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Wale, Wein, Wetterkapriolen – und das alles auf aktiven Vulkanen. So könnte man die Azoren auch mal eben zusammenfassen. Es wäre sehr wahr und trotzdem unvollständig. Höchste Zeit also, den Inseln mitten im Atlantik einen Besuch abzustatten und den eigenen Horizont zu erweitern. Eine Begegnung. 

Geht es Dir auch so? Ich höre Azoren und denke an das Hoch. Wahrscheinlich hat mein alter Erdkundelehrer Schuld. Doch damit nicht genug, die neun Inseln, die zu Portugal gehören, aber autonom verwaltet werden, liegen auch noch in den Rossbreiten. Hoch und Rossbreiten sind wie Trigger für mich, da unbedingt hinzuwollen. Immer schon. Vielleicht liegt das auch ein klein wenig daran, dass ich zeitlebens mit klirrender Kälte nicht so gut klarkomme, mich in subtropischen Gefilden aber immer pudelwohl fühle. All das versprechen die Azoren: Sonne, Meer, eine mannigfaltige Fauna und eine üppig überbordende Flora.

Urlaub auf den Azoren – unsere Erfahrung

Andreas Dauerer

Einerseits. Andererseits stehe ich jedoch gerade an einer Aussichtsplattform und sehe, genau, nichts. Wobei das, ganz streng genommen, natürlich nicht richtig ist. Ein bisschen Grün schimmert am Rand schon durch ein nebliges, nasses Grau. Dass es ein paar Meter weiter steil nach unten geht, erahne ich hingegen nur. Wir wollten ja diesen berühmten Pfad gehen, von Vista do Rei nach Sete Cidades entlang der Kraterkante, quasi als krönenden Abschluss der Azoren-Stippvisite. Eine Wanderung, die wirklich jeder gemacht haben muss, der hier auf die Hauptinsel São Miguel kommt.

Urlaub auf den Azoren heißt: Tausend leuchtende Grünschattierungen

Ana, die Rezeptionistin im Hotel, hatte mir noch genau gezeigt, was mich erwarten würde. Auf der übergroßen Postkarte sah ich tausend leuchtende Grünschattierungen, zwei elliptische Krater, deren Ränder in Schlangenlinien durch das Bild huschen, innen gefüllt mit smaragdgrünem Wasser. In der Mitte die trennende kleine Brücke, im Hintergrund sich auftürmende, sattgrüne Berghänge und darüber ein zartblauer Himmel mit, genau, vier fast schon unschuldigen weißen Wolken. Schade, dass ich die Postkarte nicht eingesteckt habe, die hätte ich hier vom Aussichtspunkt Vista do Rei mal hinhalten sollen. Als Gegenstück zu nicht erlebter Erfahrung sozusagen. Stattdessen tropft es von oben weiter auf uns herab, und der Wind rüttelt nicht mehr ganz so sanft an meinem Hosenbein. So viel zum Azorenhoch, denke ich mir. Eduardo, unser Guide für diese Tour, hatte es mir allerdings schon zu Beginn der Reise gesagt, dass das mit dem viel zitierten Hoch so eine Sache sei. »Wir haben hier schon mal alle Jahreszeiten an einem Tag«, meinte er, »stabil wird das Hoch erst, wenn es weiter in Richtung Festland zieht.« Er grinst.

die Natur der Azoreninseln

Andreas Dauerer

Ah, ja. Schönwetter kommt also erst, wenn man wieder in Richtung europäisches Festland unterwegs ist?! Ganz möchte ich ihm nicht glauben, aber für heute hat er recht, wie ein flüchtiger Blick auf das Handy verrät: Lissabon, Sonnenschein, 24 Grad, klare Sicht. Nun ja, wer Regen liebt, ist hier auf den Azoren in jedem Falle ganz wunderbar aufgehoben. Aber auch solche Menschen wie ich, also mit Kälteaversionen, werden die wenig schwankenden Temperaturen zwischen 16 und 22 Grad sehr zu schätzen wissen. Aber muss ausgerechnet hier und jetzt dieser Wettergott sich uns gegenüber gleich derart schlecht benehmen? Nicht mal die Hand vor Augen sehe ich. Da bleibt nur ein Ausweg: Essen gehen, Wein trinken, vergessen und gleichzeitig ein bisschen hoffen, es möge besser werden.

