Barfuß steht Isabell auf dem plüschigen Teppich. In der Hand ihren Zimmerschlüssel, der aber in kein Türschloss auf dieser Etage passt. In Gedanken befragt sie sich selbst: »Soll ich klopfen soll ich nicht?« Sie geht zwei Schritte zurück und sieht sich auf der dritten Etage des Sanctum Soho Hotels in London um. Niemand da. Sie denkt: »Was tue ich, was sage ich, wenn er tatsächlich die Tür öffnet?«

Zwei Tage zuvor. Isabell hält spannende Aussichten auf die nächsten Tage in den Händen. Es ist ihre mühsame Recherche. Ihre gesammelten Werke, um dem Leben zwischen Musik und Whisky auf die Schliche zu kommen, um den Glamour einmal und das Leben überhaupt anderszu spüren. Auftrag der Redaktion: London erleben wie ein Rock-’n‘-Roll-Star. Nun sitzt Isabell im Taxi, hat ihr bürgerliches Leben temporär über Bord geworfen, steigt in ihre glitzernden High Heels und freut sich auf die Dinge, die kommen werden. Dazu gehören durchtanzte Nächte, flaschenweise Alkohol, Flure voll mit Groupies – genau so sieht ein Rockstarleben doch aus …

Mit diesen Erwartungen steigt sie aus dem Taxi vor dem Sanctum Soho, schwebt in die Lobby, sucht die kleine Rezeption auf und wird von Malcolm mit Melone (damit ist natürlich der Hut gemeint) auf dem Kopf in ihr Zimmer eskortiert. Es ist das Zimmer, in dem Rihanna in ein paar Monaten übernachten möchte. Woher sie das weiß? Mark Fuller persönlich hat es ihr erzählt.

Mark Fuller ist ein Insider, ein Geheimnisträger, ein Partyveranstalter und ab und an ein geladener Gast der Queen.

Als Isabell ihm fest die Hand drückt, trägt er einen Anzug. Ansonsten ist sein Outfit auf Leder und Boots festgelegt. Denn Mark Fuller, Besitzer dieses Hotels, lebt den Rock ’n‘ Roll.

Ein echter Rockstar-Versteher

Somit ist er die perfekte Quelle für Isabell und ihr Experiment. Als ehemaliger Manager der Band Iron Maiden, als Clubbesitzer und Eventmanager weiß er, was die Rockstars wünschen. Denn genau nach diesen Kriterien hat er das Sanctum Soho Hotel eröffnet. Hier herrscht Fotoverbot, denn die Privatsphäre der Promis ist jederzeit zu respektieren, und wer mit der Gitarre zu sehr swingt, dem steht ein Gitarrendoktor jederzeit zur Seite. Ein echtes Musikerhotel.

Aber wer jetzt Totenschädel und Dancing Poles (das sind die Stangen, an denen leicht bekleidete Damen tanzen) in den Räumen erwartet, liegt falsch. Mark Fuller weiß, dass Rockstars in einem ganz anderen Ambiente schlafen wollen. Denn, und das will sich Isabell eigentlich nicht vorstellen, Rockstars sind gediegen. Deswegen sind die Betten flauschig und höchstens für zwei Personen geeignet.

Zwar stehen die Badewannen gerne mitten im Zimmer und haben eine glitzernde Lichterkette drum herum, aber das war es auch schon an Extravaganz.

Mark Fuller betont auch noch, dass die »private« Rooftopbar gerne Treffpunkt für Promis und Sternchen ist. Privat ist die Bar, weil nur Hotelgäste dorthin dürfen, oder Gäste der Hotelgäste. Ein elitärer Zirkel also, denkt sich Isabell und freut sich schon auf ihren After-Dinner-Drink. Denn Mark Fuller hat natürlich nicht unerwähnt gelassen, dass in dem Jacuzzi, der sich ebenfalls auf dem Rooftop und somit praktisch im Barterrain befindet, schon Tom Jones mit Natalie Imbruglia geplanscht und Prinz Harry dabei zugesehen hat. Oh ja, so stellt sich nicht nur Isabell ein Rockstarleben vor.

Was, ja was würde Rihanna jetzt nur tun?

Doch zuerst muss der Tag noch sinnvoll genutzt werden. Isabell schaut auf ihren Recherchezettel. Shopping auf der Carnaby Street? Musik pur in der British Music Experience? Oder ein Beatles-Walk? Was würde Rihanna tun? Wahrscheinlich eher Shopping. Isabell schließt ihre Zimmertür und entscheidet sich, hinunter die Treppe zu nehmen. Auf der dritten Etage lehnt ein Typ lässig an der Wand. Gut schaut er aus. Dunkle, kurz geschorene Haare, schlabberige Jeans, hautenges T-Shirt. Isabell hüpft vorbei.

