Hätte ich doch die Törtchen und die Schritte gezählt. Ich wäre zwar auf mehr Schritte als Törtchen gekommen (zum Glück!), aber es hätte am Ende eine beeindruckende Summe Süßes ergeben. Dass Lissabon und sein Umland sowohl den Magen als auch die Ausdauer stärken, konnte ich in der Form nicht erahnen. Text: Ulrike Klaas

Es ist Liebe auf den ersten Biss – oder eher Liebe auf den ersten Riecher, als ich das Manteigaria betrete. Wie Motten ins Licht zieht es mich in das Lädchen am Praça Luís de Camões, einem zentralen Platz in der Innenstadt von Lissabon, zwischen den Vierteln Chiado und Bairro Alto. Es duftet nach warmer Butter und heißem Vanillepudding.

»3.000 Pastéis de Nata stellen wir am Tag her«,

sagt der Bäcker, der hinter einer Glasscheibe auf gerolltem Blätterteig Eiersahnecreme mit dem Spritzbeutel verteilt. Die kleinen Cremetörtchen schiebt er anschließend in den Ofen und holt die fertig gebackenen hinaus. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. »Nun noch etwas Puderzucker und Zimt darauf gepudert und genießen«, erklärt der Bäcker der Pasteleria augenzwinkernd. Der Duft hält, was er verspricht: Das portugiesische Nationalgebäck schmeckt so herrlich vanillig-cremig, dass ich gleich noch weitere ordere. Willkommen in Lissabon – im Törtchen-Schlaraffenland.

Im Schritt-Tempo Lissabon erkunden

Die portugiesische Metropole ist die Stadt der tausend Eindrücke. Vorausgesetzt, man erkundet sie zu Fuß und geht mit offenen Augen – und am besten leerem Magen – durch die Straßen. Die Häuser der rund 600.000 Einwohner der Stadt verteilen sich über sieben Hügel. Dazwischen schlängeln sich unzählige kleine Gassen mit hippen Boutiquen, szenigen Bars und Cafés sowie urigen Restaurants. So gilt das Motto: so weit die Füße tragen, denn auch die bekannten Sehenswürdigkeiten liegen größtenteils fußläufig auseinander. Der beeindruckende Triumphbogen Arco da Rua Augusta ist ein guter Ausgangspunkt, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Die Unterstadt liegt wie ein ausgeklügeltes geometrisches Muster unter mir. Die Menschen wirken wie zielstrebige, schattenwerfende Schachfiguren. Auf der anderen Seite werfen sich der Praça do Comércio und der Tejo in Pose.

Tejo in Lissabon

Ulrike Klaas

Oft tauchen wie ungestüme Riesen der Neuzeit hinter dem zentralen Platz die Kreuzfahrtkolosse auf. Mutig reitet König José I. ihnen entgegen – scheinbar im letzten Moment zur Staue versteinert angesichts ihres übermächtigen Auftretens.

Ein Drahtseilakt

Nichts geht mehr. Die Füße, der Kopf und der Magen brauchen eine Pause. Auch für müde Touristenfüße hat Lissabon eine Lösung parat: die historische gelbe Tram 28. Die Carreira 28 dos Électricos de Lisboa zählt zu den wohl bekanntesten Straßenbahnstrecken der Welt. Wie Spinnennetze weben sich die Drahtseile der Bahn über den Straßen der Stadt. Anfangs, das war Ende des 19. Jahrhunderts, bewegte sie sich dank Pferdestärken, seit dem 20. Jahrhundert mit Elektrizität.

»Auf 25 Kilometern verbindet die 28 die Viertel Alfama, Baixa, Lapa und Prazeres miteinander«,

erklärt Nuno Lima, der Tramfahrer. Und sie muss schnaufend eine Steigung von 13,5 Prozent überwinden. Nach und nach haben die Bewohner die Lichter angeknipst. Die alten Straßenlaternen tauchen die Gassen in schummriges, warmes Licht. Ein uriges Ambiente, als würden die Augen durch einen Vintage-Filter blicken. Die Beine entspannen, der Kopf zerstreut sich, das Leben zieht an der Fensterscheibe vorüber.