Whalewatching auf den Azoren

Dabei hatte doch alles so wunderbar angefangen. Umgarnt haben sie mich, diese Azoren, schon direkt bei der Ankunft. Sonne und Wolken im Wechsel, moderate Temperaturen – und trocken kann das Archipel 1.369 Kilometer weit weg vom europäischen Festland sehr wohl auch. Tags darauf ging es um neun Uhr hinaus auf die See, Wale beobachten. Das Meer glich einem sanften, tiefblauen Teppich, und die einzigen Wellen, die wir zu Gesicht bekamen, waren jene von den Delfinschulen, die unser Boot scheinbar freudig begleiteten und mit den Bugwellen um die Wette tanzten. Die Wale hingegen waren weniger gnädig. Eine Seiwalkuh mit ihrem Jungen, die nur kurz ihre Finnen zeigten und ein paar Mal ihre Lungen füllten und kräftige Wasserfontänen in den Himmel bliesen. Auch ein Pottwal sagte kurz hallo, aber mit gehörigem Sicherheitsabstand, und dann war er mal eben 20 Minuten weg, um anschließend ganz zu verschwinden.

Delfin-Watching uf den Azoren

Andreas Dauerer

Manchmal ist  Geduld gefragt, die Natur lässt sich eben nicht so gerne in die Karten schauen – und das ist ja auch gut so. Zwar sitzen heute noch die Whale Spotter in eben jenen Häuschen, wo einst der erfolgreiche Walsichter ins Horn blies, um den blauen Riesen anschließend mit Ruderboot und Harpune nach dem Leben zu trachten. Bis Anfang der 1980-er Jahre war das so – und grausam obendrein, zumal man hier auf den Azoren stets sehr archaisch und in ausschließlicher Handarbeit diesen Kampf ausgefochten hat. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass der Wal mit mehreren Harpunen getroffen werden musste, um dem tonnenschweren, wunderbar grazilen Lebewesen überhaupt beikommen zu können. Glücklicherweise ist das nun schon eine Weile passé, und wer mag, guckt sich die Geschichte sehr anschaulich im Walmuseum auf der Insel Pico an, inklusive Wahlzahngravuren, versteht sich.

Der Dampf der aktiven Vulkane

Befremdlich können die Azoren nämlich schon auch sein. In Furnas etwa gibt es im alten, aber eben noch aktiven Vulkankrater geothermale Aktivitäten. Die Luft ist schwefelgeschwängert, und der Boden blubbert vor sich hin. In die dampfenden Löcher können Touristen wie Einheimische ihren Topf ein paar Meter mit einem Seil hinablassen, um dann Mutter Erde dabei zuzusehen, wie sie den Inhalt durchgart. Cozido nennt man das hier, ein natürliches Slow Cooking bei Niedrigtemperatur gewissermaßen. Die Einheimischen befüllen ihre Töpfe gerne mit einem fleischlastigen Allerlei, aber natürlich kann man auch ein vegetarisches Stew garen lassen. Der Geschmack? Indifferent und ein wenig rauchig. Es ist wohl eher das Drumherum, das dieses Gericht so speziell macht. Entweder genießt man die sechs bis zehn Stunden Wartezeit bei herrlichstem Ausblick auf den Krater von Furnas bei Gesellschaftsspielen, Wein oder Bier. Oder aber man fährt hinüber in den Terra-Nostra-Park und stürzt sich im botanischen Garten in die 35 bis 40 Grad heißen Mineralquellen.

Pulpo aus dem Atlantik

Andreas Dauerer

Zumindest diejenigen, die nichts gegen eine leichte Braunfärbung ihrer Badehose haben, denn das Wasser kennt diesbezüglich wirklich kein Pardon. Der Haut soll die Prozedur hingegen sehr zuträglich sein. Anschließend flaniert man ganz entspannt durch den riesigen angelegten Garten, vorbei an unzähligen Kamelien und Farnen, Magnolien, Azaleen, Strelitzien, Hibiskus oder Araukarien. Gerade die Flora der Inseln ist so ein Fall für sich. Weil man den vielen Seefahrern ein bisschen Heimatgefühl vermitteln wollte, haben die Bewohner aus allen Herren Ländern Pflanzen auf die Inseln geholt. Das Resultat: Einige Arten, wie etwa Ginger Lily, die man inselauf und inselab fast überall findet, haben sich derart invasiv vermehrt, dass sie endemische Pflanzen beinahe vollständig verdrängt haben.

