Christian Gentemann ist 32 Jahre alt und Chef der »Bar am Steinplatz«, die kürzlich zur Hotelbar des Jahres gewählt wurde. Ein Gespräch über arrogante Barkeeper, schnarchende Gäste und Rote Bete in Cocktails. Text: Philipp Eins
Christian Gentemann, was bestellen Sie als Profi, wenn Sie in eine Bar gehen?
Das kommt auf meine Stimmung an. Am frühen Abend gerne was Leichtes, ein bisschen Bitteres. So in die Richtung Negroni oder Americano – beides Drinks, die mit Campari und Wermut gemixt werden. Zu später Stunde aber gerne auch etwas Schwereres. Einen Old Fashioned zum Beispiel mit Bourbon Whisky oder kräftigem Guyana-Rum. Aber ich bin auch immer für ein gutes Bier zu haben.
Wie wird man eigentlich Barkeeper?
Während der Schulzeit hab ich in einem Eiscafé gearbeitet. Ein kleiner Laden in Ostwestfalen mit einer Abendgastronomie. Als der Barkeeper krank geworden ist, hat mich der Chef gefragt: Willst du einspringen? Klar wollte ich.
Sie sind zunächst in Ostwestfalen geblieben. Warum wollten Sie da weg?
Wenn man sich ambitioniert mit Essen und Trinken beschäftigen will, ist man in Ostwestfalen falsch. Eines Tages hatte ich einen Aida-Katalog in der Hand und dachte: Auf so einem Schiff zu arbeiten, das wäre doch was. Ich hab mich spontan beworben – und wurde genommen. Drei Jahre lang bin ich als Barkeeper auf einem Kreuzfahrtschiff durch die Karibik und Mittelamerika gereist. Ich habe viel von der Welt gesehen. Das war sehr prägend.
Was haben Sie dort gelernt?
Ich habe mit internationalen Kollegen zusammengearbeitet, viele kamen aus Asien oder Osteuropa. Wir haben voneinander gelernt. Aber auch persönlich war die Zeit bereichernd. Du gehst abends schlafen und wachst morgens in einer anderen Stadt, in einem anderen Land auf. Ist schon toll.
In Berlin leben Sie ja recht gesettelt. Seit dreieinhalb Jahren arbeiten Sie in der »Bar am Steinplatz«.
Das kam durch meine Freundin. Wir haben uns auf dem Schiff kennengelernt. Sie wollte nach der Saison nach Berlin zurück. Da bin ich mitgegangen.
Was fasziniert Sie an Ihrem Job?
Man braucht eine Leidenschaft für Essen und Trinken. Hinter jedem Getränk steht eine Philosophie. Warum braut ein Produzent sein Bier herb, warum malzig? Die Produkte zu verstehen und mit eigenen Ideen zu bereichern – das macht den Reiz aus. Natürlich auch die Arbeit mit den Gästen. Finden sie ein neues Rezept genauso gut wie ich? Das ist jedes Mal wieder spannend. Man merkt relativ schnell, ob ein Gast zufrieden ist.
Wer ist denn aus Sicht des Barkeepers ein guter Gast?
Ein guter Gast interessiert sich für Getränke und gute Gespräche. Und er tritt bescheiden auf. Es gibt immer wieder Leute, gerade aus Osteuropa, die sehr überheblich sind. Sie kommen an die Bar, knallen die schwarze American Express auf den Tisch, bestellen drei Bier und sagen: Nun los, beweg dich, mach schneller! Sie kennen kein Bitte, kein Danke. Mit so jemandem will ich mich gar nicht beschäftigen.
Schon mal jemanden vor die Tür gesetzt?
Nein, ich bleibe respektvoll. Aber freundlich bin ich solchen Gästen gegenüber nicht mehr. Früher habe ich mich nach allen Launen gerichtet. Jetzt zeige ich denen: Hey, ihr benehmt euch daneben. Ihr habt hier keinen Schuljungen vor euch. Und ob ihr ‘ne schwarze American Express habt oder nicht, ist mir egal. Bei mir ist jeder Gast gleich.
Ein guter Barkeeper muss wohl einiges aushalten.
Es gibt aber auch Barkeeper, die ziemlich arrogant daherkommen. Das finde ich furchtbar. Nichts ist schlimmer als ein Barmann, der mit seinem Fachwissen prahlt. Manche tun so, als hätten sie den Gin erfunden. Gerade bei Berufseinsteigern sieht man das manchmal. Die sollten nicht vergessen: Das ist kein Job, in dem man Leben rettet. Na klar, ein guter Drink ist wichtig. Aber zu einem gelungenen Barabend gehört auch ein nettes Gespräch.