Tram in Lissabon

Ulrike Klaas

Sand auf die Schienen gegen das Abrutschen

Nachbarinnen, die gegenüber beim Wäscheaufhängen ein Schwätzchen halten. Eine Familie sitzt am Abendbrottisch, ein Paar setzt sich gestikulierend auseinander. Anbrüllen muss man sich allerdings auch bei einem Plausch mit dem Sitznachbarn, denn die Räder rattern höllisch laut über die Schienen. Tramfahrer Nuno Lima muss immer wieder abrupt bremsen, weil ihm ein Auto in den steil nach oben windenden Gassen entgegenkommt. Geht es zu steil bergab, steigt der 42-Jährige mit einem Eimerchen in der Hand aus und streut Sand auf die Schienen, damit die Tram nicht abrutscht. Dann setzt sie sich mit einem Ruck wieder in Bewegung.

 

Kachelfassade in Lissabon

Ulrike Klaas

Keine Frage: Es gibt bequemere Arten, Lissabon zu erkunden, denn auch die Sitze sind historisch zu nennen. Aber keine andere Art ist so schön nostalgisch und authentisch wie diese. Mittlerweile tragen die Häuser Kacheln. Azulejos werden sie genannt. Sie verleihen Vierteln wie Alfama einen außergewöhnlichen Glanz. Hier rankt ein Blütenmuster die Häuserfront empor, dort sind es Bordüren und Rauten, die die Häuserwände zieren.

Einzigartiger Weltschmerz

Hier ist es Zeit, auszusteigen und Herzhaftes zu mir zu nehmen. Sprichwörtlich, denn das Restaurant »Travessa do Fado« tischt für Herz und Hunger auf. In den kleinen verwinkelten Gässchen von Alfama finden sich viele Lokale, wo portugiesische Küche von den Auftritten der besten Fado-Sängern der Stadt begleitet werden.

»Wenn die Traurigkeit mich ergreift, wenn alle Hoffnung verloren ist, dann kann mich nur noch eines trösten: den Fado zu singen«,

klagt der Sänger, schließt schmerzerfüllt die Augen und ballt die Hand vor seinem Herz. Zunächst erscheint diese Inbrunst, sich im Leid zu suhlen, etwas fremdartig. Doch irgendwann ergreift es einen: dieses Gefühl aus Sehnsucht, Melancholie und Weltschmerz, das den Fado so einzigartig macht. Die Portugiesen haben sogar ein eigenes Wort dafür: Saudade. In den Refrain »Canto o fado« fallen nun immer mehr Zuhörer ein und wiegen sich dabei zum Takt und vergessen völlig den gedünsteten und ausgebackenen Stockfisch, die Ziegenkoteletts und die Brotsuppe mit Meeresfrüchten, die einen himmlischen Duft verströmen.

Mutige Winzer

Genussvoll und mit viel Lebensfreude geht es auch im Umland von Lissabon zu, das ich am nächsten Tag erkunde. In kaum einer anderen Metropole lassen sich Stadt mit Strand sowie Land und Kultur so einfach kombinieren. Lissabon und sein Umland sind Sonnenkinder. Selbst im Winter zeigt das Thermometer frühlingshafte Temperaturen an. Der Surfer- und Bade-Hotspot Cascais liegt nur rund 35 Kilometer entfernt. Ein Mietauto ist nicht vonnöten, bequem geht es mit der Küstenbahn an den Strand. Neben noblen Badeorten hat das nicht ganz so bekannte Umland von Lissabon eine der ältesten Weinregionen zu bieten – und eine interessante, noch wenig bekannte Weinroute namens »Rota de Vinhos Península de Setúbal«. 21 etablierte wie junge Winzer gehören dazu. Zunächst besuche ich den alten Hasen im Weintourismus: das Traditionshaus José Maria da Fonseca, das zu einem der größten Portugals zählt.

Weinregion Lissabon

Ulrike Klaas

Rund sieben Millionen Liter Wein produziert das Familienunternehmen pro Jahr. Die siebte Generation kümmert sich nun schon um die Periquita-Weine, für die das Weingut vor allem bekannt ist. Und inszeniert gekonnt die täglichen Führungen.

