Paradies. Ein Postkartenparadies – und noch so viel mehr: Die karibische Paradies Insel Martinique verzaubert mit Traumstränden unter Palmen, aber auch mit einer spannenden Geschichte, besonderen Menschen und Orten, die für immer in Erinnerung bleiben. Text: Jessica Kohlmeier
Am Horizont versinkt langsam die karibische Sonne, im letzten Licht des Tages zieht ein Fischer seine Netze in ein altes Holzboot. Ich stehe auf der Veranda des Bakoua-Hotels auf Martinique, dessen Zimmer sich entlang einer hölzernen Veranda direkt an den Strand schmiegen. Und während eine zarte Abendbrise durch die Palmenblätter hoch über mir weht, staune ich, wie schnell sich das Gefühl einstellt, mittendrin zu sein – im Paradies. Sonne, Strand und Meer: So habe ich mir die Insel Martinique vorgestellt.
Und nicht erwartet, dass das »Juwel der Karibik« noch so viel mehr sein könnte: ein Ort voller Mythen und Legenden – und Menschen, die so unterschiedlich aussehen, wie ihre Heimat abwechslungsreich ist. Es heißt zum Beispiel, auf Martinique würden die schönsten Frauen der Welt leben. Und tatsächlich bewundere ich schon am ersten Morgen ein Grüppchen lässiger junger Frauen vor meinem Hotel – in schwarzen Röhrenjeans mit dunkler Rastamähne und wasserblauen Augen, bei denen jeder einzelne Schritt einer Verführung gleicht. Mein Hotel liegt in Trois Îlets, und die berühmte Bucht Pointe du Bout ist nur wenige Schritte entfernt. Unter der strahlenden Sonne spaziere ich an lokalen Boutiquen, Souvenirläden und Cafés vorbei durch das kleine Dorf mit den für die Insel typischen pastellfarbenen Holzhäuschen.
Ja, Ferienfeeling kommt auf. Ganz schnell.
Es sieht hier so anders aus, so fröhlich und bunt, dass meine trübe Heimat Hamburg plötzlich Lichtjahre entfernt erscheint. Es ist voll an diesem Tag, Sonnenanbeter drängen sich auf den bereitgestellten Liegen und in den seichten Wellen. Zeit für Abwechslung: Mit Guide Laurent Brival fahre ich auf die Halbinsel Presq‘ ́île de la Caravelle. Am Ende einer holprigen Straße erstrecken sich auf einem steilen Felsen die Ruinen des Château Dubuc, einer ehemalige Zuckerrohrplantage aus dem 18. Jahrhundert. Endlos schweift der Blick von hier auf Bananenplantagen und Zuckerrohrfelder. Ranger in Uniform strahlen mich an, als ich sie mit »Bonjour, ça va bien?« begrüße. Mein Französisch hat seit der Schulzeit gelitten, aber wie überall auf Martinique schätzen es die Einwohner, wenn man wenigstens kurz versucht, in der Landessprache zu plaudern. Sie sind stolz auf ihre Herkunft, sie lieben ihre Insel. Wer direkt mit Englisch oder Deutsch losprescht, erntet mitunter Stirnrunzeln.
In Wanderschuhen und, ganz wichtig, mit bedecktem Kopf marschieren wir durch das Naturschutzgebiet Réserve Naturelle de la Caravelle.
»Nachhaltiger Tourismus und ein ökologisches Bewusstsein sind ganz neue Themen und haben sich auf der Insel zu einer regelrechten Bewegung entwickelt«, sagt Laurent stolz.
Auf den tief gelegenen Trockensavannen brennt die Mittagshitze, ich erreiche meine sportliche Leistungsgrenze. Doch die Mühe ist den Anblick wert: Zwischen rauen Felsen und sperrigen Mangroven, gigantischen roten Gummibäumen und Trockenwäldern geht es über Holzstege durch karge Salzseen. Eine unwirtliche Landschaft mit einem ganz eigenen Zauber: Unter den Planken des Holzstegs flitzen die kleinsten Krebse umher, die ich in meinem Leben je gesehen habe. Ich muss mich hinhocken, um die fingernagelgroßen Winzlinge mit ihren millimeterkleinen Scheren beobachten zu können.
