Wattenmeer und bunte Klippen, grünes Marschland, stolze Schlösser, bröckelige Burgen, Vogel- und Robbenkolonien prägen die Grafschaft an der englischen Nordseeküste. Ruhe und Entspannung bestimmen hier den Alltag. Text: Carsten Heinke
In Norfolk gibt das Meer, das täglich kommt und geht, sowohl den Rhythmus als das Tempo vor. Und weil die Nordsee und das Wetter keiner ändern kann, wurde in der Grafschaft ganz im Osten Mittelenglands die Gelassenheit erfunden. Man trifft sie in verträumten Orten genauso wie in der Natur. Denn Strände, Felsen, Seehundkolonien, The Wash – ein Wattenmeer, die Broads – ein Feuchtgebiet aus Flüssen, Seen und Sümpfen sind wie gemacht für Antistressprogramme. Der Höhepunkt des Kultes um die Seelenruhe wird im Dörfchen Congham zelebriert. Dort findet jedes Jahr im Juli die Weltmeisterschaft im Schneckenrennen statt.
Anreise. Flug nach London, vom Airport weiter in Richtung Nordosten/Nordseeküste mit einem Mietwagen. Vom Flughafen London-Stansted bis nach King’s Lynn sind es etwa 1,5 Autostunden.
Übernachten im »Bank House« oder im »The Rose and Crown«
Übernachten. Fans der britischen Seefahrthistorie müssen im Bank House von King’s Lynn übernachten. Das urgemütliche, mehrfach ausgezeichnete Boutiquehotel in einem Kaufmanns- und Bankgebäude aus dem frühen 18. Jahrhundert ist voller Geschichten und Seemannsgarn. Kapitän Samuel Gurney Cresswell, Polarforscher und Weltumsegler, wurde hier geboren. Von den zwölf antik und modern ausgestatteten Räumen, teils mit Wanne am Fenster (direkt im Zimmer), blickt man entweder auf den Fluss Great Ouse, knapp vor dessen Mündung in The Wash, oder auf das Wahrzeichen des alten Hansestädtchens, das alte Zollhaus. Das schönste Zimmer wurde dem gebürtigen Norfolker Admiral Nelson gewidmet. Das einfachste für zwei ohne alles gibt es ab 130 Euro, mit Frühstück und Dinner ab 195 Euro. Die elegante Bar wurde im ehemaligen Bankmanager-Office eingerichtet, das Restaurant im Stil einer Brasserie in der früheren Schalterhalle mit Blick auf den Hafen.
Im verträumten Küstendörfchen Snettisham ist das ländliche, doch moderne Bed & Breakfast The Rose and Crown von Jeannette und Anthony Goodrich zu empfehlen. Doppelzimmer (mit flauschigem Bettzeug und täglich frischer Landmilch im Kühlschrank) kosten zwischen 135 und 160 Euro. Die Karten im Restaurant sowie im urigen Pub mit Kamin bieten sowohl leichte Land- und Nordseeküche als auch deftige Kneipensnacks. Das Schlemmerfrühstück genießt man im Sommer am besten an frischer Luft im großen Gartenfreisitz.
Essen und Trinken: Krabben, Real Ale und Meeresspargel
Regionaltypische Kalorienbomben sind die Cookies »Fair Buttons« (Jahrmarktsknöpfe) aus weißem Mehl und braunem Zucker, Sirup, Schmalz, Ingwer und Zitrone, »Norfolk Gingers« (Ingwer-Rührküchen), Norfolk-Torte mit Sirup und Zitrone sowie Norfolker Brotpudding – auch bekannt als »Nelson-Scheiben« – aus Brotstücken, getrockneten Früchten, Zitronenschale, Marmelade und Rum.
Restaurants. Nur noch wenige Restaurants servieren wie The Regent in Great Yarmouth, 71 Regent Road, ganz im Osten der Grafschaft, die klassischen Norfolk Dumplings – mit Hackfleisch gefüllte Mehlteigklöße, die mit gekochten und in Butter geschwenkten Kartoffeln und Karotten gegessen werden.
Cromerkrabben sind neben Nordseehummern, Brancaster-Miesmuscheln und Stiffkey Cockles oder Stewkey Blues (blaue Herzmuscheln) Norfolks berühmteste Delikatesse. Kenner genießen das magere, süßliche weiße, Omega-3-reiche Fleisch der braunen Schalentiere mit Pfeffer, Zitronensaft und geräuchertem Paprika, Gurke oder Avocado auf Brot mit Butter oder Mayo. Angeboten werden sie ab April. Im Mai finden in den Hauptfangorten Cromer und Sheringham Krabben- und Hummer-Festivals statt. Eine tolle Adresse zum Probieren – mit Meerblick – ist das Rocky Bottoms nahe Cromer.
