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Wiederholt wurde Västervik zur Nummer eins der Sommerurlaubsziele in Schweden gewählt. Kajak fahren, Bouldern, Schwimmen, Saunieren, Segeln, Wandern – die Gegend ist ein Paradies für Leute, die es gerne aktiv haben. Autor Andreas Dauerer hat sich in der Schultersaison für uns umgesehen – Eisbaden inklusive.

Langsam durchschneidet das gelbe Blatt die tiefblaue See. Wie ein Messer, das durch flüssige Butter gleitet. Erst links, dann rechts. Spiegelverkehrt und in rhythmischem Gleichmut. Mit jedem einzelnen Schnitt hüpft mein rotes Kajak einen kleinen Satz nach vorne. Beinahe lautlos. Sobald ich das Paddelblatt aus dem kalten Nass ziehe, hinterlasse ich für den Moment eine Spur kleiner Strudel, und das Meer gurgelt zufrieden.

Kanufahren in den Schären rund um Västervik-

Andreas Dauerer

Johannes ist schon ein bisschen vorausgefahren. Zwar blickt er sich immer wieder nach mir um, aber er weiß nur zu gut, dass, ähnlich wie beim Bergsteigen, auch beim Kajakfahren jeder sein eigenes Tempo paddelt. Johannes ist ein ganz interessanter Charakter. Einst war er bei der schwedischen Armee. Wenn, aus gegebenem Anlass, ein Kampfjet die südschwedische Stille durchschneidet, kann er nicht nur die Typenbezeichnung nennen, er weiß auch direkt, dass die jetzt gerade Übungsflüge machen.

Västervik: Die Sommerdestination im Herbst erleben!

Bei der Armee war er auch mit dem Kajak unterwegs, das sieht man jeder seiner Bewegungen auch heute noch an. Einstudiert, geschult, schnell und überhaupt, sieht alles an diesem Modellathleten so mühelos aus. Aber bei der Armee geht es im Zweifel auch ganz anders zu, also entschied er sich, wieder in sein Västervik zurückzukehren. Mehr Zeit mit der Familie, wichtige Dinge machen. Er half bei der Integration der Geflüchteten, die es hierher verschlagen hat. Und weil er die Natur und das Draußensein so liebt, lag es nur nahe, dass er ungelenke Touristen wie mich auf eine Kajaktour durch die Schären führt. Einen halben Tag, einen Tag, aber auch Touren mit mehreren Übernachtungen im Zelt sind möglich. Zu tun hat er im Sommer genug, schließlich ist Västervik innerhalb Schwedens gleich zwei Jahre in Folge als beste Sommerdestination gewählt worden. Es zieht Besucher aus der ganzen Welt an, auch wenn ich davon gerade relativ wenig sehe, bin ich doch außerhalb der Saison ins Sommerparadies gekommen.

am Ufer der Schären in Schweden im Herbst

Andreas Dauerer

Wohl deshalb sitze ich auch in einem Trockenanzug im Kajak und bei acht Grad Wassertemperatur mag ich mir gerade nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich genau jetzt reinfallen würde. Beinahe mühelos gleite ich hier von Marielundsviken, etwa zehn Autominuten von Västervik entfernt, mit meinem gelben Kajak durch die See. Vorbei an vielen Felsen, die vom Meer ganz weich poliert zu sein scheinen. Die Bäume strahlen in herbstlichen Farben in der Sonne und immer wieder blicke ich auf die Stugor, die Ferienhäuschen der Schweden, die so auch direkt in Pippi Langstrumpf hätten vorkommen können. Sogar im engeren Sinne, schließlich kommt Astrid Lindgren aus Vimmerb, das gerade einmal 50 Kilometer westlich von Västervik liegt und natürlich ein Pippi-Langstrumpf- Museum besitzt, versteht sich von selbst.

5.000 Inseln ganz für sich allein

Für mich zählen heute aber nur das Wasser und der Schärengarten. 5.000 Inseln gibt es hier, manche nicht mehr als ein Felsen, der aus der See heraussticht. Knapp 4.300 Küstenkilometer sollen es sein, die hier zusammenkommen. Wahrlich ein Paradies für Naturliebhaber, die angesichts des schwedischen Jedermannsrechts auch auf jeder Schäre ihr Zelt aufschlagen dürfen.

