Ein Passagier steigt ohne Visum ins Flugzeug nach Indien. Dort wird ihm die Einreise verweigert. Die indischen Behörden belegen die Lufthansa mit einer Einreisestrafe in Höhe von 1.415 Euro. Die Airline wiederum verlangt vom Passagier die Zahlung der Strafe. Dieser lehnt ab. Der BGH urteilte nun: Die Fluggesellschaft ist nicht ohne Weiteres aus dem Schneider.
Ohne Visum ins Flugzeug steigen? Das sollte man tunlichst vermeiden! Denn es ist wohl der Alptraum jedes Reisenden: Man tritt eine Reise in ein Land an in dem Glauben, man benötige kein Visum. Bei der Prüfung des Reisepasses durch die Grenzbeamten am Flughafen des Reiseziels fällt der Schlamassel dann auf – und man wird aufgefordert, sofort mit dem nächsten Flugzeug zurückzufliegen. Nicht nur das: In einem realen Fall brummten die indischen Behörden der Lufthansa, die den visumfrei reisenden Passagier beförderte, auch noch ein Bußgeld auf. Immerhin 100.000 Rupien (zum Zahlungszeitpunkt umgerechnet etwa 1.415 Euro). Schließlich habe die Airline einen Fluggast ohne gültige Einreisepapiere befördert.
Aber ist es recht und billig, allein die Fluggesellschaft dafür verantwortlich zu machen? Hat nicht auch der Passagier eine Eigenverantwortung in dem Sinne, dass er sich vorher darüber informieren muss, ob er ein Visum zur Einreise benötigt? Diese Meinung vertritt auch die Lufthansa. Sie verlangte von dem Passagier die Zahlung der Strafe. Der aber wollte nicht zahlen. Sein Argument: Die Airline habe die Pflicht, zu prüfen, ob die Dokumente vollständig sind. Dies habe sie beim Check-in oder spätestens beim Boarding zu erledigen. Tut sie dies nicht, sei sie haftbar.
Ohne Visum ins Flugzeug: BGH musste sich der Sache annehmen
Der Passagier und die Lufthansa konnten sich schließlich nicht darüber einigen, wer die Strafe zu zahlen hat. Da die Lufthansa auf den Kosten sitzen zu bleiben drohte, zog sie vor Gericht. Das Amts- und Landgericht Hannover gaben ihr in den ersten Instanzen recht (LG Hannover – Urteil vom 20. Juli 2017 – 8 S 71/16). Aber der Passagier ließ nicht locker. Er zog vor den Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Der für das Reiserecht zuständige X. Zivilsenat beim BGH urteilte gestern (AZ X ZR 79/17) nun: Ganz so einfach ist es nicht.
Zwar habe der Passagier die vertragliche Nebenpflicht, den Flug nicht ohne die für eine Einreise nach Indien erforderlichen Dokumente, insbesondere nicht ohne das erforderliche Visum anzutreten. Aber: Die Lufthansa ist nicht aus dem Schneider. Denn: Es genüge »eine zurechenbare Mitwirkung bei der Schadensentstehung in Form eines Verstoßes gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung«. Weiter heißt es: »Die indischen Behörden haben der Klägerin (die Lufthansa, die Red.) das Bußgeld auferlegt, weil diese gegen ihre eigene rechtliche Verpflichtung verstoßen hatte, keinen Fluggast ohne das für eine Einreise nach Indien erforderliche Visum zu befördern. Die Klägerin war vor diesem Hintergrund im eigenen Interesse gehalten, vor dem Abflug in geeigneter Weise zu überprüfen, ob sich der Beklagte im Besitz der notwendigen Dokumente befindet.«
Und nun? Müssen beide jeweils zur Hälfte für die Einreisestrafe aufkommen? Es scheint derzeit einiges dafür zu sprechen. Der Bundesgerichtshof traf diesbezüglich aber keine Entscheidung. Es hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Holger Hopperdietzel, der Anwalt des Passagiers, ist jedenfalls optimistisch: »Ich meine, das Mitverschulden der Lufthansa wiegt so stark, dass sie allein für den ihr entstandenen Schaden auch aufkommen muss«, sagte er gegenüber reisen EXCLUSIV.