Unvermeidlich in der Küstengrafschaft sind Fish and Chips. In Norwich und Great Yarmouth isst man das englische Nationalgericht am besten auf dem Markt – und zwar mit viel Essig und Salz. Die besten gibt es allerdings auf dem Land – und zwar bei Eric in Drove Orchards, Thornham, an der A 149 zwischen Hunstanton und Brancaster – in einem ziemlich coolen Laden mit Gartenfreisitz.
Kuss der Meerjungfrau
Samphire, Meeresspargel, Glaskraut oder »Kuss der Meerjungfrau« ist eine weitere regionale Delikatesse, die von Mai bis September geerntet wird. Das knackige, salzige Wildgemüse gedeiht auf den Salzwiesen des Norfolker Marschlands – am besten dort, wo die Flut den Moorschlamm bedeckt. Früher wurde die Pflanze zur Herstellung von Seife und Glas verwendet. Jetzt haben sie die Feinschmecker entdeckt. Meeresspargel wird mit Butter und etwas Zucker gedünstet, mit Zitrone und Pfeffer abgeschmeckt und als Vorspeise oder Beilage zu Fisch gegessen.
Norfolks bekanntester Käse ist der Binham Blue, ein weicher Blauschimmel, hergestellt in Copys Green Farm in Wighton. Weitere prominente Sorten sind Copys Cloud mit einer flauschigen weißen Rinde und einem schmelzenden Kern, der reife, würzige Walsingham sowie der halbweiche Warham – mit Senf-, Tomaten-, Kräuter- oder Kümmelaroma. Zu den beliebtesten Fleischsorten zählen der in Norfolk gezüchtete Schwarze Truthahn und Wild.
Wer Bier mag, sollte unbedingt das regionale Real Ale testen. Produziert wird es hauptsächlich in den rund 50 Klein- und Minibrauereien, mit denen Norfolk zu den führenden Bierregionen landesweit gehört. Eine große Auswahl zum Probieren gibt es im Fachgeschäft auf der Branthill Farm, Wells-next-the Sea.
Pubs und Inns: The Brisley Bell in Brisley, Dereham – The King’s Head in Letheringsett, Holt – The Angel Pub & Restaurant in Watlington – The King’s Arms in Blakeney, Westgate Street oder The Lord Nelson in dessen Geburtsort Burnham Thorpe, King’s Lynn.
Viel Natur – schön chillig
Ausflüge. Geführte Bootsausflüge zu den Seehunden, Kegelrobben und Vögeln von Blakeney Point (mit Landgang) gibt es bei Beans Boats. Start und Ziel ist Morston Quay, wo es auch zu trinken und Kleinigkeiten zu essen gibt. Erwachsene zahlen etwa 13,50, Kinder unter 14 knapp 7 Euro.
Der Badeort Hunstanton hat nicht nur hübsche bunte Klippen und einen fotogenen alten Leuchtturm (der allerdings leider privat bewohnt wird und deshalb nicht zugänglich ist), sondern auch ein Meeresaquarium, das Sea Life Center, das zugleich eine Rettungsstation für verlassene, verletzte oder kranke Robbenkinder ist.
Der ungewöhnlich große Vogelreichtum Norfolks macht die Grafschaft zum ganzjährigen Hotspot der Birdwatcher. »Allein von Namen wie Blakeney, Cley, Holkham, Snettisham, Titchwell oder Welney kriegen eingefleischte Hobbyornithologen weiche Knie«, sagt Chris Mills, der all die Orte und ihre gefiederten Bewohner kennt. Er bietet geführte Touren von halbtägigen Wanderungen bis zum 5-Tages-all-inclusive-Trip.
WM im Schneckenrennen
Noch mehr Natur gibt es im Snettisham Nature Reserve (ein Projekt der Royal Society for the Protection of Birds – RSPB), Ansprechpartner Jim Scott sowie in den Feuchtgebieten im Herzen der Fens (Moorlandschaft), wo man selbst vom Wigeon Café des Welney Wetland Centre (WWT) aus bei einem Snack oder Getränk balzende Wasserrallen und boxende Feldhasen beobachten kann. Fußgängerbrücken und befestigte Wege ermöglichen bequeme Beobachtungsspaziergänge, auch für Besucher im Rollstuhl.
Schneckenrennen. Die jährliche Weltmeisterschaft »World Snail Racing Championships« findet stets am dritten Juli-Samstag in Congham (Postcode PE32 1AH) statt – 2018 also am 21. Juli. Austragungsort ist das Cricketfeld im Zentrum des kleinen Dorfes. Teilnehmer können sich noch unmittelbar vorm Start der Vorrundenrennen bei Rennmeister Neil Riseborough melden.
Eine hübsche Fahrradstrecke führt vom Stadtzentrum von Swaffham in westlicher Richtung auf ruhigen Landstraßen vorbei an Feldern, durch Heideland und Kiefernwälder der Brecks, sehenswerte Dörfer Cockley Cley, Gooderstone, Oxborough, Eastmoor, Beachamwell und Drymere – eine einfach zu schaffende Tagestour, ca, 32 km lang. Genügend kostenlose Autoparkplätze gibt es in Swaffham rund um den Markt.
