Wer nach St. Petersburg reist, der wird vom »Grand Hotel Europe« hören. Und höchstwahrscheinlich wird jeder Tourist, der sich den pompösen Newski-Prospekt entlangtreiben lässt, auch in diese Institution einkehren – und sei es nur auf einen Drink. Einmal diesen Duft der alten Zarenstadt einatmen, auf denselben Stühlen sitzen wie Tschaikowski oder Richard Strauss. Ein Besuch St. Petersburgs ist nicht komplett ohne eine Nacht in dem exklusivsten Hotel des Landes.
Eine schmuckhafte Jugendstil-Front reiht sich in St. Petersburg an die nächste – wie ein Freilichtmuseum des wohlhabenden 18. Jahrhunderts. Tätowierte Hipster, die in den Cafés an den kreisförmig angelegten Kanälen in der Sonne sitzen, wirken wie aus der Zeit gefallen. Vor dem geistigen Auge flanieren gut betuchte Kaufmänner in langen Fracks und großen Hüten den breiten Prachtboulevard Newski-Prospekt entlang, Pferdekutschen klappern über das geschichtsträchtige Kopfsteinpflaster.
Biegt man von der Lebensader der Stadt in die nicht weniger prächtige Mikhailovskaya Ulitsa zum Platz der Künste ab, wird der Tagtraum wahr. Vor der eleganten Art-Nouveau-Fassade, die 1830 der begehrte Prachtbauten-Architekt Carlo Rossi dem Grand Hotel Europe verpasste, warten zwar kein Zuchtpferde mehr. Dafür stellt sich hier die heutige Luxusklasse protzig zur Schau: Ein gelber Lamborghini reiht sich an einen knatschroten Porsche, daneben ein schwarzer Mercedes der S-Klasse.
Ein Ort der Schönen und Reichen
Noch immer ist das exklusivste Hotel Russlands zweifelsohne ein Ort der Schönen und Reichen – und für jedermann, der einmal in diese Welt hineintauchen mag. Mit einem knappen Kopfnicken öffnet ein Herr in dunkelblauer Uniform und schwarzen Lederhandschuhen die hölzerne Eingangstür. Man muss aufpassen, sich nicht plötzlich wie ein Darsteller im Kultfilm Grand Budapest Hotel zu fühlen – auch wenn dieses Grand Hotel gewiss kein Fünkchen seines Glanzes aus alter Zeit verloren hat –, erst 1889 bis 1991 wurde es gänzlich renoviert. Über die schwere Marmortreppe fließt ein roter Teppich hinab, dicke Kronleuchter spenden gedämmtes und warmes Licht. »Opulent« scheint für dieses Haus eine untertriebene Beschreibung.
Auf fünf Etagen birgt das Haus in seinen über 300 Zimmern und Suiten allerlei Geheimnisse und Geschehnisse seiner über 190-jährigen Geschichte. Dabei scheint die Funktion des Hauses, das seit 1875 als Hotel genutzt wird, bis heute unverändert: Verbindungstüren und ein geheimer Frühstückssaal der ehemaligen Zarensuite werden heute von Präsident Putin genutzt. Im »Billard Room«, wo früher schon die Herrscher Europas über die Zukunft berieten, trafen sich 2006 Kofi Annan und andere Mitglieder der Vereinten Nationen.
Elton John gibt ein Privatkonzert
An dem Piano im mit buntem Glasdach überspannten und von logenartigen Balkonen und Nischen geflankten Saal des hoteleigenen Restaurants L‘Europe klimperten vor einem Jahrhundert Jazzikonen. Auch Elton John – selbst nur als regelmäßiger Gast im Haus – gab einmal zum Frühstück ein Spontankonzert vor den tosenden Frühstücksgästen. Saßen einst noch GB Shaw und H. G. Wells an der Lobby & Piano Bar auf einen Drink, sind es heute Stars und Sternchen aus Pop- und Fernsehkultur: David Copperfield, James Blunt, Paul McCartney oder die Red Hot Chilli Peppers – um nur wenige zu nennen.
Tatsächlich – das zentnerschwere Gästebuch, das die freundliche Concierge gerne bei Nachfrage geheimnisvoll aus ihrem Schreibtisch zaubert, liest sich wie eine große Autogramm-Sammlung. »Hier kann man Geschichte fühlen«, kritzelte Gerhard Schröder nach seinem Besuch auf Seite 113 ins Gästebuch. Treffend formuliert vom Ex-Kanzler.
