Wo Elefantenkakteen sich zu Wäldern vereinen und Buckelwale vor Freude in die Luft springen, treffen inmitten einer dramatisch-schönen Natur Abenteurer und Kitesurfer auf Spring Breaker und Visionäre. Willkommen in Los Cabos in Mexiko!
Text: Norbert Eisele-Hein
»Es ist wirklich verrückt. Noch vor der Jahrtausendwende konnten wir hier einen gebrauchten Ford Mustang oder einen coolen Chevy gegen ein schönes Stück Land eintauschen. 2002 gab es in La Ventana gerade einmal fünf Familien und einen kleinen Hardware-Store für die Fischer«, erinnert sich Carlos Pazuelos, 42, der Operations Manager des Boutiquehotels Todo Bien. »Nur die Hauptstraße war asphaltiert, alles andere waren staubige Schotterpisten. Für Camper, Kiteboarder und Mountainbiker war die südliche Ecke im mexikanischen Bundesland Baja California Sur immer schon ein Geheimtipp.« Durch Covid-19 aber entdeckten mehr und mehr Menschen die naturgeprägte Landzunge Los Cabos. »Hier waren alle ständig an der frischen Luft, keiner trug eine Maske. Und klar, die Freaks blieben und fanden Gefallen an diesem Lifestyle. Die Preise schnellten in den Himmel.«
Das Geheimnis von La Ventana
Außerhalb der Ortschaften führt er uns durch einen bizarren Wald mit bis zu 15 Meter hohen Cardón-Kakteen. Pachycereus pringlei, der lateinische Name »Elefantenkaktus« passt perfekt. Die größten Kakteen der Welt, die wie mutierte Kandelaber wirken, werden bis zu 25 Tonnen schwer und Hunderte Jahre alt. Der verschlungene Pfad ist vorbildlich markiert. Trailrunner überholen uns keuchend. Mountainbiker driften durch die sandigen Kurven. Und kapitale Truthahngeier ruhen mit ausgebreiteten Flügeln auf den Cardónes, wirken gelangweilt. Auf einem kleinen Aussichtshügel lüftet Carlos das Geheimnis von La Ventana.
»Hier seht ihr es: das Fenster, die Meerespassage zwischen dem Strand und den dahinterliegenden Gipfeln der Sierra de las Cacachilas und der Isla Cerralvo. Für die Blauwale ist La Ventana die erste ruhige Bucht auf ihrem Weg von Alaska in den Süden.« Auch andere Tiere steuern die Bucht an. Orcas, Mobula-Rochen oder Delfine lassen sich hier beobachten, die gegenüberliegende Isla Cerralvo wurde 2005 Teil des Unesco-Welterbes. Kiter schwören auf den Nordwind, der in der Sierra Fahrt aufnimmt. »Noch seht ihr das Meer flach wie eine Flunder daliegen, aber gegen Mittag fängt es an zu wehen.« Die Thermik sorgt für eine konstante Kiter-Düse, wie es sie sonst nur in Kapstadt und in Tarifa gibt.
Beim Streifzug durch die rapide wachsende Gemeinde La Ventana begeistern Dutzende prächtige Wandmalereien wie zum Beispiel Kakteen und Kiter, Biker und Buckelwale, die fast in Lebensgröße auf dem Mauerwerk landen. Unter der Projektleitung von Streetart-Künstlerin Sarah Vargas werden gerade die Wände eines Oxxo-Supermarkts verschönert. Ihr geht es um nicht weniger als den Erhalt der kompletten kulturellen Identität: »Dazu gehört natürlich die komplette Flora und Fauna der Baja. Diesen Markt werden schon bald ein krachend roter Kardinalsvogel und ein heimischer Hirsch schmücken.«
Der Plan vom Ökotourismus auf der Rancho Cacachilas
Dieses Bewusstsein ist auch der Walmart-Erbin Christy Walton wichtig. Mit der Rancho Cacachilas oberhalb La Ventanas versucht sie seit 2008, in der kargen Bergwelt sanften Ökotourismus mit der Prämisse maximaler Nachhaltigkeit zu verwirklichen, erklärt Guide Said Estrella bei einer Tour über die 17.000 Hektar große Ranch. »Wir weiden in dem hügeligen Gelände Rinder, unterhalten 100 Kilometer Wanderwege und 60 Kilometer Biketrails, die zu den schönsten Mexikos zählen«, erklärt der ehemalige Englischlehrer aus Mexiko-Stadt.