Die Schätze sollen immer noch auf dem Grund liegen
Sie begleiten uns auf dem Weg zum Ziel der Wanderung: die Baie du Trésor, eine spektakulär schöne Lagune, in der sich schwarzer und weißer Sand mischen – das gibt es nur hier. Und eine passende Geschichte natürlich auch: Der Legende nach haben böse Männer einst Feuer am Strand entzündet, um Schiffe anzulocken, die dann auf die versteckten Korallenriffs aufgelaufen und gekentert sind. Die Schätze aus diesen Wracks sollen noch immer auf dem Grund der Bucht liegen. Ob die zwei Männer danach suchen, die in diesem Moment ihre dicken Bäuche mit dem Schlamm einreiben, den sie aus dem flachen Wasser graben?
Unser Ranger kräuselt die Stirn: Der Schlamm ist bekannt dafür, die Haut besser zu regenerieren als jede Kosmetik – aber es ist verboten, sich die Beauty-Behandlung in dieser Bucht zu gönnen, das sensible Ökosystem soll nicht leiden. Nachhaltigkeit hatten auch die Gründer von Fleur d’O im Sinn, als sie ihr Unternehmen starteten. Über den wohl holprigsten Schotterweg der Welt brauchen wir eine halbe Stunde für wenige Hundert Meter zur La Baie des Mulets. Weil die Bucht so schwer zu erreichen ist, finden Kunden den Weg – aber nur wenige Touristen. Unberührt erstrecken sich Strand und türkisblaues Meer vor uns, so weit wir gucken können. Und: Wir werden noch mehr sehen!
Schweinebucht? Ein seltsamer Name für einen paradiesischen Ort
Fleur d’O bietet Touren im transparenten Kajak an, von dem aus die atemberaubende Unterwasserwelt plötzlich in greifbare Nähe rückt. Wir paddeln bis zu einer einsamen Bucht nahe Trou Cochon. Schweinebucht? Ein seltsamer Name für ein so schillerndes Paradies. Bei frittiertem Hühnchen, Meeresfrüchten und Aloe-Vera-Saft – gezuckert, wie so ziemlich jedes Lebensmittel auf Martinique – erzählt Tourguide Gérald uns im Schatten der Mangroven alles über die Unterwasserwelt, gefährdete Arten und Maßnahmen zur Erhaltung des natürlichen Gleichgewichts in der malerischen Bucht. Man möchte dem kleinen Start-up alles Gute wünschen, das seine einzigartigen Touren jetzt noch von seinem mobilen Büro im Geländewagen am Strand aus organisiert.
Am nächsten Tag warten noch mehr Überraschungen: Fort-de-France, Mittelpunkt der karibischen Insel – 100.000 von insgesamt 400.000 Einwohnern leben in der Hauptstadt, sie ist eine der größten der Kleinen Antillen. Auf dem überdachten Markt im Zentrum tauschen einheimische Frauen den neuesten Klatsch aus, es wird laut geredet und viel gelacht. Ich schlendere an exotischen Gewürzen, Schals in schillernden Farben und Silberschmuck vorbei. Die kleinen Straßen rund um den Markt säumen alte Trucks mit vollen Ladeflächen, die kunstvoll verzierten Holzhäuser erinnern an New Orleans. Leichter Nieselregen setzt ein, der auf Martinique aber nie lange anhält.
Über die unrühmlichen Kapitel der Vergangenheit wird nur selten geredet
Eine betagte Lady in korallenfarbenem Cocktailkleid spannt mit einer einzigen fließenden Bewegung ihren Regenschirm auf und stolziert im dichten Verkehr über die Straße – ein Bild, das ich noch lange mit Martinique verbinden werde. Hinter hohen Zäunen und in weitläufigen Parkanlagen verstecken sich historische Gebäude. Rathaus und St.-Louis-Kathedrale erinnern an die Kolonialzeit: Dass einst Sklaven nach Martinique verschleppt wurden, darüber wird hier nur selten geredet. Darum rührt mich das Mémorial Cap in Anse Caffard später an diesem Tag umso mehr: Steinerne Figuren erinnern an die Opfer des letzten Sklavenschiffs. Als es kenterte, ertranken die angeketteten Sklaven. Jeder Einwohner kann die Geschichte auswendig erzählen. Darüber muss ich noch eine Weile nachdenken, als uns eine »Navette«, ein typisches Shuttle-Schiff, vom völlig neu gestalteten und modernen Hafen aus über die Bucht schaukelt.
