Fiktive und wahre Begebenheiten. Geschichten von unsäglichem Leid. Von Mord und Totschlag. Auch Happy Ends und die alle Grenzen überwindende Liebe. North Carolina schreibt Geschichten – vor allem Erfolgsgeschichten. Redakteurin Ulrike Klaas berichtet von ihrer Rundreise durch North Carolina. 

Eine eigenartige Stille umgibt uns. Jene Art von Stille, die einem lauernd im Nacken sitzt. Und einen antreibt, schneller zu gehen. Aber nicht, ohne hin und wieder einen Blick über die Schulter zu riskieren. Bäume und Grabsteine formen verzerrte Fratzen. Mannshohe Schattenfiguren geistern umher. Das Messingtor, das die Toten abschirmt, knarrt und ächzt wie in jedem guten Thriller. Ich bleibe mit dem Fuß hängen und stolpere. Vor einem Grab, das über und über mit Püppchen, bunten Ketten und Armbändern bedeckt ist, komme ich zum Stehen.

Die Erde wölbt sich nach oben, so als drücke eine unsichtbare Kraft tatsächlich ein Fass aus dem Boden. »Ein Mädchen im Fass, eine tragische Geschichte «, erläutert Josh, der die kleine Truppe auf dem Friedhof in Beaufort herumführt. Das Mädchen starb in einem fremden Land, aber den Eltern war es so wichtig, ihr Kind in der Heimat zu beerdigen, dass sie es in einem Fass mit auf ein Schiff nahmen und es hier zur letzten Ruhe betteten. Ein paar Meter weiter salutiert ein Offizier, eingemauert bis in alle Ewigkeit – verdammt zur Strafe über den Tod hinaus aus Ungehorsam. Zum Glück erkenne ich im tanzenden Licht der Taschenlampe nur Bruchstücke des Grabes. Kaum haben wir das knarzende Messingtor hinter uns zugezogen, kommt uns eine andere Gruppe entgegen, angeführt von einer Hexe. »Geistertouren sind in Beaufort sehr beliebt«, erläutert Josh.

Friedhof in Beaufort, North Carolina

David Louis Econopouly/Shutterstock.com

In Beaufort gehört Spuk zum Alltag

Auch wenn der Name des Städtchens, hier in North Carolina, nur Schönes vermuten lässt, in Beaufort gehört Spuk zur Tagesordnung – jedenfalls in den Erzählungen der Einheimischen. Die Geister, die man rief? Ja, die lauern auch rund um das Hammock House, früheres Hauptquartier des wohl bekanntesten und begnadetsten Bösewichts Beauforts, der es zu einigem Weltruhm gebracht hat: Pirat Blackbeard. Im ältesten Haus der Stadt sollen die Opfer von Blackbeard umhergeistern.

Der gebürtige Engländer Edward Teach alias Blackbeard trieb im 18. Jahrhundert sein Unwesen vor der Küste in North Carolina und versetzte die Kapitäne der Handelsschiffe in Angst und Schrecken. Sein Spitzname Blackbeard rührte nicht von ungefähr: Sein pechschwarzer ausufernder Bart bedeckte Gesicht und Brust. Bevor er in die Schlacht zog, um ein Schiff zu kentern, steckte er sich brennende Lunten in den Bart. 1718 versank er samt seinem Schiff, Queen Anne’s Revenge, in der Bucht von Ocracoke vor North Carolina. Das Wrack können Taucher heute erkunden.

Leuchtturm an Küste in North Carolina

Catherine B Johnson/Shutterstock.com

Tagsüber wirkt Blackbeard ziemlich gediegen

Wem das zu schaurig ist: Zahlreiche Verfilmungen und Romane widmen sich Blackbeard, der in Filmen wie der vierten Fortsetzung von »Fluch der Karibik« als Bösewicht auftritt. Oder man geht in das maritime Museum in Beaufort, das viel über Leben und Wirken des Piraten vermittelt. Am Tag macht das kleine Küstenörtchen und eine der ältesten Städte von Amerika allerdings den Eindruck, als könne es kein Wässerchen trüben. Die Segelschiffe, die auf halbem Weg zwischen Miami und New York Rast machen, schaukeln ebenso träge im Wasser wie ihre Besitzer in den Schaukelstühlen, die auf der hübschen Promenade bereitstehen. Gediegene Kolonialgebäude prägen das Stadtbild, auf deren Veranden die Einwohner abends hocken und Shrimps pulen. Bei Sonnenuntergang verwandelt sich das Städtchen in ein kitschiges Filmset, wenn Livemusik aus und vor den Bars schallt und die Promenade in ein Open-Air-Konzert verwandelt. Dann macht Beaufort seinem Namen wirklich alle Ehre!

