In den Rocky Mountains in Colorado genießen die Besucher Natur pur. Wem das Fliegenfischen in murmelnden Flüssen nicht ausreicht, der kann sich jederzeit auf die Spur des Goldrausches begeben oder zum Gipfelstürmer werden. Text: Markus Grenz
Breckenridge in den Rocky Mountains in Colorado hat sich herausgeputzt. Die Straßen sind sauber, die Häuser adrett, die Busse fahren für die Passagiere kostenlos, und von sozialen Brennpunkten haben die Bewohner höchstens im TV gehört oder im Internet gelesen. »Wir versuchen, die sensible Balance von Natur und Freiflächen auf der einen Seite und dem örtlichen Wachstum auf der anderen zu erhalten«, spielt Erin Gigliello auf die behördlichen Reglementierungen an, die ausufernden Tourismus und Bau-Booms in Grenzen halten sollen.
Da fällt mein Blick auf mein Frühstück: Nacho-Chips und Käse, das ich seit gut einer halben Stunde unberührt vor mir steht. Bevor unsere Führung durch den Ort und die »Goldsuche« beginnen können, lasse ich das Ensemble in die Küche zurückgehen. Dafür muss man nun wirklich in Amerika geboren worden sein. So wie unsere Fremdenführerin Phyl Rubinstein, die uns knapp zehn Minuten später am Welcome Center willkommen heißt. Wie eine Erscheinung aus einer anderen Zeit begrüßt uns die Dame inmitten der leger gekleideten Passanten im weiten schwarzen Rock, an dessen Saum der Unterrock hervorlugt.
Viele Hobby-Historiker, die Stadtführungen anbieten
Mit ihrer altmodischen Bluse und dem gehäkelten beigen Schultertuch mit langen Borten sieht sie schon ziemlich historisch aus. Wie in vielen gut situierten Orten mit einer Akademikerschicht hat sich eine große Szene lokaler Hobby-Historiker entwickelt, die zusammen mit dem Stadtmarketing Führungen in die Geschichte anbietet.
»1820 kamen die ersten Weißen mit Trappern her, die ersten Siedlungen entstanden 1859«, erinnert Phyl an die Zeit des großen Colorado-Goldrausches.
Die malerischen viktorianischen Häuserfassaden aus Holz oder Stein versetzen den Besucher tatsächlich ins Szenario eines Wildwest-Städtchens.
»Wir haben hier den größten historischen Distrikt in ganz Colorado«, erklärt Phyl und bleibt vor einem der ältesten Gebäude im Ort stehen, dem »Gold Pan Saloon« aus dem Jahr 1861. Mit seiner hölzernen Front, der Schwingtür am Eingang und dem auf Stelzen ruhendem Vordach sieht der »Goldsieb-Saloon« aus wie die Kulisse eines Hollywood-Westerns. Zwei Jahre nach dem Beginn des Gold-Booms wurde hier das erste Mal Hochprozentiges ausgeschenkt, das macht den holzgetäfelten Pub zum ältesten durchgängig geöffneten westlich des Mississippis.
Grob geschätzt macht dies rund zwei Drittel des Territoriums der USA aus. Hier haben sich durstige Goldschürfer die Kehlen befeuchtet, obskure Glücksritter Schießereien geliefert und während der Prohibition in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren die harten Burschen im Hinterzimmer, dem »Speakeasy« (Flüsterkneipe), den schwarzgebrannten Schnaps die Kehle heruntergekippt.
Heute flimmert Football auf großformatigen Bildschirmen, und auf der historischen Theke leuchten Bierreklamen. Urlauber lassen sich den »Gold Pan Burger« mit Blue Cheese oder ein Light-Bier schmecken. Die Sportsbar mit historischem Einschlag und abendlicher Live-Musik spiegelt mit ihren vielen Erinnerungsstücken und ihrer Geschichte die Entwicklung dieses ehemaligen Vorpostens inmitten der Wildnis wider – von dem ersten Goldrausch bis hin zum Skisport-Boom ab den frühen 1960er-Jahren.
Jetzt wird geangelt!
