Was wissen wir schon über das Ende der Welt? Wenig. »Herr der Ringe« wurde dort gedreht. Und dass Neuseeland schön grün und die Menschen dort Naturliebhaber sein sollen.

Und dass Neuseeland schön grün und die Menschen dort Naturliebhaber sein sollen. Und es von ihnen aber gar nicht so viele gibt – weniger jedenfalls als Schafe. Fortgeschrittene Touristen sind möglicherweise sogar in der Lage, Nordinsel und Südinsel Neuseelands auseinanderzuhalten. Genau an dem Punkt hörte es bei mir allerdings schon auf.

Zum Glück hatte ich rund 24 Stunden Muße und die richtige Lektüre dabei, um mich auf mein Reiseziel im Südpazifik einzustimmen. (Ungefähr so lange dauert es nämlich, wenn man von Deutschland aus auf die andere Seite der Welt fliegt. Im Prinzip eine Unverschämtheit für ein wenig Schweiz mit Schafen, oder?) Erste Regel: Nehmen Sie Anke Richters Buch

»Was scheren mich die Schafe«

mit an Bord. Wer den Wunsch hegt, sich unterhaltsam auf seinen Neuseeland-Trip vorzubereiten, trifft damit eine perfekte Wahl. Es handelt sich bei Anke Richter um eine Kölner Journalistin, die smart geheiratet hat – einen Mediziner nämlich, der in Christchurch eine Stelle als Arzt angenommen und ermöglicht hat, ihren Lebensmittelpunkt rund 20.000 Kilometer entfernt in die südliche Hemisphäre zu verlagern. Launig beschreibt sie ihre Wahlheimat als Weltrekordinhaber in den Disziplinen Schrullig- und Lässigkeit und seine Bewohner als grundentspannten Haufen von Kaffeetrinkern, Outdoorfanatikern und bedingungslosen Optimisten. All das wird sich bestätigen.

Es IST anstrengend, nach Neuseeland zu reisen, machen wir uns nichts vor. Selbst wenn man rund um die Uhr von tipptopp geschulten Singapore-Air-Elfen bedient und von gefühlten 45 Hollywood-Filmen bespaßt wird. Lang-Langstreckenflüge sind die Pest, aber mit ambitionierten Fluggesellschaften wie Singapore Air wenigstens überlebbar. Zweite Regel also: Es bringt nichts, beim Flug zu sparen. Die Holzklasse bei einer Billig-Fluggesellschaft zu buchen, die trockenes Brot und warmes Wasser schon für einen VIP-Service hält und sich in Sachen Beinfreiheit an den Bestimmungen für Massentierhaltung orientiert, mag zwar die Reisekasse um ein paar Euro bereichern. Kostet Sie aber drei Tage Rekonvaleszenz in mentalem Taumel, die von Ihrem Urlaub abgehen und die es Ihnen schwermachen, Neuseeland vom ersten Moment an zu genießen.

Rasant durch Auckland

Stalker ist ein freundlicher Mann, aber eine Schande für seine Gattung. Na ja, formulieren wir es etwas freundlicher: Von einem etwa 45-jährigen Harleyfahrer mit Totenkopf-Shirt, dunkler Sonnenbrille und einem Bandana um den Kopf erwartet man halt nicht unbedingt, dass er sich an jeder Straßenkreuzung nach seinem Beifahrer umdreht, auf ein paar Blümchen am Straßenrand, eine Strandszene oder ein Café mit Meerblick zeigt und säuselt:

»Beautifiul, isn’t it.«

Oder ersatzweise: »Look, awesome!« Der Beifahrer war ich, Nutznießer einer Dienstleistung, die man nur jedem müden Reisenden empfehlen kann: Wer nach einem Langstreckenflug aus Europa in Auckland landet und munter bleiben möchte, der sollte sich Stalker und seine Freunde von der Bularangi Motorbike Tour ins Hotel bestellen. Eine Stadtrundfahrt auf dem Rücksitz einer Harley bietet gleich zwei Vorteile: Der Jetlag hat gegen so eine lässige Spritztour keine Chance. Und Auckland lässt sich auf diese Weise ganz vorzüglich erkunden, denn Stalker und seine Freunde kennen die besten Plätze ihrer Heimatstadt.

Harley-Tour durch Auckland

Bularangi Motorbikes/Shutterstock.com

Vorbei am Waitemata Hafen, cruisen wir an der Harbour Bridge mit Blick auf Cafés, Restaurants und Bars vorbei und stellen fest: Städte mit Meerzugang sind einfach schöner. Auckland wird die »Stadt der Segel« genannt – das mag an den zahlreichen Schiffen liegen, die sich wie Perlen auf der Kette in der Sonne aalen. Auffällig viele Maoris und Einwanderer von den pazifischen Inseln haben Auckland zur größten polynesischen Stadt der gesamten Region anwachsen lassen. Das ergibt vor der Kulisse der vielen eher klassisch anmutenden, viktorianischen Gebäude einen reizvollen Effekt. Passionierte Fußgänger muss man vor Auckland warnen: Überall geht es amtlich bergauf, bergab in der mit rund anderthalb Millionen Einwohnern größten neuseeländischen Stadt, die allerdings ihren Hauptstadtstatus schon 1865 an Wellington verlor.

