeigekommene Touristen mit in den Chor eingestimmt. Bei »Three!« und »Two!« gibt es dann kaum noch jemanden, der nicht entweder begeistert im Takt mitklatscht oder die Hand seines Nachbarn ergriffen hat, und als endlich, endlich das erlösende »One!« verklungen ist, ist es so weit: Ganz Edinburgh erstrahlt im hellen Lichterglanz. Spätestens jetzt hat der Advent in Edinburgh begonnen.

Denn es ist »Light Night«, traditionell der offizielle Beginn der Adventszeit in der schottischen Hauptstadt, und nun, da der Weihnachtsmann da vorne auf der Hauptbühne (oder ein anderer Prominenter mit entsprechender Strahlkraft, 2013 war es etwa der mehrfache Bahnrad-Olympiasieger Sir Chris Hoy) den Universal-Schalter umgelegt hat, ist die Lizenz zum Leuchten erteilt.

Advent in Edinburgh: Dekoration am Weihnachtsbaum

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Prompt ergießt sich ein farbenfrohes Feuerwerk in den nun, am späten Samstagnachmittag, schon samtschwarzen Himmel hinein, prompt glüht die atmosphärisch-stilvolle Straßenbeleuchtung auf Edinburghs wohl edelster Meile, der George Street, und in den urigen umliegenden Gässchen auf, und prompt erstrahlen die beiden Weihnachtsmärkte der Innenstadt in ganzer Pracht. Die waren zwar bereits vorher geöffnet, aber ihren vollen Charme vermögen sie erst jetzt zu entfalten, da Myriaden kleiner Lichtpunkte sie versilbern und vergolden. Mal akzentuieren diese lediglich die Silhouette eines einzelnen Baums am Hang unterhalb des Schlosses, mal tauchen sie einen ganzen Glühweinstand in milchig-nostalgischen Glanz. Denn dorthin pilgern sie nun, die Besucher der Light Night, um ihrer vorweihnachtlichen Freude zu frönen.

Da marschiert durch den Klangteppich allseits bekannter Weihnachtsklassiker urplötzlich eine Dudelsack-Kapelle

Längst hat sich die Metropole am Firth of Forth einen Namen als Festivalstandort erster Güte gemacht. Tages- und Wochenendtouristen schätzen sie nicht erst seit gestern, und auch auf der kulinarischen Landkarte braucht sie sich kaum mehr zu verstecken. Ihre größte Trumpfkarte allerdings spielt sie in den Wochen zwischen der Light Night und dem Beginn des neuen Jahres aus: Was die Kombination aus einzigartigem Ambiente, mannigfaltigem Angebot und perfektionierter Familienfreundlichkeit angeht, macht Edinburgh keine Weihnachtsmarkt-Hochburg auf dem Kontinent etwas vor.

Das liegt einerseits an der einmaligen Topographie der Innenstadt: Weil die Princes Street Gardens zwischen dem Schlossberg und den Shoppingmeilen der Neustadt quasi tiefergelegt sind, kann der größere der beiden Märkte gemütlich über mehrere Ebenen den Hang hinunter mäandern. Es liegt aber auch am Mit- und nicht nur Nebeneinander von Altem und Neuem, Traditionellem und Modernem, Einheimischem und Internationalem: Da marschiert durch den Klangteppich allseits bekannter Weihnachtsklassiker urplötzlich eine Dudelsack-Kapelle. Da werden neben Jagertee, französischem Crêpe und polnischer Krakauer heißer Apfel-Whiskylikör, Haggis-Häppchen und Aberdeen-Angus-Burger gereicht. Und da streifen die Kuppeln des in Neontönen illuminierten Riesenrads doch tatsächlich um ein Haar das altehrwürdige, 61 Meter hohe und einer gotischen Kirche gleichende Denkmal für den Nationaldichter Sir Walter Scott.

Irrgaten aus Weihnachtsbäumen

Und schließlich ist da auch noch die gelassene Verspieltheit der Attraktionen, die Ihresgleichen sucht: Schon mal durch einen vor Lichterketten nur so strotzenden Irrgarten aus Weihnachtsbäumen gelaufen? Schon mal mit dem Nachwuchs zwischen null und sechs Jahren in der Weihnachtsdisco abgetanzt? Und schon mal mit Schlittschuhen lässig im weiten Rund um eine heimelige Skihütte gekreist, anstatt alle paar Meter abzubremsen und in die andere Richtung neu Schwung holen zu müssen? Die zwei zentralen Weihnachtsmärkte Edinburghs, nur wenige Gehminuten voneinander entfernt, sind ein einziges Ceilidh, wie der Schotte sagt, ein Volksfest, und das im allerbesten Sinne des Wortes – mit Bühnenprogramm, Musik, Gesang und Tanz. Und zudem eines, das im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte fortwährend weiterentwickelt und optimiert worden ist.