Bloß nicht anmerken lassen, dass er ihr aufgefallen ist. »Guckt er mir hinterher?«, ist einer ihrer Gedanken treppabwärts. Der andere lautet: »Ist er berühmt?« Sie kramt in ihrem Kopf. Hab ich dieses Gesicht schon einmal gesehen? Die freundlich lächelnden Augen, die weißen Zähne, das Muttermal auf der Wange?

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Auf der Suche nach dem perfekten Promi-Outfit

Wahrscheinlich! Bei ihrem kurzen Spaziergang zur Carnaby Street geht er ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie freut sich auf die Rooftopbar. Definitiv braucht sie vorher noch ein passendes Outfit. Also wo kaufen, wenn nicht hier. Die Carnaby Street ist ein echtes Shopping-Mekka. Wer Ende der 50er-Jahre wirklich außergewöhnliche Mode suchte, war in Soho richtig. Die Schlaghose wurde dort zum Trend und Jimi Hendrix zur Ikone. Denn neben dem Beitrag zur Modewelt hat insbesondere der Marquee Club an der Wardour Street Legenden geschaffen. Pink Floyd, The Who, Led Zeppelin und natürlich Jimi Hendrix haben hier gerockt.

Das heutige Hilton Hotel Doubletree war damals eine Polizeistation inklusive Ausnüchterungszellen. Dort, wo jetzt Cocktails in aufgepimpten Gefängniszellen geschlürft werden, schlief beispielsweise Mick Jagger seinen Rausch aus. Oh ja, die Carnaby Street ist Rock ’n‘ Roll. Isabell schaut sich erst einmal dort um, wo die wahren Rocker auch heute noch einkaufen gehen.

»The Great Frog« heißt das Lädchen, wo man praktisch nur lange genug davor stehen muss, um einem Star zu begegnen.

Slash von Guns ’n‘ Roses hat hier seine Ringe gekauft, Amy Winehouse ließ sich in dem schiefen Haus Schmuck kreieren, und der Exfreund von Kate Moss, Pete Doherty, hat seine berühmte Segelschiffkette dort erstanden. Dabei ist »The Great Frog« selbst schon ein alter Hut. 1972 wurde das Schmucklabel gegründet und somit der Totenkopfring erfunden. Noch heute wird der Schmuck im Keller von Hand gefertigt. Isabell kauft sich ein Stück Glamourwelt. Einen Colt an der Kette.

Auch Rockstars sind einsam

Mark Fuller hat Empfehlungen für den Abend ausgesprochen, und Isabell muss sich entscheiden, wo genau sie alleine speisen möchte. Davor graut es ihr am meisten – aber auch Rockstars sind einsam. Also los, im neuen blauen Seidenkleid, mit Colt an der Kette und in Stilettos macht sie sich auf den Weg. Immer die Augen offen, den Traumtyp vom Mittag irgendwo zu erspähen. Nichts. Draußen regnet es. Malcolm empfiehlt ihr, in der kleinen Lobby zu warten, bis ein Taxi vorfährt.

Isabell dreht sich um, und dort, in dem überdimensionalen Sessel, sitzt er. Und er lächelt. Er steht auf. Er kommt auf sie zu. Er spricht sie an. Und Isabell hat Mühe, ihre Sprache zu finden. Eigentlich hat sie auch Mühe, ordentlich zu stehen. Zittert sie etwa? Sein Name ist Flint. Er ist allein im Hotel. Und nicht wirklich auf der Suche nach Unterhaltung. Aber Isabell sei ihm aufgefallen. Sie sei so erfrischend, ein wenig aufgedreht, anders, so lebensfroh. Ein Wort führt zum anderen, und als Isabell wieder richtig atmen kann, sitzt sie neben ihm im Taxi, Richtung Shoreditch. Ziel: Boundary Hotel.

Hier wollte sie eigentlich zu Abend essen. Allein. Doch nun ist Flint dabei. Und er ist nett.

Sie essen und reden. Sie trinken und lachen. Ein amüsanter Abend, an dem Isabell es vermeidet zu erzählen, warum sie denn nach London gekommen ist. Warum? Nachher ist er doch ein bekannter Bassist aus irgendeiner Britband, die mit »The« anfängt. The Editors, The Script, The Films, The End – Wer weiß es schon? Isabell auf jeden Fall nicht.

 

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Und Flint erwähnt mit keinem Wort, was er so macht. Weder beruflich, noch warum er in London ist. Seine Themen sind eher Tierversuche, Todesstrafe und Tai-Chi. Er kennt deutsche Filme, mag keinen Fußball, und sein Lieblingsdrink ist Cuba Libre. Mehr erfährt Isabell nicht, aber es reicht, um sich zu verlieren: in den interessanten Augen, in das ansteckende Lächeln. Liebe auf den ersten Blick fühlt sich genau so an.

Eine Rooftopbar gibt es. Das Personal jedoch macht ein entsetzes Gesicht: Oh Schreck, Gäste!

