Anfangs war Redakteurin Marie skeptisch: Zur Entspannung sollte sie in ein Hotel fahren, wo Kaffee und Alkohol verboten sind, das Handy im Zimmer bleiben muss und jeden Tag ein Sportprogramm die Gäste ins Schwitzen bringt. Klang für die eher nach Strafe. Doch dass sie nie entspannter von einer Reise kam, mag vielleicht auch mit den Geheimnissen des Ayurveda zu tun haben, Und wo könnte man diesen besser auf die Spur kommen als in der Wiege der Heilkunst selbst? Willkommen im Atmantan in Indien.

»Plopp.«
»Plopp.«
»Und wieder Plopp.«

Meditativ und sanft tropft das duftende Öl Milliliter für Milliliter auf meine Stirn. Nicht weniger sanft und meditativ, fast zärtlich, streichelt Spa-Dame Shruti kreisförmig über meine Stirn und bringt die guten Energien bis in die letzte Pore und Haarspitze. Mit aller Kraft, die ich trotz dieser Tiefenentspannung noch aufbringen kann, kämpfe ich gegen den Drang an, einzuschlafen. Das hier zu verpassen, wäre einfach zu schade.

Im Atmantan Wellness Resort in Indien ließ sich unsere Autorin mit einer Stirngussmassage verwöhnen.

Atmantan Wellness Resort

Shirodhara nennt sich diese Form der ayurvedischen Massage. Das ist Sanskrit und bedeutet »Stirngussmassage«. Über meiner Stirn pendelt also eine metallene Kugel, gefüllt mit zwei Litern warmem Kräuteröl, die sich tropfenweise auf meine Stirn ergießen. Das soll nun – nach ayurvedischem Glauben – mein gesamtes Nervensystem entspannen und Stress abbauen. Seit Jahrtausenden pflegen die Menschen in Indien diese Tradition. Glaube hin oder her – es wirkt. Das Streicheln, die warme Flüssigkeit, das sanfte Geräusch, der leichte Druck, mit dem jeder Tropfen Öl auf die Stirn triff t, dann herunterperlt. Die Situation hat fast etwas Intimes. Glücklicherweise kann ich mich darauf einlassen. Mich fallenlassen.

Im Atmantan Wellness Resort in Indien wartet eine Entspannung der ganz besonderen Art auf die Gäste.

Marie Tysiak

Sowieso – das »Sich-darauf-Einlassen« ist im Atmantan Wellness Resort in Indien ein Muss, ganz nach dem Gesetz der Anziehung (»Law of Attraction«). Wer sich also positiv diesem Aufenthalt entgegenstellt, wird auch Positives erfahren. 2016 hat das Unternehmerpaar Sharmilee Agrawal und Nikhil Kapur aus Mumbai sich hier seinen Traum von einem Wellness-Resort erfüllt. Dass Nikhil begnadeter Triathlet mit einigen Ironman-Siegen in der Tasche und Sharmilee Prana- Heilerin ist, deutet bereits darauf hin: Im Atmantan hat Wellness nichts gemein mit einer Birkensauna und Whirlpool.

Im Atmantan Wellness Resort in Indien wartet eine Entspannung der ganz besonderen Art auf die Gäste.

Atmantan Wellness Resort

Wellness als ganzheitliches Konzept

Nein, »Well-ness« wird hier wörtlich genommen, als das Gute – für Körper und Geist. Auch wenn Sharmilee das Wohl des Geistes besonders am Herzen liegt und Nikhil sich um das Wohlbefinden des Körpers sorgt – im Resort soll die Balance zwischen Körper und Geist wieder in perfekte Harmonie zusammengebracht werden. Dabei bedienen sie sich nicht ausschließlich Ayurveda, das seinen Ursprung im gut 1.000 Kilometer entfernten Kerala hat. Auch andere Heilkünste, zum Beispiel aus China, finden ihre Anwendung im Atmantan.

Im Atmantan Wellness Resort in Indien wartet eine Entspannung der ganz besonderen Art auf die Gäste.

