Autor Ralf Johnen war unterwegs in South Dakota und hat sich nicht nur nach grandiosen Landschaften umgesehen, sondern auch nach vergessenen Werten und Tugenden. Zurückgekehrt ist er mit beruhigenden Erkenntnissen.

Ich bin unterwegs in South Dakota – und der Erste, der an diesem makellosen Herbstmorgen auf den Holzplanken unterwegs ist. Es duftet intensiv nach Nadelhölzern, und es herrscht vollkommene Stille. Als ich nach knapp zehn Minuten aufblicke, sehe ich sie ganz aus der Nähe: die 18 Meter großen Köpfe von George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln. Vier amerikanische Präsidenten, deren Konterfei in den Flanken eines Bergs verewigt ist: Mount Rushmore.

Unterwegs in South Dakota: Mount Rushmore

Ralf Johnen

Eine Demonstration von Größenwahn, gewiss. Zugleich aber auch Ausdruck der uramerikanischen Überzeugung, der zufolge nichts unmöglich ist. Schon gar nicht etwas so Patriotisches wie der Kniefall vor jenen Präsidenten, die 1927 bei der Planung als die bedeutendsten der Landesgeschichte galten. Sie standen für Werte wie Freiheit, Gleichheit und Pioniergeist. Unweigerlich wäge ich ab, ob das Quartett nach heutigen Erkenntnissen vielleicht anders zusammengestellt wäre.

Bald aber gebe ich mich anderen Gedanken hin: Für mich ist Mount Rushmore vor allem ein romantischer Ort. Schließlich war der Berg Schauplatz der grandiosen Schlussszene von Hitchcocks »Der unsichtbare Dritte«, in der Cary Grant furchtlos das Denkmal hinunterklettert, um die blonde Doppelagentin Eve Marie Saint vor dem Absturz zu retten. Herrlich! Damit war Hitchcock das gelungen, was der Mount Rushmore ursprünglich bewirken sollte: ein paar Blicke auf South Dakota zu lenken, denn der Bundesstaat fällt sonst fast immer durchs Raster.

Trotz einer gewissen Nähe touchiert er die Rocky Mountains nicht einmal. Auch gehört er nicht zum klassischen Westen der USA – und sogar bis zum Yellowstone Nationalpark oder zu den großen Seen ist es mit dem Auto eine Tagesreise. Wie ich nach meiner kleinen Wanderung über den »Presidential Trail« feststelle, geht das Konzept bis heute auf: Schon um 9 Uhr stehen Dutzende Busse auf dem Parkplatz des Nationaldenkmals.

Unterwegs in South Dakota: vom Mount Rushmore zum Custer State Park

Stunden später begegnen mir die Präsidenten auf einem Billboard erneut. Dazu die knappe Botschaft, dass South Dakota »The Real America« sei. Auf dem Weg in den Custer State Park frage ich mich, was damit wohl gemeint sein könnte – und ob sich in Zeiten wie diesen nicht sogar etwas Bedrohliches hinter dem Slogan verbirgt. Bald aber schweift mein Blick über sanfte Hügel und weite Felder. Dahinter die Bergkette der Black Hills und immer wieder Eichen und Espen mit melodramatisch eingefärbtem Herbstlaub. All das, denke ich, könnte tatsächlich so etwas wie das wahre Amerika sein.

Am nächsten Morgen bin ich noch früher auf den Beinen, um zu den Buffalo Corrals zu fahren. So nennen die Einheimischen die Gegend am Ostrand des State Parks, in der einmal im Jahr um die 20 000 Menschen zusammenkommen. Zelte, Tribünen und Campingmöbel helfen ihnen bei der komfortablen Gestaltung des Tages. Ich selbst hingegen besteige die Ladefläche eines Pick-ups, wohin mich ein Farmer eingeladen hat. Über Stock und Stein brettern wir durch die Landschaft.

Unterwegs in South Dakota: Plausch mit den Einheimischen

Ralf Johnen

Es dauert nicht lange, bis ich einen ersten Büffel sehe. Dann sind es zwei, drei – und plötzlich sehe ich eine ganze Herde. Als wären die majestätischen Tiere, die einst zu Hunderttausenden den amerikanischen Westen bevölkert haben, nie systematisch ausgerottet worden von den Siedlern, die es im 19. Jahrhundert auf das unentdeckte Land und seine Reichtümer abgesehen hatten. Auch Gabelhornantilopen und Wapiti-Hirsche begegnen uns auf der Exkursion. Als ich schließlich zu einer Hügelkuppe hinaufblicke, wähne ich mich endgültig in längst vergangenen Zeiten.

