Die Seeländer mögen es so ursprünglich wie extravagant. In jedem Falle aber stets gemütlich. Also knabbert man am Smørebrød, nuckelt an vollmundigem Craft-Bier und steigt anschließend auf das Rad, um sich der vielfältigen Kultur hinzugeben. Alles vor der wunderbaren Kulisse der Dänischen Riviera. Text: Andreas Dauerer
Der Weg ist das Ziel. Das wissen wir seit Goethe, spätestens aber seit Kafka, und wer, ganz nebenbei bemerkt, möchte diesen literarischen Granden schon gerne widersprechen? Weil die beiden eine Flugreise wegen mangelnder Unmittelbarkeit auf die Sinne nicht gemeint haben dürften, sollte man sich getrost an ihrem Rat orientieren und mit Auto und Fähre anreisen. Letztere ist Pflicht, schließlich geht es auf eine Insel. Der nette Nebeneffekt: Man hat mal eine Pause, kommt mit anderen Leuten ins Gespräch oder guckt einfach nur auf das blau-graue Wasser der Ostsee zwischen Puttgarden und Rødby und gelangt so ganz unwillkürlich in den ganz eigenen Reisemodus.
Erst einmal ankommen. Erster Stopp: Helsingør
Nach zwei Stunden Autofahrt von Rødby, und nur einer Dreiviertelstunde von Kopenhagen aus, gelangt man nach Helsingør, ganz oben an der Nordspitze von Seeland. Jenes Helsingør, aus dem die wohl berühmteste Dramenfigur überhaupt entsprungen ist: Amleth. Kein Geringerer als Shakespeare selbst hat mal eben das »H« nach vorne geholt und die alte dänische Sage um den Königssohn aus Jütland auf die Bühnen der Welt gehievt. Dank dieser Tragödie ist Hamlet der wohl berühmteste Däne der Welt, und Helsingør darf stets etwas von diesem Ruhm abhaben. Zwar ist noch immer nicht geklärt, ob dieser Hamlet tatsächlich einmal gelebt hat – die literarische Kulisse dahinter ist jedoch in jedem Falle über jeden Zweifel erhaben. Das Schloss Kronborg thront geradezu über dem Öresund, der schmalen Meerenge zwischen Dänemark und Schweden.
Im 15. Jahrhundert wehte auf der anderen Seite in Helsingborg noch die dänische Flagge, und der gewiefte König Erik VII. führte den Schiffszoll ein, was Helsingør auf einen Schlag zu einer wichtigen Handelsstadt werden ließ. Vom ehemaligen Reichtum zeugen heute noch das Schloss Marienlyst mit seinen ausladenden Gärten, aber auch das mächtige Karmeliterkloster aus rotem Backstein samt Marienkirche, die nicht zuletzt zu einer der besterhaltenen Klosteranlagen ganz Skandinaviens gehört.
Und, natürlich, besagtes Schloss Kronborg. Anfangs nur eine Anhäufung von dicken Wehrmauern und Türmen, wurde es nach und nach in ein wehrhaftes Schloss umgewandelt. Mittlerweile gehört es zum Weltkulturerbe. Die Gärten sowie der Innenhof sind kostenfrei zugänglich und erlauben es jedem Besucher, ein wenig dem Hauch Shakespeares nachzuspüren. Im Jahr 2016 gleich doppelt: Zum 400. Mal jährte sich Shakespeares Todestag, und bereits seit 200 Jahren findet das gleichnamige Festival im Sommer innerhalb der Festungsmauern zu seinen Ehren statt. Dann heißt es Theater, Tanz, Kino und zahlreiche Aufführungen rund um Helsingørs berühmten Prinzen. Jude Law hauchte Hamlet bereits britisches Leben ein.
Schiffe versenken als Vorbild architektonischer Glanzleistung
Direkt vor dem Schloss, wo einst die Schiffe festmachten und ihre Ladung löschten, steht jetzt der moderne Kulturhafen mit der prägnanten wie futuristischen Fassade der Stadtbibliothek, umgeben von Cafés, Restaurants, Galerien und Museen. Eines davon ist besonders spektakulär und widmet sich den Ursprüngen von Helsingørs Existenz: den Seefahrern. Das M/S Museet for Søfart sieht man jedoch erst auf den zweiten Blick, wurde es doch im Trockendock »versenkt«. Dabei ist es nicht nur eine bauliche Meisterleistung gewesen, dem Grundwasser zu trotzen, sondern im Anschluss daran vor allem eine architektonische. Geschickt hat man das Leben auf den dicken Planken, die einst nicht nur die Welt, sondern neben Ruhm auch Elend und Tod gebracht haben, nachempfunden. Der Besucher wandelt dabei in einem steten Auf und Ab durch die zwölf Säle der multimedialen Ausstellung.
Einziger Ausweg aus dem architektonischen Seegang scheint das kleine Museumscafé ganz unten zu sein, das ganz ohne schiefe Ebenen auszukommen scheint – zumindest, was den Boden betrifft. Seit 2013 hat das Museum seine Pforten geöffnet und unmittelbar zahlreiche Preise eingeheimst. Kein Wunder also, dass das National Geographic Magazin es unter die besten zehn Museen wählt, die einen Besuch allein wegen seiner Architektur wert sind.
