In Brasiliens Küche herrscht im Frühjahr ordentlich Dampf. Dann nämlich braten, grillen und kochen Restaurantbesitzer in vielen Städten des Landes um die Wette. Als Preis für die Mühe lockt ein Sieg beim prestigeträchtigen Kulinarikfestival Comida di Buteco. Ein Besuch in São Paulo und Belo Horizonte. 

Eine kulinarische Vielfalt in Brasiliens Küche

Weiße Strände in Bahia, der quirlige Karneval von Rio, der köstliche Caipirinha, der riesige Urwald am Amazonas – das sind die Assoziationen vieler Menschen mit Brasilien. Dass Brasiliens Küche aber auch ziemlich vielfältig ist, das ist nur wenigen bekannt. Sie ist so abwechslungsreich, dass es selbst Gourmetexperten schwerfällt, sie auf einen Nenner zu bringen.

Typisch für Brasiliens Küche, vor allem im Süden des Landes, ist der Churrasco, ein Spießbraten, der mit einer Marinade aus Limettensaft, Öl, Zwiebeln, Knoblauch, Petersilie, Minze und Majoran zubereitet wird. In Bahia dagegen schwört man auf Kokosmilch, dem Malagueta-Pfeffer und Öl aus der Dendê-Palme – alle drei Zutaten finden sich im Moqueca-Baiana-Eintopf, zusammen mit Meeresfrüchten und Tomaten. Brasiliens Nationalgericht, die Feijoada, probiert man am besten in Rio de Janeiro. Zu dem Eintopf aus Schweineohren, Bauchspeck und schwarzen Bohnen wird traditionell Farinha serviert – knusprige Fladen aus Maniokwurzel-Mehl.

Reinaldo Canato

Eine gute Gelegenheit, sich Brasiliens Küche zu nähern, ist ein Besuch der Metropole São Paulo, wo das Festival »Comida di Buteco« stattfindet. 2012 feierte es in der Stadt seine Premiere. Seit zwölf Jahren wird es bereits in verschiedenen Städten Brasiliens zelebriert. Veranstalter des Events ist Eduardo Maya. »Um es gleich zu sagen: Wir organisieren hier keinen Haute-Cuisine-Wettbewerb. In Brasilien hat man für Restaurants wie das Academia da Gula einen Namen: Boteco. Und nur diese dürfen bei unserem Food-Wettbewerb mitmachen«, erklärt Maya. Insgesamt 50 Restaurants beteiligen sich in São Paulo an dem Wettbewerb, je zehn im Zentrum, Süden, Norden, Osten und Westen der Stadt.

Menü des Abends: Kabeljau-Nocken

Als das Gericht des Abends serviert wird, kann ich es kaum abwarten: »Pastel de Bacalhau« heißt es – portugiesische Kabeljau-Nocken. Dazu werden Kartoffelpüree, fein gewürfelter Kabeljau und Oliven zu kleinen Bällchen geformt und anschließend in Olivenöl frittiert. Sie sehen nicht nur schön knusprig aus, sie schmecken auch ganz wunderbar. Aromen von frischen Kartoffeln, Kümmel, Kabeljau und – besonders dominant – Oliven machen sich auf der Zunge breit. Eduardo empfiehlt dazu ein Bier. »Brasilianer wissen, dass ein kalorienreicher Snack und ein eiskaltes Bier den Heimweg erleichtern«, erklärt er schmunzelnd und legt mir einen Fragebogen vor. »Hier kannst du ankreuzen, wie es dir gefallen hat«, sagt Eduardo. Der Bogen wird jedem Festival-Gast vorgelegt, das Urteil aller Gäste fließt zu 50 Prozent in die Gesamtwertung ein – die andere Hälfte steuert eine fachkundige Jury unter Eduardos Leitung bei.

