Die kanarischen Inseln sind seit jeher ein Sehnsuchtsort für alle, die es ruhiger angehen lassen möchten, denen die raue Natur als Energiequelle dient und die sich manchmal auch nur mit dem Wind allein unterhalten. Lanzarote macht da keine Ausnahme und man kann nicht nur unzählige Vulkane erwandern, sondern sich von der spröden Naturgewalt einlullen lassen. Reporter Andreas Dauerer hat genau das getan. Mit einem Vulkanwein in der Hand und mit Blick auf den Sonnenuntergang.
Sie sagte, sie komme gleich wieder. Und parkte mich an der Ecke vor der kleinen Behelfsbühne, während sie sich um die Getränke kümmerte. Oben auf dem umgebauten Container heizt eine englischsprachige Indie-Rockband, deren Namen ich schon wieder vergessen habe, ein. Und unten, wie praktisch, dürfen sich die Konzertbesucher Drinks holen. Meine Begleitung, da bin ich mir ziemlich sicher, ging aber doch nicht dorthin, wo die Musik spielt, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Ein bisschen Zeit also, um das ganze Szenario einmal auf mich wirken zu lassen.
Ein Festival für die Seele: Sonidos Líquido
Die Rede ist vom Musikfestival Sonidos Líquidos. Feuchte Träumereien also. Aber der Name ist schon allein deshalb Programm, weil ich auf dem Dorplatz des Weinguts La Geria stehe, der einmal im Jahr zur musikalischen Freilichtbühne umfunktioniert wird. Dann dreht sich an diesem Vorsommertag einmal nicht alles um das traditionsreiche Kultivieren, Ernten und Verkosten von Reben und Trauben, die im Schatten des Vulkans in den berühmten steinernen, halbmondförmigen Mäuerchen gedeihen, sondern ganz klar um gepflegten, alternativen Musikgenuss. Wobei: Wein gibt es natürlich trotzdem für die durstigen Besucherkehlen und zu essen ebenso. Schließlich soll eine gewisse Grundlage bei einem Festival, dessen Programm um 16 Uhr beginnt und bis weit nach Mitternacht reicht, nicht schaden.
Alternative Musik mit Blick auf den Vulkan
Während ich noch so dastehe, auf mein Getränk warte und der Sonne dabei zusehe, wie sie die futuristische Hauptbühne in ganz warmes Abendlicht tränkt, werde ich von einem Herrn Mitte/Ende 40 angesprochen. Er hat ein klein wenig Ähnlichkeit mit einem jüngeren Dan Akroyd aus dem Blues-Brothers-Film – nur ohne Anzug, dafür aber mit Baseballcap und einer pechschwarzen Ray-Ban auf der Nase. Wie es mir denn gefalle. Sehr gut. Alles scheint so harmonisch hier, entspanntes Festivalflair, beinahe ein wenig hippiesk, wenn ich mir die Besucher hier so ansehe. Auch habe ich das Gefühl, dass viele musikliebende Insulaner hierher gepilgert sind, um ein riesiges Klassentreffen abzuhalten. Gefühlt kennt hier nämlich jeder jeden und alle scheinen aufeinander aufzupassen.
Schnell stellt sich heraus, dass der junge Dan Akroyd eigentlich Neftalí Acosta heißt und das Sonidos Líquidos leitet. Zufall? Eher nicht. Esther, meine lokale Begleitung, hat ihn einfach mal zu mir rübergeschickt, glücklicherweise auch mit einem Bier – schließlich sind wir ja auf einem Festival. Außerdem sei er doch auch in die gleiche Klasse gegangen wie David, jenem Guide, mit dem ich gestern noch im Nationalpark Timanfaya gewesen bin. Also dann, »salud« erst mal und schon erzählt Neftalí einfach mal drauflos.
Von Newcomern, lokalen Größen – und den Crystal Fighters
Musiker wollte er eigentlich werden, aber wegen Talentfreiheit, und um trotzdem in diesem Bereich zu arbeiten, ist er Booker und schließlich Manager geworden. Lokale Bands, dann ein bisschen internationaler. Weil es auf Lanzarote kein richtiges Festival gab für die Art von Bands, die ihm so gefallen, entstand schließlich sein Musik-Open-Air hier in La Geria. Alternative Musik mit Blick auf den Vulkan in einer einzigartigen Naturkulisse, die vielen Menschen nicht nur am heutigen Abend als Kraftduelle dient. Also wechseln sich dieses Jahr lokale Größen wie Tabaiba, Depedro oder Arde Bogotá mit aufstrebenden internationalen Newcomern wie Drûpe oder Miranda and the Beat ab, um schließlich kurz vor Mitternacht den doch ziemlich bekannten Crystal Fighters die Bühne für den letzten Gig zu überlassen.
