Eine Geschichte von einem Donnerwetter in der ältesten und trockensten Wüste der Erde, Apfelkuchenbäckern am Wegesrand, Momenten ungeahnter Schönheit, gähnend leeren Steppen und einem Land, das nichts für Sissis ist … Text: Ulrike Klaas

Ein Donnerwetter in der Wüste.

Land unter in der ältesten Wüste der Erde. Tiefdunkle Wolken hängen über den karminroten Dünen von Sossusvlei, als wollten sie diese niederdrücken. Die Regentropfen prasseln laut und nachdrücklich auf das Autodach. Blitze durchziehen die Wolken in der Ferne. »Das müsst ihr für mich fotografieren. Das ist etwas ganz Besonderes. Auf so ein Bild wartet man normalerweise ewig«, sagt Guide Hanneliese und ist ganz aus dem Häuschen, »wenn ich das meinem Mann erzähle. Ein Unwetter in der Namibia!« Die Wüste im Westen Namibias zählt zu den trockensten Wüsten der Welt.

Normalerweise. Namib bedeutet so viel wie »Leerer Platz« oder »Ort, wo nichts ist«. Aber nichts kann auch sehr viel sein. Die Sicht wird besser, der Scheibenwischer muss kaum noch Arbeit verrichten, und zur rechten und linken Seite flankieren Dünen in den verschiedensten Formationen und Brauntönen die geteerte Straße. An Stellen, wo Sonnenstrahlen ein Loch in der Wolkendecke erhaschen, leuchtet ein Rostrot von unglaublicher Intensität. Woanders funkelt die Oberfläche wie Tausende Kristalle.

Ulrike Klaas

Dort, wo die Wolken den Himmel verdunkeln, wirken die Dünen fast schwarz – unheimlich und mystisch. Ein ausgeklügeltes Lichtkonzept der Natur. Zur Rechten sprintet ein Strauß mit wehendem Gefieder hinter zwei tollenden Löffelhunden her. Wie ein kleines Geschwisterchen, das die Großen mit Nichtachtung strafen. Zur Linken zieht eine Herden Springböcke vorüber, einträchtig grasend. »Da vorne ist die Düne 45.« Hanneliese zeigt in der Ferne auf eine der höchsten Erhebungen, vor der drei parkende Busse darauf warten, die in Ameisenmanier hinaufwandernde Menschenansammlung wie der einzuladen.

Die örtliche Badeanstalt füllt sich nur alle paar Jahre mit Wasser

Unser Ziel: die ortsansässige Badeanstalt. Ein seltenes Vergnügen, denn sie füllt sich nur alle Jubeljahre mit Wasser. »Nehmt genug Wasser mit und vor allem Sonnencreme«, weist sie uns an. Nach einem kurzen Marsch stehen wir oberhalb des Dead Vleis, der toten Mulde. Und plötzlich ist es da, das Afrika-Wüsten-Gefühl: Die Sonne knallt auf das Haupt, und das Bad fällt ins nicht vorhandene Wasser. Nur die ein oder andere Pfütze zeugt noch von dem außergewöhnlichen Badevergnügen. Trotz des neuen Regens hat das Wasser sich in Luft aufgelöst. Dennoch ist das Vlei beeindruckend: Abgestorbene Kameldornbäume, nur noch ein Schatten ihrer selbst, werfen diesen bedrohlich auf den noch nassen ockerfarbenen Sand. Hohe Dünen umgrenzen das Vlei. Jede einzelne von ihnen leuchtet so facettenreich wie ein intensiver Sonnenuntergang. Wie kann etwas gleichzeitig so karg und doch so atemberaubend schön wirken?

»Namibia ist eben kein Land für Sissis «, ist Hannelieses Antwort auf monströse Heuschrecken, die den Weg pflastern und sich sogar gegenseitig aufessen.

