Italien-Fans kennen sie aus Autobahnraststätten, Cafés mit Imbiss-Angebot und sogar aus Regalen gut sortierter deutscher Supermärkte: die Piadina – ein dünner runder Teigfladen, der auf einer heißen Platte erhitzt und wie ein Sandwich gefüllt wird. Nicht sonderlich aufregend. Manchmal kommt sie sogar pappig daher. Aber naja, sie ist meist günstig und wenigstens warm. In Rimini jedoch wird aus der Piadina eine wahre Köstlichkeit.
»No«, sagt Guiliano Canzian, Inhaber und Küchenchef der Piadineria Nud e Crud in Rimini. Und fährt fort: »Eine echte Piadina Romagnola ist überhaupt nicht pappig. Sie ist zart, stellenweise etwas knusprig. Bei uns wird der Teig jeden Tag frisch zubereitet, wie sich das für eine ordentliche Piadineria gehört.« Wohl deshalb ist an einem x-beliebigen Sommerabend auf der Terrasse seines Altstadtlokals kein einziger Tisch mehr zu haben. In sicherer Entfernung vom 15 Kilometer langen Sandstrand, dem bekanntesten Wahrzeichen des Adriastädtchens, ist hier nicht nur in Corona-Zeiten vor allem Italienisch zu hören. Die schmalen Gassen und stimmungsvollen Plätze des Centro Storico waren schon immer das Revier von Einheimischen. Sie sind es auch, die hier mit Genuss ihre Piadine verzehren.
Piadina hat eine lange Tradition in der Region
Die Piadina ist eine sehr alte Spezialität aus der Emilia-Romagna. Es heißt, schon die in dieser Region lebenden Etrusker hätten flache Teigfladen gebacken. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass auch in der Römerzeit Fladen als Brotersatz gegessen wurden – wie heute wohl am liebsten mit Käse. Chronisten der italienischen Küche, etwa der bei Forlì, also mitten in der Emilia-Romagna, geborene Pellegrino Artusi, gaben sich allerdings nicht einmal die Mühe, die Piadina in ihren Schriften zu erwähnen. Vermutlich war ihnen das Gericht zu schlicht und zu armselig.
»Mangiapiada« war früher ein geläufiger Ausdruck, um Menschen am untersten Ende der sozialen Leiter zu bezeichnen. Man brauchte schließlich nicht einmal einen Ofen, um die Piadina zu backen. Die Menschen nahmen eine runde Terrakottaplatte und stellten sie über ein offenes Feuer oder in heiße Asche. Das reichte aus.
Die Piadina-Tradition blieb in den folgenden Jahrhunderten so gut wie unverfälscht erhalten. Was sollte man an einem Gemisch aus Mehl, Wasser, Salz und Schweineschmalz auch groß verändern? Noch vor 50 Jahren buken die Menschen sie in jedem Haushalt täglich frisch und aßen sie noch warm anstelle von Brot zum Essen. Erst als die Frauen anfingen zu arbeiten und nicht mehr so viel Zeit in der Küche verbrachten, entstanden die ersten »botteghe« (kleine Läden), in denen man auf dem Heimweg schnell ein paar Piadine zum Abendessen kaufte.
Rimini – wo es besonders leckere Piadina gibt
Wie so viele »Arme-Leute-Gerichte« erfreut sich auch die Piadina eines Revivals, und ihre Beliebtheit hat kaum etwas mit ihrem immer noch niedrigen Preis zu tun. Epizentrum des Piadina-Booms ist Rimini. Dort gibt es die angeblich besten, weil feinsten Fladen. »Bei uns wird der Piadina-Teig ganz dünn ausgerollt, und wir haben es gewagt, die Grundzutaten zu variieren«, erklärt Giuliano Canzian. Zum Beispiel kommen bei Nud e Crud nur lokale Bio-Mehlsorten, gerne auf Kamut- oder Dinkelbasis, in den Teig. Anstelle von Schweineschmalz wird zunehmend Olivenöl verwendet und die Füllungen sind kreativ.
Zu den Bestsellern zählen der Pidburgher mit hochwertigem lokalen Rindfleisch und cremigen Squacquerone-Käse, die Piada dell’Embassy mit Roastbeef und Mayo sowie eine Fischversion mit Sardellen, Burrata und Kapern. Die Piadine sind so köstlich, dass Nud e Crud im vergangenen Jahr unter die zehn besten Lowcost-Restaurants Italiens gewählt wurde.