Das alles ist ziemlich toll, aber auch einigermaßen ungewöhnlich, wie ich finde. Aber es passt einfach nur zu gut zu dieser Kanareninsel und ihren knapp 170.000 Bewohnern, die sich zwischen Natur und Kunst immer wieder ihren ganz eigenen Weg gesucht haben, um gemeinsam Neues zu erschaff en. Einer, der das tagtäglich vorangetrieben hat, war César Manrique. in waschechter Insulaner, der erst in die weite Welt auszog und sich unter anderem in New York zum Künstler ausbilden ließ, um dann als umtriebiger Kreativgeist den Rohdiamanten Lanzarote immer weiter zu schleifen. Und ihn somit auch immer mehr auf die touristische Weltkarte zu rücken. Wäre er nicht bei einem tragischen Autounfall bereits 1992 verstorben, dann hätte er im Alter von 93 Jahren das 2011 von Neftalí initiierte Festival sicherlich gutgeheißen. So hat er es wahrscheinlich im Blick, wo immer er auch jetzt zuschauen möge.
Das Vermächtnis von César Manrique
Dabei ist sein Vermächtnis so groß und die Bedeutung für die Insel lässt sich schwer in Worte fassen. Gefühlt hat er beinahe überall seine Finger im Spiel und egal, wo man auch hinfährt auf der Insel, Manriques Wirken und seine Werke sind treue Begleiter. Eines der bekanntesten sind die Jameos del Agua. Hier hat man einen der unzähligen Lavatunnel zu einem wunderbaren Ort des Zusammenkommens umfunktioniert. Wo früher nur ein Grabenbruch in einem wuchtigen Lavafeld war, läuft man jetzt über steile Treppen hinein in eine ganz andere Welt. Eben musste man sich noch vor der unerbittlichen Sonne schützen, kurz darauf steht man in einer alten Lavaröhre im Schatten und guckt auf blitzsauberes Wasser den Tunnel entlang, in dem sich Albinokrebse tummeln. Eine Oase unter der Erde. Glücklicherweise aber keine Fata Morgana.
Im Restaurant kann man eine Kleinigkeit essen, ehe man durch den rund 20 Meter langen Tunnel zum zweiten Grabenbruch spaziert. Tische mit Stühlen warten im Schatten auf Touristen, es gibt Kaffee und ein paar Stufen weiter oben eröffnet sich das Prunkstück der Jameos: ein weißer Pool mit blau-türkisem Wasser, in dem die Schatten der Palme ihr Windspiel aufführen. Surreal. Den Pool darf man heute nicht mehr benutzen. Zumindest nicht bei einer herkömmlichen Führung, aber natürlich kann man die Jameos del Agua auch für private Veranstaltungen mieten.
Ein Begegnungsraum der besonderen Art
Als sie im Jahr feierlich eröffnet wurden, gab es noch jede Woche eine Tanzveranstaltung, quasi eine Disko im Lavatunnel, und im Pool konnte man gemeinsam mit Schildkröten planschen. Heute ist man da ein wenig strenger geworden und dennoch funktionieren die Jameos seit jeher so, wie es Manrique sich erdacht hat: als Begegnungsraum. Konzerte internationaler Künstler finden im eigens geschaffenen Auditorium statt, das so aussieht, als säße man in einem griechischen Theater. Sting war schon da, The Weilers, gerade hatte John Malkovich ein Theatergastspiel. Mittlerweile können sich Besucher auch im neu gestalteten Museum über die Geschichte der vielen Lavatunnel auf der Insel und der Entstehung der Jameos informieren.
Inzwischen ist die Sonne hinter dem Vulkan untergegangen und die Band Tabaiba hat begonnen, die Hauptbühne einzuweihen, und den Konzertbesuchern mit Latino-Rhythmen ordentlich einzuheizen. Ich liebe das Beobachten, mich einfach in eine Ecke zu stellen und zu gucken. Aber egal, wohin ich mich auch wende, ins Gespräch komme ich trotzdem in Sekundenschnelle. Es scheint doch noch etwas ungewöhnlich zu sein, dass sich Besucher, vor allem aus dem nicht Spanisch sprechenden Ausland, auf das kleine Festival verirren. Zu Unrecht, wie ich finde.
Unter neugierigen und unheimlich netten Zeitgenossen
Außerdem gehört auch zur Wahrheit, dass die Bewohner von Lanzarote neugierige und unheimlich nette Zeitgenossen sind. Bitte sehr, noch ein Bier – oder doch lieber Wein? – und natürlich die Frage, was mir denn an ihrer Insel gefalle. Wie ich Manrique finde und, natürlich, ob ich auch den lokalen Wein schon probiert habe. Für mich sind das dann immer jene Momente, in denen ich kurz innehalte, und zwar nicht, weil ich überlegen müsste, um den Bewohnern im Fall des Falles nicht auf den Schlips treten zu wollen. Nein, sondern weil dann auch immer ein kleiner Film vor dem inneren Auge abgespult wird.