Oder Dornen, die Autoreifen plattmachen. Elefanten essen Weißdorn und scheiden die Dornen unverdaut wieder aus. »Fährt man dann über den Kot, war es das mit dem Reifen.« Die liebenswürdige 62-Jährige ist in dieser rauen Landschaft groß geworden. Zu jeder Pflanze und zu jedem Tier weiß sie Wissenswertes zu berichten. Dass die Schoten des Kameldornbaums den Kreislauf stabilisieren, oder dass die Rinder die Rinde des Wurmrindenbaums gegen Würmer verspeisen. Die lebensfeindliche Natur spornt Mensch, Tier und Pflanzen zu Höchstleistungen und Erfindungsreichtum an. Wie die Pflanzenart Welwitschie, die sich eher durch Können als durch Schönheit auszeichnet. Sie ist quasi ein lebendes Fossil, denn sie kann bis zu 2.000 Jahre in der Wüste überleben. Vermutlich genügt der anspruchslosen Pflanze mit dem rübenförmigen Stamm der Tau am Morgen und am Abend. Was sie macht, macht sie richtig, so produziert sie während ihres langen Lebens zwar nur zwei lederartige Blätter, die allerdings bis zu acht Meter lang werden und ununterbrochen wachsen.

Der Spießbock ist nicht umsonst das Wappentier des Landes

Auch nachdem Oryx-Antilopen, Zebras und Nashörner sich diese haben schmecken lassen, denn ganz nebenbei ist sie auch noch Futterpflanze. Auf Afrikaans heißt sie »tweeblaarkanniedood«, was etwa »Zwei-Blatt-kann-nicht-sterben« bedeutet. Ebenfalls ein Musterbeispiel an Anpassungsfähigkeit ist der Gämsbock, der bei einer Körpertemperatur von rund 40 Grad auf Betriebstemperatur läuft und seinen Flüssigkeitsbedarf allein aus der Nahrung zieht. Nicht umsonst ist der Spießbock, wie er auch genannt wird, das Wappentier des Landes. Wiederum ein Vorbild für ökonomisches Bauen sind die Siedelweber.

Ulrike Klaas

Die kleinen Vögelchen mit dem pastellblauen Schnabel teilen sich ihr Nest, das wie ein großer unordentlicher Heuballen meistens in den gewaltigen Ana-Bäumen hängt, mit 200 bis 400 anderen Artgenossen. Quasi ein Mehrgenerationenhaus. Backe, backe, Kuchen …

Fotogener Schrott an der Tankstelle Solitaire

Ulrike Klaas

Am nächsten Morgen müssen wir auftanken. Allein auf weiter Flur ist die Tankstelle in Solitaire. Das nächste Benzin bekommt man erst in 350 Kilometern. Den Eingang flankieren alte verrostete Käfer und Pick-ups zwischen Kakteen,und auch in der Tankstelle scheint die Zeit eingerostet zu sein: Eine abgenutzte ausgeblichene Schreibmaschine steht auf alten Postfächern. Der Duft von Frischgebackenem zieht die Kundschaft unweigerlich nach nebenan. Dort backen Moose McGregor aus Sambia und sein Freund Titus aus Angola seit 20 Jahren Brot. »We are brothers, but we have another father and another mother«, erzählt der weiße bärtige Moose und lacht dröhnend – ein Mann wie ein Bär. Sein Kumpan Titus dagegen – klein, zierlich, dunkelhäutig mit runder Nickelbrille – winkt schüchtern aus der Backstube. Die Spezialität des ungleichen Gespanns: wohl schmeckender Apfelkuchen. Als 1992 der erste über den Tresen ging, waren die Bäcker ein absoluter Geheimtipp. Mittlerweile haben sie Kultstatus erlangt. Und die Kamelreitfarm nebenan versucht, auch ein paar Touristen abzugreifen.

»Wie kommt man darauf, mitten im Nichts eine Bäckerei aufzumachen?« »Why not«, gefolgt von einem dröhnende Lachen ist die Antwort. Stimmt eigentlich, warum auch nicht.