Heiße Quellen auf den Azoren

Andreas Dauerer

Alles kann nichts muss bei einem Urlaub auf den Azoren

Mittlerweile versuchen verschiedene Universitätsprojekte, heimische Pflanzenarten wieder vermehrt anzusiedeln. Eines etwa liegt direkt in Furnas – ideal also, um es mit dem In-den-Topf-Gucken zu verbinden. Überhaupt sind es diese »Alles kann, nichts muss«-Zusammenhänge, über die ich mich hier am meisten freue. Wer etwa keine Lust hat, sich beim Canyoning in Caldeiras de Ribeira Grande meterhoch abzuseilen oder von Felsvorsprüngen in den Fluss zu stürzen, setzt sich bei der alten Mühle einfach hin, genießt umgeben von blau und rosa blühendem Hibiskus seinen Cafezinho und fühlt sich wie auf Hawaii. Was eine anschließende Wanderung durch den kleinen Park noch befeuert.

Auf Sao Miguel auf den Azoren

Andreas Dauerer

Es kann auch sein, dass die Wetterkapriolen den Flugplan ändern. Anstatt auf Pico landet man in Horta auf Faial und setzt dann mit der Fähre über ans ursprüngliche Ziel. Das kostet ein bisschen mehr Zeit, aber gar nicht so viel mehr Nerven, denn alles scheint hier ein wenig leichtgängiger. Wie nebenbei bringt der Wind Gerüche in die Nase, die zwischen Seetang, den berühmten Natas (die es selbstverständlich auch hier gibt), Yams (leckeres Wurzelgemüse) und Wein changieren.

Der Wein der Inseln

Ja, richtig gehört, auch Wein gehört dazu und hat auf Pico sogar eine lange Tradition, die bis ins 16. Jahrhundert reicht. Also gedeihen vor allem rund um Santo António und Lajido in hübsch parzellierten Feldern mit Blick aufs Meer Reben wie Arinto, Verdelho und Terrantez. Und dazu auch rote Sorten wie Aragonez, Castelão, Rufete oder Saborinho. In kleinen Vierecken aus Lavastein ist der Wein hinter Steinwänden vor Wind und Salzwasser geschützt. Letzteres schmeckt man aber dennoch ein wenig durch. Das passt gut zu den Weißweinen, bei den roten erscheint es mir aber mitunter gewöhnungsbedürftig. Auch die Preise sind verglichen mit den Weinen vom Festland sehr ordentlich. 30 bis 40 Euro sind keine Seltenheit, was vor allem mit der maschinenarmen Ernte zu tun hat.

Azores Wine Company

Andreas Dauerer

Mit António Maçanita hat Pico nun auch einen der bekanntesten Weinmacher auf die Insel gelotst. Gemeinsam mit seinen zwei Kompagnons Filipe Rocha und Paulo Machado gründete er die Azores Wine Company und produziert seit 2014 sehr leckere Weißweine, vor allem der Terrantez do Pico ist ein Gaumenschmeichler. Mit 50 Euro auch noch verhältnismäßig günstig, wenn man bedenkt, dass die drei kommendes Jahr eine rote Cuvée herausbringen wollen, der bei 250 Euro angesiedelt sein soll.

Die Zutaten der Vulkane

Etwas bodenständiger geht es da schon in der Kooperative Ilha do Pico zu, die es bereits seit 1949 gibt. Die kleinen Bauern liefern ihre Trauben, die dann zu Wein weiterverarbeitet und anschließend verkauft werden. Pedro, Mitte zwanzig, Rauschebart, wache Augen hinter einer schmalen Brille, führt durch die Hallen. Seit knapp zwei Jahren ist er hier und Chefkoordinator der Kooperative. Wie das Leben hier so für ihn sei, möchte ich wissen. Schließlich kommt er vom Festland in der Nähe von Coimbra.

