Pamplona im Spätsommer. Ich sitze in der Bar Txoko an der zentralen Plaza del Castillo und tunke frisch frittierte Churros in dickflüssigen, warmen Schokoladenpudding. Mit den ersten Bissen breitet sich in meinem Bauch ein wohliges Gefühl und auf meinem Gesicht ein breites Grinsen aus. Es hat nicht nur mit dem köstlichen spanischen Spritzgebäck zu tun. Vielmehr ist es eine Erinnerung an meinen ersten Besuch in Pamplona vor 28 Jahren.

Text: Anja Kocherscheidt

Damals fing alles an, geht es mir durch den Kopf. Damals habe ich mich unsterblich verliebt – und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich verliebte mich Hals über Kopf und wahrscheinlich für den Rest meines Lebens. Verliebte mich in die spanische Lebensart, die Sprache, die Musik, die Menschen, die Kultur, das Essen. Unzählige Male bin ich seither zurückgekehrt. Und bis heute spüre ich Schmetterlinge im Bauch, wenn ich zu Hause einen spanischen Song höre oder einen Film in spanischer Originalfassung anschaue.

Menschen bei Nacht auf den Straßen von Pamplona

Anja Kocherscheidt

Dort, wo alles begann…

Und nun sitze ich hier, in Pamplona, wo damals alles anfing. Während mein Blick über die rechteckige Plaza schweift, die Einheimische gern als das »Wohnzimmer von Pamplona« bezeichnen, wo sich Bar an Bar reiht und Menschen fröhlich gestikulierend flanieren oder ihre Drinks genießen, kommt mir Ernest Hemingway in den Sinn. Denn Hemingway muss es damals, 1923, bei seinem ersten Besuch in Pamplona ganz ähnlich ergangen sein wie mir. Auch bei ihm war es Liebe auf den ersten Blick – nur so kann ich mir erklären, dass er bis kurz vor seinem Tod immer und immer wieder zurückkehrte.

Aussicht auf die Plaza del Castillo in Pamplona

Anja Kocherscheidt

Pamplona, die Muse Hemingways

Meine Neugierde treibt mich an. Ich möchte erfahren, was Hemingway – in diesem Punkt mein Seelenverwandter – an Pamplona fasziniert hat, und begebe mich auf Spurensuche. Das ist nicht schwierig, denn »Ernesto«, wie die Spanier ihn nennen, ist omnipräsent in Pamplona. Sein Roman »Fiesta« aus dem Jahr 1926 verschaffte der bis dahin verschlafenen Provinzhauptstadt über Nacht einen Platz auf der touristischen Landkarte. Denn in dem Roman schildert der damalige Reporter und spätere Literaturnobelpreisträger die Fiestas von Pamplona auf so unwiderstehliche und aufregende Weise, dass bis zum heutigen Tag Heerscharen von Touristen aus aller Welt kommen, um die »Sanfermines« mitzuerleben.

Steinstatue von Ernest Hemingway in Pamplona

Anja Kocherscheidt

Lieblingsplatz von Hemingway in Pamplona: Das Hotel Quintana

Einer, der sich mit Hemingways Leben in Pamplona auskennt, ist Leonardo Sireci. Der gebürtige Mailänder ist Gästeführer, lebt seit gut zehn Jahren mit seiner spanischen Frau in Pamplona und kennt die Stadt wie seine Westentasche. »Es ist interessant, dass wir uns gerade hier, in der Bar Txoko, treffen«, begrüßt mich Leo und legt seine Tasche auf den Stuhl neben sich. »Denn das war eine der Lieblingsbars von Hemingway. Was kein Wunder ist, da das Hotel Quintana, in dem er während seiner ersten Besuche wohnte, direkt nebenan lag.« Leo zeigt auf die historische Fassade: In den Fenstern hängen Plakate einer Immobilienfirma, die hier Eigentumswohnungen und Büros anpreist – das Hotel Quintana gibt es schon lange nicht mehr. Doch damals, Anfang der 1920er-Jahre, war das anders. Hotelbesitzer Juanito Quintana und der aufstrebende Schriftsteller Hemingway verstanden sich auf Anhieb.