Was erfährt man als Barkeeper von seinen Gästen?
Viele sagen, Barkeeper müssen auch Psychologen sein. Das glaube ich nicht. Aber es stimmt, man lernt schon viele Leute kennen. Ganz verschiedene Typen. Bei uns kommen nicht nur Hotelgäste, sondern auch junges Publikum aus Charlottenburg. Diese Mischung wollten wir von Anfang an haben. Mit einigen Gästen baut man eine engere Beziehung auf. Trinkt auch mal was mit ihnen, vielleicht auch zwei Bier zu viel. Und dann kommen schon ein paar private Details raus.
Ich dachte, man trinkt nicht mit seinen Gästen?
Ich schon. (lacht) Ich finde da auch überhaupt nichts Schlimmes bei. Stellen Sie sich mal vor, ein Gast möchte einen Mitarbeiter einladen und der sagt: Ist nett, aber ich darf nicht.
Ist denn ein Abend schon mal komplett entartet?
Es passiert schon mal, dass ein Gast zu viel getrunken hat und auf seinem Tisch einschläft. Manchmal fängt jemand laut an zu schnarchen, und andere beschweren sich darüber.
Was machen Sie dann?
Wir hatten neulich einen Zwei-Meter-Mann, der wirklich extrem laut geschnarcht hat. Wir haben versucht, ihn aufzuwecken. Aber er hat so viel getrunken, dass er nicht mehr auf sein Zimmer gehen konnte. Ein Kollege und ich haben ihn mit aller Kraft ins Bett gehievt – und wir sind beide nicht die Größten.
Das war ihm sicher unangenehm.
Er hat am nächsten Morgen einen Brief geschrieben, sich entschuldigt und sich für die Hilfe bedankt. Das war doch nett.
Aber hinter die Theke gekotzt hat Ihnen noch niemand?
Das hab ich zum Glück noch nicht erlebt. (lacht)
Lassen Sie uns zum Schluss noch über die Drinks sprechen. Was läuft bei Ihnen besonders gut?
Wir haben einen regionalen Schwerpunkt. Das heißt, sechs bis acht Drinks auf unserer Karte werden nur mit Zutaten aus Deutschland zubereitet. Da gibt es keine Limette, keine Orange, keine Grape-
fruit. Wenn wir Säure in einem Drink haben, kommt sie von einem Fruchtessig oder einem Verjus, das ist ein Saft von grünen, unreifen Trauben. Weitere acht bis zehn Drinks auf der Karte haben internationale Einflüsse. Da darf es auch mal was mit Ananas sein. Gin führen wir aber gar nicht mehr.
Wie – man kann keinen Gin Tonic bei Ihnen bestellen?
Gin Tonic nicht. Einen Doppelwacholder-Tonic haben wir aber.
Was ist der Unterschied?
Im Doppelwacholder gibt es nur ein Aroma. Im Gin sind neben Wacholder noch viele andere Kräuter und Gewürze dabei. Die kann man überhaupt nicht mehr rausschmecken. Bei mir wird es nie Drinks geben, die mehr als drei Aromen kombinieren. Das ist meine Philosophie.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir wechseln unsere Karte recht häufig, aber zwei Drinks sind von Anfang an dabei. Das eine ist eine Kombination aus schwarzem Johannisbeeressig, Himbeere und einem lokalen Wodka. Der andere Drink vereint Rote Bete, Ananas, Minze und Doppelwacholder. Die gehen beide gut weg.
Wie kommen Sie auf solche Rezepte?
Die Inspiration kam beim Essen. Ich hab irgendwann mal einen Rote-Bete-Ananas-Salat gegessen und gemerkt: Wow, das schmeckt super zusammen! Und daraus ist ein Drink entstanden.
Gibt es Momente, in denen Ihnen keine neuen Rezepte einfallen oder Sie Ihren Beruf sogar hassen?
Nein, nie. Klar gibt es mal Abende, an denen man mit unangenehmen Gästen aneinandergerät. Aber das nehme ich gelassen. Im besten Fall ist der Gast am nächsten Morgen schon nicht mehr da. Und ich freue mich auf all die anderen Menschen, die zu mir in die Bar kommen.
Christian Gentemann, vielen Dank für das Gespräch.