Der Reiz des Rauen
Bei Lanzarote ist es ja eigentlich einfach. Der Reiz des Rauen, der Sprödheit der Naturgewalten ist allgegenwärtig. Du bist plötzlich auf einer Insel, die dich derart mit Sonne und Wind beschenkt, dass ich nicht zweimal überlegen muss. Dass ich bereits um sechs Uhr morgens aufstehe, um eine Runde um den Volcán del Cuervo zu drehen, weil ich mich sonst schneller, als mir lieb ist, als träge fließender Lavafluss fühle.
Dabei ist diese Wanderung schlichtweg atemberaubend, vor allem in den frühen Morgenstunden, wenn noch nicht so viel los ist. Wo auf der Welt kann man entspannter in einen Vulkan klettern? Ja, beinahe schon hineinflanieren Die Umrundung dauert für Normalsterbliche 90 Minuten zu Fuß und der Blick über alte Lavafelder und die kleinen Vulkankuppen im Hintergrund, die je nach Sonnenlicht in Braun, Rot, Ocker, Grau, Grün und Schwarz gegen das Blau-Weiß des Wolkenhimmels um die Deutungshoheit konkurrieren, ist dabei ein steter Begleiter. Eine irdische Mondlandschaft.
Noch eine Spur eindrucksvoller in Sachen Vulkane und Co. wäre da noch der Nationalpark Timanfaya. Auch hier, beim wichtigsten Aushängeschild der Insel, hatte Manrique seine Finger im Spiel. Ihm war bewusst, dass diese natürliche Urgewalt ein Touristenmagnet sein würde – wenn man sie ein bisschen erschließt. Also wurden dort im Westteil der Insel, in dem vor 200 Jahren die letzten großen Eruptionen und Lavawalzen in Richtung Meer wanderten, befestigte Straßen durch die Vulkan- und Kraterlandschaft gezogen. Mit Bussen können die Touristen jetzt hautnah an einigen der insgesamt 25 Vulkane vorbeifahren und ein Guide erklärt die geologischen Feinheiten des Nationalparks.
Kulinarik aus Teufelsküche
Auf Lanzarote sind es nämlich überwiegend sogenannte Schlackenkegel, die sich entlang der Eruptionsspalten bildeten, was man an der typischen abgeflachten Form gut sehen kann. Selbstverständlich braucht so ein Park aber auch ein Panoramarestaurant und ein paar Gimmicks. So wird in der »Teufelsküche« überwiegend mit Erdwärme gekocht, die man nach dem Essen zur eigenen Belustigung draußen hautnah erleben kann. Mitarbeiter des Nationalparks lassen in Erdspalten mal eben Stroh brennen oder füllen Wasser in eines der Löcher, das dann, sehr zur Freude der jüngeren Besucher, als künstlicher Geysir nach oben herauspustet. Der Weg auf dem kleinen Trampelpfad zur »alten Küche« des Restaurants lohnt sich. Von dort aus hat man einen wunderbaren Blick auf die Vulkanlandschaft, die in den verschiedensten Erdtönen strahlt.
Und das Meer, der Strand? Wie sieht es denn damit aus, fragt eine junge Frau mit grünen Strähnen, Collegejacke, Hotpants und schweren Lederstiefeln. Sie stellt sich mir als Gabi vor und wippt derart munter zum Cumbia und schafft es dabei dennoch, unfallfrei ihren Cocktail zu trinken, während sie auf meine Antwort wartet. Strand also. Ja, hat Lanzarote. Im Überfluss. Am schönsten finde ich die Klippen von Los Hervideros. Hier ist ein Lavafeld von den Vulkanausbrüchen im Timanfaya einst ins Meer gerauscht und hat dafür gesorgt, dass die Bruchkante ganz besonders rau und durchlöchert scheint. Auch dort haben die Menschen die Landschaft begehbarer gemacht, ein paar Pfade und Treppen geschlagen. Wenn unten das Meer dann anrauscht und durch eines der vielen Löcher nach oben spritzt, ist das eine willkommen Abkühlung – und ein großer Spaß gleichermaßen.
Wilde Strandschönheiten rund um die Insel
Direkt ins Wasser kann man hier jedoch nicht, das wäre zu gefährlich. Dafür kann ich mich von den dunklen Felsen und den roten Vulkankegeln dahinter gar nicht wirklich sattsehen. Ähnlich – und doch ganz anders – ergeht es mir am Strand von Famara. Sand auf etwa vier Kilometern zwischen den mächtigen Klippen und dem kleinen Dorf Caleta de Famara. Dazu Wellen, soweit das Auge reicht, und Wind, sodass Surfer aller Art, also egal ob mit oder ohne Segel, auf ihre Kosten kommen.