Ehrlich gesagt: Ein, zwei Tage Auckland reichen, um die Sehenswürdigkeiten der Stadt abzuklappern. Wenn man Stalker glauben soll, sind sogar 36 von diesen 48 Stunden verschwendete Zeit, denn:

»This is not New Zealand!«

Was er meint: Für Auckland allein lohnt sich der lange Weg aus Europa nicht. Die Natur im Hinterland aber, die sei so wunderbar, außerordentlich schön, magisch, unvergleichlich … Schon ein wenig schräg, einem sanften Natureuphoriker wie Stalker im kantigen Outfit eines Hells Angels zu begegnen. Er wird übrigens so genannt, weil er zuerst zu schüchtern war, seine heutigen Motorradfreunde anzusprechen und die Jungs stattdessen auf ihren Touren mit einigem Abstand verfolgte. Lustige Männer, diese Neuseeländer. Der Biker-Boss hörte übrigens auf den Namen Donkey (Esel) – und es war nicht in Erfahrung zu bringen, was zu diesem Titel geführt hatte. Vielleicht auch besser so.

Der Traum vom Ende der Welt

Man muss es nur aussprechen: Neuseeland! Schon steigen Gedankenblasen und Träume auf von einem schönen, von einem guten Leben auf der Insel im Südpazifik. Sind wir nicht im Grunde unseres Herzens alle irgendwie Kiwis? Anke Richter befeuert diese Träume:

»Es gibt kein entspannteres Volk als die Kiwis. Sie verströmen Optimismus, helfen gerne aus und nehmen sich nicht zu wichtig.«

Zum ersten Mal kommen mir diese Worte auf dem Bauernmarkt in »Hawke’s Bay« wieder in den Sinn. So stellt man sich Neuseeland vor: Hier wird nicht nur Gemüse, Wein, Salat und Brot verkauft – hier wird eine Lebenseinstellung präsentiert. Der Markt ist in Kreisform angeordnet, in der Mitte klampft ein mittelbegabter, aber sehr begeisterter Musikant in die Saiten und sammelt für ein alternatives Wohnprojekt. Wer es drauf anlegt, könnte auf dem Farmers’ Market innerhalb einer halben Stunde satt werden, ohne einen Cent zu zahlen: Brot, Wein und Käse – alles darf, ach was: soll probiert werden. Und jeder der Händler hat eine Geschichte zu erzählen. Niemand scheint hier zu sein, um Geld zu machen. Okay, das auch. Aber in erster Linie geht es den Käsern, Bäckern oder Kleinwinzern darum, richtig zu leben und dieses Leben zu teilen. (Regel 3: Reden Sie mit den Leuten. Anders als in Deutschland haben hier auch Händler Zeit und Lust, die Begeisterung für das eigene Produkt zu teilen!)

Hawke's Bay Farmer Market

Hawke’s Bay Farmer Market

Nachhaltiger, biodynamischer Anbau? Ja klar, wieso? Eine Selbstverständlichkeit überall in Neuseeland, nicht der Rede wert. Eine Frau, die ich früher Hippiebraut genannt hätte, presst Organic Green aus und schüttet es in ein hübsches Gefäß. Wir reden von Gras. Nein, nicht diesem Gras. Dem richtigen. Der Wiese. Sie fordert mich auf, mal zu probieren. Das grüne Zeug schmeckt, wie es aussieht. Sie lacht über meinen Gesichtsausdruck: »Ist aber wirklich gesund und bringt Energie!« Vermutlich ein automatischer Überlebensreflex unseres Körpers. Sie lädt mich ein, am späten Nachmittag an einen See in der Nähe zu kommen. Zum chillen, nicht um was zu kaufen.

»Ein magischer Ort, kennen nicht viele.«

Und ist wirklich enttäuscht, dass ich nicht genügend Zeit habe. Doch wenn ich an jedem der magischen Plätze bloß zehn Minuten verbringen würde, die man mir in Neuseeland ans Herz legt, würde ich den Rückflug verpassen. Was ohnehin nicht die schlechteste Idee wäre, vermutlich. Denn es ist überall schön hier, verdammt S-C-H-Ö-N. Zumindest auf der Südinsel Neuseelands bewegt man sich permanent in den Kulissen vom »Herrn der Ringe«, symbolisch gesprochen. In der Region um Hawke’s Bay liegt zudem hinter jeder malerischen Biegung ein schmuck gestaltetes Weingut, auf dem freundliche Einheimische organischen Wein anbauen. Der übrigens inzwischen unter Kennern einen gewissen Ruf genießt. (Regel 4: Mindestens drei Weingüter besuchen und vor Ort die besten Tropfen probieren. Nichts mit nach Hause nehmen. Übergepäck. Und es hilft, Enttäuschungen zu vermeiden – welcher Wein schmeckt zu Hause schon so gut wie im Urlaub?)