Klick-Klack – Ein Ding der Unmöglichkeit

Es hat Klick gemacht. In Twyfelfontein macht es dann Klick – zwar nicht bei mir, aber bei Belinda, die uns das Weltkulturerbe zeigt. Während ihres Vortrages auf Afrikaans klickt, schnalzt und schmatzt sie, dass es eine Wonne ist. Scheinbar mühelos verbindet sie die Klicklaute mit Konsonanten und Vokalen. Belinda ist eine Damara, ein Volk, das wohl zu den ältesten Einwohnern Namibias zählt und das einen Dialekt spricht, der sich Khoisan nennt und dessen wesentlicher Bestandteil die Klicklaute sind.

»Der Klick steht immer am Anfang des Satzes, und ohne ihn kann sich die Bedeutung des Wortes völlig verändern«, erklärt die dreifache Mutter später auf Englisch. Fangen wir mal klein an: »Was heißt denn guten Morgen?«, frage ich. »Denk wass’«, antwortet Belinda und schnalzt jeweils am Anfang der Worte zwei Mal. »Denk wass’« bekomme ich zwar noch hin, das Schnalzen – längst nicht so gekonnt – ebenfalls, aber beides in Kombination: ein Ding der Unmöglichkeit. Ob es bei mir zudem Klick macht, erspare ich Belinda lieber.

In Twyfelfontain, was übersetzt so viel wie zweifelhafte Quelle bedeutet, zieren an die .2500 Zeichnungen die rostroten Felsen, die wie zufällig vom Himmel gefallen zu sein scheinen – hier und da vereinzelt, dann wieder aufeinandergestapelt. Menschliche und tierische Fußabdrücke, Löwen, Giraffen und auch Fabelwesen wie der »Tanzende Kudu« zieren die Felsen – mal eingemeißelt, mal eingeritzt. Das Volk der San, die der Jäger- und Sammlerkultur frönen, haben ihre Lebensform, Glaubensvorstellung und rituellen Kulturen mit den Felsenbildern verewigt, erklärt Belinada.

Ihr Volk, die Damara, hätten wohl um das Jahr 1.000 die San in diesem Gebiet verdrängt. Neben den San, die das Jagen und Sammeln perfektioniert haben, und den Damara, die von der Viehzucht leben, existieren noch Völker wie die Himba, Herero oder Ovambo. Über 30 Sprachen werden in Namibia gesprochen. Nicht zuletzt trifft man auch immer wieder deutschsprachige Einwohner wie eben Hanneliese, deren Großeltern aus Deutschland in das Land emigrierten. Heutzutage sind es rund 200.000 Deutsche.

Namibia ist dünn besiedelt, die ethnische Vielfalt immens

Namibia ist zwar dünn besiedelt, rund zwei Millionen Menschen leben auf einer Fläche, die doppelt so groß ist wie Deutschland (rund 82 Millionen Menschen), aber die ethnische Vielfalt ist immens. »In Namibia ist nicht immer nur alles schwarz oder weiß«, dies war einer der ersten Sätze, die Guide Hanneliese zu mir gesagt hatte, als sie meinen Blick auf das Zebra am Armaturenbrett unseres Safari-Busses bemerkte. Und das Miniatur-Zebra hat uns auf der Rundreise von der Hauptstadt Windhoek aus begleitet – von der Namib mit den faszinierenden Dünen von Sossusvlei, der irrealen Mondlandschaft des Kuiseb Canyons über Walvis Bay und Swakopmund bis ins Damaraland.

Pelikane in Namibia

Ulrike Klaas

Die Strecke zwischen Walvis Bay und Swakopmund, der Hochburg der Deutschen, beeindruckte noch mit tosender Atlantikküste zur Linken und den hellgelben Dünen der Wüste, des Dorob Parks, zur Rechten. An der Küste lagen rostige Ungetüme, die auf der Seite liegend gestrandet waren, als der Walfang noch dazugehörte. Hübsch ist anders, dennoch fasziniert die Küste mit ihrer rauen und urgewaltigen Natur.

