Nur wenige Kilometer von der Inntal-Autobahn entfernt offenbaren die Kitzbüheler Alpen eine weiße Wunderwelt. In den stillen Seitentälern bekommt man vom Trubel des Skizirkus rein gar nichts mit – sofern man mit Schneeschuhen fernab der Pisten unterwegs ist. Unser Autor Norbert Eisele-Hein hat sich beim Schneeschuhwandern in den Kitzbüheler Alpen versucht.
Ich bin gewarnt worden, ich gebe es zu. Dass Schneeschuhwandern in den Kitzbüheler Alpen nicht bloß Wandern im Schnee für Leute ist, denen Skitouren und Langlaufen zu anstrengend sind. Dass dieser Sport mehr ist als breitbeinig und mit Stöcken ausgerüstet durch den tiefen Schnee zu stapfen, die Aussicht zu genießen und danach schön einzukehren. Das gehört dazu, ist aber längst nicht alles. Aber um das zu verstehen, musste ich selbst laufen. Also bin ich gelaufen.
Einführungstour im Schneeschuhwandern in den Kitzbüheler Alpen
Das Ziel: Die Kitzbüheler. Der Treffpunkt: Hopfgarten auf der Südseite der Hohen Salve. Dort treffe ich auf Elke, eine Schneeschuhwanderführerin aus der Gemeinde Itter, die zum Bezirk Kitzbühel gehört. »Bei uns heißen sie den Hohen Salve auch den Rigi Tirols, wegen seiner markanten Kuppe und der tollen Aussicht«, verrät Elke. Ganz oben auf 1829 Metern schimmert im Sonnenlicht die Wallfahrtskirche neben der Bergstation. »Keine Angst«, sagt meine Begleiterin, »da musst du heute nicht rauf«. Ob ich schon einmal mit den Schneeschuhen gelaufen bin, fragt sie dann. Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich antworten soll. Gelaufen ja, aber nur ein paar Meter im Pulverschnee. Erfahrung kann man das wirklich nicht nennen. »Dann machen wir eine Einführungstour«, schlägt sie vor. Wir fahren eine schmale Straße bergauf nach Itter, das sich auf einer großen Aussichtsterrasse oberhalb von Hopfgarten versteckt.
Ein perfekter Platz: Vor uns die Hohe Salve, links auf der anderen Talseite baut sich der markante Pendling auf und rechts blicken wir hinüber Richtung Wilder Kaiser, dessen steile Felswände in der Morgensonne glänzen. Am Dorfrand schnallen wir die Schneeschuhe an, was für mich als Neuling noch etwas ungewohnt ist. Doch dank fachlicher Hilfe bin ich mit gespannten Riemen schon gleich startbereit. Unsere Einsteigertour führt auf gut 2,5 Kilometer von Itter nordwärts entlang der Westseite der Hohen Salve neben der Langlaufloipe über die Felder. Links zwischen den Bäumen ragt der wuchtige Turm des Schloss Itter in den Himmel. Ein gut 1100 Jahre altes Bauwerk mit sehr wechselhafter Geschichte. Es gehörte einst den Bischöfen in Regensburg, dann zu Salzburg, war zwischendurch Pension und im Zweiten Weltkrieg ein Außenlager des Konzentrationslagers Dachau, wo prominente Häftlinge, darunter vornehmlich französische Politiker, interniert waren. Heute ist es in Privatbesitz.
Unterwegs im Winterwunderland
Auf den ersten Metern muss ich mich noch an den breitbeinigen Laufstil gewöhnen. Aber bald schon genieße ich es, mit leichten Schritten auf dem hohen Pulverschnee zu laufen. Mit normalen Schuhen würden wir hier gnadenlos einsinken. Mit gleichmäßigen Bewegungen geht es weiter.