Atmantan Wellness Resort

Wie ganzheitlich dieser Ansatz gemeint ist, musste ich gleich heute früh nach der Ankunft feststellen – als ich nach meinem langen Flug beim Frühstück versuchte, einen Kaffee zu bestellen. Nix zu machen. Jeder meiner Versuche, dem Kellner doch noch ein Tässchen Koffein-Power zu entlocken, wurde mit einem freundlichen Lächeln abgelehnt. Ich bekam einen Tee mit frischem Zitronengras und Ingwer.

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Atmantan Wellness Resort

Weniger ist mehr

Denn: Um Körper und Geist zu entspannen, muss zunächst alles eliminiert werden, das ihnen Schaden zufügt. Was gerne als »Detox« in Frauenmagazinen proklamiert wird, bedeutet konsequenten Verzicht auf Koffein, Alkohol, Zigaretten, Süßigkeiten, Weizen, Zucker und Überessen. Der Körper wird stattdessen mit einer bewussten Ernährung, viel Bewegung, Yoga, Massageanwendungen, ausreichend Schlaf und speziellen Cleansing-Therapien wieder ins Lot gebracht. Der Geist wird mit verschiedensten Meditationen stimuliert.

Im Atmantan Wellness Resort in Indien wartet eine Entspannung der ganz besonderen Art auf die Gäste.

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Damit jedem Gast auch die richtigen Anwendungen und Ernährung zuteilwerden, steht am ersten Tag ein Besuch beim ayurvedischen Arzt auf dem Programm, bei mir gleich nach dem Frühstück. Meine »Wellness- Doktorin« saß mir kerzengerade gegenüber und erinnerte mich sofort an meine schlechte Sitzhaltung, die ich unauffällig korrigierte. Wir gingen alles durch – meinen Gang, meine Reflexe, Gelenke – und ja, auch meine anfänglich schlechte Sitzhaltung hat sie bemerkt. Sie gab mir viele Tipps, und dann kamen wir zu meinen Zielen für meine Tage im Atmantan.

Als relativ ausgeglichener und sportlicher Mensch war ich ein wenig überfragt. Klar, ein wenig Speck weg hier und da und ein besseres Körpergefühl wären nett, gebe ich ihr gegenüber zu. Und mal ein wenig den inneren Schweinehund zu kitzeln, wäre auch gut. Aber vor allem auch entspannen. Kurze Zeit später steht mein Masterplan für die Tage: Yoga auf dem Paddleboard im Pool, eine morgendliche Wanderung auf den Berg mit Meditation, eine Lehrstunde zu Ayurveda, ein Cleansing – und jeden Tag zwei ausgedehnte Massageanwendungen.

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Spa Cuisine: Voller Wert mit Vollwertkost

Die Stirngussmassage war nun die erste Massageanwendung. Nach 90 Minuten sitze ich in meinem gemütlichen Bademantel etwas verschlafen in den Sesseln des Vistara Restaurants und warte auf mein Mittagessen. Ich blinzle verschlafen in das helle Sonnenlicht. Gegen Ende der Öl-Zeremonie muss ich dann wohl doch eingeschlafen sein, denn als Spa-Dame Shruti mich vorsichtig am Arm berührte und ein »You’re finished« säuselte, hat sie mich von ganz weit wieder hergeholt. Zurück nach Atmantan. Zurück nach Indien.

Im Atmantan Wellness Resort in Indien wartet eine Entspannung der ganz besonderen Art auf die Gäste.

Atmantan Wellness Resort

Vor mir steht meine kunstvoll drapierte Buddha-Bowl: Reis mit allerlei frischem Gemüse von der Resort-eigenen Farm in der Nähe. Knackig frisch, keine fettige Soße dabei, trotzdem unglaublich lecker gewürzt! So schick und Instagram-tauglich wie die »Spa Cuisine« aussieht – im Vitara Restaurant wird man niemanden sein Essen fotografieren sehen. Handys sind nur im Zimmer erlaubt. Auch auf dieser Ebene soll man sich mal wieder ganz neu konzentrieren. Und irgendwie stimmt es: So ganz ohne halbherziges Handy-Getippe beim Essen schmecken jede einzelne Sprosse und jeder einzelne Sonnenblumenkern gleich noch intensiver.

