Für die einen ist es pure Entspannung. Für andere Mittel zum Zweck. Aber 40 Prozent aller Flugpassagiere – so verraten Statistiken – leiden während einer Flugreise mehr oder weniger panisch. reisen-EXCLUSIV-Autorin Simone Sever hat bei ihren Flugreisen stets ihren treuesten Begleiter mit im Gepäck: die Flugangst. Ein Lufthansa-Seminar soll helfen.
Die Panik sitzt mir im Nacken. Der Schweiß steht auf der Stirn. Lava fließt unter meiner Haut. Steht bei mir ein Flug auf dem Terminkalender fährt mein Magen bereits auf dem Weg zum Flughafen Achterbahn. Ich leide unter Flugangst, die an manchen Tagen so schwer wiegt wie mindestens 100 Kilo Übergepäck in der günstigsten Buchungskategorie. Auf langen Strecken helfen mir vom Arzt verschriebene Tabletten, auf Kurzstrecken hilft Alkohol. Morgens um 6 Uhr ist das nur nicht wirklich eine Option. Ich gebe beim Einsteigen in die Maschine Bescheid, dass ich unter Flugangst leide. Muss ich aber meist gar nicht, denn die Crew sieht mir das schon von Weitem an.
Augen auf bei der Berufswahl!
Weinen hilft. Ich weine viel im Flieger. Beim Start, weil ich es irgendwie schrecklich und schön gleichermaßen finde. In 10.000 Metern Flughöhe.
Ich weine bei dunklen Wolken und klarer Sicht. Ich lache und weine mit meinen Sitznachbarn über mich und meine Angst. »Augen auf bei der Berufswahl!«, das höre ich immer wieder. Es haben sich unerwartete Freundschaften zwischen 7D und 7F gefunden.
Die Angst war nicht immer da. Ich weiß noch nicht mal wann sie mich genau überkam. War es der Flug mit einer Propellermaschine über offenes Meer? Oder doch eher die Luftlöcher über der afrikanischen Wüste? Oder waren es die heftigen Turbulenzen während einer stürmischen Landung? Was auch immer meine Flugangst ausgelöst hat, es frisst mich auf. Dabei warten die nächsten Reiseziele schon: Portugal, die Karibik, Wien … Der Weg ist mein Ziel. Also, genug mit der Heulerei!
Die ersten Tränen fließen, bevor es überhaupt losgeht …
Ich habe mich angemeldet zum »Seminar für entspanntes Fliegen« bei flugangst.de Texter-Millott – in Zusammenarbeit mit Lufthansa und sitze nun mit acht weiteren Teilnehmern und Teilnehmerinnen im Kreis. Zu unseren Füßen liegt ein Dankes-Postkartenmeer ehemaliger Teilnehmer, Urlaubsgrüße, die jeder in unserer Gruppe bewundert.
Wir sind sechs Frauen und drei Männer. Vier wollen im Job den nächsten Schritt gehen und müssen sich ihren Flugängsten stellen. Bei drei anderen ist es die Liebe, die Flügel verleihen soll. Zwei der Anwesenden sind noch niemals geflogen. Die ersten Tränen fließen bereits bevor wir uns mit Namen kennen, eine Art Vertrauensbeweis für Verbündete in gemeinsamer Angst.
Hier und heute ist nichts peinlich. Wir packen unsere Ängste gemeinsam auf den Tisch und in Worte und stellen schnell fest, dass es nicht nur Turbulenzen sind, die uns mächtig aus dem Gleichgewicht bringen. Eine Teilnehmerin befürchtet Panikattacken high in the Sky, einem anderen raubt es buchstäblich den Atem. Kontrollverlust, Unverständnis, Nichtwissen. Wie um alles in der Welt kann so ein Riesenvogel fliegen? 176 Tonnen getragen von Luft?
Wissen ist Macht
Lufthansa-Flugkapitän Winkelmann erläutert uns mit einfachen Skizzen simple physikalische Gesetze von Luftbewegungen, Auftrieb und Schubkraft. Wir lernen, warum ein Flugzeug fliegen kann. Und staunen. Wir gehen gemeinsam den Flugablauf und die einhergehenden Kabinengeräusche bei Start, Steigflug und Sinkflug durch. Wir sind überrascht, dass etwa ein A320 mit nur einem Triebwerk fliegen kann. Ich hatte ja keine Ahnung.
