Kreativität schwirrt in Marrakesch durch die Luft. Seit Jahrzehnten infiziert die Stadt Modeschaffende, kreative Köpfe und Schöngeister. Ihre Inspiration? Das warme Licht. Die strahlenden Farben. Die wuselige Tausendundeine-Nacht-Exotik. Das Kunsthandwerk. Drei Orte kreativer Köpfe, die man in der marokkanischen Stadt gesehen haben sollte.

Der Heller-Wahnsinn

Das Paradies liegt südlich von Marrakesch in der Ortschaft Ourika, am Fuße des Atlasgebirges. Dort, wo der Blick schweifen kann von den grünen, mit Zedern bedeckten Hügeln über die braunen Berberdörfer des Hohen Atlas bis hin zu den schneebedeckten Gipfeln. Wer ins Paradies gelangen möchte, muss zunächst an einem Wächter mit FBI-Mütze vorbei und durch eine Palmenallee zu einem übermächtigen, typisch marokkanischen Tor spazieren. Allerdings: Dessen rechteTür steht offen, die linke ist mit Händen aus Silber beschlagen.

Marrakesch - Kreative - Anima - Garten von Andre Heller

Ulrike Klaas

Die fünf Finger der Fatima sollen Glück bringen und böse Geister abwehren. Sünder dürfen übrigens trotzdem eintreten. Schon befindet man sich mittendrin, in Anima, der »Seele«. Das ist der Garten des österreichischen Universalkünstlers André Heller. Ein Garten, dessen Name im Untertitel die Rückkehr ins Paradies verspricht.

Zu merken ist zunächst ein: paradiesische Kühle. Links und rechts des Weges raschelt der Bambushain als Hintergrundmusik zum Trillern der unsichtbaren Bülbüls. Die ineinander verwobenen Kronen alter Olivenbäume spenden Schatten, der Duft von Lavendel kitzelt in der Nase.

Installation in Andre Hellers garten Anima - Marrakesch - Kreative

Ulrike Klaas

Es ist ein verwunschenes Labyrinth, in dem man sich nur zu gern verläuft. Denn gerade die Unübersichtlichkeit führt zum Offensichtlichen: Hinter jeder Biegung des verschlungenen Wegenetzes entdeckt man Installationen und Skulpturen – einige sind von Heller selbst, andere von Künstlern wie Keith Haring oder Alexander Calde.

Ein Ort der Heilung und Sinnlichkeit

Plötzlich steht ein aufrechter, lebensgroßer Esel unter einer Palme. Er trägt einen edlen, schwarzen Anzug mit Schlips und Kragen, komplett aus Mosaiken zusammengesetzt, mit dem Herzen am rechten Fleck und Boxhandschuhen auf den Vorderhufen. So setzt Heller mit seinen Mosaiklegern dem meistgeschundenen Tier Marokkos ein Denkmal.

Esel in Andre Hellers Garten Anima - Marrakesch - Kreative

Ulrike Klaas

Um die nächste Biegung schippert ein rostiges Schiff aus Eisen durch das Gräsermeer, das mit fantasievollen Fabelwesen besetzt ist und dem Heller den Namen »Hoffnung« gegeben hat.

Hoffnung hat Anima auch ihm selbst gegeben. Heller, der sich immer als heimatsuchend beschrieb, hat in Marrakesch eine Wahlheimat und vor allem in seinem Gartenparadies ein Zuhause, einen »Ort der Heilung und Sinnlichkeit« gefunden, der ihm Seelenfrieden gibt. Hier kann er »auszittern«, wie der 71-Jährige sein Verweilen in Anima bezeichnet. Heller war nie ein Mann der leisen Töne, eher ein Alles- könner, der immer übertreibt. Hier zeigt sich sein gesamtes Wissen über Inszenierung, Düfte, Pflanzen, Licht und Schatten, hier hat er ein »architektonisches und botanisches Selbstporträt« geschaffen.

Den Einheimischen etwas zurückgeben

Fünf Jahre lang pflanzte er auf den sieben Hektar einer ehemaligen Rosenplantage sein Paradies. Zehn Millionen Euro ließ er sich Anima kosten. Und weil er seiner Wahlheimat und den Menschen etwas zu- rückgeben wollte, stellte er nur Personal und Arbeiter aus der Region ein. So wie Omar, den Mann mit der FBI-Mütze, den er einst als Maurer beschäftigte. Als die Knochen nicht mehr mitmachten, gab Heller ihm einen neuen Job – und Omar kam am nächsten Tag stolz mit einer FBI-Mütze zur Arbeit. Nun als Wächter.

Garten von Andre Heller Anima - Marrakesch -Kreative

Ulrike Klaas

Stundenlang könnte man in Anima verweilen: hier Rast machen, dort ein kühles, wohlduftendes Versteck genießen oder sich im Café sitzend bei einem marokkanischen Kaffee das Gesehene durch den Kopf gehen lassen. Doch irgendwann vertreibt einen die Neugier aus diesem schattigen Paradies. Die Neugier auf ein senfgelbes Schlaraffenland, das direkt um die Ecke liegt.