PRIO

Wer sich durch die Festival-Restaurants probiert hat und sich anschließend edler verköstigen lassen möchte, dem sei ein Besuch im D.O.M. empfohlen. Das Restaurant im schicken und von vielen Touristen besuchten Stadtteil Jardins ist für Freunde der Haute Cuisine ein Muss. Chefkoch ist Alex Atala – und einer der bekanntesten Köche Brasiliens. Bereits mit 19 lernte er an der Ecole Hôtelière de Namur in Belgien sein Handwerk, heute moderiert er Koch-Shows im TV und schreibt Bücher (»Alex Atala – Por uma Gastronomia Brasileira«). Obwohl das Restaurant durchaus internationale Gerichte anbietet, ist es tief in der brasilianischen Küche verwurzelt.

Wenn Baru-Nüsse auf gestampften Süßmais und Maniokwurzel treffen

Das zeigt sich besonders bei den Zutaten, die Touristen durchaus zum Grübeln bringen können. Treffen doch Baru-Nüsse aus der Mitte des Landes auf Canjiquinha (gestampften Süßmais) aus dem Südosten, Maniokwurzeln aus dem Nordosten auf Beldroega-Pflanzen aus dem Norden. Auf seiner Speisekarte kommen Feinschmecker auf ihre Kosten, beispielsweise wenn Rochen in brasilianischer Butter mit geräucherten Pastinaken, Brokkoli und Erdnussschaum serviert wird. Auch eine exotische Gaumenfreude: Die Zitronen- und Bananenravioli, garniert mit Priprioca, die Gewürzpflanze aus Amazonien. Dieses Mahl war ein gelungener Abschied von São Paulo, denn nun soll es weitergehen ins Landesinnere.

Belo Horizonte, kulinarische Liebe auf den ersten Biss

Die meisten Touristen lernen Belo Horizonte – wenn überhaupt – nur im Verlauf einer Rundreise durch Brasilien kennen. Dabei ist die sechstgrößte Stadt des Landes gesegnet mit einer riesigen Gastronomieszene und empfiehlt sich deshalb für eine kulinarische Entdeckungsreise – so zum Beispiel mit einer Gourmet-Tour durch das trendige Stadtviertel Savassi. Wer zunächst einmal einen ersten Einblick in die gastronomischen Hochgenüsse bekommen möchte, ist gut beraten, dem Mercado Central einen Besuch abzustatten. Die riesige Markthalle im Zentrum der Stadt verschafft einen exzellenten Überblick über das, was Brasilien im Kochtopf zu bieten hat: Palmöl und Kokosmilch gibt es, Chilischoten, Mangos, Ananas, Papayas, Maracuja und Acerola-Früchte – alles ganz frisch.

PRIO

Ich bin neugierig, möchte wissen, was denn besonders typisch in Belo Horizonte ist. Ein Händler bietet mir einen »Queijo Minas com Goiabada« an, es handelt sich dabei um einen Käse aus Minas Gerais mit Guavenmarmelade. Der Queijo Minas wird aus Kuhmilch hergestellt, ist weiß wie Schnee, schmeckt leicht und bekömmlich, hat aber eine ziemlich süßliche Note. Dazu passt die Goiabada, eine aus Guavenschalen hergestellte Süßspeise, quadratisch in der Form, hellrot in der Farbe und marmeladig im Geschmack. Nachdem ich eine ganze Portion verdrückt habe, ist mein Hunger am Mittag vertrieben, aber am Abend, so hoffe ich, darf es ein bisschen herzhafter und opulenter sein.

Auch in den kleinen Locations ist die Küche hervorragend

In der Rua Turquesa, rund drei Kilometer westlich vom zentral gelegenen Praça da Liberdade, versteckt sich in einem Wohnviertel das Boteco »Patorroco«. Hungrige Anwohner und gestresste Büroangestellte drängen sich hier abends an den Tischen, um ein kühles Bier oder eine der Köstlichkeiten von Chefkoch und Inhaber Marcos Proença da Matta Machado zu ergattern. 2012 war für den 52-Jährigen ein ganz besonderes Jahr, denn im Frühsommer errang er beim »Comida di Buteco«-Wettbewerb von Belo Horizonte den vordersten Rang. Zum ersten Mal. Seit sieben Jahren beteiligt er sich an dem Wettbewerb, seine ­Top- Platzierung war bisher der fünfte Platz. »Für mich war der Sieg eine Riesenüberraschung. Wir sind ja eher ein Lokal für die einfachen Leute, und bisher gewannen meist die Restaurants, die ein eher schickes Publikum anziehen«, sagt er.