»Es ist super schön, ich arbeite auf einer wunderbaren Insel mit sehr speziellem Wein, draußen scheint die Sonne und der Wind bläst mit den Walen um die Wette«,

entgegnet er. Aber zur einen gehöre natürlich auch die andere Seite. »Klar, die Insel ist nicht groß, es regnet und stürmt auch mal.« Um Abstand zu gewinnen, fahre er gerne ins Hinterland rund um den namensgebenden Berg Pico, der mit über 2.350 Metern gleichzeitig der höchste Berg Portugals ist.

Besitzer von Ihla di Pico

Andreas Dauerer

Wenn er niemanden sehen möchte, schaut er nach Süden. »Dann ist da nur Himmel und Meer.« Im Westen ist es die Insel Faial, mit ihrem belebten Hafen und den bunt bemalten Kacheln, auf denen sich die Seefahrer noch immer verewigen, ehe sie einen leichten Gin Tonic beim legendären Peter Café Sport Pub zu sich nehmen und dem Vulkan Capelinhos einen Besuch abstatten, der von September 1957 gleich über 13 Monate lang aktiv war und die Insel mal eben um über zwei Quadratkilometer wachsen ließ. Im Norden guckt man hinüber nach São Jorge, wo es gefühlt fünfmal so viele Kühe wie Menschen gibt, dafür kommt von dort auch mit der beste Käse ganz Portugals.

Die Gipfel der Berge

Nach der Weinprobe geht es deshalb auch in jenes Hinterland. Fast scheint es so, als hätte der Wettergott wieder auf stur gestellt. Wir fahren durch Nebel, und die Kuppe des Picos ist dick verhangen. Uns begleiten grünbraune Gräser und Gestrüpp und vom Wind verformte Wacholderbäume. Ehrensache, dass auf den Azoren auch Gin produziert wird, denke ich mir. Alles ist plötzlich noch ruhiger als sonst, ein bisschen fühlt man sich wie in Mordor, dem Schwarzen Land aus Tolkiens Herr der Ringe. »Die Spitze werden wir heute wohl nicht sehen«, meint Eduardo. »Dafür könnte es im Norden aber schöner sein.«

Landschaft der Azoren

Andreas Dauerer

Wir lassen den Pico links liegen und fahren gen Nordosten hinunter nach Santo Amaro. Ein kurzer Regenschauer, und schon kommt die Sonne heraus und taucht die Insel São Jorge gegenüber in ein saftig grünes Licht.

Manchmal muss man geduldig sein, und manchmal passiert es einfach ohne großes Zutun. Auf den Azoren scheint das alles besonders eng beieinander zu liegen, wie ich finde. Und wahrscheinlich ist es genau das, was diese Inselgruppe mitten im Atlantik so ungeheuer charmant für eine Reise macht. Deshalb der abschließende Rat: Hinfahren! Sich den Azorenwind um die Nase wehen lassen, Wein und Käse, aber auch Fisch und Fleisch genießen und die Schönheiten der Natur erkunden. Wer dann am nächsten Tag aufwacht und von Delfinen geträumt hat, den haben die Inseln wie mich ganz fest umarmt.

Mehr Infos

Eine gute Anlaufstelle ist die Website des Tourismusverbands der Azoren.

Anreise. Von Deutschland aus fliegt unter anderem die TAP über Lissabon nach Ponta Delgada auf São Miguel. Alle neun Inseln haben Flughäfen, die von der heimischen Fluglinie SATA bedient werden. Vor Ort ist ein Mietwagen empfehlenswert.

Schlafen.
São Miguel. Senhora da Rosa Tradition & Nature Hotel. Sehr feines, mit 35 Zimmern auch überschaubares Boutiquehotel mit tollem Spa, kleinem Outdoorpool und hervorragender Küche. Eines der elf Deluxe DZ ab ca. € 150 inkl. Frühstück.

Pico. Aldeia da Fonte. Das Hotel liegt direkt am Meer, und die Gäste haben einen eigenen Zugang, wenngleich Schwimmen nur bei sehr zahmem Meer möglich ist. Es gibt auch einen kleinen Pool mit Blick auf das Meer. Suiten ab ca. € 130 inkl. Frühstück.

der Blick auf die Weinfelder der Azoren

Andreas Dauerer