Eine Reise in die Vergangenheit

Ich bezahle und schlendere auf die gegenüberliegende Seite der Plaza. Vor einer riesigen Terrasse hält Leo an. »Hier befinden wir uns vor einer der markantesten Adressen in Pamplona, dem Cafe Iruña«, erklärt er mir. »Das gibt es schon seit 1888. Und es war das erste Lokal der Stadt, das über Elektrizität verfügte.«

Als wir über die Türschwelle treten, überkommt mich das Gefühl, als würden wir in ein weit zurückliegendes Jahrhundert eintauchen: stilvolle Kronleuchter, wandfüllende Spiegel, reich dekorierte Säulen, ein riesiger blank polierter Tresen, hinter dem aufmerksame Kellner hin und her flitzen, der schwarz-weiß geflieste Boden und das Art-deco-Mobiliar, dem man seine Jahre auf gute Weise ansieht.

Es duftet nach Cafe und spanischen Spezialitäten, an den Tischen sitzen Grüppchen von Einheimischen und Touristen, die wohl genauso wie ich gerade eine kleine Zeitreise unternehmen.

Das Cafe Iruna in Pamplona

Anja Kocherscheidt

Das Vermächtnis von Hemingway

»Das war Hemingways Lieblingsadresse in Pamplona«, sagt Leo und zeigt dabei auf die reiche Spirituosenauswahl hinter dem Tresen. »Hier traf er sich mit Freunden, schrieb seine Beobachtungen auf und genoss auch den ein oder anderen Drink.« Mit einem Handzeichen lotst er mich in einen Nebenraum, den »Rincon de Hemingway« (auf Deutsch: Hemingways Ecke).

Als Leo die Tür öffnet und das Licht anknipst, zucke ich unwillkürlich zusammen. Denn an einem weiteren Tresen lehnt: Ernest Hemingway. Als lebensgroße Bronzestatue wurde ihm hier ein ewiger Platz an der Bar eingeräumt. Fast sieht es so aus, als plaudere der Autor gerade bei einem Drink mit alten Freunden.

 

Die Statue von Hemingway im Cafe Iruna in Pamplona

Anja Kocherscheidt

Die Sanfermines von Pamplona

Wir treten wieder hinaus ins grelle Licht des Nachmittags und biegen von der Plaza ab in eine enge, mit Kopfsteinpflaster ausgelegte Straße. Auf den ersten Blick sieht die Straße aus wie viele andere in der Altstadt von Pamplona: Souvenirshops, Buchläden und Bars reihen sich aneinander wie Perlen auf einer Schnur. Was genau hat diese Straße mit Hemingway zu tun? Leo erklärt: »Bekanntermaßen liebte Hemingway die Sanfermines von Pamplona.

Diese Feierlichkeiten zu Ehren unseres Stadtheiligen San Fermin finden jedes Jahr zwischen dem 6. und 14. Juli statt, und die Calle Estafeta spielt darin eine Hauptrolle.« Denn während der Fiestas laufen auf diesen rund 850 Metern täglich nicht nur sechs Stiere und sechs Ochsen mitten durch die Altstadt von Pamplona bis zur Stierkampfarena – mit ihnen laufen auch bis zu 3.000 adrenalinsüchtige »Mozos«. Diese vorwiegend jungen Menschen sind traditionell ganz in Weiß gekleidet, einzig ein rotes Halstuch und eine rote Hüftschärpe sorgen für Farbtupfer.

