Den Gipfel im Visier, doch der Weg ist das Ziel. Eine Kletterreise in die Region Hochkönig in den Berchtesgadener Alpen eröffnet neue Perspektiven. In jeglicher Hinsicht. Und mit etwas Glück trifft man in der Alm­idylle auch auf Heidi und Peter. Text: Sebastian Münter

Ich bin ein Nordlicht von der Waterkant. Flaches Land und weite Sicht bedeuten für mich Sicherheit. Ich mag es, mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen, in die Ferne zu schauen und am Mittwoch schon zu wissen, wer am Samstag zu Besuch kommt. Die Vertikale hingegen war mir bislang fremd. Bis mich ein Freund – ein draufgängerischer Österreicher – zum Sportklettern überredete. In einer Halle wohlgemerkt. Ich fand Gefallen daran und stellte fest, dass auch die Höhe (immerhin 15 Meter!) ihren Reiz hat. Vor allem dann, wenn man sie aus eigener Kraft erreicht. Eine Kletterreise für Einsteiger war die logische Konsequenz, um mein bescheidenes Können in der wilden Natur zu erproben. Echter Stein in den Fingern und keine abgegriffenen Plastikgriffe. Bergluft in der Nase statt schweißigem Hallenmief. Und zwar in Hochkönig.

Gestatten, Hochkönig in den Berchtesgadener Alpen

Hochkönig, das mit 2943 Metern höchste Gebirgsmassiv der Berchtesgadener Alpen. Ich bekomme eine Ahnung auf das, was wohl das Herz eines jeden Kletterers höherschlagen lässt, als ich den Berg erblicke. Anders als die meist bewaldeten Gipfel, die wir bisher passierten, besteht die gesamte obere Hälfte des Massivs aus kahlem, schroffem Fels. Der hellgraue, an manchen Stellen fast weißliche Dachsteinkalk scheint sich seit Millionen Jahren wie eine riesige geballte Faust durch die aus Wald und Wiesen bestehende Erdoberfläche gen Himmel zu drücken. Leichtes Kribbeln schleicht sich in meine Hände.

Kuh in Hochkönig

Kuh in Hochkönig

Wer in die Region Hochkönig kommt, der fährt nach Maria Alm, Dienten oder Mühlbach. Die drei Orte schmiegen sich an die Südflanke des Gebirgsmassivs und bieten den Ausgangspunkt für allerlei Aktionen. Ein gut ausgebautes, 340 Kilometer langes Netz von Wanderwegen spannt sich über die Region und verbindet bunte Almwiesen, romantische Bergseen, kleine Kapellen und gemütlich-urige Almhütten, die zur Einkehr einladen. Aber ich bin ja zum Klettern hier, und da heißt es erst einmal, die Grundlagen zu büffeln, um nach dem Sport munter in die Hütte einzukehren und die Jause zu genießen.

Kletter-Einweisung, bitte!

Im Alpinpark Dienten lerne ich den korrekten Umgang mit Sicherungsgurt und Seil. Vor allem eines ist wichtig: Vertrauen in den Kletterpartner, der am Boden steht und im Ernstfall das Leben des anderen in der Hand hält. Als ich an der Reihe bin, steht zwar nicht mein österreichischer Freund am Ende des Seils, aber immerhin ein erfahrener Kletterer, der die nötige Ruhe ausstrahlt, damit ich es mir nicht doch noch anders überlege. »Klettern, das sollte man vorwiegend aus den Beinen heraus. Die Arme werden eigentlich nur dazu benötigt, damit man nicht von der Wand kippt.«

Diesen Ratschlag begreife ich erst so richtig, als ich überraschend erschöpft das Ende des Übungsfelsens erreiche. Zu sehr habe ich mich nach oben orientiert, immer auf der Suche nach dem nächsten guten Haltepunkt für meine Hände. Kein Wunder, dass einen die Kräfte verlassen, wenn man sich klimmzugartig die Wand hinaufzieht. Also noch mal. Diesmal auf die Füße gucken, das Gewicht über das Standbein verlagern und dann aus den Beinen heraus hochdrücken. Zwischen den zwei Varianten liegen Welten, und ich kann in der Höhe erstmals entspannt die Aussicht durch die umstehenden Baumwipfel genießen.

