»Das größte Binnenmeer der Welt« nennen es die Russen, bei uns ist der größte See der Welt als Baikalsee bekannt. Das Gewässer speichert knapp 24 Prozent allen flüssigen Süßwassers der Welt. Ein See der Superlative, ein See, der zu jeder Zeit spannend ist, aber im Winter eine besondere Begegnung ermöglicht: Robbenbabys hautnah erleben, über wie unter Wasser! Text: Gerald Nowak
Gemeinsam mit Gena und Tatjana, den Besitzern der ortsansässigen Tauchbasis »Baikal Tec«, bin ich unterwegs nach Ust-Bargusin am Ostufer des Baikalsees, um die hier lebenden, endemischen Süßwasserrobben zu suchen. Robben im Baikalsee. Sie werden in Russland »Nerpa« genannt und sind sehr scheue Gesellen. Im Sommer hat man kaum eine Chance, ihnen nahe zu kommen.
Dem harten Winter trotzen
Jetzt – Ende März – ist das anders. Vor genau zwei Monaten hat die Mutter in der Höhle einer Schneeverwehung auf dem See ein Baby zur Welt gebracht. Nun ist das Nerpababy alt genug, um diese Höhle zu verlassen. Die Sonne steigt inzwischen wieder deutlich höher über den Horizont und ist stark genug, kleine Löcher in die Schneeverwehung zu schmelzen. Für Baby-Nerpa die Gelegenheit, die Welt außerhalb der Wohnhöhle zu erkunden. Und für uns die besondere Gelegenheit, diese stark gefährdeten Lebewesen hautnah zu erleben.
»Mit den typischen UAZ 452, einem russischen Kleinbus, sind wir mit den beiden Rangern Vladimir und Dimitrij auf der Suche nach den Tieren.«
Die beiden arbeiten seit vielen Jahren im Zabaikalsky National Parks Kabansk, einem von mehreren Nationalparks rund um den Baikalsee. Hier im Osten leben einige der Robben im Baikalsee. Um mit den Nerpas zu tauchen, benötigen wir eine Genehmigung, die ausschließlich die Tauchbasis von »Baikal Tec« innehat.
Die Auflagen sind hoch und nur in Kleingruppen darf man mit den Tieren ins Wasser, das heißt: maximal zwei Gäste plus Sicherungstaucher. Bevor es jedoch so weit ist, müssen die Tiere erst einmal gefunden werden. Dafür sind Vladimir und Dimitrij zuständig. Sie stellen sicher, dass die Tiere nicht zu Schaden kommen. Es ist gar nicht so einfach, die Wohnhöhlen der Nerpas in der Eiswüste zu entdecken. Der See ist überzogen mit Eisbrüchen, die sich teilweise meterhoch auftürmen.
Robben im Baikalsee: Die Suche nach den Robbenbabys
In solchen Eisverwerfungen baut die Robben-Mama ihre Winterunterkunft und genau diese gilt es zu lokalisieren. Vladimir ist mit seiner Hündin »Ruslana« auf der Suche nach einem juvenilen Nerpa. Die Robben im Baikalsee halten mehrere Eislöcher offen, damit sie selbst im strengsten Wintern jagen können. Die bevorzugte Beute ist der Golomjanka, ein Fettfisch, der im Baikalsee lebt.
Wenn Mama-Nerpa unterwegs ist, warten auf die Baby-Nerpa so einige Gefahren. Krähen und Seeadler halten Ausschau nach unerfahrenen Robbenbabys, die sich aus ihren Höhlen herauswagen. Nur starke Jungtiere entkommen diesen unbarmherzigen Jägern. Bis vor wenigen Jahren wurden Nerpas auch von den Einheimischen gejagt. Inzwischen sind die Tiere von der Regierung geschützt und werden von den Rangern bewacht. Durch die Einnahmen für die Genehmigung eines »Nerpa-Tauchgangs« werden weitere Schutzmaßnahmen umgesetzt und neue Ranger eingestellt. Ein sanfter Weg, den Robben nahezukommen und gleichzeitig Geld für ihren Schutz zu sammeln, um die illegale Jagd zu unterbinden.
Ab unters Eis
Am zweiten Tag haben wir endlich Glück, denn Vladimir entdeckt mit Hilfe der sehr geschickten »Ruslana« ein Nerpa-Baby. Damit wir das Tier auch unter Wasser beobachten können, schneiden wir mit einer Kettensäge in 20 Metern Entfernung ein Loch in das hier fast ein Meter dicke Eis. Das dauert eine Weile. Damit es dem Nerpa-Baby nicht langweilig wird, dürfen wir in der Zwischenzeit mit im fotografieren. Das Tier ist extrem neugierig und versucht jedem, der auf dem Bauch vor ihm liegt, unbeholfen ein Küsschen zu geben. Zumindest scheint das so, denn eigentlich versucht die Robbe uns Menschen nur anzustupsen.