Schiffe in Beaufort, USA

Dawn Damico/Shutterstock.com

Schmerzhaft kitschig

Drei Kormorane begleiten uns, wie Bodyguards schirmen sie uns vom Ufer ab. Das Meer glitzert in der Sonne, und am Ufer ziehen hübsche Kolonialgebäude und die so typischen amerikanischen Wassertürme vorüber. »Oh look«, ruft Martin, der das Motorboot steuert, plötzlich aus und zeigt auf die Wasseroberfläche, wo zwei graue Flossen hervorlugen, bevor sie wieder abtauchen. Plötzlich erscheinen gleich sechs Delfine an der Wasseroberfläche. Doch es wäre nicht North Carolina, wenn sich das Perfekte nicht noch ein klein wenig schöner präsentieren würde.

Neben einer der sechs Flossen taucht eine winzig kleine auf, und wenige Sekunden später tauchen Baby und Mutter auf. Dies ist North Carolinas liebreizende Seite, denn neben schaurigen Piratengeschichten schreibt der Bundesstaat vor allem Liebesgeschichten. Geschichten von bedingungsloser Liebe und endlosem Leid. Schließlich ist dies das Terrain von dem Bestsellerautor und Romantiker schlechthin: Nicholas Sparks. Keine Frage: Liebe und Idylle passen viel besser zu der äußeren Erscheinung des Landes, so harmonisch, wie sich die Landschaft präsentiert. Sie scheint als Filmset geboren.

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Von Beaufort nach Hakers Island

Das Boot nimmt Kurs auf Cape Lookout, den südlichsten Punkt der Outer Banks, eine vorgelagerte Inselkette, die sich 280 Kilometer entlang der Küste in North Carolina zieht. Von Beaufort aus waren wir eine Dreiviertelstunde mit dem Auto nach Hakers Island gefahren, um dort ins Boot zu steigen. Cape Lookout befindet sich im Cape Lookout National Seashore, einem Nationalpark mit 90 Kilometer langem Küstenabschnitt, dem drei Inseln vorgelagert sind. Grün bewachsene Dünen, die sich malerisch hinter dem Strand erheben. Davor ein ellenlanger Sandstrand, der förmlich nach ausgedehnten Strandspaziergängen schreit, auf denen der Wind alle negativen Gedanken und Sorgen wegpustet und eine wohltuende Leere hinterlässt.

Cape Lookout - North Carolina

Ulrike Klaas

Ein hübsches Häuschen lugt zwischen den Dünen hervor. Selbst die Wolken scheinen sich der Idylle anpassen zu wollen: Hier und da ein Wattebausch, ansonsten strahlt das Himmelblau mit dem Meer um die Wette. Doch das Tüpfelchen auf dem I der idyllischen Kulisse hier in North Carolina ist der Leuchtturm, der so weit in den Himmel reicht, dass man den Kopf in den Nacken legen muss, um die Spitze ins Blickfeld zu rücken. Er ist der einzige Leuchtturm der Küste, der auch tagsüber betrieben wird. Schwarz-weiße Rauten bedecken den rund 46 Meter hohen Turm, und Schwindelfreie sollte in jedem Fall die 207 Stufen erklimmen. Zwar benimmt sich der Wind auf der Spitze des Leuchtturms ziemlich aufbrausend, aber der Anblick des Nationalparks mit seinen kleinen Inselchen ist jede Mühe wert.

Wo kommen die denn her? Schwarze Pferde auf der Insel!

Wir steigen wieder in das Boot und tuckern langsam an der kleinen Insel Shackleford Banks vorbei. Plötzlich entdecke ich kleine schwarze Punkte am Strand, die sich beim Heranfahren als Pferde entpuppen. Pferde, auf diesem kleinen menschenleeren Inselchen der Outer Banks?

