Wie ist das jetzt eigentlich mit Puerto Rico – karibisch im Herzen, auf dem Papier US-amerikanisch? Ganz so einfach ist es nicht, aber was sich zweifelsohne sagen lässt: Die Boricua, so die Selbstbezeichnung der Puerto-Ricaner aus der Sprache der Taíno, haben Autorin Sabrina Hasenbein von der ersten Begegnung an mit ihrer Lebensfreude begeistert. Ebenso wie die Tatsache, dass man sich als Hauseigentümer in Old San Juan die Farbe der Gebäudefassade (fast) nach Belieben aussuchen kann. Ein Ausflug in eine bunte Welt.

Text: Sabrina Hasenbein

Fast wie von alleine möchte man Puerto Rico mit etwas mehr Klangfarbe in der Stimme aussprechen. Auch wenn man noch nie vor Ort war, hat man dennoch eine gewisse Vorstellung von dem US-Territorium – unter anderem, dass es auf der Insel musikalisch zugeht. Diesen Eindruck bekräftigen die Karrieren weltbekannter Künstler wie Jennifer Lopez, Ricky Martin und Marc Anthony sowie der Grammy Award-Gewinner Lin-Manuel Miranda, der das Musical Hamilton schrieb. Seit Jahrzehnten belegt zudem das Musical West Side Story, dass Puerto Rico einen direkten Draht zu New York hat und sowohl die englische als auch spanische Sprache die Identität der Puerto Ricaner prägt. Allerdings ist es bei weitem nicht nur Musik, mit der sich »Boricua« identifizieren…

Puerto Rico Sancture

Foto: Sabrina Hasenbein

Bewegte Vergangenheit

Der Begriff Boricua verrät bereits viel über die Wurzeln der Bewohner des US-Territoriums. Lange bevor Christoph Kolumbus 1493 Puerto Rico entdecke, besiedelten Taínos die Insel und bezeichneten sich und ihre Heimat als Borinquen – »Das Land des tapferen und noblen Herrn«. Mit Spaniern kamen dann afrikanische Sklaven ins Land, es folgten kriegerische Auseinandersetzungen mit Franzosen, Engländern und Holländern. 1898 wurde die Karibikinsel zum US-Territorium erklärt, seit 1917 sind Puerto Ricaner US-Bürger.

Puerto Rico Rathaus

Foto: Sabrina Hasenbein

So erklärt sich auch der hohe Reiseverkehr zwischen dem Festland und der Insel: Festland- und Inselhopping ist für amerikanische Staatsbürger ohne Reisepass möglich. Auf der Karibikinsel gibt es rund 3,3 Millionen Einheimische, auf dem Festland der USA wohnen rund 5,8 Millionen Menschen mit puerto-ricanischer Abstammung, davon knapp 900.000 in New York. Spanisch und Englisch gelten als offizielle Sprachen, wobei Spanisch dominiert. Häufig wird aber auch Spanglish, eine Kombination, gesprochen.

Puerto Rico El Morro

Foto: Sabrina Hasenbein

Old San Juan – die zeitlos Schöne

Das Attribut »Alt« hat sich Old San Juan, Puerto Ricos Hauptstadt, redlich verdient. Oder vielmehr: hart erkämpft. Die jahrhundertealten Festungen, das imposante Castillo San Felipe del Morro im Westen und das Castillo San Cristobal im Osten, sind heute wichtige Zeugen der Ära, in der die Hauptstadt für verschiedene Nationen ein strategisch wichtiger Punkt und im wahrsten Sinne des Wortes »reicher Hafen« war. 2021 hat das historische Zentrum 500-jähriges Jubiläum gefeiert. Auch wenn man den Bauwerken entlang des als Schachbrettmuster angelegten Stadtkerns ihr Alter durchaus ansieht, machen sie jede Unperfektheit durch ihren Charme wett.

Puerto Rico Castillo San Cristobal

Foto: Sabrina Hasenbein

Entlang der kopfsteingepflasterten, hügeligen »Calles«, durch die ein Auto nur mit viel Fahrgeschick gelenkt werden kann, ist die bunte Kolonialarchitektur ein beliebtes Fotomotiv. Keine Fassade gleicht der anderen – und das ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Bewohner haben freie Auswahl aus einem Farbenkatalog, von Hellgelb über Schweinchenrosa bis Dunkelgrün, nur darf ihre Selektion nicht der ihrer direkten Nachbarn gleichen. 1983 wurde das Areal zum Unesco Weltkulturerbe ernannt. Seit 1521 befindet sich der Stadtkern mit der vor über 450 Jahren gebauten San José Kirche, eines der ältesten Gotteshäuser in Amerika, an seinem jetzigen Platz. Die Stadtplanung in Gitterform ist nicht nur zur Orientierung praktisch, sondern lässt auch die hitzige Luft zirkulieren. Besonders clever: Die Häuser und Gebäude wurden so angelegt, dass eine Seite stets schattig ist.