Diese Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart, uramerikanischer Wildwest-Atmosphäre und modernem Skigebiet finden wir bei unserem weiteren Spaziergang an jeder Ecke. Alte Ladenlokale, in denen hinter den Schaufenstern moderne Wintersportkleidung oder teures Outdoor-Equipment ausliegen, prägen das Straßenbild. Wir bleiben stehen vor einem großflächigen Angler-Shop. Hierhin soll uns unser Weg am nächsten Morgen führen.
»Na ja, der frühe Angler fängt halt den Fisch«, sage ich mir, während ich noch ziemlich verschlafen am ersten Kaffee des Morgens nippe und meinen Mitreisenden dabei zusehe, wie sie ihre wasserdichten Latzhosen und die klobigen Stiefel im Shop anprobieren. Der Laden ist vollgestopft mit Angel-, Outdoor- und Army-Equipment, aus dem Radio dudelt Country-Musik, und hinter der Theke beobachtet uns ein vierschrötiger Kerl im Tarnanzug.
Das Szenario wirkt wie ein Film aus meiner Kindheit, in dem eine Horde amerikanischer Hinterwäldler zur Jagd aufbricht und eine Menge Unfug anstellt. Doch davor muss ich mich nicht fürchten. Viele Ausrüster bieten zusätzlich Einsteigerkurse für Angler an, und die Lehrer sind eher Naturburschen als Waffen-Freaks. Zumindest unserer für den Vormittag. Der beißt gerade neben mir in sein Frühstück, einen dicken Schokoriegel. Mit seinem rötlichen Vollbart, der breiten Statur und seiner Multifunktionsweste mit unzähligen Taschen sieht Eric Zamudio, kurz »EZ« genannt, aus, als sei er in der Wildnis auf die Welt gekommen.
Kurze Übung im Trockenen, dann geht es ab ins Wasser
Dabei stammt er aus Kalifornien und ist in einer Großstadt aufgewachsen. »Ich liebe es aber, hinaus in die Natur zu gehen. Für mich ist das Fliegenfischen die perfekte Gelegenheit dafür. Und außerdem: Forellen leben nicht an schlechten Orten«, erzählt der 29-Jährige. Nachdem uns »EZ« auf einem Sportplatz mit Trockenübungen die wesentlichen Handgriffe gezeigt hat, geht es auch schon ins Wasser. Der Blue River, er fließt direkt durch Breckenridge, macht an diesem wolkenverhangenen Morgen seinem Namen keine Ehre. Ich steige langsam ins eiskalte Wasser, während »EZ« den Köder an der fast neun Fuß langen Rute, das sind satte 2,70 Meter, befestigt.
Der »Streamer«, hat dem Sport seinen Namen gegeben und ist ein faseriges Plastikteil, optisch an eine Fliege angelehnt. Er ist zu leicht zum Werfen deshalb dient beim Flugangeln die Schnur als Gewicht. Das setzt eine gekonnte Wurftechnik voraus, in der die Rute bis zu einem gewissen Winkel über die Schulter geführt wird, um dann mit einem Knick des Handgelenks nach vorne geschleudert zu werden. Im wahrsten Sinne des Wortes habe ich schnell den Bogen raus, wate langsam den Fluss hinauf und halte Ausschau nach Luftbläschen unter der Wasseroberfläche.
Mache ich welche aus, muss ich schnell sein, den Köder an dieser Stelle zu platzieren, schließlich kommt uns unsere »Beute« entgegengeschwommen. Es dauert nicht lange, und der Köder verschwindet unter der Wasseroberfläche. »Langsam die Leine einholen, dann wieder etwas nachgeben, dann weiter einholen«, erinnert mich Eric an die Lektion auf dem Sportplatz. Nicht lange dauert es, und er schwingt seinen Kescher und hält ein nahezu winziges Fischlein in der Hand.
»Nicht schlecht für den Anfang«, sagt er und schenkt der Baby-Forelle ihre Freiheit wieder. Davon wird nicht einmal eine Katze satt.