Ferraris Paradies

Ist das Versteckspiel in Anima durchaus Teil des Erlebnisses, mag man auf der Suche nach Ferraris Paradies zumindest kurz verzweifeln. Hat man aber die richtige Abzweigung gefunden, gelangt man über holprige Pfade in zehn Autominuten zum »Paradis du Safran« – und ist froh, dass man drangeblieben ist. Das gilt wohl auch für Christine Ferrari selbst. 2008 war die zierliche Baslerin aus ihrem gut bezahlten Job ausgestiegen und nach Marokko ausgewandert. Der Anfang war ebenso holprig wie die Straße zu ihrer Plantage.

Paradise du safran - Marrakesch - Kreative

Ulrike Klaas

2012 beschloss die sympathische Schweizerin, hier im Ourika-Tal Safran anzubauen – und fand ihr Glück auf den 2,5 Hektar Land, wo sie mithilfe von Berberfrauen aus den umliegenden Dörfern 600.000 Safranknollen pflanzte.

»Man kann alles lernen«, sagt Christine Ferrari heute, »vor zehn Jahren wusste ich noch nicht mal, wie man Salat pflanzt. Heute habe ich eine Safranfarm und einen Garten.«

»Garten« ist allerdings ein bisschen tiefgestapelt: Vor den Besuchern erstreckt sich zur Linken ein weites Feld, auf dem die Safranknollen wachsen. Zur Rechten blickt man auf ein Gemüse-, Obst- und Kräuter-Schlaraffenland, dessen Ende nicht auszumachen ist. Pflanzen und Obstbäume reifen hier in der Sonne. Im Kräuter- und Medizinpflanzen-Garten lernt man jede Menge über die Eigenschaften der Gewächse. Und zu guter Letzt schärft ein Barfußweg mit anschließendem Fuß-Kräuterbad die Sinne.

Ein Safran-Menü, das schwärmen lässt

Christine Ferrari winkt zum Essen herbei. Zeit, Platz zu nehmen auf den massiven Stühlen aus Stahl mit hübschen roten Sitzkissen. Wer Schatten mag, sitzt unter Baldachins aus Holz, an denen weiße Vorhänge mit Traumfängern oder Kamel-Mobiles sachte im Wind schaukeln.

Was die Schweizerin und die Berberfrauen, die in der Küche helfen, auf den Tisch zaubern, erfüllt jeden gehobenen Anspruch. Das Safran-Menü ist ein Hochgenuss. Auf die Gemüse-Creme-Suppe mit Safran folgt die für Marokko so typischen Tajine mit Gemüse oder Rind, serviert mit karamellisierten Pflaumen und Sesam sowie Reis mit Safran-Sahne-Soße.

Melodischer Gesang erklingt. Die Berberfrauen haben sich um einen Tisch versammelt und ziehen aus den violetten Blüten die roten Safranfäden, die die Finger gelb färben, wenn man sie mit etwas Wasser verreibt. »Fast 90 Prozent des Safrans, der weltweit verkauft wird, ist gefälscht«, schätzt Ferrari.

Christine Ferrari von Parasdise du Safran - Marrakesch- Kreative

Ulrike Klaas

Das Verreiben der Fäden in der Hand sei ein guter Trick, um schnell herauszufinden, ob es sich um echten Safran handelt.

Die Frauen aus dem Dorf helfen bei der Ernte

Das Gewürz ist ein kostbares Gut, denn ein Kilogramm wird für bis zu 30.000 Euro gehandelt. Wenn man bedenkt, wie aufwendig Ernte und Verarbeitung sind, verwundert dies nicht. »Um 200 Blüten vom Boden abzuknipsen braucht es dreieinhalb Stunden«, erzählt die Plantagenbesitzerin.

Safranblüten im Paradise du Safran - Marrakesch - Kreative

Ulrike Klaas

Zwischen 30 und 50 Frauen aus dem Dorf kommen zur Erntezeit im November täglich. »Für ein Kilogramm Safran braucht man circa 200.000 Blüten«, sagt Ferrari, »pro Blüte sind es drei Safranfäden.« Und diese müssen per Hand vorsichtig gelöst werden. Ein Gramm Safran kostet in der Plantage momentan 30 Euro – und entspricht 450 bis 600 Safranfäden. Zum Kochen beispielsweise eines Safran-Risottos benötigt man eine gute Prise, etwa 20 bis 30 Fäden.

»Reich werde ich mit der Safranfarm nicht, aber glücklich und zufrieden«,

sagt die Endfünfzigerin, ruft ihre drei Hunde herbei und schließt hinter den letzten Gästen des Tages lächelnd das schwere Tor.

Zu Gast bei Yves Saint Laurent

Rosafarben wie die Granitberge des Ourika-Tals, wo Anima und das Paradis du Safran locken, schimmert die Fassade des Museums im warmen Abendlicht. Licht und Schatten spinnen ein schimmerndes Gewebe über den Museumsbau. Auch der bekannte Modeschöpfer Yves Saint Laurent war nirgends kreativer als hier. Marrakesch inspirierte ihn nach eigen Aussagen wie kaum ein anderer Ort. Das Licht und die Farben der »roten Stadt« arbeitete er in seine Entwürfe ein.