Nicht nur Rinder, auch Ziegen und Pferde werden auf der Ranch gehalten sowie Gemüse und Gewürze naturvereinbar angebaut. »Unsere Glamping-Zeltgäste schwärmen von unseren Bio-Produkten. Die Käsekultur für unsere Ziegenmilch kam eigentlich schon mit den Spaniern. Meist wurde aber nur kurz haltbarer Frischkäse produziert. Wir haben mithilfe von Schweizer Käsemeistern Sorten mit diversen Reife- und Härtegraden entwickelt, den wir mit unserem Gemüse auf den umliegenden Märkten verkaufen können«, zählt der Guide auf. Schon steht ein Brett mit klassischem Frischkäse, einem in Asche gewendeten Panela Blanco, einem Girasole-Weichkäse mit cremigem Kern und einem würzigen Hartkäse auf dem wuchtigen Holztisch. Dazu werden Honig, Feigenmarmelade und sogar Wein gereicht – köstlich. Alles aus eigener Produktion. Mitten in der kargen Kaktuswüste.
Im »Packing Room« erklärt uns Said die Arbeit der »Vaqueros«, der mexikanischen Cowboys. Zeigt uns, aus wie vielen Schichten dickstem Leder die Sättel und »Armas«, also der Flankenschutz für Pferd und Reiter gegen die Kakteen, beschaffen sein müssen. »Für den Sattelrumpf verwenden wir das Holz der Cardón-Kakteen, die hier zu Abertausenden an den Hängen gedeihen.« Manche Sättel sind wahre Kunstwerke, mit aufwendiger Schmuckornamentik. Ein Handwerk, das leider ausstirbt. Said ist dennoch stolz darauf, Teil eines so großartig durchdachten Nachhaltigkeitsprojekts zu sein. In seine Heimat, nach Mexiko-Stadt, fährt er nur noch, um seine Eltern zu besuchen. Er liebt es hier.
El Triunfo und sein morbider Charme
Auch in El Triunfo, knappe 40 Kilometer westlich im Inneren der Halbinsel, gedeihen fast schon skurrile Projekte. An den Goldrausch des 19. Jahrhunderts erinnert heute nur noch ein knapp 50 Meter hoher Schornstein der damaligen Bergbaugesellschaft. Der 68-jährige José Castellano Hernandez zählt zu den letzten der 380 verbliebenen Seelen. 2015 war er mit seinem alten Bulli auf Durchreise, als er dem morbiden Charme El Triunfos verfiel. Seine Lebensgeschichte liest sich wie die Blaupause des »American Dream«. »Mit 17 bin ich mit einigen Freunden illegal in die USA. Zuerst habe ich in Los Angeles in Fast-Food-Läden geputzt, später gekellnert, habe stets gespart und mich hochgearbeitet, bis ich selbst zwei Restaurants übernommen habe«, offenbart der so jugendlich wirkende Selfmademan.
Nachdem José seine Restaurants verkauft hatte, tingelte er drei Jahre mit seinem Camper durch Mexiko, bevor er in El Triunfo noch einmal voll durchstartete. Seine riesige Anlage mit individuell ausgestatteten Cabañas, rustikalen Blockhütten im Vaquero-Style, lassen Wildwestfans mit der Zunge schnalzen. Nebenbei baut José noch eine alte Mine zum Museum um, errichtet bereits seine fünfte Zip-Line und auch seine Eisdiele läuft prima.
El Triunfo scheint so ein mirakulöser Sehnsuchtsort für Neustarts zu sein. Auch der Bäckermeister Mark Spahr hat sich in dem kleinen Kaff auf der Pazifikseite der Baja California Sur verwirklicht. »Hier habe ich meine Traumlocation für mein ›Cafe El Triunfo‹ gefunden.« Breite Schultern, geflochtener Wikingerbart, großflächige Tattoos – Mark ist ein Typ, der sofort ins Auge sticht. Der Harley-Fan hat eine bewegende Drogenvergangenheit hinter sich. Herausgeholfen haben Therapie – und das Backhandwerk, das er sich auf langen Reisen angeeignet hat. Für seine Croissants, Brioches und seinen spektakulären Torten kommt die Kundschaft auch die 75 Kilometer lange Bergroute von Todos Santos herübergefahren. Ganz schön beeindruckend.
Weiter geht’s nach Cabo San Lucas
Stets mit grandiosen Ausblicken auf den Pazifik geht es weiter nach Cabo San Lucas, dem touristischen Epizentrum der Baja California Sur. Dem Eingang zum sogenannten »Tourist Corridor«, der bereits in den 1970er-Jahren als touristisches Großprojekt zur Entwicklung der Baja ersonnen wurde. Vielen Europäern unbekannt, ist Cabo für die Nordamerikaner ähnlich wie für uns die Kanaren oder Balearen. Der Ort wird von allen großen Drehkreuzen der USA angesteuert, ist ein geschätzter Kreuzfahrt-Hub und gilt für gut 400 Millionen Nordamerikaner als Nahziel.