Strände à la carte
Strände. Ob zum Wandern oder Spazierengehen, für Cricket, Beachball, einfach nur Aufs-Meer-Starren oder Faul-im-Sand-rumliegen: Norfolk hat so viele schöne Strände, dass sich jeder einen aussuchen kann. Die Sportlicheren zieht es nach Great Yarmouth, Hundefreunde eher nach Brancaster. Noch fast Geheimtipps sind die versteckten Strände von Horsey und Waxham. Wer Gwyneth Paltrows Spuren im Sand suchen möchte, kann das in Holkham tun. Dort wurde 1998 der Hollywoodstreifen Shakespeare in Love gedreht. Mehrfach Filmkulisse war auch der Strand von Cromer mit seinem spätviktorianischem Pier, auf dem das Pavilion Theatre steht. Mindestens einmal während einer Norfolk-Reise sollte man den Sonnenuntergang am Strand von Hunstanton erleben. Nirgendwo in England könne man einen schöneren sehen, sagen die Briten.
Den Strand von Holme-next-the-Sea am Südrand von The Wash umrahmen ausgedehnte Salzwiesen mit unzähligen Vogelnestern. In dem kleinen Dorf, 5 km nordöstlich von Hunstanton, treffen die beiden Wanderwege Peddars Way und Norfolk Coast Path aufeinander.
Heacham bei King’s Lynn liegt an einer großen, flachen und geschützten Bucht. Am Nordstrand gibt es eine Fischbar, eine Spielhalle sowie Strandkorbvermietung, am Südstrand einen Souvenirladen. Beide haben ein Café und öffentliche Toiletten und sind von King’s Lynn und Hunstanton per Bus erreichbar.
Burgen, Schlösser und Ruinen
Sehenswürdigkeiten. Die größte Chance auf spukende Untote verspricht Castle Rising Castle unweit von King’s Lynn. Die idyllisch gelegene mittelalterliche Burgruine gehört zu berühmtesten Englands. Sie ist umgeben von imposanten Erdwällen, die im Sommer wie dicke grüne Kissen aussehen. Eintritt fünf Euro.
Sandringham, das private Landschloss der Royals mit einem weitläufigen Schlossgarten, ist zwischen Ende März und Mitte Oktober (außer vom 23. bis 27. Juli) teilweise öffentlich zugänglich. Jedes Jahr von Weihnachten bis Ende Januar verbringt die britische Königsfamilie ihre winterlichen Jagdferien in dem 1870 gebauten Backsteinpalast. In dem Museum wird u. a. das allererste königliche Auto, ein Daimler Phaeton aus dem Jahr 1900, gezeigt. Eintritt ca. 19 Euro.
Unweit von Sandringham, zwischen King’s Lynn und Fakenham, liegt Houghton Hall, der in den 1720ern gebaute Palast von Großbritanniens erstem Premierminister, Sir Robert Walpole. Heute bewohnt von seinen Nachkommen, dem siebten Marquess of Cholmondeley, und dessen Familie, sind Besucher dennoch willkommen. Von Ende März bis Ende September kann man viele Räume des schlossartigen Baus, Park und Gärten sowie Sonderausstellungen besichtigen. Eintritt 20 Euro.
Mehr Ruinen – gut geeignet als Picknickkulisse – gibt es nahe King’s Lynn in Castle Acre Priory. Eintritt frei.
Süßes, Krimskrams, teurer Fummel
Shopping. Einkaufen lässt es sich in Norfolk am besten in Norwich. Eine lohnenswerte Adresse ist das herrlich schrullig-schicke Kaufhaus Jarrolds mit vielen Dingen, die es nur dort gibt, von raffinierten Kalorienbömbchen bis zum extravaganten Designerfummel, mehrfach zum besten unabhängigen Warenhaus Großbritanniens gewählt. Fünf Etagen, 52 Abteilungen, drei Restaurants und eine gemütliche Kaffeebar. Täglich geöffnet (sonntags von 10.30 bis 16.30 Uhr).
Außerdem in Norwich: Van-Dal Shoes – die letzte traditionelle Damenschuhfabrik im Königreich. Freie, einstündige Besichtigungstouren werden montags bis donnerstags, jeweils ab 10.30 und 13.30 Uhr, angeboten (nur mit Voranmeldung – Telefon 01603 493116 oder E-Mail an consumer.sales@floridagroup.co.uk). Bei anschließendem Kauf im Fabrik-Shop gibt es die teuren Treter zehn Prozent günstiger.
Nützliches und Entbehrliches kann man auch auf dem Wochenmarkt des Dorfes Downham Market am Rande der Fens entdecken. Geöffnet ist freitags und samstags von 8 bis 16 Uhr. In King’s Lynn findet jeden Dienstag sowie jeden Samstag ein Markt im Stadtzentrum statt. Hunstanton hat verschiedene Markttage, u. a. mittwochs im Juni und August.
Allgemeine Reiseauskünfte erteilt das Fremdenverkehrsamt Großbritannien, www.visitbritain.com