Ein Hotel wie eine Legende
Natürlich, einmal in diese Legende einzutauchen, die das Grand Hotel Europe für Russland bedeutet, bleibt unvergesslich. Umso schöner, dass das Hotel den Sprung zu einem modernen Luxushotel geschafft hat – und nicht bloß von seiner glorreichen Vergangenheit zehrt. Auch wenn viele Details des Hotels liebevoll in seinem historischen Zustand belassen wurden, sorgen USB-Anschlüsse am Bett, beheizte Marmorböden, duftende Beauty-Produkte von Bulgari, riesige Boxspringbetten und ein schönes Spa für die angemessenen Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts.
Es sind gewiss die 15 Themensuiten (fünf sogenannte Avantgarde-Suiten und zehn historische Suiten) des Hauses, die die Authentizität dieses Aufenthaltes auf die Spitze treiben. Die Avantgarde-Suiten widmen sich berühmten russischen Malern und Bilderhauern des 20. Jahrhunderts und wurden von Star-Architekt Adam Thiany inspirierend gestaltet. So dominieren in der Kandinsky-Suite Formen und Farben – und ein türkises Samtsofa. Selbstverständlich ziert seine abstrakte Kunst die Wände. Viele der über 200 Kunstwerke aller Art, die sich im Hotel verteilen, sind Originale und haben so mancher Revolution und manchem Krieg getrotzt.
Eine Nacht im Museum
In den historischen Suiten schläft es sich tatsächlich wie in einem Museum. Die bis zu 60 Quadratmeter großen Suiten präsentieren je eine historische Epoche und zeigen die bedeutende gesellschaftliche Rolle des Hotels in der Geschichte der Stadt. Von den Jugendstiltapeten der Romanov-Suite blicken von Originalgemälden die letzten herrschenden Kaiser des Landes hinab. Auf dem antiken Sofa lässt sich in den historischen Bänden die Tragödie um den Mord an Kaiser Nicholais II., seiner Gattin Anna und fünf gemeinsamen Kindern durch die Bolschewisten nachlesen. Es scheint fast überflüssig, zu erwähnen – aber selbstverständlich nächtigten die Kaiserfamilie und auch Kandinsky früher in diesem Hotel, vielleicht auch in der Suite, denen sie heute ihren Namen geben.
Was darf nicht fehlen, wenn man einmal in Russland verweilt? Richtig: Kaviar und Wodka. Natürlich werden schon zum gigantischen Frühstücksbüffet die dunklen Fischeier serviert. Doch in der Kaviar Bar darf abends in puristischem Ambiente nach Belieben der teuerste Kaviar der Welt authentisch russisch von der Hand geschleckt und die zerplatzenden Fischeier im Mund mit einem der über 70 exklusiven Wodkas runtergespült werden. Egal, ob im hellen Mezzanine Café bei feinster Pâtisserie und hauseigenen Schokoladenkreationen, im Restaurant Azia mit japanischen Köstlichkeiten, auf einen Champagner in der Lobby & Piano Bar oder bei den ausladenden Jazzfesten – man versteht im Grand Hotel Europe seit jeher alle Facetten des süßen Lebens.
Infos zum Belmond Grand Hotel Europe
Belmond Grand Hotel Europe. Newski-Prospekt, Mikhailovskaya Ulitsa 1/7, 191186 St. Petersburg, Russland. Seit 2005 gehört das Grand Hotel Europe zur Belmond-Gruppe. DZ ab 139 Euro pro Person. Der Geschichte des Hotels ist ein ganzes Buch gewidmet: »The Most Famous Hotels in the World: Grand Hotel Europe, St. Petersburg« von Andreas Augustin.
Ganz neu: Belmond macht seit diesem Jahr mit einem neuem Programm, das sich den schönen Dingen des Lebens widmet, das Reisen noch schöner. Das Belmond »Good Living«-Programm umfasst von Musik und Lyrik über Blumen und Rituale viele Facetten der Lebenskunst, die es dem Reisenden auch unterwegs ermöglichen, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer persönlichen Playlist für die Reise – von einer Violinistin speziell für Menschen unterwegs zusammengestellt?