Sage und schreibe 18 Weltklasse-Golfplätze, mondäne Yachthäfen und Michelin-Sterne dotierte Gourmettempel locken jährlich an die vier Millionen Touristen an. Der betuchten Klientel – und davon gibt es hier reichlich – versprechen Charterboote beim Hochseefischen einen packenden Kampf mit dem begehrten Schwertfisch. Die Studierenden pilgern nicht nur zum Springbreak an den Milky Beach oder den Lovers Beach, um dort richtig abzufeiern. Monumental in den stahlblauen Himmel aufsteigende Felszacken markieren das Ende des niederkalifornischen Appendix. Mittendrin das berühmte El Arco, ein über 60 Meter hohes Felstor, das sogar mit dem SUP-Board durchfahren werden kann.
Whale Watching mit Cabo Nature
Und die Gewässer rings um den südlichsten Sporn dieser einzigartigen Landzunge zählen zu den weltweit besten Plätzen für die Walbeobachtung. Ein Bootsausflug unter kundiger Führung ist also ein Muss. Die Marinebiologin Mariana Cobarbiez und die Meeresforscherin Belem Valencia führen die Touren von Cabo Nature. Mit ihrem kleinen Boot tuckern wir gemächlich aufs Meer hinaus. Anhand eines Spielzeugwals erklären sie uns unterhaltsam die Welt der Wale. »Die größten Säugetiere der Welt bringen hier im Winter ihre Kälber zur Welt und finden aufgrund der günstigen Strömung Nahrung im Überfluss«, startet Mariana ihren Vortrag, während wir im gleißenden Sonnenlicht schon die Atemfontänen der Wale sehen.
Nur wenig später tummeln sich die Meeresgiganten direkt neben uns, zeigen ihre mächtigen Rückenflossen. Buckelwalkälber springen fröhlich in die Höhe. Mariana lässt ein Unterwassermikrofon in die Tiefe gleiten. Gemeinsam lassen wir uns von den Walgesängen bezirzen. Wir alle lauschen gespannt verträumt der Wal-Oper.
San José, oder doch Beverly Hills?
Auch San José am östlichen Ende des »Korridors« gleicht einem Kunstwerk. Kolonialer Altstadtkern, die alte Missionskirche vorbildlich restauriert. Die zahllosen Luxusboutiquen und noblen Restaurants, selbst die Souvenirkitschläden wurden architektonisch vorbildlich angepasst. Natürlich hat das alles seinen Preis. Ein mutiger Blick durch das Schaufenster von Maklern lässt einem trotz 30 Grad Celsius vorübergehend das Blut in den Adern gefrieren: Preise wie in Beverly Hills.
Cabo Pulmo – ein wahrgewordener Traum
Wer San José del Cabo Richtung Osten verlässt, stößt schon bald auf eine gut befahrbare Sandpiste Richtung Cabo Pulmo, die sich über hoch auftürmende Dünen schlängelt. Die Straße ist zwar noch nicht asphaltiert, aber schon stehen hier märchenhafte Villenanlagen. Kein Wunder: Der Panoramablick ist zum Niederknien schön und die Wale schwimmen direkt vor der Haustür. Auch Delfine surfen in der Brandung. Das Gebiet etwas weiter östlich wurde schon 1995 großflächig unter Schutz gestellt und die Baugenehmigungen wurden drastisch reduziert – auch auf Betreiben einer Bürgerinitiative.
Seit 2005 ist das 173 Quadratkilometer große Biosphärenreservat des Nationalparks Cabo Pulmo auch Unesco-Weltnaturerbe. Der 90 Quadratkilometer große Meerespark darin beherbergt das älteste Hartkorallenriff Amerikas, weist die weltweit größte Vielfalt an Haien auf und begeistert Taucher mit knallroten Zackenbarschen. Allerdings darf man Schnorcheln und Tauchen nur mit zertifizierten Guides.
In Los Cabos ist alles arrangierbar!
Ob nun also gehobene Badeferien oder lieber ein Abenteuerurlaub. Partysause in Cabo oder Pioniergeist in kleinen, überraschend coolen Orten wie El Triunfo. Auf einer Rundtour mit dem eigenen Fahrzeug ist alles arrangierbar und liebend gerne natürlich mit einem alten Ford Mustang. Auch wenn einem dafür heute garantiert keiner mehr ein Grundstück vermacht.
Los Cabos: Klima und Anreise
Die Urlaubsregion Los Cabos ist ein ganzjähriges Reiseziel mit sehr kurzem, kühlen Winter, gefolgt von einem langen und intensiven Frühjahr und einem tropischen Sommer. Juli und August sind sehr heiße Monate mit über 45 Grad Celsius im Landesinneren. Damit ist die beste Reisezeit, für eine Rundreise auf der Halbinsel Baja California, Mitte Oktober bis Mai.
ANREISE. Ab November Nonstop-Flug mit Condor von Frankfurt a. M. nach Los Cabos. Tickets ab € 350 pro Strecke buchbar.