Puerto Rico Old San Juan

Foto: Sabrina Hasenbein

Von Nationalgerichten, Koffeinkicks und Street Art

Tagsüber drängen sich vor allem Festland- und Kreuzfahrttouristen durch die schmalen Straße, doch sobald die Sonne untergeht, füllen sich die vielen Bars und Restaurants mit einem Mix aus Einheimischen und Besuchern. Was ihnen allen gleich ist: ihr Appetit auf die puerto-ricanische Küche, zum Beispiel Spezialitäten wie Mofongo und Plátanos, begleitet vom Nationalgetränk, der Piña Colada, und Musik! Aus den vielen Etablissements tönen Salsa-Klänge ebenso wie die Reggaeton-Songs von Daddy Yankee und Bad Bunny. Während sich Urlauber zurückhaltend in die Musik eingrooven, verlieren sich die Puerto Ricaner ganz natürlich im Tanz, der für sie eine wichtige Ausdrucksform ist – nicht nur körperlich. So war Reggaeton – vor allem in der Anfangsphase – auch ein Mittel, eine (gesellschafts-)politische Meinung zu äußern. Bei Frauen ging es häufig um die Emanzipation, darum, frei zu sein.

Puerto Rico Bar El Convento

Foto: Sabrina Hasenbein

San Juan lässt sich hervorragend mit thematischen Touren erkunden: Wer zum Beispiel die »The Spoon Experience« wählt, geht auf eine kulinarische Reise, die selbstverständlich mit einem Kaffee beginnt. Eugenio Ruiz aka Don Ruiz setzte die Kaffee-Leidenschaft seines Großvaters mit einer Kaffeefarm in Yauco, der »Ciudad de café« fort, der bekanntesten Anbauregionen der Wachmacherbohne. Im Südwesten der Insel, auf knapp 1000 Höhenmetern gelegen, wächst das »schwarze Gold« auf fruchtbaren Tonböden bei idealen Temperaturen. Alternativ bietet das Café »Chocolate Cortés« Kakao- und Schokoladenspezialitäten. Elaine Shehab, Gründerin von »Chocolate Cortés«, weiß um die Qualitäten der Bohne – im Rahmen eines umfangreichen Forschungsprojekts wurden zehn Sorten mit optimal kombinierten Eigenschaften definiert. »Kakao aus Puerto Rico ist mild mit blumiger Note, hat eine leichte Fruchtsäure und verfügt über zurückhaltende Holz- und Nussaromen.«

Puerto Rico Restaurant Deaverdura

Foto: The Spoon Experience

Reiche Küche, süßer Rum

Während sich kulinarische und historische Fakten im Laufe der Tour und des Tages in den Erklärungen von Guide Pablo Garcia Smith im schnellen Tempo abwechseln, wird der Gang bei sengender Hitze und mit vollem Magen immer langsamer. Denn sicher ist: Die puerto-ricanische Küche ist »rico«. Sowohl was die Zutaten und Zubereitung als auch die Größe der Portionen angeht. Da hilft nur ein Verdauungsschnaps. Rum, um genau zu sein. Und der lässt sich am besten in der »Kathedrale des Rums«, der Bacardí-Destillerie in Cataño, verkosten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts durfte Zucker zollfrei auf das amerikanische Festland exportiert werden. Damit erfuhr die puerto-ricanische Zuckerindustrie einen regelrechten Boom. In den 1930er-Jahren erbaut, ist die Produktionsstätte auch heute noch die größte Premium-Rum-Brennerei der Welt. Auf der modernisierten Anlage wird Rum verkostet – und, natürlich, Piña Colada, gemixt.

Puerto Rico Rum Verköstigung

Foto: Sabrina Hasenbein

Eine ganz besondere Mischung präsentiert auch Clement de Freitas: Auf seinen Musiktouren öffnet der Experte die Geschichtsbücher zu Salsa, Merengue und Reggaeton und führt seine Gäste an Orte, die für die Entwicklung der Genres und Künstler bezeichnend waren. Georgie Vega Porrata-Doria, Gründerin von »The Art Walk PR«, schlendert mit den Teilnehmern der Street Art Tour vor allem durch den Stadtteil Santurce. »La Calle Cerra« ist eine der bekanntesten Straßen für überdimensional große Wandbilder und Künstlerstudios.