Rucksack auf und los, aber entspannt

Neuseeländer sind Genießer. Sie lieben guten Kaffee, und ein guter Barista genießt hohes Sozialprestige zwischen Auckland und Dunedin. Außerdem sind Kiwis extrem sportlich: Neuseeländer lieben Outdoor. Im ganzen Land gehören ausgewiesene Wanderwege auch in Gegenden zu den Grundrechten des Menschen, in die nur alle paar Monate mal ein Tourist vordringt. Die Wanderwege werden in sechs Schwierigkeitsstufen unterteilt, von »Leichter Weg« bis »Besonders herausfordernder Trampingtrack«. Neun Wanderwege werden in Neuseeland als »Great Walks« eingestuft. Die Königswege, sozusagen. Regel 5: Gehen Sie mindestens einen davon! Egal welchen. Mein Favorit ist der Routeburn Track auf der Südinsel, der dem geneigten Wanderer auf 32 Kilometern 800 Höhenmeter abfordert und zwischen alpinem Hochland und Regenwald changiert.

Routeburn Track

Naruedom Yaempongsa/Shutterstock.com

Aber das ist Geschmackssache: Wer eher an den malerischen Seen in Neuseeland interessiert ist, dürfte mit dem Kepler Track auf der sicheren Seite sein: Um den Te-Anau-See herum schmiegt sich der Weg bis zur Broad Bay an malerischen Stränden vorbei, im Hintergrund öffnet sich der Blick auf die Berge. Regel 6: Muten Sie sich nicht zu viel zu. So ein Track dauert in der Regel mehrere Tage – wer hetzt, kann zwar mehr Strecke machen, aber auf keinen Fall mehr erleben. Neuseeland ist ein Land, das viel Zeit für Gefühle einfordert … Seine Einwohner haben das verstanden.

Außer in Queenstown natürlich. Queenstown ist anders. So etwas wie das Las Vegas der südlichen Hemisphäre. Dort wird auch gezockt – allerdings nicht mit Chips, sondern mit Adrenalin. Es gibt keine gefährliche Extremsportart, die in Queenstown nicht angeboten würde. Das Bungee-Jumping erlebte hier seine erste Blüte, auf Speedbooten rasen hier schon Dreizehnjährige umeinander, von irgendwoher kommt immer ein Windsurfer, Extreme Zorber oder Mountainbiker angeflogen. Die Menschen hier sind jung und sportbegeistert, sie wollen Spaß haben und an Grenzen gehen.

Bungee Jumping in Queenstown

Pumpchn/Shutterstock.com

Und das populärste Restaurant Queenstowns ist die eine legendäre Hamburgerbude, vor der üblicherweise eine 50 Meter lange Schlange steht: »Fergburgers«. Passt das zu einem gesunden Lifestyle? Nö. Aber es ist typisch Neuseeland, und auch dafür muss man das Land lieben: So ein mächtiger Fergburger ist die Vorstellung der jungen Neuseeländer von Haute Cuisine, er ist wirklich riesig und dabei bio. Die Betreiber haben eine eigene Bäckerei, wissen genau, wo ihr Fleisch herkommt, und weigern sich, ihren Laden seriell aufzuziehen. Zu viel Stress. Es gibt nur einen Fergburger-Laden in ganz Neuseeland. Regel Nummer 7: Probieren Sie ihn besser nur, wenn Sie es aushalten können, für den nächsten besten Burger ihres Lebens 20.000 Kilometer weit fliegen zu müssen.

Anreise. Von Frankfurt a. M. oder München via Singapur nach Auckland mit Singapore Airlines

Freizeitaktivitäten. Bularangi Motorbike Tour. Stadtrundfahrt durch Auckland auf dem Rücksitz einer Harley mit Sehenswürdigkeiten wie Harbour Bridge und Mission Bay. Zweistündige Tour kostet € 177 p.P.

Bauernmarkt Hawke’s Bay. Der Markt findet jeden Sonntag von 8.30 bis 12.30 statt.

Trekking. Die neun Königswege Neuseelands heißen Great Walk, sind sehr anspruchsvoll, belohnen aber mit hinreißender Szenerie. Infos zu den Routen und Buchungen von geführte Touren, u. a. des Routeburn Tracks.

Aktiv in Queenstown. Bungee-Jumping, z. B. die 43 Meter hohe Kawarau Bridge hinab, kostet € 120 p. P. und ist z. B. buchbar unter: ; Speedboat-Touren kosten € 81 p.P.

Restaurant. Essen in Queensland. »Fergburgers« ist die legendäre Hamburgerbude und das populärste Restaurant der Stadt. 42 Shotover St, Queenstown 9300, Tel.: +64 3-441 1232