Im Atmantan Wellness Resort in Indien wartet eine Entspannung der ganz besonderen Art auf die Gäste.

Marie Tysiak

Auch nehme ich meine Umgebung viel deutlicher wahr. Vor der Terrasse öffnet sich der Blick weit in das Tal, zwischen den Berghängen schlängelt sich der Mulshi-See. Der See wurde 1927 von Tata Power angestaut, er dient als Wasserkraftwerk für die Region. Schwimmen und Fischen sind untersagt. Dafür dient die traumhafte Landschaft als Naherholungsgebiet, die grünen und gelben Hügel reihen sich eindrucksvoll um das riesige Wasserreservoir. Weil früher im Tal ein Dorf war, das dem Wasser weichen musste, veralgt am Grunde des Sees ganz mystisch ein alter Tempel.

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Marie Tysiak

Den See immer im Blick

Jeder Eingang ist so ausgerichtet, dass man geradewegs in die Seekulisse schreitet. Meinen ungezuckerten Bananen-Smoothie mit Kokosmilch zum Nachtisch in den Händen, verharrt mein Blick auf der wunderschönen Aussicht, die man glatt für eine Fototapete halten könnte. Dieser Ausblick war es, der für Sharmilee und Nikhil ausschlaggebend für diesen Ort als ihr Herzensprojekt-Standort war. Doch bei den Bauarbeiten fanden sie etwas, das sie selber Schicksal nennen: Unter den roten Felsen fanden Bauarbeiter unzählige Kristalle in der Erde. Im ayurvedischen Glauben werden ihnen wohltuende Energien nachgesagt, die sich beim Aufenthalt in Atmantan beruhigend auf die Gäste übertragen sollen.

Im Atmantan Wellness Resort in Indien wartet eine Entspannung der ganz besonderen Art auf die Gäste.

Marie Tysiak

Ich glaube nicht daran – mir fallen da gleich ein paar Faktoren ein, die ich persönlich als wahrscheinlicher erachte. Zum Beispiel die absolute Ruhe, bis auf das fröhliche Vogelgezwitscher ist es unglaublich still hier, gepaart mit dem herrlichen Duft des Kräutergartens, wo Zitronengras und Pfefferminz gedeihen. Von der Fünf-Millionen-Metropole Pune, die etwa eineinhalb Autostunden entfernt liegt, bekommt man nichts mit. Auch Mumbai liegt nur gute drei Stunden entfernt – was für Indien ja quasi direkte Nachbarschaft ist. Viele gestresste Mumbaianer kommen des Wochenendes hierher, um sich regelmäßig wieder zu erden. Übrigens auch das Gründerpaar selbst, was regelmäßig ein Retreat in seinem eigenen Resort macht.

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Die Wissenschaft vom Leben

Ayurveda heißt übersetzt »Wissenschaft vom Leben«. Vor über 5.000 Jahren wurden die verschiedenen Heilpraktiken in Indien entwickelt und haben auch heute noch in ihrem Heimatland und auf der ganzen Welt viele Anhänger. Ich persönlich bin vor diesem Aufenthalt selten mit der indischen Heilkunst in Berührung gekommen – und so musste meine »Wellness-Doktorin« erst mal mit mir mein »Dosha« ermitteln.

Denn in der indischen Lehre lassen sich die Menschen in drei Typen unterscheiden, die starken Einfluss auf den Körperbau, Charakter und Krankheitsanfälligkeiten eines jeden haben. Eine grobe Orientierung: »Vata« sind oft von Natur aus sehr feingliedrige und sensible Persönlichkeiten, die oft einen schmalen Körperbau haben und besonders kommunikativ und vielseitig interessiert sind.

Sie leiden am häufigsten unter mentalen Erkrankungen oder Schlaflosigkeit. »Kapha« hingegen sind mental sehr stabile, tolerante und loyale Menschen. Nicht selten neigen sie zu Übergewicht. Menschen mit »Pitta« wiederum sind sehr energiegeladen, sie leiden des Öfteren an Hautbeschwerden oder Verdauungsproblemen. Viele Menschen vereinen Eigenschaften von mehr als einem Dosha in sich.