Zu Besuch in der Winzerei von Lício Cardoso

Gregorianische Gesänge, mit Spinnweben überzogene alte Fässer und schummriges Flackerlicht erwarten mich in den Weinkellern. Bei den da Fonsecas weiß man, wie man die edlen Tropfen den Besuchern schmackhaft macht. Nicht weniger sympathisch, aber noch in den Kinderschuhen steckt die Winzerei von Lício Cardoso. Vor vier Jahren hat der junge Weinbauer auf der Halbinsel Setúbal, nur wenige Minuten von Lissabon entfernt, das alte Weingut gekauft und baut nun die für Portugal so typische Muskatellertraube an.

Wein in Lissabon

Ulrike Klaas

 

Milde, frische und sehr leichte Weine bietet er in seinem sehr modernen Gut an. Und setzt auch auf Erlebnistourismus: Wer mag, bucht eines der Gästezimmer seiner Quinta de Serralheira und hilft bei der Weinlese inklusive Traubenstampfen.

Luftschlösser rund um Lissabon

Zu viel Wein gekostet? Wie Luftschlösser tauchen sie zwischen den Baumwipfeln in der buckligen Landschaft auf. Fast unwirklich, als habe sich die Wahrnehmung einen Scherz erlaubt. Aber das Schloss mit der rot-gelben Fassade steht auch nach diversem Blinzeln unerschütterlich vor mir. Sintra bietet so viele Schlösser wie Lissabon Miradouros. Ebenso wie die Aussichtspunkte ist eines schöner als das andere. Die portugiesischen Könige bauten hier einst ihre Paläste, um in den heißen Monaten der Stadt zu entkommen. Sehr sehenswert ist der oft als Neuschwanstein Portugals bezeichnete Palacio da Pena. Das Schloss mit ebenjener rot-gelben Fassade wirkt ebenso verwunschen und nicht von dieser Welt wie das deutsche Märchenschloss. Portugiesische und maurische Bauelemente mischen sich mit dem Stil aus der neugotischen Zeit und der Neorenaissance. Nicht weniger architektonisch spektakulär ist das etwas abseits liegende Schloss Quinta da Regaleira.

Schlösser rund um Lissabon

Ulrike Klaas

Dracula hätte sich hier pudelwohl gefühlt. Zinnen, Türme, verschnörkelte Balkone und eine düstere Fassade formen den geheimnisumrankten neomanuelinischen Bau aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts und den weitläufigen, verwunschenen Park. Gebaut hat ihn kein König, sondern der exzentrische Multimillionär und Brasilianer António Augusto Carvalho Monteiro (1848–1920), der sich viel mit Esoterik, Mythologie und Philosophie auseinandergesetzt haben soll. In Anbetracht des Fantasiebaus glaube ich dies sofort. Den ständigen Impuls unterdrückend, mich nach verdächtigen Schatten umzudrehen, erkunde ich das Terrain. Irgendwann machen sich wieder die Füße bemerkbar. Zeit für eine Pause inklusive Zuckerschock.

Gebäck in Lissabon

Ulrike Klaas

Leckere Travesseiros und Queijadas

Ich habe Glück: Vor der beliebten Pastelaria Piriquita im beschaulichen Stadtkern von Sintra stehen nur drei Mann Schlange. Hier gibt es die besten Travesseiros und Queijadas, ein mit Eigelb, Zucker und Frischkäse gefülltes Törtchen.

»Lissabon ist die Stadt der Süßigkeiten. Genauso wie Paris die Stadt der Intellektuellen ist. Paris fabriziert Ideen, Lissabon Törtchen«,

sagte schon der portugiesische Schriftseller Eça de Queiroz (1845–1900). Ein Hochgenuss der Sinne! Ebenso wie ein Aufenthalt in Lissabon.

Anreise. Mit TAP Portugal von Frankfurt, a. M., München, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Berlin nach Lissabon.

Infos. Zum Fremdenverkehrsamt Lissabon geht es hier entlang.

Sie möchten genauere Infos und mehr Tipps, was Urlauber in Lissabon und Umland erleben könne? Den reisen Exclusiv-Guide finden sie hier.