Magisch wird es dann zum Sonnenuntergang. Am besten gräbt man sich in eine der kleinen, halbmondförmigen Steinmäuerchen ein, die wunderbar vor dem Abendwind schützen, idealerweise mit einer Flasche Malvasía Volcánica, und guckt der Sonne dabei zu, wie sie in Richtung Meer wandert. Die Felsen der Risco de Famara leuchten so stark, als hätte sie die Abendsonne persönlich angezündet. Ein paar Surfer versuchen sich noch an kleinen Wellen, aber es wird jetzt minütlich ruhiger am Strand.
Eine Insel mit Kraft
Hier wird mir dann doch bewusst, wie viel Kraft diese Insel auf sich vereint und wie viel sie davon auch ihren Bewohnern und Besuchern abgibt. Der Wind, der über Felsen und Vulkankegel pfeift. Das Meer, das mal kräftig an Klippen oder Strände klopft, um sich dann wieder handzahm zu geben. Die Hitze von oben und unten. Das inhärent Lebensfeindliche der Insel wird immer wieder ins Gegenteil verkehrt, gerne am Morgen und am Abend. Wenn das Licht weicher strahlt, die Mühen der körperlichen Arbeit noch leichter von der Hand gehen oder eben so weit vorangetrieben wurden, dass die Erschöpfung langsam wohlig überhandnimmt, wenn die Faszination, etwas Neues zu schaff en, immer am größten ist.
Irgendwie muss ich noch an den Kaktusgarten von Manrique denken. Eine alte Müllhalde wurde zur Heimat von mehr als verschiedenen Kakteen, die ganz geordnet und geschützt gedeihen können. Dort, wo eben noch nichts war, sprießen nun stachelige Pflanzen neben einigen Kunstinstallationen Manriques. Ein Ort der Ruhe und ganz besonderen Energie inmitten einer Landschaft, die es Natur und Mensch nicht immer ganz einfach macht – und trotzdem funktioniert es.
Die Sonne ist kaum weg, schon steht der Mond in den Startlöchern und übernimmt die Kontrolle. Es ist kühl geworden. Zumindest für diejenigen wie mich, die glauben, man könne ein Festival auch hüftsteif und lediglich beobachtend zu Ende bringen. Weit gefehlt. Schon greift Gabi nach meiner Hand und entführt mich tanzend in die Menschenmenge. Von Kälte ist in der Nacht jedenfalls nichts mehr zu spüren.
Mehr Infos
Anreise. Ab Deutschland fliegt Condor viermal in der Woche während der Sommersaison nach Lanzarote. Ansonsten unterhält Iberia diverse Verbindungen nach Arrecife, in der Regel mit Umstieg in Madrid.
Übernachten. Das 5-Sterne-Hotel Lava Beach liegt in Puerto del Carmen. Die Anlage wurde 2019 eröffnet und wartet neben Meerblick auch mit einem großen Pool, Spa, zwei Restaurants und drei Bars auf seine Gäste. Die Zimmer sind modern und sehr gut ausgestattet. Deluxe-Zimmer mit Meerblick ab ca. € 240 pro Nacht inkl. Frühstück.
Die Kamezí Boutique Villen an der Playa Blanca im Südwesten der Insel ist eine luxuriöse Bungalowanlage mit vier unterschiedlichen Kategorien. Alle haben einen kleinen beheizten Pool, Garten sowie eine Küche und bis zu vier Schlafzimmer. Die Sea Lounge Villen beginnen bei € 291 die Nacht, die Ocean Villen ab € 387 – beide inkl. Meerblick.
Essen & Trinken. Das Kamezí Deli & Bistro im gleichnamigen Villen-Resort hat einen Michelin-Stern und ist in jedem Fall einen eigenen Besuch wert. Der kanarische Chef kredenzt ausschließlich lokale und regionale Produkte auf Spitzenniveau. Ein Elf-Gang-Degustationsmenü gibt es derzeit ab € 90 ohne Weinbegleitung. Wer im Hotel schläft, kann im Deli Market auch bequem regionale Produkte zum Kochen erstehen.
Das Las Dunas thront mitten in der neuen Bungalowsiedlung oberhalb des Strands von Famara. Der Ausblick von der Terrasse ist atemberaubend und die Küche serviert exquisite lokale Küche. Cocktailliebhabern dürfte die wohlsortierte Bar ebenfalls eine Erwähnung wert sein.
Aktivitäten. Im Juli findet das Festival Sonidos Líquidos statt. Alle Infos rund um das Event sowie Tickets gibt auf der Internetseite. Eine Herzensempfehlung!