Als Kind habe ich mich immer gefragt, wo das sein soll – der Ort, wo der Pfeffer wächst. Ob es dort sehr warm ist? Der Ort in den Bergen liegt? Oder doch am Meer? Exotisch stellte ich ihn mir vor – und spannend. Nun, zwanzig Jahre später, stehe ich inmitten meiner Kindheitsvorstellung, im Norden von Kerala – der Heimat des Pfeffers. Text: Ulrike Klaas
Die Kleider kleben klamm am Körper. Kleine Schweißperlen stehen mir auf der Stirn. Ob wegen der Hitze oder der Buttermilch, die ich in der Hand halte, weiß ich nicht genau. Milchig, lauwarm und säuerlich riechend mit kleinen Stückchen an der Oberfläche – Koriander, Kurkuma und Ingwer lugen hier und da hervor. Ich stecke im Dilemma: Schon beim Anblick hat das Getränk durchschlagende Wirkung, aber die gastfreundlichen und offenen Menschen hier inmitten des tropischen Regenwaldes zurückzuweisen, bringe ich nicht übers Herz. Ich nippe und erwidere das zahnlose Lächeln der Großmutter, die auf den Treppenstufen vor dem Lehmhaus sitzt. Sie trägt Sari und den landestypischen roten Punkt auf der Stirn.
Auf der Farm von Familie Rathnakaran, die sich auf rund 30 Hektar im Gebirge von Keralas Norden erstreckt, leben fünf Familien, die sich um die Ernte und das Anwesen kümmern. Steile Hänge sind über und über von malerischen Palmenwäldern durchzogen, und unten im Tal fließt ein Fluss träge daher.
Erträge gibt es reichlich, denn nicht nur die Farm, sondern ganz Kerala ist ein Garten Eden: Von Obst über Wein bis hin zu Kokospalmen, wächst auf insgesamt 30.000 Quadratkilometern Wald alles, was der Mensch zum Leben braucht. Nicht zu vergessen die Gewürze. Exportschlager Nummer eins: der Pfeffer.
Fahren dort Autos?
»Der soll doch dahingehen, wo der Pfeffer wächst«, sagte meine Mutter damals als sie sich über den Anstreicher ärgerte, der nicht mehr auftauchen wollte, obwohl die Küche erst halb gestrichen war.
»Wo ist das?«,
fragt ich sie. Meine Mutter zuckte mit den Achseln, klemmte sich den Telefonhörer unter und begann die Gelben Seiten nach einem Ersatz abzutelefonieren. Für mich war das Thema jedoch nicht beendet. Ich fragte mich, wo er sein sollte – dieser Ort. Ob dort auch Autos fahren? Tiger und Affen würden dort leben, stellte ich mir vor inmitten tropischem Grün. Ich fragte meine Schwester, ob sie mir diesen Ort, wo der Pfeffer wächst, auf der Weltkarte zeigen könnte. »Weit weg«, lautete ihre Antwort. Wo genau weit weg ist, konnte sie mir allerdings auch nicht sagen.
Nun zehn Flugstunden von Deutschland entfernt, habe ich das »weit weg« gefunden – und die Heimat des Pfeffers. Wir stehen vor hohen Kletterpflanzen, die sich die Baumstämme hinaufwinden und an denen rote und grüne Körner wie Trauben von den Ästen hängen.
»Pfeffer ist eine Steinfrucht«,
erklärt der 39-Jährige Ajit Rathnakaran, der uns die Plantage seiner Familie zeigt. Sechs Monate brauche die Frucht bis sich die Schale rot färbe. Schwarzer Pfeffer würde aus nicht ganz reifen Früchten, grüner Pfeffer aus unreifen Früchten gewonnen und weißer und roter Pfeffer aus vollreifen Früchten. Bei rotem Pfeffer würde die komplette Frucht samt roter Hülle in eine Lake eingelegt. Beim weißen Pfeffer, die Hülle entfernt, so dass nur noch der weißt Kern übrigbleibe.
Da, wo der Pfeffer wächst steht die Zeit still
Die Heimat des Pfeffers ist ein friedvolles tropisch-grünes Fleckchen Erde, wo Cashew-Nüsse in einer gelben Ummantelung, ähnlich einer Paprika an Bäumen wachsen. Mangos, Jackfruits, Bananen und Orangen prall von den Bäumen hängen und Baumwolle aus aufgeplatzten Schalen auf dem Boden quillt. An jeder Ecke duftet es anders – mal nach Zimt, dann wieder steigt mir der beißende Duft von Koriander oder Sandelholz in die Nase.
Selbst Weinstöcke gedeihen neben Kokospalmen. Man spaziert durch Alleen von Bananenstauden spaziert oder watet durch einen malerischen Fluss, der gespickt ist von diversen großen und kleinen Findlingen, die wie nach einer Explosion auseinander gestoben zu sein scheinen und wie zufällig ihren Platz eingenommen haben. Ein Ort, wo sich das Wasser wärmer anfühlt als die Luft. In der Heimat des Pfeffers scheint die Zeit still zu stehen.