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Atmantan Wellness Resort

Über diesen Zusammenhang zwischen der körperlichen Beschaffenheit und Charakterzügen hatte ich vorher noch nie nachgedacht. Ich war erstaunt, wie gut die verschiedenen Konstitutionen auf die Menschen in meinem Umfeld – ja, auch auf mich! – zutreffen. Mein Schnelltest ergab: eindeutig Vata mit vielen Zügen von Pitta. Dementsprechend wurden dann auch meine ayurvedischen Mahlzeiten an mein Dosha angepasst, denn nicht jeder Körper hat die gleichen Bedürfnisse.

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In der Ruhe liegt die Kraft

Ich schlendere den Berg hinauf zu meinem Zimmer. Ein Schmetterling fliegt vorbei. Diese kleinen Karts, mit denen die Gäste in solchen Luxusresorts oft zu ihren Zimmern gebracht werden, sieht man hier nur bei der Abreise fürs Gepäck. Sonst heißt es: laufen. Vorbei an der großen Buddha-Statue, die mir aus steinernen Augen entgegenblickt. Von einem Künstler aus Singapur gefertigt, sitzt er seelenruhig im Schneidersitz da. Ich bin an meinem Zimmer ganz oben in der weitläufigen Anlage angekommen. Nur selten passiert jemand meine kleine Villa – außer, wenn er den einzigen Raucherort ganz oben auf dem Gelände erreichen möchte. Denn das Rauchen ist – wie könnte es anders sein – im Atmantan verboten.

Im Atmantan Wellness Resort in Indien wartet eine Entspannung der ganz besonderen Art auf die Gäste.

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Die Zimmer verkörpern, wie der Rest der Anlage, gediegenen Luxus. Riesige Betten, deren Matratzen rückenschonend sind, eine große Badewanne, die gerne mal mit einem wohltuenden Bad gefüllt am Abend auf die Gäste wartet, eine Regendusche mit schadstofffreiem Shampoo – alles, was dem Körper guttut. Über den Fernseher in dem dezent stilvollen Zimmer bin ich überrascht. Vielleicht ist er aber auch nur eine Attrappe, ausprobiert habe ich ihn noch nicht.

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Atmantan Wellness Resort

Die Zeit verrennt

Viel zu schnell gingen meine Tage im Atmantan vorbei. Ich sitze auf einer Bank der großen Buddha-Statue gegenüber. Die Sonne geht gerade auf, mein letzter Tag hier bricht an. Das frühe Aufstehen bereitet mir mittlerweile richtig Freude, der Zitronengras-Tee wirkt besser als jeder Kaffee. Den Öl- und Kräutergeruch werde ich so schnell nicht mehr los. Die letzten Tage haben wie ein Wunder auf mich gewirkt, ohne dass ich eines erwartet hatte. Ich werde vieles davon mit nach Hause nehmen, in meinen Alltag integrieren. Wieder mehr darauf achten, was ich meinem Körper zuführe, öfter ein Bad nehmen, eine Massage buchen oder wieder regelmäßiger Sport machen. Nur der Kaffee wird sich garantiert schnell wieder einschleichen.

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Marie Tysiak

Zuallerletzt möchte ich mich nun aber an etwas herantrauen, was ich vorher nicht für möglich gehalten hätte: Ich werde gleich ein Shankaprakshalana Intensial Cleansing machen. Verständlicher ausgedrückt: eine innere Reinigung, die durch das Trinken unzähliger lauwarmer Gläser voll Salzwasser, immer wieder unterbrochen von Yoga-Übungen, hervorgerufen wird. Danach soll man sich fühlen wie neu geboren, wenn der Körper einmal von allem schlechtem befreit ist… Ich schiebe meine Skepsis beiseite, denn man muss sich im Atmantan einfach drauf einlassen. Und dann wirkt es Wunder.

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Marie Tysiak

Info: Atmantan Wellness Resort, Mulshi, 412108 Pune, Indien. Ein viertägiges Retreat inklusive Verpflegung, allen Anwendungen und Programm kostet ab ca. 1.113 Euro pro Person im DZ.

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