Advent in Edinburgh: Besucher des Weihnachtsmarktes

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Der kleinere Markt am St. Andrew’s Square ist der gediegenere und urtümlichere. Hier lockt ein wunderschönes Karussell aus Großmutters Zeiten ebenso wie besagte kreisrunde Eisbahn; über eine Brücke gelangt man zu der in der Mitte gelegenen Hütte. Der schottische Markt, der mit regionalem Kunsthandwerk, Schmuck und allerlei lukullischen Spezialitäten aufwartet, lädt zum Flanieren und Probieren ein.

Das Spiegelzelt wiederum, ursprünglich im späten 19. Jahrhundert in Belgien gebaut, hält zahlreiche aufregende Shows und Revuen bereit – hier lohnt sich eine Reservierung, denn viele Vorstellungen sind ratzfatz ausgebucht. Der deutlich größere Markt an der Princes Street, zwischen der Nationalgalerie und dem Hauptbahnhof Waverley gelegen, ist etwas massentauglicher – jedoch erstaunlicherweise ohne dass man sich hier jemals ernstlich auf die Füße steigen würde.

Advent in Edinburgh: Holzschnitzereien und Handgestricktes

Zwischen Holzschnitzereien aus dem Erzgebirge, die so auch in Nürnberg, Dresden oder Trier feilgeboten werden, Handgestricktem sowie allerlei nach Zimt, Orangen und kandidierten Äpfeln Duftendem gibt es bereits auf dem obersten Level des »Europäischen« Marktes auch immer wieder etwas Individuelles zu entdecken: Kaffeebohnen mit Whiskygeschmack beispielsweise, oder den Stand mit den vielleicht ungewöhnlichsten Cheddar-Variationen der Welt.

Hier finden sich zudem eine weitere Eisbahn – mit hölzerner Ausguck-Empore und noch mehr Hüttengaudi-Flair – und manches spektakuläre Fahrgeschäft,. Der Geist der Weihnacht ist hier spür- und beinahe greifbar: Das liegt an der festlich-entspannten Grundstimmung, den großzügigen Freiflächen, die den Hüttenzauber gliedern, ohne dass er dadurch an Gemütlichkeit verlöre, und dem internationalen Sprachgewirr, das allenthalben zu vernehmen ist. Und wer dazu noch höherschlagende Kinderherzen hören möchte, der sollte sich ganz hinunter in die Mitte des Parks begeben, denn dort liegt das Weihnachtsparadies Santaland. Und dort gibt es alles, schlichtweg alles, was Kinder in Feststimmung begehren könnten.

Advent in Edinburgh: Eisbahn auf dem Weihnachtsmarkt

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Ob Kletterwand oder Riesenrutsche, Rentier-Karussell oder Bimmelbahn, Achterbahn oder Irrgarten, Zuckerwatte oder Kinderpunsch – Santaland hat’s. Selbstredend auch die Möglichkeit, sich auf den Schoß des Weihnachtsmanns zu setzen und die eigenen Wünsche fürs Fest zu offenbaren. Nicht alles, aber das meiste hat durchaus seinen Preis, der jedoch stets in fairer Relation zu den ohnehin recht hohen Lebenserhaltungskosten in Schottland steht.

Nachmittags einer Chorprobe in der St. Giles’ Cathedral lauschen

Das Weihnachtsmarkt-Erlebnis in Edinburgh lebt aber nicht zuletzt auch davon, dass jeder es sich ganz nach Gusto gestalten und mit seinen persönlichen Highlights garnieren kann. Und das liegt an dem imposanten kulturellen Füllhorn, das drumherum angeboten wird. Veranstaltungen für die unterschiedlichsten Zielgruppen in den unterschiedlichsten Locations – von der Zeitreisen-Disco bis zum Auftritt eines veritablen Pub-Philosophen – sind nur ein Element davon, Weihnachtskonzerte – mal klassisch festlich im Kerzenschein, mal etwas abseitiger – ein anderes.

Schon an einem handelsüblichen Wochentag im Advent nachmittags einer Chorprobe in der wohlig warmen und gemütlich geschmückten St. Giles’ Cathedral zu lauschen, ist ein akustischer Hochgenuss und ein erhebendes Erlebnis. Ferner gibt es bis einschließlich Heiligabend die Möglichkeit, ein edles Dinner im Spiegelzelt serviert zu bekommen, ebenso wie Sportbegeisterte jeden Alters an einem herrlich bekloppten Spendenlauf im Weihnachtsmann- oder Elfenkostüm durch die Innenstadt teilnehmen können.

