Frittenbuden, Schlägereien und wüstes Gepöbel: Der Berliner Alexanderplatz ist in den vergangenen Jahren in Verruf geraten. Erst sorgten die schäbigen Holzbuden bei Berlinern und Touristen für Unmut, in denen in Winterzeit Ramsch verkauft und reichlich Glühwein ausgeschenkt wird. Dann nahm die Gewalt rund um den berühmten Fernsehturm zu, die Polizei erklärte den Platz zum Gefahrengebiet. Der »Alex«, ein Sorgenkind. Kann die Weltzeituhr es richten? Text: Philipp Eins
Weniger Budenzauber, dafür mehr Kultur – so stellen sich Lokalpolitiker die Entwicklung des touristischen Hotspots vor. Ideen gibt es viele. Konzerte zum Beispiel, auch Freiluftausstellungen zur ost-westdeutschen Geschichte. Ein Monument auf dem Alexanderplatz soll dafür aufgewertet werden: die Weltzeituhr. Sie feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag.
Mut zur Freiheit, Grenzen überwinden – diese Botschaft soll sie in Zukunft noch stärker in die Welt tragen. Und erstmals als Schlüsselanhänger, T-Shirt und Andenken in die Souvenirläden kommen.
Beliebter Treffpunkt fürs erste Date
Den Berlinern war die zehn Meter hohe und 16 Tonnen schwere Standuhr schon immer so vertraut wie das Brandenburger Tor. 147 Städtenamen sind auf der stählernen Rotunde eingraviert, dazu Regionen aller Kontinente. Über der Uhr drehen sich acht Stahlkugeln, unser Planetensystem. Die Weltzeituhr war zu DDR-Zeiten der Treffpunkt am Alex, und sie ist es noch heute. Besonders beliebt ist sie fürs erste Date, um von hier aus über den nahegelegenen Gendarmenmarkt zu schlendern. Nur auf die Schnelle die Zeit abzulesen, das ist vielen zu kompliziert.
Entworfen hat die Weltzeituhr der Ost-Berliner Designer Erich John. Es ist ein grauer Novembertag, an dem ich ihn im Park Inn treffe, dem Hoteltower direkt neben dem Fernsehturm. Der 86-Jährige trägt einen weißen Bart, seine Stimme ist heiser geworden. Wie die Geschichte um die Weltzeituhr begann, weiß er aber noch ganz genau.
Im Treppenhaus der Kunsthochschule Weißensee, wo er als Dozent für Formgestaltung unterrichtete, lief ihm 1968 ganz zufällig ein Kollege über den Weg, der Maler Walter Womacka.
»Er erzählte mir, dass es einen Wettbewerb zur Neugestaltung des Alexanderplatzes gebe«, sagt John. Ob er teilnehmen wolle? Klar. John war dabei.
Dass die Jury sich tatsächlich für seinen Entwurf entscheiden könnte, hat er gar nicht für möglich gehalten. Eine Provokation sei das Konzept gewesen, meint John. »Ein Gegenkonzept zum Mauerbau und ein Plädoyer für Weltoffenheit.« Dennoch bekam er von der kommunistischen Staatsführung den Zuschlag von 3000 DDR-Mark. Einzige Bedingung: John sollte die Uhr innerhalb von nur neun Monaten bauen. Zur Eröffnung des neu gestalteten Alexanderplatz und des Fernsehturms im Herbst 1969 sollte alles stehen.
480.000 Mark – die Kosten explodierten
»Das war kaum zu schaffen«, erinnert sich John. Beim Zentralkomitee, dem obersten Entscheidungsgremium der kommunistischen Partei, stellte er klare Forderungen. Er wollte freie Hand über den Materialeinkauf, außerdem 120 Facharbeiter. Die DDR-Staatsführung ließ ihn gewähren. Sogar im verfeindeten Westdeutschland ging er auf Einkaufstour, bestellte Kugellager aus einem Werk in Dortmund. Am Ende hat er die Uhr pünktlich gebaut – für einen stolzen Preis von 480.000 Mark.
Doch nicht jeder war begeistert von seinem Entwurf. »Es gab auch viele Vorwürfe«, erinnert sich John.
Die Mauer wurde gebaut, eine Stadt geteilt – was sollte da eine Weltzeituhr? «Dabei wollte ich zeigen: Berlin soll weltoffen sein«, sagt John.
Am 50. Jahrestag der Weltzeituhr ist das kein Thema mehr. Berlin ist 30 Jahre nach dem Mauerfall zur Weltmetropole geworden, rund 13 Millionen Touristen pro Jahr kommen zu Besuch. Da passt es gut, dass die Weltzeituhr in Zukunft stärker vermarktet werden soll.
Ramsch-Souvenirs soll es nicht geben
Erich John hat die Rechte einem Berliner Start-up übertragen. Darüber hochwertige Sammlerstücke und Kunstobjekte von jungen Designern vertrieben. »Wir werden dafür Sorge tragen, dass diese legendäre Design-Ikone vor jeglichem Missbrauch geschützt wird«, sagt Geschäftsführer Carsten Kollmeier. »Billig-Souvenirs wird es mit uns nicht geben.« Zehn Prozent der Erlöse sollen in den Erhalt des Denkmals fließen.
Bleibt nur die Frage: Wie liest man von der Weltzeituhr denn nun die Zeit ab? Erich John lacht. Ganz einfach. Die 24 Aluminiumplatten auf dem Zylinder, auf denen die Weltkarte eingraviert ist, stehen für die Zeitzonen der Erde. Eingefasst in den Zylinder rotiert ein mit goldfarbenen Zahlen versehenen Stundenring. So werden Berlin, New York, Moskau, Pjöngjang und anderen Städte der Welt immer der jeweils gültigen Zeitzone zugeordnet.
Wer die Zeit auf die Sekunde genau wissen will, guckt wohl besser auf seine Armbanduhr. Ein Hingucker ist die Weltzeituhr aber allemal. Wer zum ersten Mal davor steht, wird erstaunt um sie herumlaufen, immer wieder, bis er alles gesehen hat. Ein Monument, das sogar die Zeit der Berliner Teilung überdauert hat – nichts könnte wohl besser für diese Stadt stehen.
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