Danach ziehen sie um die Häuser. Erst noch einen Absacker in der Calloh Callay Bar, danach einen Moscow Mule im Stehen bei dreambagsjaguarshoes zu Duran-Duran-Hits aus den 80ern, und zum Schluss noch etwas Wippen in irgendeiner Bar, deren Name keiner mehr weiß, denn es wurden schon reichlich Cocktails getrunken.

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Zurück im Hotel stürzen beide mit großen Erwartungen und viel Gelächter in die Rooftopbar. Rund-um-die-Uhr-Service wird dort geboten, hat Mark Fuller gesagt. Das stimmt. Dort steht Personal. Das jedoch macht ein entsetztes Gesicht. Oh Schreck, Gäste! Isabell und Flint sind die einzigen. »Wo sind die Rockstars?«, fragt sich Isabell. Vielleicht morgen.

Alles anders als geplant.

Flint ist begeistert von Isabells gesammelten Plänen auf dem Recherchezettel. Zu ihrer Freude will er mitkommen. Mit in die O2-Arena und auf Gibson-Gitarren schrammeln, mit zum Beatles-Walk und einmal über den Zebrastreifen spazieren (vielleicht barfuß, so wie Paul?) und danach einen Cocktail in der angesagten Loungelover Bar.

Doch leider kommt alles anders. Das Konzert in der O2-Arena ist überfüllt mit Kindern. Keine Gibson-Gitarre frei, kein Schlagzeug zum Bespielen, Anstehen zum Einsingen der Karaokesongs, nur der Macarena kann in der reizüberfluteten Ausstellung ohne Warteschlange getanzt werden. Flint entscheidet sich dagegen. Doch lieber einen Beatles-Walk. Doch auch der ist eine Enttäuschung. Die Abbey Road Studios sieht man nur von außen, und überhaupt zeigt Guide Richard Porter nur verschlossene Türen. Tür blau: Hier trafen sich Paul und Linda. Tür weiß: Hier nahmen die Beatles einen Song auf. Tür grau … oh je, Flint und Isabell haben sich das irgendwie anders vorgestellt. Doch Flint ist ein spontaner Kerl und entführt Isabell zum Camden Market.

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Ach, Flint!

Nach einem Chai Tea begeben sie sich auf die Suche nach Banksys Streetart. Graffiti einmal anders. Tja, Isabell hat ja keine Ahnung. Sie lauscht Flints Worten, wie er von Banksy erzählt. Während des Abendessens in der Hoxton Square Bar bei Burger und Pommes für Isabell und Salat für Flint (der isst kein Fleisch, er trinkt kein Bier) kommen die beiden sich näher.

Aber nicht zu nah. Isabell ist wie vom Blitz getroffen, Flint ist sichtlich angetan. Doch nichts passiert. Das Essen ist gut, der anschließende Cocktail noch besser (obwohl man in London vor den Drinks mit den rohen Eiern aufpassen muss). Isabell bestellt wieder einmal einen Cocktail mit Gurke. Flint wieder etwas mit Rum.

Und danach gehen sie schlafen. Flint in die dritte Etage. Isabell in die fünfte – nur, sie kann kein Auge zumachen.

Mitten in der Nacht steht sie auf und schleicht zwei Stockwerke tiefer. Sie will bei ihm klopfen, ihm alles sagen. Dass sie jetzt bei ihm sein will, wer sie ist und was sie hier macht. Und sie will wissen, wer er ist. Nur Angst hat sie vor dem Klopfen. Angst vor seiner Reaktion. Isabell steht lange barfuß auf dem flauschigen Teppich und fasst sich dennoch kein Herz. Danach hat sie Flint nicht wiedergesehen. Sie weiß nicht einmal, wie er mit Nachnamen heißt. Allerdings hat sie über ihr Treffen ihre Rockstar-Geschichte ganz aus den Augen verloren.

The Editors, The Script, The End oder doch The Sluts?

Kaum Nachtclubs, keine VIP-Bereiche, keine Stars. Isabell kehrt in die Redaktion zurück und kann nichts liefern. Sie hat niemanden gesehen, keine Promis interviewt. »Worüber soll ich nur schreiben?«, fragt sie sich einen Abend vor Abgabetermin. Genau in diesem Augenblick fällt ihr Blick zufällig auf die Stadtrevue. Neuigkeiten aus dem Showbiz: »Flint Ever hat sich von seiner Band ›The Sluts‹ getrennt und gleichzeitig von seiner Modelfreundin Victoria. Er produziert nun ein Soloalbum«, steht da neben seinem Foto. Ihr Herz schlägt höher. Weiter liest sie: »Den ersten Song hat er schon geschrieben. Er heißt ›Fifth floor of a hotel‹ und ist eine Liebesballade, die auf seiner Webseite zum Gratisdownload bereitsteht.«

Mehr Infos bei Visit Britain und Visit London.