Wer nach Kerala, im äußersten Südwesten Indiens, reist, sucht Ruhe. Keine Maharadschapaläste. Keine Tigerreservate. Keine pulsierende Mega-Stadt. Es ist eine Oase des Friedens inmitten eines unglaublich lauten und chaotischen Landes, wo die Inder selbst ihren Urlaub verbringen – am Strand und in einer der zahlreichen Ayurveda-Zentren. Die Bewohner Keralas gelten als gute Händler, denn seit jeher exportieren sie Gewürze.
Der Bundesstaat ist vergleichsweise wohlhabend und sauber, hat schöne lange Sandstrände, und eines der besten Bildungs- und Gesundheitssysteme. Der Norden der indischen Provinz ist vom Tourismus fast gänzlich unberührt geblieben. Geht man als Europäer durch die Straßen von Bekal, einem Städtchen an der Küste und 30 Kilometer entfernt von der Farm Rathnakarans, ist man ein Exot im Land der Exoten. Keine Fähnchenwehenden Guides, keine asiatisch aussehenden Touristen mit der Kamera im Anschlag.
Kein Massentourismus wie auf Goa
Der unverfälschte Reiz der Region ist auch den Hoteliers nicht verborgen geblieben. Erst im Frühjahr hat die Luxushotelkette Taj Hotel das Vivanta, ein stilvolles Fünf-Sterne-Haus im Resort-Charakter eröffnet, wo Bewohner aus den nahegelegenen Dörfern den Kochlöffel schwingen und köstliche traditionelle Gerichte servieren – von wohlduftenden Currys über knusprigen Fisch in scharfer Marinade bis hin zu den typischen hauchdünnen Reis-Pfannekuchen. Nach Wunsch kredenzt auf einem Bananenblatt. Massentourismus wie in Goa möchte hier allerdings niemand haben. So verhängte die Regierung ein Bauverbot bis 200 Meter vor der Küstenlinie und erließ ein Gesetz, dass kein Haus höher sein dürfe als eine Palme.
Hier, wo der Pfeffer wächst, trifft man auf kleine Fischerdörfchen, wo die Bewohner ein beschauliches Leben führen. Die 590 Kilometer lange Küste Keralas gibt vielen einen Arbeitsplatz.
Wer Kerala bereist, muss unbedingt eine Bootsfahrt auf den Backwaters unternehmen, eine der wohl schönsten Regionen der Provinz. Ein rund 3.000 Kilometer langes weit verzweigtes Wassernetz. Eine Kette von Seen mit verwunschenen Kanälen, verborgenen Buchten und flankiert von einem dichten und üppigen Palmewald wie ich ihn noch nie zuvor gesehen habe. Nicht umsonst wird Kerala auch »das Land der Kokospalmen« genannt.
Hello, how are you?
Es ist eine Ruhe, die sich sofort über einen legt wie ein Beruhigungsmittel. Fischerhütten stehen versteckt zwischen den Palmen. Rostige Boote liegen am Ufer. Fischer holen ihre Netze ein. Frauen in ihren grellen pink-, gelb- und blaufarbenen Saris gehen über die zahlreichen Brücken, die die beiden Ufer verbinden.
Kinder kommen herbeigerannt, winken und rufen den Vorbeifahrenden »Hello, how are you?« zu. Wir schippern auf einem reetgedeckten Hausboot über den See. Die untergehende Sonne lässt das Wasser fast perlmutfarben glänzen, zwischendrin vollführen fliegende Fische eine Pirouette, um im nächsten Moment schnell wieder zu verschwinden. Die Hitze des Tages entschwindet wie die Sonne. Ein Muezzin beginnt mit seinen Gesängen und die Moschee lugt schwarz umrissen zwischen den Palmen hervor. Hindus, Christen und Muslime leben hier am Fluss einträchtig nebeneinander.
Und die quirlige und trubelige Seite Keralas? Die gibt es auch. Die Städte Culicut und Mangalore liegen ein paar Stunden entfernt. Aber ich bleibe lieber da, wo der Pfeffer wächst
So kommt man hin
Anreise. Mit Emirates ab Düsseldorf, Frankfurt a. M. oder München nach Bangalore. Von dort gehen Inlandsflüge nach Mangalore. Bis nach Kerala sind es dann noch 80 Kilometer mit dem Bus.
Rundreise. Der Veranstalter Comtour bietet Kerala-Reisen an. Buchungen über Tel.: 02054 954 70 oder unter diesem Link.
Übernachten. Vivanta am Kappil Beach in Bekal. Das Luxushotel gehört zur Taj-Kette. Die meisten der 71 Zimmer und Suiten besitzen einen eigenen Pool.
Info. India Tourism Frankfurt, Regional Office for Europe, CIS and Israel, Baseler Str. 48, 60329 Frankfurt, Tel.: 069 2429490
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