»220 Banker Ponys leben auf Shackleford Banks«, erklärt Martin.

Die Banker-Ponys sind die Nachfahren der Mustangs, die vor fast 500 Jahren spanische Siedler an die Küste brachten. Kam nicht eine Herde Mustangs, die einen fast identisch ausschauenden Strand entlanggaloppieren, in einem Nicholas-Sparks-Film vor? »Das Lächeln der Sterne« mit Richard Gere, dessen Angebetete (Diane Lane) in einem Strandhaus in den Outer Banks Zuflucht sucht. »Spielt das hier, Martin?«, frage ich unseren Bootsmann. Er muss mich enttäuschen. Zwar würden Sparks Romane in der Region spielen, aber gedreht worden seien sie deswegen noch lange nicht hier. Die Filmwelt, eine einzige Illusion?

Ponys in North Carolina, USA

Cassia Rivera Photography/Shutterstock.com

Prickelnde Süße

Keine Fata Morgana ist Nicholas Sparks, der die Middle Street in New Bern entlangschlendert. Der Autor lebt mit seiner Frau und den fünf Kindern in dem beschaulichen Städtchen an der Küste. Zwar wurde auch sein vorletzter Kinofilm »The lucky one« nicht hier gedreht, aber immerhin im Civic Theater der Stadt uraufgeführt. Dagegen bekommen Sparks-Zuschauer in anderen Romanverfilmungen Szenen aus New Bern zu sehen, wie z. B. in »Wie ein einziger Tag«.

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Am Morgen erhebt sich das Küstenörtchen nur träge wie ein Kind, das nicht aufwachen möchte. Die Straßen sind wie leergefegt, ab und an fährt ein Auto vorüber. In der Ruhe scheint die Kraft zu liegen, denn das 30.000-Einwohner-Städchen hat nicht nur den größten Romantiker der Welt hervorgebracht, sondern einen zweiten Exportschlager, der ebenso zuckersüß ist wie die Liebesgeschichten von Nicholas Sparks und zudem bei dem ein oder anderen ein aufgekratztes Gefühl hinterlässt: Pepsi-Cola, die von der Provinz die ganze Welt eroberte. Den historischen Pepsi-Laden finden Besucher noch heute auf der Kreuzung von Middle Street und Pollock Street.

Willmington, die unbekannte Filmhochburg der USA

Ursprünglich war der Laden eine Apotheke, die »Bradham’s Pharmacy«, wo der junge Caleb Bradham einen prickelnd-süßen Drink erfand und ihn zunächst »Brad’s Drink« nannte. Die Erfolgsgeschichte der Pepsi-Cola war geboren. New Bern hüllt sich ansonsten in genügsames Schweigen. Kein Hinweis darauf, dass das Küstenstädtchen, oder eher zwei seiner Einwohner, es zu Weltruhm gebracht haben. Es ist bodenständig geblieben und hat sich eine heile Welt bewahrt. Doch wer viel erleben möchte, den treibt es weiter … nach Wilmywood.

Bunte Häuserfassaden in New Bern

Grzegorz Czapski/Shutterstock.com

Amerika wäre nicht Amerika, wenn sich nicht jeder ein klein wenig als Schauspieler fühlen würde. So wie Spiel Stevenberg, der durch »Amerikas größtes lebendes Filmset « führt, wie er zu Beginn des »Hollywood Location Walks« klarstellt. Aber nicht nur das:

»Wilmington ist nach Hollywood und New York die drittgrößte Filmhochburg der USA«, erklärt Spiel Stevenberg weiter, der mit seinem Outfit eine Mischung aus Paradiesvogel und verrückter Professor darstellt.

Aktenordner unterm Arm, die Flanellhose in die Socken gesteckt, damit die braunen Schnurschuhe zur Geltung kommen. Im starken Kontrast dazu stehen das rote Hawaiihemd, die protzigen Ketten mit Dollar- und Peace-Zeichen, das funkelnde Megaphone über und über mit bunten Sternen beklebt und die Hosenträger mit Ansteckern, auf denen Elvis oder David Bowie spazieren getragen werden.