Picknick mit frischer Pizza bei der Kanutour

Andreas Dauerer

Johannes wartet vor einer kleinen Brückendurchfahrt auf mich. Hier ist das Wasser sehr seicht. Würde ich auf Grund laufen, würde er mich natürlich rausziehen, lacht er. Aber alles geht einen entspannten Gang. Nach insgesamt zwei Stunden machen wir Rast. Im Nu sind Decken ausgebreitet, der mobile Grill angeworfen und ein selbst erzeugter Apfelsaft eines Freundes von Johannes rinnt meine Kehle hinunter. Als dann auch noch Minipizzen auf dem Grill landen, muss ich schmunzeln. Schon erstaunlich, was alles in einem Kajak Platz hat, und wenn es dieses Mittel der Fortbewegung auf dem Wasser nicht schon gegeben hätte, dann würde ich fast vermuten, es wäre eigens für diese Schären hier erfunden worden. Zu gut passt das einfach alles zusammen.

Pizza vom Grill und frisch gemahlener Kaffee

Die Pizzen sind schneller gegessen, als sie über dem Grill gegart wurden und sie schmecken, wie sollte es nach der Paddelei auch sein, hervorragend. Vor dem abschließenden Kaffee komme ich noch ein bisschen ins Schwitzen, schließlich müssen die Bohnen in Handarbeit gemahlen werden. Beinahe erschrecke ich mich, wie laut das Mahlgeräusch durch den sonst so stillen Schärengarten hallt. Aber die Mühe lohnt sich. Keine fünf Minuten später kocht die Espressokanne auf dem Grill fast über und ich freue mich, noch eine wach machende Wärme im Magen zu haben.

Pizza auf einem Grill

Andreas Dauerer

Im Sommer dürfte es einen Tick mehr Menschen geben, die sich die Inseln erschließen. Oder wie hatte es gleich noch einmal Västerviks Boulder-Ikone Stefan Rasmussen mir am Vortag erzählt, als ich ihn nach einem normalen Sommertag gefragt habe?

»Wir fahren mit dem Rad zum Wasser, steigen ins Kajak und legen dann auf einem der unzähligen Boulderspots auf einer Insel eine Klettereinheit ein, ehe wir dann verschwitzt ins Wasser springen.«

Irgendwann packen wir unsere Sachen wieder ein. So lautlos, wie wir gekommen waren, gehts auch wieder zurück. Die roten Häuschen scheinen jetzt im tief stehenden Licht noch puppenhafter zu sein, das Meer noch blauer und die Seele hüpft mit den Gedanken im Gleichschritt. Beinahe bin ich traurig, als wir wieder anlegen. Aber ich habe noch eine besondere Verabredung.

Guide bei einer Kanutour in Schweden

Andreas Dauerer

Saunieren auf Schwedisch

»Ah, Deutschland. Na, immerhin haben Sie ja noch ihre Hose anbehalten.« Mein Blick muss wohl eine gewisse Irritation ausgedrückt haben, denn mit einem leichten Schulterzucken führt der junge Mann weiter aus: »Na, Sie glauben ja nicht, was wir hier alles zu sehen kriegen. Viele denken bei Sauna und Badehaus, dass sie hier völlig entblättert herumlaufen können.«

das Badehaus in Västervik in Schweden

Andreas Dauerer

Der Mann strahlt – und ich tue es ihm direkt gleich. Ich stehe nämlich gerade mitten im Warmbadhuset, wohlgekleidet im Bademantel nebst untergelagerter Badehose und warte auf Entspannung. Denn die wurde mir gewissermaßen versprochen, drüben, im Hotel Slottsholmen. Zugegeben, die Herrschaften dort dürften nicht ganz objektiv gewesen sein, schließlich handelt es sich bei beiden Häusern um die gleichen Eigentümer. Oder genauer: um eines der B von Abba. Und noch genauer: Björn Ulvaeus. Wer nach Västervik kommt, dürfte den Namen öfter zu hören bekommen. Schließlich ist er in der Nähe geboren, hat hier aber seine ersten musikalischen Gehversuche unternommen und schon mit 19 Jahren und seiner ersten Band an den hiesigen Sommerkonzerten teilgenommen.