Aller Anfang ist schwer

In der Region gibt es zahlreiche Kletterrouten in sämtlichen Schwierigkeitsgraden. Hier sollte man jedoch nicht ohne die nötige Erfahrung einsteigen. Doch als Anfänger gibt es noch eine andere Möglichkeit, das Klettern zu erleben und zum Gipfelstürmer zu werden. Den Klettersteig. Hierbei klettert man eigenständig und ohne sichernden Seilpartner an einem mit Eisenleitern, Eisenstiften, Klammern und Stahlseilen gesicherten Kletterweg entlang.

Sebastian Münter beim Klettern in Hochkönig

Sebastian Münter

Für die Sicherung ist man selbst verantwortlich. Mit einem am eigenen Klettergurt befestigten Steigset hakt man sich in das entlang der Route gespannte Stahl­seil ein und lässt die beiden Sicherungskarabiner einfach am Seil entlang mitlaufen. So hat man die Hände frei zum Klettern. Zwei von diesen Klettersteigen gibt es bislang am Hochkönig. Weitere im nordöstlich angrenzenden Steinernen Meer. Der »Königsjodler«, einer der anspruchsvollsten im Salzburger Land, überwindet mit seinen fast 1.700 Klettermetern rund 700 Meter Höhenunterschied. Wegen der teilweise schwierigen Passagen und seiner Länge ist er Anfängern jedoch nicht zu empfehlen.

Atemberaubende Aussicht aus einer Höhe von 2130 Metern

Wir nehmen den wesentlich kürzeren und leichteren »Grandlspitz« ins Visier. Das ist auch gut so, denn den Einstieg erreichen wir erst nach einer gut zweistündigen Wanderung. Eine kurze Verschnaufpause ermöglicht mir einen Rundumblick. Die Aussicht ist atemberaubend, denn schon jetzt befinden wir uns auf einer Höhe von 2130 Metern. Auf der gegenüberliegenden Talseite sieht man die weitläufigen Schneisen, die den Wald durchziehen und im Winter von zahllosen Pistenfahrern bevölkert werden. Rechts am Horizont, hinter einigen anderen Bergkuppen, zeigt der Großglockner seine schneebedeckte Spitze. Und weiter unten, etwas oberhalb der Talsohle, sehe ich die Erichhütte, die wir vor anderthalb Stunden passierten und die das kulinarische Ende unserer Tour markieren wird.

Achtung – Höhenrausch!

Doch jetzt endlich ans Werk. Die Sicherungsgurte und Steigsets werden angelegt, der Kletterhelm festgezurrt. Dass dieser nicht wirklich schmückende Teil der Ausrüstung seine Berechtigung hat, erfahre ich nach den ersten Metern am eigenen Leib. Eine vor uns gestartete Gruppe Kletterer hat einen kleinen Steinschlag ausgelöst. Trotz der Warnrufe und meiner schnellen Deckung knallt mir ein etwa walnussgroßer Brocken direkt auf den Helm. Alles heil geblieben? Nach einer kurzen Schrecksekunde geht es weiter. Der Kalkfelsen fühlt sich gut an. Er ist sehr griffig, und ich finde ohne Schwierigkeiten immer gute Haltepunkte für Hände und Füße. Und sollte es damit mal schwierig sein, so wird der Griff in das Stahlseil oder dessen Halterungen durchaus empfohlen. An einer leicht überhängenden Stelle sind u-förmige Klammern in den Fels eingeschlagen, die man wie eine Leiter benutzen kann.

Geschmücktes Fahrrad auf der

Sebastian Münter

Die Felswand unterhalb ist fast senkrecht – urgs!