Riesige Allianz aus Pferden, Reitern, Maschinen – und 1.300 Büffeln

Oben nämlich wartet eine Handvoll Reiter auf ein Signal der im Tal versammelten Cowboy-Kollegen, um die im State Park lebenden Büffel einzukreisen. Auch einige Pick-ups sind in den Plan eingebunden, der sich zu einem veritablen Schauspiel auswächst: Binnen Minuten werden rund 1.300 Büffel vor der Allianz aus Pferden, Reitern und Maschinen hergetrieben. Sie scheren mal nach links aus, dann wieder nach rechts. Sie trampeln und wirbeln Staub auf – und doch werden sie immer weiter in die Enge getrieben. Als sie kapituliert haben, wagen sich zwei Reiter in ihre Nähe. Sie halten triumphierend zwei Flaggen hoch: die amerikanische und die von South Dakota.

Mittlerweile bin ich mir sicher: Das hier ist das wahre Amerika. »Buffalo Roundup« nennt sich das Spektakel, das trotz aller Show-Einlagen einigen Notwendigkeiten dient. Nachdem sie in South Dakota als ausgestorben galten, wurden die Symboltiere des Mittleren Westens 1914 im heutigen State Park wieder angesiedelt. Seitdem ist die Herde beständig gewachsen. Weil es sich aber nicht um reinrassige Büffel handelt, sind die Tiere anfällig für Krankheiten, gegen die sie in einem Gehege geimpft werden. Manche Cowboys nutzen den Abtrieb auch, um einzelne Tiere für Auktionen auszusortieren.

Unterwegs in South Dakota: Besuch beim Buffalo Roundup

Ralf Johnen

Was hat es eigentlich mit dem »The Real America« auf sich?

Seit 1965 ist aus dem »Buffalo Roundup« ein stetig wachsendes Event geworden. Heute ist die Arbeit schon gegen 10.30 Uhr getan. Zunächst sorgen sich die Reiter noch um eine Kollegin, die bei hoher Geschwindigkeit vom Pferd gefallen ist. Doch als ihr Zustand als okay vermeldet wird, widmen sie sich den angenehmen Seiten des Lebens: Nun sind Büffel-Burger und Bud Light angesagt. Eine gute Gelegenheit, zu ergründen, was es denn mit »The Real America« so auf sich hat.

Bob Lantis hat davon eine klare Vorstellung: »Es ist das einfache Leben hier auf dem Lande.« Der 82-Jährige hat immerzu mit Büffelherden zu tun gehabt, erst im Yellowstone Nationalpark und nun in South Dakota. Zu seiner Definition vom wahren Amerika gehört: Man kennt sich, man hilft einander, und man ist mit allem so zufrieden, dass es keiner großen Veränderungen bedarf. Auch die Weite und Zeitlosigkeit der Landschaften sind Bestandteil dieses Lebensstils.

Vorsicht! Klapperschlangen!

Das erfahre ich am nächsten Tag am eigenen Leib, als ich zum Badlands Nationalpark fahre. Die verwitterten Gesteinsformationen breiten sich scheinbar nutzlos unter dem weiten Himmel der Prärie aus, die östlich der Black Hills ihren Lauf nimmt.

Straße im Badlands Nationalpark in South Dakota

NaughtyNut/Shutterstock.com

Erst eine spektakuläre Ringstraße und genaueres Hinsehen verraten, dass das Gesamtgefüge aus Schluchten, Ebenen und einer bizarren Vielfalt von Zinnen in Wahrheit ein fragiles Ökosystem ist. Als ich am Ben Reifel Visitor Center aussteige, warnt ein Schild vor »Rattlesnakes«. Wenn sich Klapperschlangen irgendwo wohlfühlen, dann in dieser unwirtlichen Mondlandschaft, wo außer Gräsern nichts gedeiht.

Und doch leben hier nicht weniger als 39 Säugetierarten. Darunter: Dickhornschafe, Swiftfüchse, Kojoten und große Populationen lustiger Erdmännchen, die mit ihren Bauten ganze Felder in Beschlag nehmen. Die nächste Station wartet zwei Stunden nordwestlich in einem Dorf, das auch in Deutschland eine gewisse Bekanntheit genießt: Deadwood. Tatsächlich spielt hier im Nordwesten South Dakotas die gleichnamige Fernsehserie, deren Figuren nach den schroffen Charakteren des Wilden Westens der 1870er-Jahre modelliert sind.

Unterwegs in South Dakota: Rapid City

Ralf Johnen

Für den Dreh wurden die Straßenzüge zwar nachgebaut, doch auch das reale Deadwood besitzt das Zeug zu einer Kulisse für verschrobene Aufnahmen. In den überwiegend zweigeschossigen Backsteinbauten aus der Gründerzeit befinden sich Hotels, Saloons und allerlei andere Institutionen, die man mit der Epoche verbindet. Dazu gehören auch Casinos und Glücksspielautomaten, die seit 1989 den Glanz und die Verruchtheit vergangener Zeiten zurückbringen sollten. Heute verleiht der vermeintliche Besucheranreiz dem 52
Städtchen eine traurige Note.