Hotel in Västervik in Schweden von ABBA Legende Björn Ulvaeus

Andreas Dauerer

Zu Gast im Hotel von ABBA-Legende Björn Ulvaeus

2018 hat er hier ein Hotel eröffnet, das Slottsholmen, geführt von seiner Tochter Anna. Der Ansatz? Modern und nachhaltig und immer mit dieser Prise schwedischen Familiensinns. So sind die Dächer mit Solarpanelen ausgerüstet, deren erzeugter Strom für das Hotel und die privaten Apartments darüber mehr als ausreichend ist. Im Sommer versorgt die auch eine Entsalzungsanlage, sodass daraus Süßwasser für das Slottsholmen gewonnen werden kann. Man sei einfach offen für alles gewesen, erzählt Anna über die Mission ihres Vaters. Das zeigt sich auch bei den Mitarbeitern. 20 Nationen zählen die und anfangs sei es nicht leicht gewesen, alle von Västervik zu überzeugen. »Aber«, sagt Anna, »wem das nicht gefällt, der braucht auch nicht zu uns zu kommen.« Ganz einfach also.

Hotel von Björn von ABBA in Schweden

Andreas Dauerer

Das Hotel ist trotz Nebensaison mehr als ordentlich und das Restaurant so gut wie immer prall gefüllt. Mittags gibt es einen erschwinglichen Mittagstisch aus drei Gängen, wahlweise Fleisch oder Fisch und abends ein exquisites Dinner à la carte. Überhaupt kommt auch in der Küche eine weitere Besonderheit dazu. Denn: Wer nicht aufisst, sorgt automatisch dafür, dass die Portionen kleiner werden.

»Wir wiegen unsere Abfälle ab. Wenn wir merken, dass die Leute nicht aufessen, werden die Portionen einfach kleiner. Es gibt nichts Schlimmeres, als essen wegwerfen zu müssen.«

Eine ziemlich einfache und wirksame Methode, wie finde ich.

Essen auf einem Teller

Andreas Dauerer

Zu Besuch im historischen Badehaus

Aber zurück zu mir im Bademantel. Neben dem Slottsholmen hat Ulvaeus auch das alte Badehaus wieder auf Vordermann gebracht. Und zwar genauso prachtvoll, wie es einst 1910 mit all seinen Jugendstilanleihen schon einmal konzipiert worden ist, wobei ich hier nicht die Zwischennutzung als Bahnhof oder Bürogebäude meine. Ursprünglich war das Gebäude nämlich ein Badehaus für diejenigen, die zu Hause kein fließendes und schon gar kein warmes Wasser hatten. Herausgekommen ist ein wahres Kleinod der Entspannung. Das Herzstück ist der Pool, gut sieben Meter lang und vier Meter breit, in dem man ein bisschen schwimmen und sonst, nun ja, baden kann. Daneben gibt es noch Sauna, Dampfbad und Heißwasserbecken und im oberen Stockwerk einen Salzraum für die Lungenerholung sowie einen für Fußbäder.

Selbstverständlich stehen diverse Liegemöglichkeiten unten wie oben zur Verfügung, um die müden Glieder und den Geist wieder ein wenig auf Vordermann zu bringen. Vortrefflich, so viel darf ich verraten, funktioniert das von einer Liege aus direkt vor dem Schwimmbad. Dann guckt man nämlich durch die helle, leicht halbmondartig geschwungene Fensterfront hinaus auf das Wasser und weiter hinten auf das Ufer. Entspannung für die Augen. Vorne plätschert das Wasser an die türkisfarbenen Fliesen. Eine Entspannung für den Kopf. Wer da nicht schwere Augen bekommt, der ist womöglich nicht geschaffen für diese Art von Badekultur.

Pool im alten Badehaus in Västervik in Schweden

Andreas Dauerer

Eine Runde Eisbaden

Apropos Nichtgeschaffensein. Wer immer schon mal wissen wollte, wie es ist, den Körper länger als zwei Sekunden in eiskaltes Wasser zu tauchen, etwa eine Minute und mehr, der sollte sich mit Corinne Silfverlåås in Verbindung setzen. Die nämlich vollbringt Unmögliches – zumindest in meinem Fall. Die Anfang 20-Jährige hat eine Life-Coaching-Ausbildung, vor allem aber hat sie die nötige Ruhe, die mir hier im Spabereich auf Schloss Gränsö jegliche Angst nimmt. Einatmen, Ausatmen. Daran denken, dass das kalte Wasser einem nichts anhaben kann und man den ganzen Ablauf ja schon vor dem inneren Auge durcheerzieren kann.