Laufen, schauen, werfen
Die folgenden Stunden werden für mich zu den angenehmsten dieser Reise gehören. War das Angeln früher für mich so ziemlich die langweiligste Nebenbeschäftigung der Welt, erfahre ich nun am eigenen Leib den Reiz des Fliegenfischens. Das ständige Ausschreiten und Aufpassen beschäftigt, aber nicht zu viel. Das Wasser gurgelt, man spürt die Natur und handelt in kontemplativen Einheiten. Laufen, schauen, werfen, wieder schauen, und alles beginnt von vorn. Ich vergesse die Welt »da draußen«, bin nur noch im Hier und Jetzt, entwickle eine wohltuende innere Ruhe.
»Fliegenfischen ist auch bei vielen Menschen beliebt, die ihre Alltagsprobleme vergessen wollen«, kommen mir Erics Worte auf dem Sportplatz in den Sinn.
Meine Gedanken fließen langsam und stetig dahin wie der Blue River. »Am Ende fließen alle Dinge ineinander, und aus der Mitte entspringt ein Fluss«, heißt es am Ende von Norman Macleans Roman »Aus der Mitte entspringt ein Fluss«, der über den Umweg der Robert-Redford-Verfilmung das Fliegenfischen weltberühmt gemacht hat. Ein Stückchen davon habe ich begriffen. Während ich mich aus meiner Ausrüstung schäle und mich wundere, dass trotz des stundenlangen Watens im Wasser meine Füße nicht nass geworden sind, lasse ich meinen Blick über die sanft gerundeten und zum Teil bewaldeten Berge schweifen, die Breckenridge umgeben.
Auf zum rund 4.000 Meter hohen Crystal Peak
Hinter ihnen, im Dunst, sind schwach die alpinen und bis über 4.000 Meter aufragenden Gipfel des Gebirgszugs zu erkennen. Dahin soll uns unser Ausflug am kommenden Tag führen. Der Crystal Peak gehört zwar nicht zur elitären Gruppe der 14er der Rocky Mountains, aber als 13er – gemeint ist die Höhe von 13.000 Fuß, also knapp 4.000 Metern – ist er Teil einer durchaus illustren Gemeinschaft und immerhin die Nummer 82 der höchsten Berge in ganz Colorado. Nicht umsonst steht er im Summit County, was so viel wie Gipfel-Bezirk bedeutet. Bevor wir uns aber zum Gipfelsturm rüsten, müssen wir Geduld haben. Mit dem Geländewagen fahren wir zu einem rund zehn Kilometer außerhalb liegenden Parkplatz. »Nun geht’s zu Fuß weiter«, stellt unser Guide Paul Schmidt fest, während wir uns die großen Rucksäcke auf die Rücken schnallen.
Der 41-jährige Nachfahre deutscher Einwanderer spricht fließend unsere Sprache und sieht mit seinem Karo-Hemd genauso aus, wie man sich einen Naturburschen in den Rocky Mountains vorstellt. Nach knapp 45 Minuten sanftem Anstieg, immer entlang schlanker Kiefern und Tannen, haben wir unser Etappenziel erreicht. Passt Paul schon in mein Klischee vom Mann in den Bergen, so steuern wir nun dessen perfekte Unterkunft an.
Francie‘s Cabin wird zwar unter der Kategorie Drei-Sterne-Hotel geführt, ist aber ein Selbstversorgerhaus, wie es sich der Bergwanderer wünscht.
Sauber und gepflegt, mit geräumigem Erdgeschoss mit Holzofen und angrenzender Kochstelle, ist es der perfekte Ort, um anzukommen. Ein ganzes Netz von Berghütten in Colorado gehört zum sogenannten »Tenth Mountain Division«-Hüttensystem, das auf Soldaten zurückgeht, die sich in den Rocky Mountains auf ihre Einsätze in den Alpen im Zweiten Weltkrieg vorbereitet hatten. Unsere Hütte wurde erst 1992 erbaut und soll eine der beliebtesten in ganz Colorado sein. Das kann ich gut verstehen.