Das leichte Terrain und die geringe Steigung sind gut machbar. Unsere Atemwölkchen explodieren förmlich im Gegenlicht. Die flankierenden Bäume tragen schwer an ihrer aufgebauschten Schneelast. Auf den Stadeln haben sich ganze Wolken von Pulverschnee mit windverblasener Tolle gebildet. Winterwunderland – unsere Einstiegstour hat Suchtpotenzial. Kurz vor dem Ziel gönnen wir uns noch eine Einkehr beim Gasthof Grünholz in Litzl. Nach einem schnellen Kaffee laufen wir das letzte Stück bis kurz vor die Skipiste an der Salvistabahn.
Zurück nach Itter nehmen wir den Skibus. Später in Hopfgarten pausieren wir ausgedehnt im Gasthaus und stärken uns stilgerecht mit Tiroler Kasspatzn.
»Das Schöne am Schneeschuhwandern ist, dass du wirklich raus in die Natur laufen kannst, dass du nicht an Straßen und Wanderwege gebunden bist und die absolute Winterromantik genießen kannst«, sage ich zu Elke.
Sie nickt und steigt sogleich auf meine Schwärmerei ein: »Hier hast du so viele Möglichkeiten, es gibt so viele Panoramatouren zu urigen Gasthäusern und Berghütten.« Was Elke nicht gesagt hat, für mich aber ein weiteres zentrales Argument pro Schneeschuhe darstellt, dass die Schuhvergrößerungen schlichtweg eine bezaubernde Alternative zum konventionellen Skifahren bieten. Wenn sich am Wochenende die Staus auf dem Weg zu den Skigebieten bilden, wenn die Parkplätze voll und viele Skifahrer auf den Pisten unterwegs sind, können Schneeschuhwanderer ganz einsam und stressfrei über einsame Berghänge auf die Gipfel der Kitzbüheler Alpen stapfen, eine umwerfende Aussicht und eine leckere Brettljause genießen. Ganz ohne Pistentrubel und ohne kostspielige Liftkarte.
Ausflug in die Kelchsau
Keine Frage, ich bin nun hochmotiviert und habe eine anspruchsvollere Tour mit richtigen Bergen fix eingeplant. »Freut mich, dass dich das Trapper-Virus gepackt hat«, meint Elke. »Wir könnten zum Beispiel drüben auf der anderen Talseite auf den Gruberberg steigen oder einen Ausflug hinein in die Kelchsau machen. Dort gibt es eine kurze Tour hinauf zur Höhenbruckalm an der Grenze zum Skigebiet oder, wenn du es noch alpiner haben willst, zur berühmten Neuen Bamberger Hütte ganz hinten im Tal«, ergänzt sie. Keine Frage, ich will in die Kelchsau.
Das ursprüngliche Tal ist ein Geheimtipp in den Kitzbüheler Alpen. Hier in dieser perfekt erschlossenen Skiregion findet der Naturliebhaber tatsächlich noch stille Seitentäler. Und das gilt ganz besonders für die Kelchsau. Wir fahren die Straße hinein in das Tal, vorbei an Bauernhöfen und alten Heustadeln, auf denen sich turmhoch der Neuschnee stapelt. Der Verkehr wird immer weniger, bis wir das Dorf Kelchsau erreicht haben. Nach der Mautstation gabelt sich die Straße. Rechts geht es in den Langen Grund und links in den Kurzen Grund. Grund nennen die Tiroler ihre Nebentäler. Die Route in den Kurzen zieht sich schnurgerade vorbei an der Niederkaseralm und landet schließlich vor dem Gasthof Wegscheid. Ein bodenständiges Tiroler Gasthaus, das vor allem an den Wochenenden von Wintersportlern gerne angesteuert wird. Denn hier beginnt ein exzellentes Revier für Skitouren, heißt für Skibergsteiger, die mit Fellen an den Skiern die Berge mit eigener Muskelkraft erklimmen. Also, ähnlich wie wir.
Ganz gemütlich stapfen und plaudern
Wir sind schon auf 1144 Metern Seehöhe und haben gute zwei Stunden Gehzeit mit über 600 Höhenmetern vor uns. Eigentlich eine gemütliche Tagestour.