Womöglich war der gesundheitsfördernde Aspekt aber der für mich ausschlaggebende. Fett würde schmelzen, die Immunabwehr gestärkt und so weiter. Nach zehn Minuten Entspannungsübungen und unzähligem Ein und Ausatmen muss ich hinein. Ein simuliertes Eisloch. Neben mir schwimmen ältere Damen und gucken belustigt. Ich soll ja im Tunnel sein und zwinge mich. Der erste Schritt auf der Leiter, die Fersen schreien mir entgegen, dass das Wasser keine fünf Grad hat. Eher minus zwölf. Aber es hilft nichts und ihr kennt das sicherlich auch. Blöde Blöße. Bis zum Oberschenkel geht es noch, dann kommt das Becken. Ich müsse die Alarmsignale wahrnehmen, sie aber mental wegschieben, sagt Corinne. Als dann nach einer halben Minute auch die Schultern bedeckt sind, muss ich doch ein bisschen japsen. Aber ich erinnere mich. Atmen. Ruhig werden. Auch wenn alles in mir schreit, ich möge doch jetzt umgehend dieses Eisloch verlassen, ich könnte doch erfrieren. Dann drückt Corinne auf ihre Stoppuhr. Ich reiße mich zusammen, sage meiner inneren Unruhe, sie möge doch mit jedem Atemzug einfach hinausmarschieren. Es scheint zu klappen, und überhaupt, es geht ja um meine Gesundheit.

Straße mit bunten Häusern in Västervik in Schweden

Andreas Dauerer

67 Sekunden – für die Gesundheit

Als ich wieder aus dem Loch klettere, stehen 67 Sekunden auf der Uhr. Ich weiß nicht, warum Menschen das machen müssen. Aber ich kann sagen, dass das Gefühl schon ein anderes ist, als wenn man sich in der heimischen Dusche kalt abbraust. Ich bin hellwach, ein bisschen fröstelnd vielleicht. Allerdings gibt es im Spa nicht nur die Eistonne, sondern auch einen Whirlpool. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass hier in Gränsö mal ausprobiert zu haben. Ach ja, der Blubber-Pool hat angenehme 45 Grad. Wenn das mal nicht eine schwedische Belohnung ist.

heißer Kaffe Outdoor

Andreas Dauerer

Mehr Infos zu Västervik

Anreise

Bahnbegeisterte nehmen den Nachtzug von Hamburg aus in Richtung Stockholm. Der Umstieg erfolgt dann in Linköping, mit der Regionalbahn geht es weiter nach Västervik. Mit dem Flugzeug wäre Kalmar der nächstgelegene Airport. Hier unterhält die Lufthansa direkte Verbindungen aus Frankfurt a. M. Alternativ fliegt die SAS via Stockholm dorthin.

Übernachtung

Im Slottsholmen schläft man quasi auf dem Wasser, direkt am Hafen von Västervik. Neben 33 Zimmern gibt es noch elf größere Suiten. Ab ca. € 190 inkl. Frühstück.

Auch das Stadthotel ist eine gute Möglichkeit, Stadt und Gegend zu erkunden und ist mit 101 Zimmern auch nicht zu groß. Ab ca. € 125 inkl. Frühstück im Doppelzimmer.

Slottsholmen Hotel in Västervik

Andreas Dauerer

Essen & Trinken

Die Restaurants der beiden erwähnten Hotels, Slottsholmen und Stadshotellet, bieten sowohl mittags als auch abends sehr gute regionale Küche an. Weitere gute Adressen sind das Pink Bistro, das Guldkant für den ausgiebigen Fleischgenuss und mittags sollte man unbedingt ins Kulbacken Café gehen.

Outdoor

Mit Johannes Löf von Outdoorpassion geht’s mit dem Kajak hinaus aufs Wasser. Bouldern kann man bei Stefan Rasmussen und bekommt von ihm alle Tipps.

Steak auf einem Teller im Restaurant in Västervik

Andreas Dauerer

Mehr Infos zu Schweden

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Wir mögen Göteborg ja sehr gerne. Diese nachhaltigen Unternehmungen warten dort.

Kanus in den Schären rund um Västervik-

Andreas Dauerer