Seinen bürgerlichen Namen? Den möchte Spiel Stevenberg nicht verraten. Wie es dazu kam, dass ein Städtchen wie Wilmington solch eine Bedeutung für die Filmindustrie bekam? »Wir spulen zurück in die 80er-Jahre, als ein gewisser Dino de Laurentiis nach Wilmington kam«, erzählt Spiel Stevenberg. Er habe gleich gesehen, dass Wilmington so wandelbar sei wie ein gutes Model mit seinen verschiedenen Facetten und dabei immer gute Laune habe.

Die Stadt Wilmonton gab 800 Spielfilmen und Serien ihr Gesicht

Die Sonne scheine meistens, und warm sei es zudem. Dino de Laurentii drehte Stephen Kings »Firestarter« hier in Wilmington und legte den Grundstein für den Erfolg des Städtchens. »Das ist unser Venedig.« Spiel zeigt auf ein Restaurant, dessen Fassade gespickt ist mit kleinen Balkonen, auf denen Paare sich Pizza und Pasta schmecken lassen.

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Ein paar Meter weiter bleiben wir wieder vor einem Restaurant stehen. »Na, erkennt ihr es wieder?« Spiel schaut erwartungsfroh in ratlose Gesichter. »Das Restaurant von Dawsons Vater.« Aha, wiedererkannt hätte ich es nicht. So pilgern wir durch die 100.000-Einwohner-Stadt.

Spiel Stevenberg jongliert mit Serien, Namen und Filmen: Teenie-Erfolgsserien wie »Dawsons Creek« oder »One Tree Hill« spielen hier, die von großen Gefühlen über Verrat und Lug und Trug alles bieten, was die Liebe hergibt. Es gibt kaum einen Platz in der Stadt, zu dem Spiel Stevenberg keine Filmanekdote zu erzählen weiß. Aber auch actiongeladene Blockbuster wie der dritte Teil von »Iron Man« mit Robert Downey Jr. wurden im letzten Jahr hier gedreht. »Blue Velvet« von David Lynch, »Der Feind in meinem Bett« mit Julia Roberts, oder die »Die göttlichen Geheimnisse der Ya-Ya-Schwestern« mit Sandra Bullock spielen hier.

Wilmywood - One Tree Hill

Ulrike Klaas

Fast erscheint es einfacher, die Hollywoodgrößen aufzuzählen, die noch nicht in der Stadt gedreht haben. Für über 800 Kinofilme, TV-Filme und Serien hat Wilmington sein Gesicht hergegeben. Doch auch, wenn Glanz und Gloria nicht in der Stadt weilen, ist das Städtchen einen Besuch wert. Es ist die Art von Küstenstadt, in der man gerne die Sonntage verbringt – mit entschleunigtem Stadtbummeln, entspanntem Kaffeetrinken und bei Sonnenuntergang am Ufer ein köstliches Abendessen genießend. Denn die schönsten Geschichten schreibt doch immer noch das wahre Leben!

Infos: Anreise, Sehenswürdigkeiten, Broschüren für eine Rundreise durch North Carolina

Anreise. Mit American Airlines von Frankfurt a. M. nonstop nach Charlotte in North Carolina in etwas weniger als zehn Stunden. Von dort aus weiter nach New Bern.

Sehenswürdigkeiten. Schifffahrtsmuseum in Beaufort mit viel Wissenswertem rund um Pirat Blackbeard. Ein Tauchgang zu Blackbeards Wrack kann über Queen Anne-’s Revenge Project angefragt werden.

Von Hakers Island aus mit Island Express Ferry Service zum Kap. Die Fahrt mit der Fähre kostet 24 US-Dollar für Erwachsene. Weitere Infos über die Shackleford-Pferde gibt es hier.

Wer in New Bern weilt, sollte unbedingt auch Tyron Palace besuchen. Dazu gehört das North Carolina History Museum, das mit vielen interaktiven Extras – vor allem für Kinder – anschaulich die Geschichte des Bundesstaates zeigt. Hinweis: Das Museum wird derzeit renoviert und wird vermutlich erst 2026 oder 2027 wiedereröffnen.

Küste in North Carolina

Gary C. Tognoni/ Shutterstock.com

Die Teilnahme am »Hollywood Location Walk« mit Spiel Stevenberg kostet 13 US-Dollar.

Weitere Informationen gibt es auf der Webseite von Visit North Carolina.