Hemingway's Lieblingsstadt Pamplona

Anja Kocherscheidt

Eine Tradition mit Kontroversen

»Heute ist die Tradition des sogenannten Encierros zum Teil sehr umstritten«, sagt Leo. »Aber sie hat tatsächlich ganz pragmatische Ursprünge. Die großen Viehtransporter und später Lkw, die die Stiere aus Südspanien hierherbrachten, konnten nicht in die engen Gässchen der Altstadt hineinfahren, um bis zur Arena zu gelangen. Deshalb wurden die Tiere außerhalb des Zentrums in sogenannten Corrales gehalten und von Kuhhirten mit Rufen und Stöcken durch die Straßen getrieben. Mit der Zeit schlossen sich diesem Brauch immer mehr Menschen an. Und heute gilt es unter jungen Männern als Mutprobe, eine kurze Zeit lang neben oder vor den massigen Tieren herzulaufen.«

Ein Hotel in Familienbesitz

In den 1950er-Jahren, als Hemingway bereits ein Autor von Weltruhm war und über entsprechende Mittel verfügte, logierte er bei seinen Pamplona-Besuchen mit seiner vierten Frau Mary Welsh im Gran Hotel »La Perla« an der Plaza del Castillo. Dort treffe ich in der Lobby des Fünfsternehauses auf Rafael Moreno. »Der Klapperstorch hat mich auf dem Balkon im fünften Stock abgelegt. Damals wohnte auf dieser Etage noch unsere Familie. Meine Urgroßeltern haben das ›La Perla‹ ja 1881 gegründet«, erklärt der Hoteldirektor in vierter Generation.

Das Hotel La Perla in Pamplona

Anja Kocherscheidt

Don Rafael ist ein echter Gentleman, ein Gastgeber der alten Schule und ein sehr feiner Mensch. »Es ist Teil unserer Philosophie, die Historie und die vielen namhaften Gäste zu ehren, die in den letzten anderthalb Jahrhunderten immer wieder in unserem Haus gewohnt haben«, erklärt er. »Dazu gehören neben vielen anderen der Regisseur Orson Welles, die spanische Königsfamilie, Ausnahmegeiger Pablo de Sarasate, Schauspieler wie Charlie Chaplin oder Charlie Sheen und natürlich Ernest Hemingway.«

Hemingways Spuren im Gran Hotel »La Perla«

Mit einem schweren Schlüssel öffnet Rafael Moreno die Tür zur Suite Nummer 201, dem Zimmer, in dem Ernest Hemingway während seiner Pamplona-Besuche immer wieder wohnte. Das ursprüngliche Mobiliar, der Schreibtisch des Autors, die historischen Heizkörper, die Kopfteile der beiden Einzelbetten sowie die Dekoration aus Hemingways Tagen, wurden sorgfältig aufgearbeitet und mit modernen Details ergänzt. »Natürlich haben wir die Betten und das Badezimmer den modernen Standards eines Fünfsternehotels angepasst. Doch im Großen und Ganzen hat Hemingway dieses Zimmer genauso bewohnt, wie Sie es jetzt vor sich sehen.«

Das Zimmer im La Perla Hotel, was Hemingway bewohnt hat als er in Pamplona war

Anja Kocherscheidt

Doch warum wählte Hemingway immer wieder genau dieses Zimmer? »Ich denke, Hemingway liebte das Zimmer, weil es über zwei französische Balkone hinaus auf die Calle Estafeta verfügt – und damit hielt der Schriftsteller quasi einen Logenplatz für den Encierro«, schmunzelt Direktor Moreno.

Ich könnte noch länger verweilen und seinen Geschichten lauschen – wie Teufelsgeiger Sarasate einmal von seinem Balkon ein spontanes Konzert für die Menschen auf der Plaza gab oder wie Orson Welles wegen finanzieller Engpässe die Zeche prellte und erst zwei Jahre später beglich. Doch ich muss weiter, denn ich habe noch längst nicht alles von Pamplona gesehen!

Der Klang des Sommerabends

Inzwischen ist es Abend geworden und ich setze mich auf eine Bank an der Plaza del Castillo. In dem großen Sandsteinpavillon in der Mitte des Platzes spielt ein dreiköpfiges Ensemble traditionelle Tanzmusik mit Trommel, Dudelsack und einer Art Flöte. »Das ist eine Txistu«, erklärt mir eine ältere Dame auf Nachfrage, »ein traditionelles baskisches Instrument«. Und dann werde ich Zeugin von etwas, was es so vielleicht nur in Europas Süden gibt: Alt und Jung fassen sich an den Händen, schwingen Halstücher und tanzen gemeinsam zu einer improvisierten Choreografie, selbstvergessen und als gäbe es in diesem Augenblick nichts Wichtigeres auf der Welt – und sofort flattern wieder die Schmetterlinge in meinem Bauch. Doch nicht lange, dann macht sich dieser durch ein unüberhörbares Knurren bemerkbar.