Es macht richtig Spaß und hat schon etwas Meditatives, den Fels zu visieren, neue Punkte für den nächsten optimalen Griff auszumachen und gleichmäßig an Höhe zu gewinnen. Ich werde immer konzentrierter und nehme die Tiefe unter mir überhaupt nicht mehr wahr. Normalerweise gibt es Momente, in denen mir die Höhe weiche Knie beschert. Doch das habe ich komplett ausgeschaltet, so fokussiert bin ich auf den vor mir liegenden Fels. Erst als ich mich an einem Haltepunkt mit einem zusätzlichen Karabiner sichern und mich für eine kurze Verschnaufpause in meinen Gurt hängen kann, realisiere ich die Höhe, die Weite und vor allem die Tiefe unter mir. Die Felswand unterhalb ist fast senkrecht, und ich bekomme plötzlich doch noch weiche Knie.

Diese steile Passage soll ich eben geklettert sein? Ungläubig versuche ich mich zu fangen. Kurz darauf kann ich dann doch die Aussicht genießen. Mit dem Gefühl, sicher in meinem Gurt zu hängen und die Beine baumeln zu lassen, verschwinden auch die weichen Knie wieder. Da hänge ich nun auf 2.200 Metern mitten in der Felswand und muss an die Halle denken, in der alles begann: 15 Meter, pffff!

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!

Nach einer Linksbiegung geht es fast horizontal weiter durch eine Einbuchtung im Fels, bevor ich an einen diesmal steileren Überhang gelange. Sofort öffnen sich Bilder in meinem Kopf. Von Kletterprofis, die sich nur mit einer Hand haltend durch solche Passagen hangeln. Zum Glück gibt es auch hier wieder in den Berg eingelassene Stahlklammern, die mir derartige Kalendermotive ersparen. Noch ein Dutzend beherzte Züge, und ich erreiche den Ausstiegspunkt, rolle mich über die Kante und klinke mich aus dem Ende des Stahlseils. Ein wunderbares Gefühl macht sich breit. Ich habe es tatsächlich geschafft, bin weder abgerutscht, noch haben sich die weichen Knie durchgesetzt. Aus 2.307 Metern genieße ich ein weiteres Mal die Aussicht. Diesmal aber mit einem wundersamen Gefühl des Rausches. Und ja, dieses Gefühl setzte definitiv schon vor dem wohlverdienten Gipfelschnaps ein, den uns unser Bergführer Peter Gamsjäger (ja, so heißt er wirklich!) kredenzte.

… und am Ende wartet der Kaiserschmarrn

Nach einem glücklicherweise entspannten Abstieg über die Rückseite der Bergspitze landen wir schließlich in der Erichhütte nahe des Dientener Sattels auf 1.540 Metern. Bei einer üppigen Jause, der typisch österreichischen Brotzeit, schaue ich hinauf zum Gipfel und kann noch gar nicht so recht glauben, dass ich diesen Felsen soeben bezwungen haben soll. Almidylle pur!

Jause in Österreich

Sebastian Münter

An den Tischen sitzen Wanderer in Lederhose mit Gamshut und Pfeife und gönnen sich nach den Kletterstrapazen ein wenig Ruhe. Bei dieser Bilderbuchansicht kann es kein Zufall sein, dass die in Tracht gekleidete Kellnerin mich mit den Worten »Grüß Gott, i bin di Heidi!« empfängt. Nach einer der leckersten Portionen Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster meines Lebens und einer selbst gemachten Zitronenmelissenlimonade geht es hinab ins Tal und wieder zurück in den Norden. Mal sehen, wer am Wochenende zu Besuch kommt.

Unterkunft. Der Almhof, Kreidenbachweg 5, A-5761 Maria Alm-Hinterthal, Tel.: +43 (0) 6584 8414. Eine Nacht im Doppelstudio kostet im Sommer ab € 65 mit Frühstück zzgl. Kurtaxe.

Klettern und Wandern. Ein umfangreiches Angebot bietet Markus Hirnböck in der Alpinskischule Maria Alm, Mittergasse 4, A-5760 Saalfelden,

Gastronomie. Die Zachhofalm ist von Juni bis September bewirtschaftet. Die Erichhütte ist von Mitte Mai bis Ende Oktober geöffnet.

Weitere Informationen. Hochkönig Tourismus, Am Gemeindeplatz 7, A-5761 Maria-Alm, Tel.: +43 (0) 6584 20388, E-Mail: region@hochkoenig.at. Mehr Infos auf der Website.