Der Soundtrack der Inseln der Kapverden beschränkt sich keineswegs auf Meeresrauschen. Auf São Vicente tauchen wir tief in die Musik ein, und beim Wandern auf Santo Antão folgen wir ganz allein unserem eigenen Rhythmus.
Mindelo ist nicht nur die Hauptstadt der Insel São Vicente, sondern gilt auch als die Hauptstadt der Morna, eines ruhigen, schwermütigen Musikstils. Schön, dass wir auch gleich von Musikern empfangen werden. Zunächst von Cesária Évora. Leider nicht mehr persönlich, denn die ungekrönte Königin der Morna ist 2011 von uns gegangen. Doch weil sie als »barfüßige Diva« – sie trat auch international stets ohne Schuhe und Strümpfe auf – als wichtigste Botschafterin ihrer Heimat gilt, benannte man auch den internationalen Flughafen von Mindelo nach ihr und stellte sie buchstäblich auf einen Sockel. Wer den Flughafen verlässt, läuft der lebensgroßen Skulptur des einstigen Weltstars regelrecht in die Arme. Uns begrüßt außerdem Markus Leukel. Der gebürtige Westerwälder ist Diplom-Biologe, spielt professionell Schlagzeug, lebt seit 2010 in Mindelo und ist im Nebenberuf auch als Fremdenführer tätig. Das ist keine schlechte Kombination an einem Ort, wo Musik und Natur so wichtige Rollen spielen.
Kapverden: Der Beat des einstigen Umschlagplatzes
Früher spielten die Nähe zum Festland Afrikas und die verkehrsgünstige Lage der Inselgruppe für den Schiffsverkehr über den Atlantik die wichtigsten Rollen. Im 16. und 17. Jahrhundert waren die Kapverden eine Handelsdrehscheibe. Gewürze waren hier ebenso Handelsware wie Menschen – eine traurige historische Wahrheit. Die großen Seefahrernationen gingen eben nicht aus Neugier auf Reisen, sondern um eigene Macht und Reichtum zu mehren. Die Kapverdischen Inseln wurden von den Portugiesen im 15. Jahrhundert entdeckt, später verschleppten sie Menschen aus den verschiedensten Regionen Afrikas auf die Inseln, um sie anschließend als Sklaven in der Neuen Welt gewinnbringend zu verkaufen.
Der Hafen von Mindelo
Der Hafen von Mindelo wurde erst Anfang des 19. Jahrhunderts gegründet. Er liegt in einer halbkreisförmigen Bucht an der Nordküste der Insel. Die etwa 20 Quadratkilometer große »Baía do Porto Grande« gründet auf einem Vulkankrater mit einem Durchmesser von etwa vier Kilometern. Seinen Namen trägt dieser Vulkan nicht von ungefähr. Aufgrund seiner geschützten Lage und seiner Tiefe zwischen elf und 30 Metern war »Porto Grande« lange Zeit der größte Hafen im Atlantik. Eine besondere Bedeutung hatte er als Kohlelager für die großen Transatlantik-Dampfer. Durch die technische Entwicklung und die Umstellung auf Dieselmotoren wurden die Kohlelager obsolet. Heute legen im Hafen dafür regelmäßig Kreuzfahrtschiffe an. Das alles erzählt uns Markus, während wir am Ufer entlangschlendern.
Draußen dümpeln Fischerboote, einige liegen auch am Strand, teils kopfüber, teils auf dem Rumpf. Der einst wohl farbenprächtige Lack ist verblasst, teilweise fängt er schon an abzublättern. Am Ufer bearbeiten einige Männer den Fang, schuppen Fische mit alten Konservendosen und salzen sie anschließend ein. Fisch wird hier nicht nur in der Fischhalle verkauft, sondern in seiner gepökelten Variante auch am Straßenrand feilgeboten. Frisches Obst und Gemüse finden wir in der Markthalle. Unfassbar wie das hier riecht, deutlich intensiver jedenfalls, als wir es vom heimischen Supermarkt gewohnt sind.
Karneval: Im festlichen Rhythmus
Auf dem Weg ins Zentrum sehen wir wieder Cesária Évora, die als riesieges Schwarz-weiß-Bild von einer Wand herunterschmunzelt. Fans von Murals kommen hier ohnehin auf ihre Kosten. Jesus Christus wird hier ebenso porträtiert wie Bob Marley oder andere, mir unbekannte Musiker. Die Volkskunst lebt in Mindelo. Das zeigt auch ein Blick in einen Hinterhof, über dem Torbogen steht »Quintal das Artes«, auf Deutsch »Kunsthof«. Dahinter erkennen wir eine Interpretation von Arielle, der Meerjungfrau. In diesem Künstlerquartier werden offensichtlich auch Figuren für den Karneval gestaltet, wovon einige scheinbar wahllos abgestellte Beispiele zeugen. Ein großer Kopf aus Pappmaschee hat seine besten Zeiten schon länger hinter sich. Der Karneval sei hier eine große Sache, erfahre ich. Sicher nicht so groß wie der in Rio, aber ebenfalls sehr stimmungsvoll – mit großen Tanzgruppen und rhythmischer Musik.