Zeit für Laurent, mir eine weitere Geschichte zu erzählen: Am 8. Mai 1902 erschütterte der verheerendste Vulkanausbruch des 20. Jahrhunderts St. Pierre im Westen der Insel. Es hatte Hinweise gegeben, doch die wurden wegen des laufendes Wahlkampfes ignoriert. 30.000 Menschen starben am Fuße des Mont Pelée in der glühenden Aschewolke – nur wenige überlebte die Katastrophe. Der bekannteste Überlebende hatte im steinernen Kerker gesessen, Helfer aus der Umgebung fanden ihn in seinem Verließ. Auch die Destillerie Depaz, eine der schönsten der Insel, ist untrennbar mit dieser Geschichte verbunden: Victor Depaz, der Sohn des damaligen Besitzers, war zum Studieren in Bordeaux, als der Mont Pelée sein großes Feuer spuckte. Er kam zurück und war einer der Ersten, die St. Pierre wieder aufbauten.
In der Destillerie Depaz trinkt man Rum. Pur.
Wer vom Park hinter dem zugehörigen Schloss aus in den Horizont blickt, sieht die Silhouette des Mont Pelées hoch über St. Pierre aufragen. Mit uralten Dampfmaschinen wird in der Destillerie Depaz der legendäre Rhum Agricole erzeugt, der sich durch eine kleine, aber feine Besonderheit auszeichnet: Der Rum wird direkt aus dem frischen Saft des Zuckerrohrs gemacht, nicht aus der Melasse.
»Rum aus anderen Teilen der Welt ist zum Mischen«, kokettiert ein Angestellter, der uns herumführt. »Nur unseren Rum trinkt man pur.«
Es heißt, man rieche und schmecke das Zuckerrohr beim Genuss von Rhum Agricole. Ob das so ist, kann mein Laiengaumen nicht wirklich beurteilen. Beim Rum-Tasting im Le Petibonum lerne ich später am Abend auf jeden Fall erst mal in der Theorie, was es über den Rum zu wissen gibt. Guy Ferdinand führt durch die Probe, er ist Chefkoch in diesem lässigen Hotel mit Bar und Restaurant direkt am Strand von Le Carbet. Und zieht mit gelben Socken, blondierten Locken und erstaunlich kurzen Shorts sofort alle Aufmerksamkeit auf sich. Aber nur kurz, denn im Le Petibonum gibt es noch so viel mehr zu entdecken: die Stille, die Schönheit der Landschaft – und das Gefühl, an einem perfekten Ort zur Ruhe zu kommen. Wir relaxen auf breiten Daybeds am Strand, springen kurz in die Fluten und versinken in Tagträumen, während das Palmendach über uns im Abendwind schaukelt.
Der sanfte Ozean
Guy ruft mich zu seiner offenen Küche und steht mit zusammengezogenen Augenbrauen vor mir: Er hat gehört, dass ich keinen Fisch esse, weil ich ihn leider einfach nicht mag. Vor meinen Augen zaubert er ein Thunfisch-Tatar mit frischer Limette, ein appetitlicher Anblick. Er plaudert, wirbelt und tänzelt hinter seiner hölzernen Theke umher. Er will unbedingt, dass ich probiere – doch ich kneife. Und als er uns zum Tisch ruft, bin ich mit meiner Entenbrust an Süßkartoffeln mehr als zufrieden. Bei einem letzten Glas Rum stehen wir am Strand, gebannt von der untergehenden Sonne, die ein faszinierendes Aquarell aus erleuchtetem Babyblau und Zartrosa an den Horizont malt, während darunter der Ozean sanft plätschert, als würde auch er sich mit der Sonne schlafen legen. Ich werde ein wenig wehmütig, weil es schon vorbei ist – und so schön war. Aber dafür gibt es gar keinen Grund, denn ich weiß ja jetzt schon: Ich komme wieder nach Martinique.
Anreise. Kein lästiger Flughafenwechsel mehr in Paris: Condor fliegt ab sofort jeden Sonntag nonstop von Frankfurt nach Fort-de-France auf Martinique, Oneway ab € 299.
Unterkunft. Hotel Bakoua. Schon beim Begrüßungsdrink kommt gute Laune auf: Von der Terrasse des 4-Sterne-Hotels aus fällt der Blick über den Strand und das karibische Meer. Stufen führen hinunter zum Strand, an dem in Holzhäuschen die schönsten Zimmer untergebracht sind. Tipp: Das Frühstücksbuffet ist üppig, es gibt extra zubereitete Pfannkuchen und frisches Obst.
Tagestrip. Presqu’íle de la Caravelle: Das Naturschutzgebiet auf Martinique lockt mit spannenden Aktivitäten: Wanderung durch die Mangroven, Besichtigung der Ruinen des Château Dubuc, Entspannen an der Baie du Trésor. www.reserves-naturelles.org/presqu-ile-de-la-caravelle.
Den reisen-EXCLUSIV-Guide finden Sie hier.