Um ein besseres Gefühl zu bekommen, besichtigen wir eine Maschine am Boden. Wir dürfen uns alles anschauen und sogar im Cockpit Platz nehmen.
Doch bereits das Betreten der Maschine löst bei einigen der Seminaristen Unwohlsein aus. Geräusche schrauben den Stresspegel in unbekannte Galaxien. Der typische Kabinengeruch und die Enge machen zu schaffen und im Kopfkino laufen Endzeitszenarien in Cinemascope. Schon rast der Puls, die Hände schwitzen. Der Teufelskreis der Angst nimmt seinen Lauf. Dabei haben wir noch nicht mal abgehoben.
Der Angst einen Namen geben
Die leitende Psychologin Dr. Del Fabro-Güntsch ist eine zierliche und feine Person, an der sich unsere Angst jedoch schnell die Zähne ausbeißen wird, denn Frau Fabro-Güntsch hat ein paar Techniken mitgebracht, mit denen wir unseren Flugängsten entgegentreten können. Wir lernen uns selbst zu beruhigen, indem wir richtig atmen. Feuerwehrübungen, also Anleitungen zu progressiver Muskelentspannung sind bewehrte Angstbewältigungsstrategien. Innere Dialoge und das neue Fachwissen helfen, positives Fokussieren auf ein Traumziel ebenso. Die Angst, so erklärt Dr. Del Fabro-Güntsch ist eine kleine Primadonna, die uns beherrschen will. Sie wird nicht freiwillig und plötzlich auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Aber wir können Sie an die Leine nehmen.
Mit der Primadonna nach Bora-Bora
Am Nachmittag des zweiten und letzten Tages unseres Seminars ist die Nervosität spürbar. Der innerdeutsche Abschlusshin- und Rückflug steht an. Die Primadonna hat es sich bei den meisten der Teilnehmer auf den Schultern bequem gemacht und flüstert unaufhörlich Worte wie: »Absturz, Triebwerkausfall, Turbulenzen …« in die Ohren. Frau Dr. Del Fabro-Güntsch atmet mit uns und erinnert an die Übungen der progressiven Muskelentspannung. Tränen fließen, Zweifel kommen hoch.
Dennoch gehen wir allesamt in Begleitung zweier Psychologinnen und einer Seminar begleitenden Flugbegleiterin um 11.35 Uhr an Bord. Neben mir auf 31C sitzt Steffi. Es ist ihr Erstflug. Sie ist sich nicht wirklich sicher, ob die Entscheidung, es zu wagen, wirklich richtig war. Doch da rollt die Maschine schon los und gibt Gas, wird schneller und lauter und ist plötzlich airborne, als es aus Steffi herausplatzt: »Ich schaffe das!«
Beim Rückflug ist das Gemüt schon viel entspannter
Es ist ein mutiger Befreiungsruf, der uns bis Frankfurt trägt. Der Rückflug nur eine Stunde später ist fast schon Normalität. Die gefürchteten Gerüche und Geräusche werden jetzt vom Genuss überflügelt: die Welt von oben betrachten, die Sonne sehen, wissen, dass ein Flugzeug Turbulenzen aushalten kann und endlich von fernen Zielen nicht mehr nur noch träumen.
Vielleicht können die Primadonna und ich ja auch eines Tages eine Postkarte schicken von meiner Trauminsel Tahiti. Denn eines habe ich gelernt: Die Primadonna wird mich weiterhin auf meinen Flügen begleiten. Es ist dann nur die Frage, ob ich ihr noch zuhören werde.
Die Seminare für entspanntes Fliegen in Kooperation mit Lufthansa finden an insgesamt neun deutschen Flughäfen (z.B. Hamburg, Frankfurt, München) statt. Die Kosten für ein Seminarwochenende inklusive Verpflegung und innerdeutschem Abschlussflug betragen ca. 870 Euro inkl. MwSt. Mehr Infos, Termine und Sonderaktionen hier oder bei der Texter-Millott GmbH, Hohenstaufenstraße 1, 80801 München, Tel. +49 (0) 89 39 17 39.