Einblick in die lokale Musikszene: die Cavaquinho
Musik und Rhythmus haben die Kapverdier offensichtlich im Blut, wie Markus glaubhaft versichert. Er muss es wissen, schließlich betreibt er eine eigene Musikschule, in der Schlagzeug und Percussion gelehrt werden. Er ist längst Teil der lokalen Musikerszene und kennt hier offensichtlich jeden. Selbstverständlich auch Louis Baptista. Der Mittvierziger mit den Rastazöpfen ist Spross einer Instrumentenbauerfamilie, inzwischen selbst Chef des Unternehmens mit internationalem Ruf. Er baut Gitarren und hat sich in Cremona von Nachfahren der Familie Stradivari im Geigenbau ausbilden lassen.
Seine Spezialität ist aber die Cavaquinho, eine kleine, viersaitige Gitarre, die hier eine große Tradition hat und einst von portugiesischen Seefahrern in die Neue Welt exportiert wurde – wo sie auch als Ukulele bezeichnet wird. Instrumente aus der Baptista-Werkstatt sind nach wie vor international sehr gefragt, werden aber ausschließlich auf Bestellung gebaut. Louis zeigt uns seine Werkstatt, wir sehen Hölzer, Formvorlagen für einen Korpus und fertige Instrumente. Hier hängt der Himmel eben nicht voller Geigen, sondern voller Cavaquinhos. Ein wahres Highlight ist das anschließende Privatkonzert mit Louis, seinem persönlichen Cavaquinho und seiner Familie, in die Markus mit seiner Cahun taktgebend integriert wird. Ich lerne, dass Musik in Mindelo weit mehr als Morna ist.
Ein Blick ins Viertel Ribeira Bote
Ich lerne aber auch, dass nicht alle in der Stadt wirtschaftlich so gut gestellt sind wie die Familie Baptista, die von ihrer Arbeit gut leben kann. Viele jungen Kapverdier gehen deshalb in die USA, wo sie teils legal, teils illegal leben, arbeiten und Geld sowie Waren in die alte Heimat schicken, um ihre Familien zu unterstützen. Sichtbar wird dies an den vielen blauen Kübeln, die rund um den Marktplatz zu sehen sind, in denen die Ex-Patriots Ware, meist Kleidung, in die alte Heimat schicken. Vom Marktplatz aus ist es nicht weit nach Ribeira Bote, dem sozialen Brennpunkt von Mindelo. Nein, das ist kein voyeuristischer Katastrophentourismus. Dafür sorgen Markus und Belton. Letzterer wohnt selbst in Ribeira Bote, ist stolz auf sein Viertel und will mit diesen Führungen Anerkennung für deren Bewohner erreichen und auch Geld ins Viertel bringen. Schließlich bekommt er selbst ein Honorar für die Führungen. Auch die Kunsthandwerker, die er uns vorstellt, haben die Gelegenheit, ihre Produkte direkt an Touristen zu verkaufen – Töpferwaren beispielsweise oder Armbänder, die ein in sich gekehrter, hagerer Typ auf der Matratze fertigt, auf der er sonst schläft.
Die Nacht wird durchgetanzt
Wir kommen diese Nacht nicht so schnell ins Bett, schließlich verrät uns Markus, dass er an diesem Abend noch mit dem »Trio Sofia« im Musikklub »Le Metalo« spielt. Chefin und Namensgeberin des Trios ist Claudia Duarte Sofia, eine begnadete junge Sängerin, die selbst- verständlich auch Gitarre spielt. Der Dritte im Bunde, der Mann am Bass, wird als Onkel Lucio vorgestellt. Ob er tatsächlich Claudias Onkel ist, bleibt unklar, vom Alter her könnte es passen. Und Claudia hat das Zeug für eine erfolgreiche Karriere als Profimusikerin. Das meint auch Markus. Ob es aber so weit kommt, ist fraglich, schließlich ist die selbstbewusste, junge Frau gerade dabei, ihr Jurastudium abzuschließen. Sie kann es sich durchaus vorstellen, als Rechtsanwältin zu arbeiten, und so mit den Menschen in ihrem Umfeld.
Zu Gast in der Mamiwata Eco Lodge
Das alles erzählt sie nicht etwa am Abend des viel beklatschten Auftritts, sondern am anderen Tag auf der Fähre nach Santo Antão. Dort erwartet uns Kai Pardon in seinem Mamiwata Eco Village, das vor den Toren des Dorfes Chã d’Ingrejia liegt. Eigentlich ist der Mann ja Reiseveranstalter. Doch als Ergänzung seiner Firmen »Reisen mit Sinnen« und »Vista Verde« wollte er auch noch ein eigenes Domizil schaffen. Das ist mit Mamiwata, einem Bungalowdorf mit Hotelcharakter, nun geschehen. Zur Verfügung stehen 15 kleine Bungalows für jeweils zwei Gäste sowie vier größere Gebäude für jeweils vier Gäste. Über den zu erwartenden Service wagen wir noch keine Prognose, da wir die Anlage nur im Probebetrieb erlebt haben. Da war beispielsweise die Rezeption (noch) nicht besetzt und auch der sonstige Service nur zu den Essenszeiten verfügbar. Jedenfalls ist der Hotelmanager auch Somelier und kredenzt mit Freude Tropfen aus der Region. Die stammen noch von der Insel Fogo, doch in absehbarer Zeit soll hier auch eigener Wein serviert werden. 1.000 Weinstöcke wurden schon nahe der Hotelanlage gepflanzt.