Ein Maler, der sich verdammt wohl in Deadwood fühlt

Das Zocken gehört eben nicht unbedingt zum Lifestyle der Millennials. Scott Jacobs aber fühlt sich ausgesprochen wohl in Deadwood. Der Maler blickt auf eine typisch amerikanische Lebensgeschichte zurück: 1989 hat er angefangen, grelle Acrylgemälde anzufertigen, in deren Mittelpunkt neben leicht bekleideten Frauen und kernigen Typen Motorräder aus dem Hause Harley Davidson standen. Als der Konzern davon Wind bekommen hatte, wollte er den Maler ursprünglich wegen Verletzung des Markenrechts verklagen. Letztlich aber hielten die Verantwortlichen ihre Produkte für derart gut inszeniert, dass sie Jacobs als offiziellen Hausmaler verpflichtet haben. Diese Rolle nimmt der 55-Jährige bis heute ein. Doch nach langen Jahren in San Diego hat er nun eine Galerie in Deadwood eröffnet.

»Warum? Weil ich den Stress, die Staus und die ganzen Maseratis leid war. Und weil ich gerne hin und wieder einen Martini trinke. Der kostet in Kalifornien 18 Dollar. Hier bezahle ich sechs.«

Letztlich habe er ein einfaches Leben gesucht, wo alle Leute freundlich sind. So, wie im wahren Amerika. Dieses Amerika besitzt sogar eine Stadt, die ich nach einer Fahrt durch den spektakulären Spearfish Canyon erreiche. Sie heißt Rapid City und hat knapp 70.000 Einwohner. Ein langweiliges Provinznest, könnten USA-Kenner anhand dieser Randdaten mutmaßen. Doch weit gefehlt: Rapid City hat eine intakte Downtown mit einem Nachtleben.

Rapid City: überraschend lebendig hier

Ich besuche die Firehouse Wine Cellars, die im Staat hergestellte Weine zur Verkostung anbieten. Ich esse im »kol« zu Abend, wo alle Gerichte auf offener Flamme zubereitet werden und dessen Einrichtung eher an den Chic von Miami erinnert. Und zu guter Letzt tauche ich ab in die Katakomben des Press Start, wo Pac Man, Frogger, Space Invaders und andere Videospiele an Originalautomaten zum Geschicklichkeitstest bitten. Dazu fällt mir nur noch »funky« ein, die amerikanische Universalvokabel für die Coolness von Städten. Nur eben ohne Staus, Kriminalität – und nah an der Natur.

Am nächsten Tag laufe ich nochmals durch Downtown, auch weil ich meinen schwärmerischen Gesamteindruck auf den Prüfstand stellen möchte. Es ist Samstag, und natürlich kann es Rapid City nicht mit New York oder auch nur mit Denver aufnehmen. Doch die Innenstadt ist rappelvoll – und als ich mit Black Hills Vinyl einen gut sortierten Plattenladen entdecke, bin ich endgültig von den Qualitäten dieses Lebensentwurfs überzeugt.

Am Nachmittag gerate ich in einen Umzug, den Fireball Run. Aus diesem Anlass sind die Bürgersteige der Main Street mit Automobilen klassisch amerikanischer Bauart bestückt.

Oldtimer in South Dakota

Ralf Johnen

Auf der Straße ziehen derweil ein paar DeLoreans vorbei, wie es sie in »Zurück in die Zukunft« zu sehen gab. Zum Abschluss paradieren vier Maskottchen durch die Menschenmenge, die mir bekannt vorkommen. Es sind Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln. Sie also stehen auch heute noch für das, was ich in den zurückliegenden Tagen entdeckt habe. Und das ist gut so.

Unterwegs in South Dakota: hinfliegen, übernachten, informieren

Infos. South Dakota bildet gemeinsam mit North Dakota, Montana und Wyoming jene Region, die sich als »The Real America« vermarktet.

Anreise. Mit Lufthansa/United über Denver oder mit KLM/ Delta über Minneapolis nach Rapid City. Ein Mietwagen vor Ort ist unabdingbar, Komplettangebote ab € 400 die Woche bei Auto Europe. Die Stationen dieser Route ergeben eine Gesamtstrecke von etwa 700 Kilometern; sie können bequem in einer Woche absolviert werden.

Unterkunft. Sylvan Lake Lodge. Gemütliche Lodge in Höhenlage des Custer State Park, ab € 135. Martin Mason Hotel. Traditionsreiche Unterkunft aus der Gründerzeit des Wildwest-Städtchens, ab € 85.

Den reisen-ExCLUSiv-Guide zu South Dakota gibt es hier.