Das Meer ist an der Dänischen Riviera pures Balsam
In Helsingør kann man getrost ein paar Tage zubringen, das Hotel Marienlyst etwa, liegt wunderbar am Meer mit Blick auf das gleichnamige Schloss, zu dem man auch wunderbar hinwandeern kann. Aber ein wenig möchte man dann doch von der viel beworbenen Dänischen Riviera sehen, die ja genau hier beginnt und entlang der Küste bis Tisvildeleje reicht. Weil die Küste vor allem ihre flache Seite zeigt, bietet sich eine Erkundung mit dem Fahrrad an. Von Helsingør nach Gilleleje sind es gut 25 Kilometer, das kann man an einem Tag gut schaffen.
Nur Strampeln würde dabei das Ziel zwar näher bringen, aber die Aufmerksamkeit auf das, was der Weg bereithält, lohnt doch sehr. Meer, Strand, Buchenwälder, vorbei an kleinen Fischerdörfern, wie Hornbæk mit seinen bunten Holzhäusern, aber immer auch im Wechsel mit edlen Sommervillen wohlsituierter Kopenhagener. Alles eingebettet in ein dänisches Postkartenidyll samt Dotterblumen, Dornenhecken und Buschwindröschen. Spätestens in Dronningmølle wird es Zeit, vom Rad abzusteigen.
Das Rudolph Tegner Museum begrüßt einen in Form eines rechteckigen Betonbunkers, 1938 vom Künstler selbst erbaut. Vor allem seine riesigen, gigantomanischen Gipsfiguren ziehen den Besucher in den Bann. Allein die Anzahl seiner Werke ist beeindruckend, die Tegner überwiegend in Frankreich geschaffen hat. Ob sie dann auch zu gefallen wissen, steht auf einem ganz anderen Blatt und muss jeder für sich selbst entscheiden. Ungewöhnlich dürfte auch der angeschlossene Skulpturenpark anmuten. Bei einem Rundgang kann man sich Tegners Werke in ganz offener Landschaft nach Herzenslust erwandern.
In Gilleleje lässt sich vorzüglich Smørrebrød verpeisen
Etwas zugänglicher ist da schon das »Munkeruphus«, ein altes Künstlerhaus im benachbarten Munkerup, das die umliegende Bürgerschaft vor dem Verfall gerettet hat. Zum Glück, denn das alte Herrschaftsgebäude ist allein wegen seiner wunderschönen skandinavischen Architektur in jedem Falle einen Besuch wert. Immer wieder finden hier regelmäßig wechselnde Ausstellungen lokaler Künstler statt. Den Vergleich mit dem Louisiana Museum of Modern Art in Humlebæk, keine zehn Kilometer südlich von Helsingør, braucht man gar nicht erst zu bemühen. Schließlich gehört das Louisiana zu den bedeutendsten zeitgenössischen Museen für moderne Kunst in ganz Dänemark. Aber die gezeigte Fotokunst kann sich sehen lassen und macht das »Munkeruphus« zu einer sehr angenehmen Adresse. Zu guter Letzt auch, weil man nach einem ausgedehnten Fahrradtag die wenigen Meter hinunter zum Meer sehr gerne noch für eine Abkühlung auf sich nimmt.
Das Örtchen Gilleleje ist jetzt nur noch einen Steinwurf entfernt. Dort angekommen, widmet man sich am goldgelben Sandstrand entweder direkt weiteren Badefreuden.
Oder man befriedigt zunächst ganz weltliche Bedürfnisse und füllt den Magen. Vortrefflich gelingt das etwa im »Gilleleje Havn«, einem kleinen Restaurant an der Hauptstraße mit Blick auf den überschaubaren Hafen, wo eine Handvoll Segelmasten vor sich hin schaukeln. Selbstverständlich gibt es Smørrebrød. Zwar stehen noch einige andere Gerichte auf der Karte, aber hier sollte man es in jedem Falle selbst probieren, schließlich erfährt man nur so, dass sich hinter dem dänischen Klassiker doch etwas mehr verbirgt als nur das viel zitierte »Butterbrot«. Virtuos wird zwischen zwei Scheiben Schwarzbrot geschichtet, was das Herz begehrt. Marinierter Hering mit Zwiebeln und Dill, wahlweise auch in Currysoße, Roastbeef mit Kräutern und Senf, Putenbrust oder Frikadelle auf Salat, Spargel mit Ei, Räucherlachs, Aal, Krabben, die Liste ist endlos und beliebig erweiterbar, kurzum:
»Alles, was die Küche hergibt, und alles, was der Bauch verträgt«
Und jetzt noch auf ein Bier
Dazu ein wenig »Øl«, also Bier vom Fass, und im Anschluss darf es auch einmal ein Schnaps sein, je nachdem, wie fetthaltig das Butterbrötchen gewesen ist. Doch auch Kaffee ist erlaubt. Man mag es kaum glauben, aber die Dänen belegen im Kaffeekonsum in Europa einen der Spitzenplätze. Vor Deutschland und weit vor Italien. Offenbar macht Kaffee das glücklichste Land Europas noch eine Spur glücklicher. In Verbindung mit der hauseigenen Riviera quasi eine unschlagbare Verbindung.
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