Highlight: der Adventskalender der Stadt

Eine besonders schöne Idee ist die folgende: Zwischen dem 1. und dem 24. Dezember wird die Stadt selber zum Adventskalender. An jedem Tag öffnet dann ein Gebäude seine Türen, das der Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich ist. Die Light Night ist als großes Spektakel zum Mitsingen und Mittanzen konzipiert, speziell für Schulkinder, und auch wer sich aus dem größten Weihnachtstrubel heraus bewegt, über die mondäne Royal Mile hinweg in Richtung Altstadt, kann Besonderes erleben. Gerne präsentiert sich beispielsweise der Grassmarket als ein weihnachtliches Kunstspektakel, wenn Künstler die Fassade eines Hotels in eine Leinwand verwandeln und ein Winterwunderland darauf projizieren. Nicht umsonst wird Edinburgh als Stadt der großartigen Sichtachsen und Ausblicke bezeichnet – welche andere europäische Metropole etwa nennt schon einen Hausberg wie den 250 Meter hohen Arthur’s Seat sein Eigen, der gänzlich unbebaut und dennoch komplett von Siedlungsgebiet umschlossen ist?

Advent in Edinburgh: Scott Monument mit Riesenrad im Hintergrund

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Und zu guter Letzt bieten Edinburghs Weihnachtsmärkte Besuchern auch die perfekte Gelegenheit, sich denjenigen Attraktionen in Ruhe zu widmen, die zu jeder anderen Zeit des Jahres ungleich überlaufener wären: einem Ausflug hinaus in die Highlands und eine Whisky-Destillerie, oder einer geführten Tour durch die seit Jahrhunderten überbaute Unterwelt der Stadt, am Mary King’s Close beispielsweise. Einem Besuch auf dem Schloss, einem Abstecher auf die Royal Yacht Britannia, dem ehemaligen Prunkstück der britischen Königsfamilie im nördlichen Hafenviertel Leith, oder einer ausgiebigen Bekanntschaft mit der ganz und gar wunderbaren schottischen Pub-Kultur. Auch hierfür empfiehlt sich – neben den hinlänglich bekannten Destinationen in Alt- und Neustadt – als schon gar nicht mehr so geheimer Geheimtipp Leith.

Ab Ende November ist alles weihnachtlich geschmückt

Die »Granary« an der Straße The Shore etwa wartet mit pfiffigen Variationen schottischer Klassiker wie Chicken Balmoral auf, dazu gibt es an jedem Abend besondere Aktionen, von Livemusik über Weinproben bis hin zu Quizzen. Am besten hin und zurück kommt man, wie beinahe überall in Edinburgh, mithilfe des bewundernswert lückenlosen und effizienten Busnetzes. Wenige Straßen weiter zeigt sich das das »Roseleaf« noch etwas rustikaler und persönlicher.

Hier kramt der Wirt auch dann noch rechtzeitig ein deutsches Geburtstagslied heraus, wenn man ihm erst um fünf vor Mitternacht Bescheid gegeben hat. Auch in diesem Pub ist alles bereits Ende November wunderbar weihnachtlich geschmückt – und wird es auch noch bis Anfang Januar sein. Selbst wenn kurz nach Weihnachten schon die nächste größte Sause bevorsteht, mit Straßenpartys, hochkarätigen Open-Air-Konzerten, Fackelprozessionen und vielem vielem mehr: Hogmanay, das schottische Silvester. Aber das ist eine andere Geschichte.

Tipps für die Anreise, die Übernachtung und den Ausflug

Anreise. Edinburgh bietet für Reisende den Vorteil, nur einen Flughafen zu haben – und der liegt recht nahe am Zentrum. Da ihn auch Billigflieger wie Ryanair ab Düsseldorf-Weeze ansteuern, kommt man preisgünstig hin und zurück.

Unterkunft. Das traditionsreiche Fünf-Sterne-Hotel The Balmoral liegt unmittelbar am Bahnhof Waverley und damit nur eine Minute zu Fuß vom Eingang zum Weihnachtsmarkt entfernt. Zimmer gibt es ab 210 Pfund aufwärts. Über Seiten wie AirBnB lassen sich für Familien mit Kindern in Edinburgh aber zum Beispiel auch wunderschöne Apartments zu akzeptablen Preisen mieten, etwa in Leith.

Speisen. Neben den einschlägigen Tipps – längst hat sich in Leith eine regelrechte »Michelin-Meile« etabliert – empfiehlt der Autor dieser Zeilen für exquisites Essen im Pub die Granary und für das ultimative Pub-Erlebnis das Roseleaf oder am Grassmarket das White Hart, das sich rühmt, der „vielleicht älteste” der Stadt zu sein.

Ausflugstipp. Besonders im Spätherbst spannend sind die mal gespenstischen, mal historisch angehauchten Touren in den Untergrund der Stadt. Zu jeder Jahreszeit empfiehlt sich eine Vorabbuchung. Besonders empfehlenswert: die Tour rund um den Mary King’s Close.

Literatur. Alles Wichtige zu Edinburgh im kompakten Überblick inklusive Stadtplan liefert »City-Trip Edinburgh« von Lilly Nielitz-Hart und Simon Hart. Reise Know-How Verlag, 144 Seiten, 9,95 €. Reichlich Gratis-Informationsmaterial zu den Weihnachtsmärkten gibt es bereits am Info-Punkt am Flughafen oder vorab im Internet unter www.edinburghschristmas.com.