Doch Nud e Crud ist nicht alleine. Das Consorzio di Tutela e Promozione della Piadina Romagnola IGP – ein Interessenverband, der sowohl dem Schutz als auch der Förderung der Piadina Romagnola dient und es geschafft hat, dem Fladen das begehrte IGP-Gütesiegel (Indicazione Geografica Protetta, geschützte Herkunftsbezeichnung) zu bescheren – hält ein paar Zahlen bereit: 2018 wurden in ganz Italien ca. 47.000 Tonnen Piadine produziert, knapp die Hälfte davon von Betrieben mit Gütersiegel. 38.000 davon gingen an den Großhandel, ihr Handelswert wurde mit ca. 160 Millionen Euro beziffert. Weitere gute acht Tonnen verteilten sich auf Restaurants und Imbiss-Stände.
Beliebte Mahlzeit bei Nachtschwärmern
»Wir verkaufen täglich bis zu 3.000 Piadine, jede davon ist tagesfrisch per Hand produziert«, sagt Marina Nanni, die Riminis berühmte Piadineria Dalla Lella zusammen mit ihrer Mutter Gabriella (Lella) Magnani führt, »mittags kommen die Büroangestellten aus der Gegend, am Abend Familien mit Kindern und um Mitternacht hungrige Nachtschwärmer«. Kein Wunder: Dalla Lella hat eine hübsche Terrasse mit Grünpflanzen und Sonnenschirmen, nettes Personal und eine gigantische Auswahl an Piadine und Cassoni (gefüllte und geschlossene Teigtaschen). »Als ich 1986 meine erste, 27 Quadratmeter große Piadineria unweit von Riminis Strandpromenade eröffnete, war das keine besonders angesehene Tätigkeit«, erzählt Lella Magnani, »die Piadina galt als billiges Street Food ohne Ambitionen. Das wollte ich ändern«.
Fast im Alleingang verwandelte sie ein ursprünglich armes Gericht in ein kulinarisches Markenzeichen, das wie kaum ein anderes für die Emilia-Romagna steht. Ihr Konzept – Tradition, hochwertige lokale Zutaten, große Auswahl, freundlicher Gästeempfang – ist so erfolgreich, dass es in Rimini inzwischen drei Ableger davon gibt. Der jüngste davon eröffnete 2018, heißt Lella al Mare und ist groß, luftig und richtig schick. Kenner bestellen eine Dinkel-Piadina mit Sardellenfüllung und dazu ein extra für Lella Magnani abgefülltes Rimineser Bier. Besser und regionaler geht es nicht.
Hier gibt’s die besten Piadini in Rimini
Dalla Lella: Die wohl bekannteste Piadineria ist mit drei verschiedenen Lokalen in Rimini präsent; jedes davon hat eine große Fangemeinde aus Einheimischen und gut informierten Urlaubern. Als Bestseller gilt die klassische Piadina mit Parmaschinken, Squacquerone-Käse und Rucola.
Nud e Crud: Zeitgeistorientiertes junges Lokal mit Terrasse und Bedienung im stimmungsvollen Stadtteil Borgo San Giuliano. Neben kreativ gefüllten und qualitativ hochwertigen Piadine und Cassoni gibt es auch traditionelle Pasta-Gerichte und leckere Salate.
Casina del Bosco: Der vor 25 Jahren eröffnete Familienbetrieb befindet sich fast direkt an der Strandpromenade in einem modernen Gebäude mit Dachterrasse und Tischen vor der Tür. Freundlicher und schneller Service, viele regionale Produkte, schöner Blick ins Grüne.
Ciana e Monda: Unspektakulärer Imbiss mit ein paar Sitzplätzen vor der Tür und ungehindertem Blick in die Küche. Die Piadine sind exzellent, die Zutaten stammen von ausgesuchten Produzenten. Wer sich nicht entscheiden kann, wählt die Tages-Piadina. Sie ist immer etwas Besonderes.
Amarina: Piadineria der neuen Generation in sympathischer Hafenlage. Die Auswahl ist übersichtlich, aber gut zusammengestellt. Neben den Klassikern gibt es interessante Eigenkreationen sowie leckere Fischgerichte und gute Salate. Gratis dazu ist der Blick auf den Sonnenuntergang.