»Nach einer halben Stunde ist es so weit. Wir legen unsere Tauchausrüstung an und verschwinden unter der Eisdecke.«
Jetzt heißt es darauf hoffen, dass das Robbenbaby uns folgt. Kaum fünf Minuten später taucht es auch schon durch den natürlichen Zugang der Wohnhöhle bei uns auf. Der Nerpa ist erfreut, uns auch hier unter dem Eis zu sehen, denn er schwimmt jetzt gar nicht mehr so unbeholfen von einem zum anderen.
Wieder werden wir angestupst. Die Robbe scheint schnell zu lernen, denn sie beginnt aus unserer Ausatemluft, die sich unter der Eisdecke gesammelt hat, zu atmen. Faszinierend, wie schnell das Tier lernt! So braucht sie zum Atmen gar nicht zurück zu ihrer Höhle.
Alles ist gut, bis die Robbenmutter kommt
Dennoch ist nach wenigen Minuten die Begegnung zu Ende, denn plötzlich taucht Mama-Robbe auf. Flink schwimmt sie zwischen uns hindurch, um ihr Junges energisch von uns wegzudrängen. Gemeinsam verschwinden sie aus unserem Sichtfeld. Vermutlich zum nächsten Atemloch, denn die Robben-Mütter legen vorsichtshalber immer mehrere Wohnhöhlen in direkter Nachbarschaft an. Man weiß ja nie, vor wem oder was man flüchten muss. Auch wir flüchten, denn nach einigen Minuten wird es unter dem Eis unangenehm frisch. Die Begegnung mit Robben unter dem Eis des mächtigsten sibirischen Sees – dem Baikal-»Meer«: ein Abenteuer, das seinesgleichen sucht.
Infos zum Baikalsee
Der Baikalsee liegt im Süden Sibiriens, das rund ein Viertel Russlands umfasst. Seine Wassermenge von 23.615 km³ würde ausreichen, um die gesamte Menschheit fünfzig Jahre lang mit Trinkwasser zu versorgen. In der Region rund um den Baikalsee leben 1.000 endemische Tier- und zirka 350 Pflanzenarten. Die Baikalrobbe ist eine davon. Sie ist eine von zwei Robbenarten, die ausschließlich im Süßwasser leben. Wie ihre Verwandten im Meer, leben sie vom Fischfang – bis zu einer halben Stunde können sie tauchen. Durch eine spezielle Technik reichern sie ihr Blut mit Sauerstoff an und pressen dann die Luft aus ihrer Lunge hinaus. Dadurch haben sie keine Druckausgleichsprobleme und erreichen Tiefen von bis zu 200 Metern.
Robben im Baikalsee: Wie kamen sie her?
Woher die Robben im Baikalsee kommen, darüber sind sich die Wissenschaftler nicht einig – schließlich ist das Meer mehr als 4.000 Kilometer entfernt. Vielleicht schwammen sie einst durch die Lena, die vor Jahrmillionen den See mit dem Nordpolarmeer verband, bevor eine tektonische Plattenverschiebungihnen den Weg versperrte. Heute sind die Baikalrobben an das Leben im größten Süßwassersee der Erde angepasst. Ihr Schicksal hat sich mit dem des Sees verwoben. Seine Fische sind ihre Nahrungsgrundlage. Und nur wenn dieses einzigartige Ökosystem erhalten bleibt, haben auch die Robben eine Chance, mitten in Sibirien weiter zu überleben.
Alles auf einen Blick
Russland ist für deutsche Staatsangehörige VISA-pflichtig! Das Visum muss mindestens zwei Wochen vorher beantragt werden und kostet ca. 65 Euro. Über den Visumservice plus 25 Euro. Am einfachsten kommt man per Flug mit Aeroflot über Moskau nach Irkutsk (fliegt von allen großen Flughäfen).
Hoteltipp. Das Hotel Courtyard Marriott in Irkutsk ist das einzige internationale Hotel der Stadt unter österreichischem Management. Das Essen, der Service und die Zimmer sind nach internationalem Standard und sehr zu empfehlen!
Sinnvolle Ausrüstung: Arktisgerechte Winterkleidung. Schal, Mütze, dicke Winterschuhe mit Thermoeinlagen, kleine Wärmflasche, dicke Neoprenhandschuhe oder Trockenhandschuhe, zwei vereisungssichere Lungenautomaten.
Mögliche Touren 2021: Baikal Black Ice Tour 2021, Eistauchen im Hochwinter am Baikalsee, vom 4. Februar 2021 bis 14. Februar 2021, Expedition 10 Tage/9 Nächte für 2.450 Euro (plus Flug ab ca. 550 Euro). Mehr Informationen gibt es direkt beim Reiseveranstalter Waterworld.
Baikal Nerpa Tour 202, vom 1. April bis 12. April 2021 mit maximal fünf Teilnehmer. Nur für erfahrene Trockentaucher, Eistauchbrevet ist notwendig. Expedition 11 Tage/10 Nächte für 4.990 Euro (plus Flug ab ca. 550 Euro.) Tauchbasis: Baikal Tek.
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