Für manch einen ist es eine Wohltat in Zeiten von Corona weniger zu fliegen. Für andere ist es eine mittlere Katastrophe, die sie aus der Flug-Routine herausholt – die Rede ist von Menschen mit Flugangst. Auch unsere Autorin Simone Sever leidet seit vielen Jahren unter dieser Phobie. Was hat die Pandemie mit ihrer Flugangst gemacht? Ihre Erfahrungen.

»Reisejournalistin mit Flugangst«, so stellte ich mich stets meinen Sitznachbarn während zahlreicher Flüge vor, bevor die Pandemie die Welt in den Würgegriff nahm. Mein letzter langer Flug war anstrengend. Von Durban nach Dubai, von Dubai nach Hamburg. Etwa 17 Stunden in der Luft. Nach solchen langen Trips war ich immer heilfroh, wieder unbeschadet zu Hause anzukommen. Auch im Januar 2019 war das so, denn für mich stand vor und nach jedem noch so verlockenden Reiseziel immer der Weg im Weg und dieser Weg war immer eine kräftezehrende Angelegenheit.

Gang im Flugzeug

Suhyeon Choi

Von Wanderlust und Wettervorhersagen

Kaum zu Hause und richtig ausgeschlafen, setzte die Wanderlust meist nach kurzer Zeit erneut ein. Das nächste Traumziel vor Augen, saß ich schnell am Rechner, checkte Flugpreise, las Reportagen, schaute mir Fotos an, ließ mich inspirieren, klickte hier, klickte da und schon war der nächste Flieger gebucht. Angstfrei, denn die Füße standen fest auf dem Boden unterm Schreibtisch. Von Panik keine Spur – nur Vorfreude, zumindest, bis der Tag der Abreise unaufhörlich näher rückte. Dann drehte sich der Magen plötzlich in die falsche Richtung. Wenn dann die Wettervorhersage Wind oder schlechtenfalls Gewitter prophezeite, schüttelten mich gefühlte Turbulenzen schon in den eigenen vier Wänden durch.

Flugangst Erfahrungen: Flugzeug-Flügel über den Wolken

Natali Quijano

Die Angst im Nacken

Noch vor dem Südafrika-Trip half mir ein Flugangstseminar der Lufthansa dabei, mit den Ängsten umzugehen. Ich lernte, dass Luft wie eine Straße funktioniert und nicht Nichts ist. Auch begriff ich – langsam – dass ein Flugzeug ein »Flug«zeug ist, weil es »fliegen« kann. Ich lernte die Geräuschkulisse und die Flugphasen der Maschinen kennen, mir wurde Thermik erklärt. Die Angst saß während der Flüge zwar immer noch im Nacken, aber ich versuchte, sie in ihre Grenzen zu weisen. Manchmal half ein Glas Sekt dabei. Wiederum manchmal Atemübungen. Manchmal Heulen. Musik half. Nicht einzusteigen war nie eine Option, auch, weil ich wusste, lasse ich auch nur ein einziges Mal die Angst siegen, bevor es los geht, kann ich meinen Job an den Nagel hängen und Reiseberichte à la »Mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch Hamburg« schreiben. Frage wäre nur: Wer würde das veröffentlichen?

Mann am Gate

Yousef Alfuhigi

Wanderlust vorübergehend an den Nagel gehängt

Als Corona die Welt im Frühjahr 2020 in Gewahrsam nahm, entspannte sich meine Flugangst. Stillstand auf den Straßen und Landebahnen. Ich blieb zu Hause. Wie so viele andere auch. Bodenhaftung 24/7. Couching war angesagt. Flugangsttechnisch betrachtet, konnte ich durchatmen. Keine Panikmomente mehr, wenn Turbulenzen den Flieger leicht durchschüttelten, keine Tränen mehr bei dichter Wolkendecke. Doch aus Wochen wurden Monate, aus Monaten beinahe Jahre. Ich gab meine Wanderlust vorübergehend an der Garderobe ab, las sogar den Krimi »Flugangst« von Sebastian Fitzek, den ich immer lesen wollte, mich aber nie traute, weil ich dachte, dann nie wieder in einen Flieger einsteigen zu können. Ich lernte, was es mit der Reihe sieben auf sich hat, in der ich eigentlich immer versuche zu sitzen. Fliegen war so weit in die Ferne gerückt, die Angst blieb aus.