Das Damaraland, die nächste Station unsere Reise, überzeugte dann durch pure Schönheit: weite gelbliche Grassavannen, gespickt von Tausenden dunkelgrüner schattenspendender Mopane-Bäumen. Immer wieder kamen wir an rostroten haushohen Steinansammlungen vorbei, die wie von Zauberhand dort platziert schienen. Hinter jeder Kuppe des hügeligen Landes erstreckte sich eine weite freie Tal – ebene, die das Herz ganz leicht werden ließ. Der Himmel schien unendlich, der Horizont Lichtjahre entfernt, und die Wolken klebten nicht an der Himmelsdecke, sondern ließen blauen Raum nach oben zu. Doch das Beste kommt zum Schluss: die Big Five im Etosha-Nationalpark.

Vom Suchen und Nicht-Finden!

Die Steppe lebt nicht. Die weiten Flächen, wo sonst Herden von grasenden Zebras, exotischen Oryx-Antilopen, grazilen Springböcken oder staksenden Giraffen ihre Kreise ziehen, sind wie leergefegt. Im Etosha-Nationalpark, dem Garant für ausgedehnte Safari-Touren, begleitet uns gähnende Leere. Dabei hatte es am Morgen noch recht vielversprechend begonnen. In der Ferne weidete ein Zebra einträchtig neben einem Gnu. Ehe ich’s mich versah, fuhren wir vorbei. Einfach so. »Stopp, Hanneliese«, rief ich nach vorne. Doch sie winkte ab, ich bekäme noch Hunderte Zebras viel näher vor meine Fotolinse.

Guide Hanneliese mit Familie

Ulrike Klaas

Drei Stunden später parken wir am Wegesrand. Meine Augen brennen. Das ständige Horizontabsuchen sind sie einfach nicht gewöhnt. Unsere Bilanz: zwei Paar Löwenohren (eher erahnt als gesehen), eine Familie Erdhörnchen (possierliche kleine Tierchen, die jeden Stopptanz gewonnen hätten, so ruckartig blieben so ohne mit der Wimper zu zucken immer wieder stehen) und eine riesige Herde Perlhühner. »Und die sieht man wirklich selten«, versucht Hanneliese die schweigende Safari-Meute im Auto aufzuheitern. Ohne Erfolg. Stillschweigend brüten alle vor sich hin. Gelbliche Gras- und Dornsavanne wechseln sich mit ödem Buschland und kargem Trockenwald ab.

Witzig! Stopptanz der Erdhörnchen

Ulrike Klaas

Heimat Etosha-Nationalpark

»Das habe ich wirklich noch nie erlebt«, versucht es Hanneliese erneut. Und wenn Hanneliese so etwas noch nie erlebt hat, dann heißt das was. Sie ist mit dem Etosha-Nationalpark verwoben wie ein Flickenteppich mit seinen Nähten. Ihr Vater fuhr schon Touristen durch den Park, als sie noch ein Kind war. Dieter Aschenborn war der erste Wildwart des mittlerweile so beliebten Nationalparks im Norden des Landes. Er baute Straßen und half dabei, eine Infrastruktur zu schaffen. »Und wann ging es dann los mit dem Tourismus?« »Als ich 1973 meinen Vater nach ewigen Zeiten auf einer Tour begleitet habe, waren die Busse schon voll«, erinnert sich die 62-Jährige.

Bereits in der deutschen Besatzungszeit hatte der damalige Gouverneur Lindequist den Etosha-Nationalpark 1907 zum Wildreservat erklärt. War der Park damals noch wesentlich größer abgesteckt, misst er heutzutage eine Fläche von der Größe Hessens. »Wie viele Löwen leben hier, Hanneliese?« »70«, lautet die prompte Antwort vom Vordersitz. Nun bin ich etwas milder gestimmt. Man stelle sich vor, durch Hessen zu fahren auf der Suche nach 70 dort lebenden Einwohnern. Da ist es schon aller Ehren wert, zumindest ein Paar Ohren gesichtet zu haben. Schließlich ist das hier kein Land für Sissis.

Anreise. Air Namibia bietet fünfmal pro Woche Nachtflüge von Frankfurt nach Windhoek und zurück an, www.airnamibia.com.

Info. Mehr Infos über Land und Leute gibt es beim Namibia Tourism Board, www.namibia-tourism.com.

Reisetipps zu Namibia finden Sie hier in unseren Reise-Guide.