Hügel, die wie Mondgestein aussehen
Umrahmt von hochgewachsenen Bäumen und mit den Bergen im Hintergrund, genießen wir auf der Veranda des geräumigen Blockhauses in der wärmenden Mittagssonne unseren Lunch. Hin und wieder trippelt eines der unzähligen Eichhörnchen über das Geländer unserer Veranda und stößt seine seltsam quietschenden Laute aus. Lange sollte die Ruhe nicht währen. Nachdem wir das Wasser des nahen Baches gefiltert und unsere Vorräte so aufgefüllt haben, geht es los. Immer entlang dieser Mischung aus Hügeln, die wie Mondgestein aussehen, tiefgrünen flachen Büschen und widerstandsfähigem gelblichen Rasen marschieren wir aufwärts.
Ich lasse mich ans Ende der Gruppe zurückfallen und habe Zeit, die scheinbar grenzenlose Natur zu genießen. Zum ersten Mal habe ich ein richtiges »Rocky-Mountains-Gefühl«, spüre dazu einen ähnlichen Effekt wie im Blue River einen Tag zuvor. Inmitten dieser unwirklichen Landschaft glitzert uns ein See entgegen, der seinem Namen alle Ehre macht: der untere Crystal Lake. Geschmiegt an den Fuß eines Berges, entschädigt dieses Kleinod der Natur für die Mühen des Anstiegs. Zwar ist der Crystal Lake Trail in der Kategorie 2 gelistet, also auch für ungeübte Bergwanderer zu bewältigen, doch so langsam macht sich die dünne Höhenluft bemerkbar.
Schritt für Schritt geht es bergauf
Es strömt einfach spürbar weniger Sauerstoff bei jedem Atemzug in die Lungen. Doch Paul ist unerbittlich. Schritt für Schritt steigen wir immer höher. Meine Gedanken sind nun nicht mehr in die Weite gerichtet, mein Blick liegt auf dem steinigen Pfad vor meinen Füßen, meine Konzentration gilt meiner körperlichen Verfassung. Ich merke, dass ich mich ohne körperliche Vorbereitung meinen Grenzen nähere. Immer wieder bleibe ich stehen, schöpfe Atem, habe selbst für den zweiten See, den wir passieren, den nicht ganz so malerischen, aber immer noch beeindruckenden oberen Crystal Lake, nicht mehr das Auge.
Da legt Paul die Hand auf meine Schulter und fragt mich, ob alles bei mir okay sei. Ich marschiere los. Und spüre, wie die Aussicht auf das Ziel noch Kräfte in mir freisetzt.
Nein, an diesem Trail, der von zahlreichen Breckenridge-Besuchern gemeistert wird, im Winter sogar auf Langlauf-Skiern, will ich nicht scheitern. Crystal Peak ist ein Viertausender für Anfänger. Ich habe das Gefühl, ich bewege mich noch langsamer als die strahlend weißen Wolken, die wie in Zeitlupe über uns hinwegziehen. Noch ein Stückchen entlang eines Bergsattels, dann sind wir da, und ich habe meinen ersten Viertausender seit rund zehn Jahren bezwungen. Vergessen ist alle Anstrengung. Der Wind fährt mir durch die Haare und trocknet die verschwitzte Kopfhaut. Mein Blick geht in die Ferne, weiter und immer weiter. Das Herz öffnet sich, und ich spüre es, das einmalige Gefühl nach dem Gipfelsturm inmitten dieses beeindruckenden Panoramas. Und dann weiß ich: Ich komme wieder.
Tipps für eine Reise in die Rocky Mountains in Colorado
Informationen zum Reisen im Bundesstaat Colorado findet man online auf der deutschsprachigen Seite. Das zuständige Fremdenverkehrsbüro sitzt in Denver, 1625 Broadway, Suite 2700, Denver, CO 80202, USA, Tel. 0800 2 65 67 23. Das Welcome Center Breckenridge bietet Informationen auf der Homepage.
Anreise. Von den Flughäfen Düsseldorf, München und Frankfurt starten zahlreiche Airlines täglich Direktflüge nach Denver. Von Denver nach Breckenridge sind es rund 160 Kilometer. Den reisen-EXCLUSIV-Guide findet ihr hier.