Seine Kreationen sind nun für alle Welt in Marrakesch zu bestaunen – und tatsächlich ist es ein erhabenes, fast schon ehrfürchtiges Gefühl, an den Kleidern aus der Russland-, China-, Afrika- und Garten-Kollektion vorbeizuflanieren, die in einem schwarzen Raum in Grüppchen mit warmem Licht inszeniert sind.

YSL Museum in Marrakesch - Kreative

Fondation Jardin Majorelle/Nicolas Mathéus

Fast wirken sie lebendig. Wenn dann noch die Stimme Yves Saint Laurents aus dem Off ertönt und über Mode spricht, ist das Gänsehautgefühl perfekt.

»It’s not fashion, it’s style«,

prangt in großen Lettern an der Wand. Kurze Zeit später fallen das legendäre Modrian-Dress und Le Smoking in den Blick – und man kann nur zustimmend nicken. Jeweils 50 Kollektionsteile aus dem privaten Archiv werden in wechselnden Ausstellungen zu sehen sein. Von jedem entworfenen Teil behielt der Modeschöpfer den Prototyp. Rund 5.000 Kollektionsteile und 15.000 Haute-Couture-Accessoires sind so am Ende seines Lebens zusammengekommen.

Bergé hat die Eröffnung nicht mehr miterleben können

Das Museum, das im Oktober 2017 eröffnet wurde, ist eine Hommage an den Modeschöpfer – und an Marokko und die islamische Kunst. Ins Leben gerufen hat das Museum seine große Liebe: Pierre Bergé, Lebensgefährte und Geschäftspartner.

YSL Museum in Marrakesch - Kreative

Fondation Jardin Majorelle/Nicolas Mathéus

»Ich habe gebaut, was ich nicht in Marrakesch finden konnte«, hat Bergé über das Museum gesagt und seinem Yves in der Stadt, die er über alles liebte, ein Denkmal gesetzt. Dafür ließ er viele Kunstwerke und Kostbarkeiten versteigern, die das Paar in Jahrzehnten gesammelt hatte. Umso tragischer, dass Pierre Bergé die Eröffnung selbst nicht mehr miterleben konnte. Nur wenige Wochen vorher verstarb er.

Gleich nebenan liegt der »Jardin Majorelle«, den Saint Laurent und sein Lebensgefährte 1980 völlig verwahrlost gekauft und zu dem gemacht haben, was er heute ist: Eine der Sehenswürdigkeiten der Stadt, ein orientalisch anmutender Garten Eden mit europäischem Touch.

»Ich liebe die Gärten von Marrakesch. Und die Farben, die ich dort sehe – und die mir in Paris oft so fehlen«,

sagte Yves Saint Laurent einmal. Und einem jedem, der das Glück hatte, Marrakesch zu besuchen, wird es danach nicht anders gehen.

Nützliche Infos für eine Reise nach Marrakesch

Anreise. Mit Air Arabia von Frankfurt a. M. aus nach Marrakesch

Übernachten. Eine Oase der Ruhe und des Luxus ist das Amanjena, das etwas außerhalb Marrakeschs liegt. Übernachtungen kosten ab € 570. Route De Ouarzazate, Km 12, Marrakech, Morocco; Reservierung unter Tel. 0 800 181 3421

 

Anima. Der paradiesische Garten des Universalkünstlers André Heller liegt 27 km außerhalb der Stadt im Ourika-Tal und kann mit einem kostenlosen Shuttle-Service von Marrakesch aus besucht werden. Der Bus fährt von September bis Juni in Marrakesch vom Parking La Koutoubia (hinter der Koutoubia-Moschee) ab. Für Gäste, die die ausgedruckte Eintrittskarte dabeihaben, ist der Shuttlebus gratis. Passagiere ohne Eintrittskarte bezahlen € 2 für die Fahrt. Der Eintritt in den Garten kostet für Erwachsene € 12 p. P., Kinder (12-16 Jahre) € 6 p. P.

Paradis du Safran. Die Safranplantage nebst Garten von Christine Ferrari kostet € 10 Eintritt p. P. Dafür gibt es den Gar- tenrundgang, Barfuß-Weg mit Kräuterbad, Blüten-Mineralwasser und Kräutertee mit Safran. Das Safran-Menü gibt es für ca. € 20. Wer sich Safran als Mitbringsel mit nach Hause nehmen möchte, bezahlt für ein Gramm € 30. Auch online bestellbar.

Yves Saint-Laurent-Museum. Der Eintritt in das Museum kostet umgerechnet € 10. Täglich außer Mittwochgeöffnet von 10 bis 18 Uhr.

Viele weitere hilfreiche Tipps über Marrakech findest du hier. Mehr Impressionen findest du in unserer Bildergalerie.