Puerto Rico Old San Juan Calle Tanca

Foto: Sabrina Hasenbein

Ein Tag am Strand, eine Nacht in der Bucht

Egal, ob man nur einen Nachmittag am Strand oder einen mehrtägigen Badeurlaub in Puerto Rico verbringen möchte, die Optionen für eine Extraportion Vitamin Sea sind vielfältig. Von Old San Juan aus ist zum Beispiel der Isla Verde Beach nur 15 Autominuten in östlicher Richtung entfernt. Für das echte karibische Bilderbuchstranderlebnis sollte man etwas mehr Zeit einplanen und einen Tagesausflug nach Culebra unternehmen. Culebra ist neben Puerto Rico und Vieques eine der drei bewohnten Inseln des Archipels und mit dem Flieger oder einem Schnellboot erreichbar. Es fällt schwer, die Insel ohne Superlative, ganz neutral zu beschreiben, denn ihre Strände, die Farbe des Meeres und die Unterwasserwelt sind der Inbegriff karibischer Urlaubsfantasien.

Puerto Rico Isla Verde

Foto: Sabrina Hasenbein

Wer Naturschönheiten in Puerto Rico sucht, wird allerdings nicht nur tagsüber fündig: Von insgesamt fünf biolumineszierenden Buchten weltweit, kann Puerto Rico mit drei aufwarten. Eine ist die Laguna Grande in Fajardo. Um das Naturphänomen zu sehen, paddelt man zum Sonnenuntergang mit dem Kanu in die Bucht und … wartet. Die biochemische Reaktion, die das Wasser zum Leuchten bringt, wird durch äußere Einflüsse wie Wellen ausgelöst: Unzählige mikroskopisch kleine Algen beginnen zu leuchten, wenn man zum Beispiel mit der Hand langsame Bewegungen im Wasser macht. Allerdings ist die Intensität von verschiedenen Faktoren abhängig – so war der helle Mondschein zwar für die nächtliche Rückfahrt im Kajak durchaus nützlich, für das Meeresleuchten allerdings eher hinderlich.

Puerto Rico Culebra

Foto: Sabrina Hasenbein

Zip Zip, hooray!

Weiße Strände, blaues Wasser – im 11.300 Hektar großen El Yunque National Forest wird die Farbwelt Puerto Ricos noch um ein kräftiges Grün ergänzt. Das Areal im Nordosten der Insel ist der einzige tropische Regenwald unter der Verwaltung des US Forest Service – 1876 von König Alfons XII. von Spanien zum Schutzgebiet erklärt, feiert der Park in diesem Jahr sein 120-jähriges Jubiläum seit US-Zeitrechnung.

Der Wald ist vor allem für seine Wasserfälle, Wanderwege und Flora und Fauna bekannt – und für einen ganz spezifischen Sound: den Gesang des geliebten Coquí-Pfeifffrosches. Der kleine Waldbewohner spielte schon in den Legenden und Geschichten der Taínos eine besondere Rolle. Auch heute noch ist er das inoffizielle Nationalsymbol, mit dem sich die Einheimische identifizieren: »Soy de aqui, como el coquí« (Ich stamme von hier, wie der Coquí). Zwischen Regenwald und dem Atlantik befindet sich der Carabalí Rainforest Adventure Park. Die Klänge, die einem hier zu Ohren kommen, sind die der ATVs, die durch das Gelände donnern und der riesigen Waldfläche eine Dimension geben.

Puerto Rico Zipline

Foto: Sabrina Hasenbein

Einen noch besseren Überblick bekommt man allerdings im Toro Verde Adventure Park in Orocovis – allerdings nur, wenn man sich traut, in rasender Geschwindigkeit »abzuheben«. Die Zipline mit dem bezeichnenden Namen »The Monster« ist mit 2,5 Kilometern die längste ihrer Art in Amerika. In horizontaler Position geht es in 380 Höhenmetern mit knapp 153 km/h vom Startpunkt, einem Turm, der schon beim Aufsteigen Höhenängste auslöst, zur nächsten Station. Die Fahrt ist von allem ein bisschen: angsteinflößend, faszinierend, lustig, vor allem aber ein Fest für die Augen (wenn man sie denn öffnet). An der ersten Station angekommen ist der zweite Teil nur noch halb so schlimm – den kanonenähnliche Schuss entlang 1,446 Kilometern mit entspannten 96 km/h kann man, ebenfalls in Liegeposition, (fast) richtig genießen.

Puerto Rico Zipline

Foto: Sabrina Hasenbein