Das Ziel: Nachhaltigen Tourismus auf den Kapverden schaffen
Die Zusatzbezeichnung »Eco« hat durchaus ihre Berechtigung, schließlich verfügt das Ensemble über eine eigene Meerwasserentsalzungsanlage, eine eigene Abwasseraufbereitung und kann sich zumindest teilweise mit selbst produziertem Solarstrom versorgen. Wirtschaftliche Nachhaltigkeit wollte der Hotelgründer erreichen, indem er die meiste Arbeit am Komplex von Einheimischen ausführen ließ. So sind die Wege in der Anlage inseltypisch mit handbehauenen Steinen gepflastert. So auch die spektakuläre Passstraße zwischen Porto Novo und Ribeira Grande. Dort werden auf 38 Kilometern Strecke 1.400 Höhenmeter überwunden. Diese Straße wurde ohne schweres Gerät gebaut, als Hilfsmittel dienten lediglich ein paar Stangen Dynamit und Schaufeln. Da wundert es dann auch nicht, dass das 1958 begonnene Projekt erst 1984 abgeschlossen wurde.
Wandern auf Santo Antão
Wir nutzen die Straßen der Insel und unser Sammeltaxi nur dazu, um an die Ausgangsorte unserer Wanderungen zu gelangen. Schließlich ist Santo Antão der Kapverden heute die Wanderinsel des Archipels schlechthin. Die Redewendung »abseits der ausgetretenen Pfade« wäre hier aber verkehrt. Denn das, was wir als Wanderwege nutzen, sind Eselspfade und Wege für die Einheimischen, die sich kein Taxi leisten können. Deshalb erntete Alfred Mandl bei den verantwortlichen Politikern anfangs große Skepsis, als er den Wandertourismus auf der Insel propagierte. Menschen, die mit Stöcken gehen, galten damals als Habenichtse, die der Insel keinen Wohlstand bringen würden. Doch Don Alfredo, so bezeichneten ihn die Einheimischen mit einigem Respekt, ließ nicht locker, erwanderte die Gegend zunächst ohne Karte und überzeugte die Einheimischen davon, Wandertouristen zu beherbergen oder zu verköstigen. Das macht nach wie vor auch Christine Mandl, die Witwe des vor gut drei Jahren verstorbenen Wanderpioniers. Die gebürtige Mecklenburgerin betreibt ein Lokal im sattgrünen Paúl-Tal, baut selbst Gemüse und Gewürze an – und kann als inzwischen Einheimische Einblicke ins Alltagsleben auf der Insel geben.
Alles im Takt
Das kann Nicolin auch und bietet als gebürtiger Kapverdier nochmals einen anderen Blickwinkel. Er ist unser Wanderführer, spricht tadellos Englisch und ist in jeder Hinsicht ein Lichtblick. Der Modellathlet zeichnet sich nicht nur durch eine profunde Ortskenntnis aus. Die ist sehr hilfreich, denn die Beschilderung der Wege ist eher rudimentär. Vor allem aber bringt er eine unfassbare Geduld mit. Planänderungen, ob sie nun auf Wünschen der Gäste oder äußeren Umstände beruhen, nimmt der Mittdreißiger mit stoischer Ruhe zur Kenntnis und endet stets eine praktikable Lösung – auch als wir spontan am letzten Tag unseres Aufenthalts vom Mamiwata Eco Village nach Boca de Ambas as Ribeiras wandern wollen, um noch einmal die Insel auf uns wirken zu lassen. Er weiß, dass man auf den Kapverden am besten im eigenen Rhythmus unterwegs ist.
Mehr Infos zu den Kapverden
Anreise
Flüge mit TAP von München oder Frankfurt a. M. über Lissabon nach Mindelo auf den Kapverden, ab € 560 hin und zurück.
Santo Antão ist mit der Fähre erreichbar, die Überfahrt nach Porto Novo dauert eine Stunde.
Übernachten
Mindelo (São Vicente): Hotel Oasis Porto Grande, DZ ab € 112 mit Frühstück
Chã de Igreja (Santo Antão): Mamiwata Eco Village, nur im Package buchbar, z. B. »Auszeit am Meer – Entspannung im Mamiwata Eco Village«, zehn Tage ohne Flug ab € 1.100 p. P. im DZ. Buchbar bei Reisen mit Sinnen
Hier findet ihr unsere Reise-Tipps für die Kapverden.
Auch Autor Harald Braun war für uns auf den Kapverden unterwegs. Hier lest ihr seine Reportage über die Kapverden.