Menschen tanzen auf der Plaza del Castillo

Anja Kocherscheidt

Pintxos – Tapas der Extraklasse

Und gegen Hunger hat Pamplona ebenfalls etwas: nämlich Pintxos. Dabei handelt es sich – Achtung, Fettnäpfchen! – keineswegs um einfache Tapas. Das baskische Wort »Pintxo« stammt ab vom spanischen Verb »pinchar« – zu Deutsch etwa »durchbohren«. Und so erkennt man den typischen Pintxo auch leicht am Zahnstocher, der das oft lukullisch ausgefeilte Topping mit einem Stück Baguette verbindet. Glücklicherweise hatte mir Stadtführer Leo zum Abschied einen Tipp gegeben, wo ich einige der besten Pintxo-Lokale der Stadt finden würde: nämlich in der Calle San Nicolas. Sie vereint auf knapp 190 Metern sage und schreibe 30 Lokale, womit es sich einigen Quellen zufolge um die größte Bardichte in ganz Spanien handelt.

Die Tapas Pintxos in Pamplona

Anja Kocherscheidt

Und so stürze ich mich ins Getümmel, bewundere kunstvoll an langen Tresen aufgeschichtete Pintxos, genieße Kabeljau, Serranoschinken, Anchovis, Schafskäse, trinke zwei Bier und einen Wermut und bewundere das Thekenpersonal, wie es selbst bei größter Lautstärke und dichtestem Gedränge weder die Höflichkeit noch den Überblick verliert.

Pamplona – meine ewige Liebe

Einen weiteren Tipp von Leo, den berühmten Ajoarriero aus Navarra – Kabeljau im Schmortopf und der Überlieferung nach eines der Lieblingsgerichte von Ernest Hemingway -, spare ich mir für meinen nächsten Besuch in Pamplona auf. Mehr geht heute einfach nicht.

Mein Bauch, mein Kopf und mein Herz sind voll. Und auch wenn ich es noch immer nicht in Worte fassen kann – inzwischen weiß ich, warum Hemingway bis an sein Lebensende von dieser Stadt nicht loskam. Und ich vermute: Mir wird es ähnlich gehen .

Hemingways Lieblingsstadt Pamplona

Francis Vaquero/Tourismo de Navarra

Mehr Infos zu Pamplona

Allgemeine Infos zur Region und zu Pamplona gibt es unter: www.visitnavarra.es

Anreise. Von den meisten deutschen Flughäfen über Madrid und Barcelona. Von dort verkehren mehrmals täglich Züge und Busse nach Pamplona.

Schlafen. Das moderne Hotel Maisonnave liegt mitten im Zentrum von Pamplona und nur einen Katzensprung von der Plaza del Castillo entfernt. Zimmer ab € 129, www.hotelmaisonnave.es. Im Fünf-Sterne-Haus La Perla mit dem berühmten Hemingway-Zimmer nächtigt man je nach Saison ab € 161. www.granhotellaperla.com

Touren. Geführte Stadtbesichtigungen auf Englisch und Spanisch bieten Francisco und Leonardo von www.novotur.com an. Wer lieber individuell unterwegs ist, nutzt die auf Englisch verfügbare App Pamplona Iruña!

Essen. Unbedingt Pintxos! Die größte Auswahl gibt’s in der Calle San Nicolas, aber auch rund um die Plaza del Castillo, zum Beispiel in der Bar Txoko oder in Hemingways Wohnzimmer, dem Café Iruña. Feinste Küche im Miniaturformat findet man am entsprechend gut besuchten Tresen der Café Bar Gaucho, die mehrfach für ihre exzellenten Pintxos ausgezeichnet wurde.