Der Traum vom Fliegen

Und dann veränderte sich etwas. Ich träumte vom Fliegen. Von Sonnenaufgängen über den Wolken. Von fernen Zielen. Ich holte meine Wanderlust von der Garderobe ab und erinnerte mich an meine Sehnsucht. In meinen Gedanken war leuchtend das Ziel zu sehen. Der Weg erschien schimmernd und verheißungsvoll. Im Sommer 2021 startete der Flieger Richtung St. Petersburg in Russland.

Flugangst Erfahrungen_Flugzeug am Himmel

Philip Myrtorp

Verwirrende Gefühlswelten

Wieder kroch die Erwartungsangst langsam in mir hoch. Nur dieses Mal stellten sich Vorfreude und Glück in den Weg. Meine Kopfhörer waren auf-, meine Spotify-Liste runtergeladen. Mein Fensterplatz in Reihe sieben vor den Flügeln gebucht. Mein Pulsschlag blieb ruhig. Boarding completed! Der Kapitän gab Gas, ich wurde in den Sitz gedrückt und schon waren wir in der Luft von Hamburg nach Frankfurt. Keine Wolke, kein Jetstream, keine Turbulenzen. Sanftes Gleiten. Auch auf dem zweiten Streckenabschnitt von Frankfurt ins russische St. Petersburg glitt der Flieger sanft über die Ostseeküste. Als dann die Sonne am Horizont in leuchtendem Orange unterging, kamen Gefühle hoch, die ich bisher noch nie mit dem Fliegen verbunden hatte: Freude und Genuss. Nach jahrelangen Angstzuständen erschien mir meine Gefühlswelt recht verwirrend. Hatte ich etwa meine Flugangst damit bezwungen, am Boden bleiben zu müssen?

Noch Luft nach oben!

Einige Monate später flog ich in kürzeren Abständen nach Skandinavien und Spanien. Auch diese Flüge waren so sanft wie das Fell eines Alpakababys. Meine »Reisejournalistin mit Flugangst«-Erzählung blieb ungehört, nicht nur, weil es gerade gar keinen Sinn machte, das irgendjemandem zu erzählen – mit meinem genussvollen Grinsen während des Fluges, sondern auch, weil ich meist allein in meiner Reihe saß. Lediglich beim Betreten der Maschine gab ich noch immer Bescheid, dass ich unter Flugangst leide und man doch bitte nach mir schauen möge bei eventuellen Turbulenzen. Wohl eher aus einer Routine heraus und außerdem weiß man ja nie. Besser ist besser.

Flugzeug beim Anflug mit Bergen

Pascal Meier

Während ich in vorpandemischen und angstbelastenden Flugzeiten stoisch aus dem Fenster glotzte, um Hindernisse  wie dunkle Wolken vorzeitig zu erkennen (keine Ahnung, was das gebracht hätte), erfreute ich mich nun an Wolkendecken, die wie gefegt aussahen, an Flugzeugen, die weit unter uns einen anderen Kurs eingeschlagen hatten, an Sonne, Mond und oder Sternen und konnte mich gar nicht sattsehen an dem himmelhohen Anblick. Und ich weiß jetzt: Da ist noch Luft nach oben!

Infos.

Natürlich hat nicht jeder Flugängstliche das Glück, seine Angst auf diese Art zu bewältigen. Wie gut, dass es vielerlei Möglichkeiten gibt, dem Problem entgegenzutreten. Das Flugangstseminar der Lufthansa hat unserer Autorin sehr gut geholfen. Der Pilot Suk-Jae Kim bietet online als Cockpitbuddy jede Menge Möglichkeiten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Versucht es! Traut euch! Es lohnt sich!