Flinke Schneeschuhwanderer schaffen das auch an einem halben Tag, aber wir wollen das ganz entspannt angehen. Das Anschnallen der Schneeschuhe funktioniert jetzt schon deutlich besser. Die Gamaschen an den Hosenbeinen fixiert, damit sich vor allem beim Bergabgehen kein Schnee unter die Hosenbeine oder gar in die Schuhränder mogelt. Getränk und das T-Shirt zum Wechseln im Rucksack verstaut. Jetzt kann es losgehen. Zuerst stapfen wir auf der Forststraße ein Stück weiter taleinwärts und folgen dann in einer Linkskehre dem schmalen Weg geradeaus. Die Anstiege sind eher moderat und wir plaudern gemütlich, werden zwischendurch von Leuten mit Tourenski überholt.
Früher hieß die Neue Bamberger Hütte noch Hopfgartener Hütte, wurde dann aber, weil sie der Alpenvereinssektion Bamberg gehört, mit dem standesgerechten Namen ausgestattet. Wir laufen weiter durch den verschneiten Zauberwald. Passieren ein paar Lichtungen und gelangen auf offene Hänge. Der Wind hat feine Rillen und Kanten in den Schnee modelliert, unsere Schneeschuhe wippen fleißig, katapultieren kleine Pulverschneewolken in die Luft.
Blick auf den Tristkopf und den Salzachgeier
Nach einer Brücke folgen wir dem Winterweg weiter hinein ins Tal bis zu eine Lichtung vor der Kuhwildalm. Hier offenbart sich unvermittelt ein gewaltiger Panoramablick. Ganz hinten reckt der 2361 Meter hohe Tristkopf seinen kantigen Gipfel in die Höhe, rechts daneben baut sich die weitläufigen Hänge des 2469 Meter hohen Salzachgeiers auf. Die Neue Bamberger Hütte kommt in Sichtweite. Der fast schon kitschig-schöne Anblick sorgt für einen zusätzlichen Energieschub. Nur noch wenige Höhenmeter auf dem offenen Gelände, dann schnallen wir die Bratpfannen an unseren Füßen ab. Freuen uns auf die warme Gaststube und die herzhafte Tiroler Küche. Die Kaspressknödel in herzhafter Brühe sind ein Gedicht, der hausgemachte Millirahmstrudl, mit Vanillesauce und feinem Puderzucker bestäubt, ein Traum für Leckermäuler.
Derart gestärkt entsteht sofort neuer Tatendrang.
Pläne für den nächsten Tat schmieden
»Wir könnten mit den Schneeschuhen schon auch den einen oder anderen Gipfel erreichen, den Schafsiedl oder auch das Kröndlhorn«, sinniert Elke, »aber dafür bräuchten wir eine vollständige Lawinenschutzausrüstung mit Pieps, Schaufel und Sonde.« Hm, am frühen Abend mit den Schneeschuhen zur Bamberger Hütte, dann übernachten und am nächsten Morgen eine schöne Gipfeltour. Das klingt ziemlich verlockend und ich sehe mich schon als Stammgast in der Kelchsau. Auf dem Weg zurück schmieden wir schon Pläne, wie wir es beim nächsten Mal angehen wollen. Dass uns bergab einige Tourengeher mit ihren Skiern locker überholen, ärgert mich nur für einen kurzen Moment. Klar, sie sind schneller unten, aber wir sind ja zur Entschleunigung unterwegs. Und dafür bieten die Schneeschuhe die bestmögliche Alternative. Wir sind die Genießer unter den Alpinisten – und Genuss darf auch mal länger dauern.
Anreise. Mit dem Auto über München auf der Autobahn A8 bis zum Inntaldreieck und weiter auf der Inntalautobahn Richtung Innsbruck bis zur Ausfahrt Wörgl-Ost und dort nach Osten Richtung Brixental bis Hopfgarten. Weitere Infos hier.
Infos. Ferienregion Hohe Salve, Bahnhofstrasse 4a, A-6300 Wörgl, www.hohe-salve.com, www.kitzbueheler-alpen.com, Tel.: +43 (0) 57507 7000. Hier können auch tageweise Guides zum Schneeschuhwandern in den Kitzbüheler Alpen (auch in kleineren Gruppen) gebucht werden.