Andererseits sei es für ihn konsequent, dass auch er einmal an der Reihe war, erzählt er lachend, denn sein Kochcredo sei: »A boa vida mora no prato limpo«, was übersetzt so viel heißt wie: »Das gute Leben wohnt im leer gegessenen Teller.« Dann wollen wir einmal das gute Leben genießen, sagen wir uns, und ordern neugierig das Siegergericht: »Chancliche feito com queijo minas temperado e lagarto na conserva agridoce« heißt es, was in etwa bedeutet: mariniertes Roastbeef in süßsaurer Sauce, zubereitet mit gewürztem Queijo Minas und der syrisch-libanesischen Käsespezialität Shanklish. Klingt international, denke ich, und greife zu. Nach ein paar Bissen vom Siegergericht habe ich allerdings genug. Die Kombination trifft nicht unbedingt meinen Geschmacksnerv. Als ein Tischnachbar mitbekommt, dass wir noch etwas hungrig sind, gibt er uns einen heißen Tipp, er sagt nur: »Xapuri, very good.« Ja, so schmeckt Brasiliens Küche.

Donna Nelsa, die beste Köchin der Stadt

Xapuri ist der Name von Belo Horizontes bekanntestem Restaurant. Von den Kritikern wird es hochgelobt, kaum ein Reiseführer, der es nicht aufführt. Inhaberin und Chefköchin ist Dona Nelsa, sie ist eine Art kulinarische Botschafterin der Stadt. Das hat sich offenbar sogar bis in höchste Politkreise herumgesprochen: Neulich, da war sogar Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff bei ihr zu Gast, berichtet sie stolz.

PRIO

Seit 1987 verköstigt sie Einheimische wie Touristen, will deren Gaumen für die Leckerbissen der Region begeistern. Sie kredenzt uns einen riesigen Kürbis, gefüllt mit zartem Rindfleisch, das auf der Zunge zergeht, überbacken mit knusprigem Queijo Minas. Ihr Geheimnis für die Zubereitung des umwerfenden Gerichts? »Wir in Minas Gerais haben so viel Glück mit unserem Obst, dem Gemüse, unserer Landwirtschaft. Ich koche fast ausschließlich mit Zutaten aus der Region. »Alles frisch«, sagt sie. »Außerdem braucht man ein Gefühl für die Zutaten«, erklärt sie vielsagend. »Man muss sich immer wieder Brasiliens Küche hingeben, um ihre Geheimnisse aufzuspüren. Jede Region hat ihre eigenen Spezialitäten. Und das Essen ist darüber hinaus bei uns in Brasilien ein ganz wunderbarer Anlass, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen und stundenlang mit ihnen zu plaudern.«

Anreise. TAM Linhas Aéreas fliegt täglich von Frankfurt a. M. nach São Paulo-Guarulhos. Von dort mehrmals täglich nach Belo Horizonte.

Hotels. Tivoli Hotel, Alameda Santos, 1437, Jardim Paulista, São Paulo, DZ ab ca. € 200, Tel.: +55 11 3146 5900.

Royal Savassi Boutique Hotel, Rua Alagoas, 699 Savassi, Belo Horizonte, Tel.: +55 31 2138 0000, DZ ab ca. € 68,

Festival. In Brasiliens Küche lässt sich am besten bei diesem Festival eintauchen.

Restaurants. Academia da Gula, Rua Joinville, 569, São Paulo. D.O.M., Rua Barão de Ca­panema, 549, São Paulo. Patorrocco, Rua Turquesa, 875, Belo Horizonte. Xapuri, Rua Mandacarú, 260, Pampulha.