Ein Winterurlaub in Finnland ist fast wie ein Ausflug mit den Pfadfindern. Warum? Äußerlichkeiten werden zweitrangig, viel frische Luft, Lieblingsaccessoire Stirnlampe und zum Abendessen Würstchen am Stock -gebraten überm Lagerfeuer. Und gesungen wird auch, weiß reisen EXCLUSIV-Autorin Karolina Golab.
Winter in der vielleicht letzten Wildnis Europas, nördlich des Polarkreises. Ein schier unwirklicher Ort. Frei von Farben, Zeit und Geräuschen. Weiße Unschuld in ihrer reinsten Form. Fast 800 Kilometer nördlich von Helsinki und eine Autostunde in südwestlicher Richtung vom Flughafen in Kuusamo entfernt, kann ich die fast unwirkliche Stille kaum glauben.
Als ich bei der Huskyfarm Finn-Jann in Jurmu ankomme, hat die Ruhe ein Ende: ein herzzerreißendes Geheul, Gewinsel und Gejammer der sabbernden, dampfenden und springenden Hunde, die augenblicklich um die Aufmerksamkeit der Neuankömmlinge buhlen. Würde man die Energie der Tiere bündeln, die aus den Zwingern strömt, könnte man wahrscheinlich Helsinki eine Stunde lang mit Strom versorgen. Ansonsten nicht hundescheu, erfüllt mich dieser Moment mit Respekt vor den Hunden.
Es dauert eine Weile, bis das Gepäck auf den Holzschlitten wasserdicht verstaut ist und die Safarigruppe (sieben Teilnehmer an der Zahl) mit den wichtigsten Regeln, Befehlen und Zeichen für die Reise durch die weiße Welt vertraut gemacht wurde. Anschließend werden die Hunde angeschirrt. Eine schweißtreibende Angelegenheit. Denn Ukko, Melon, Tao Tao und Gamal sind schwer zu bändigen, und es bedarf einiges an Kraft, sie in ihr Geschirr zu zwängen und am Schlitten anzuschnallen.
Es geht los: Die Wildnis ruft
Schließlich gibt Jussi Riihimäki, der unsere Expedition anführt, das verabredete Zeichen – zweimal mit dem rechten Arm eine angedeutete Ziehbewegung an einer imaginären Schnur nachahmend. Es kann losgehen. Ausgestattet mit Tee, Kaffee, Würstchen, Schokolade, Rentierfleisch für Mensch und Kraftfutter für die Hunde cruisen wir zwei Tage durch die Schneewildnis Finnlands. Die zwei Guides vorneweg und acht Schlitten hinterher. Anfangs ruckelt der Schlitten, knarzt und quietscht. Ich stehe noch recht instabil auf den beiden Kufen.
Wehe, ich falle jetzt runter – dann sind die Hunde weg. Die Huskys wollen nur rennen, ob mit oder ohne Anhang.
In der ersten Linkskurve versuche ich, meine neu erlernten Hundebefehle auf Finnisch anzuwenden: »Vasen, vasen«, was so viel bedeutet wie »Links, links«. Sinnlos. »Seis, seis« ist der Befehl, der die Hunde stoppen soll. Auch das funktioniert nicht. Die zwischen den beiden Kufen montierte Eisenkrallenbremse hat offenbar auch nur eine rein psychologische Funktion. Obwohl ich mit voller Wucht draufspringe, zeigt mein Formel-1-Geschoss keine Wirkung. Der Pulverschnee wird umgejätet, aber die Hunde rennen ihr Tempo weiter und merken nichts von den Ängsten, die ich als ihr Schlittenführer durchmache. Doch dann haben wir die erste Kurve überstanden. »Hyvä«, knurre ich zynisch, »gut gemacht.«
Mein Gespann besteht aus Gamal, einer Mischung aus arktischem Husky und deutschem Jagdhund mit einem Schuss Irish Setter im Blut. Gamal hat die O-Beine eines Pierre Littbarskis, sein Laufstil erinnert an einen Nackedei, der durch ein Feld Brennnesseln hetzt. Der hübsche Tao Tao kommt dem Prototyp eines Huskys am nächsten, mit einer Prise Windhund. Stahlblaue, liebevolle Augen, weißes Fell. Er ist der zutraulichste des Teams, dreht sich ständig nach mir um, als ob er fragen wollte: »Laufe ich hier richtig?«
Ukko ist die Autorität in Hundegestalt. Der Leithund meines Teams und eine Mischung aus Alaska-Husky und Grönlandhund. Auch Roald Amundsen hatte es Hunden wie Ukko zu verdanken, dass er den Südpol erreicht hat. Ukko stammt aus einer Championsfamilie. Auch sein Neffe, Melon, ist Teil des Teams. Und schließlich meine Person. Keine Siegerin, keine nennenswerte Abstammung, bisher keine Goldmedaille. So langsam verstehen wir uns.
Zeit, sich auf die traumhafte Landschaft zu konzentrieren.
Eingefrorene Seen und dichte Wälder ziehen vorbei. Die Bäume biegen sich unter der dicken Schneedecke. Sie sehen aus wie Schneegeister oder Mumins – die nilpferdartigen Trollwesen und Botschafter Finnlands. In diesem unendlichen Weiß spielen weder Vergangenheit noch Zukunft eine Rolle. Nur der Augenblick zählt.
Nach anderthalb Stunden Fahrt kommt die wohlverdiente Pause. Sari und Jussi breiten Rentierfelle auf umgefallenen Baumstämmen aus, zünden ein Feuerscheit an, über dem sie eine sämige Suppe aufkochen, und reichen jedem einen angespitzten Zweig, auf dem wir unsere Rentierwürste aufspießen und in die Flammen halten. Finnische Erholung. Sieben Stunden, drei Pausen und einige schweißtreibende Hunde-Entwirrungsmaßnahmen später haben wir unser Ziel erreicht: ein eingeschneites Mökki – ein typisch finnisches Blockhaus mit Sauna.
Angekommen am Ziel: Ein eingeschneites Mökki
Einige Hunde bellen immer noch. Vermutlich mehr aus Gewohnheit, denn jetzt müssten auch sie hundemüde sein. Geduldig lassen sie sich in ihre Hütten führen. Neben einer warmen Kraftbrühe mit Fleischstücken bekommen sie vor allem jede Menge Streicheleinheiten als Dank für ihre Mühen. Echte Naturburschen sind das: Sie riechen nach Schweiß und verschlingen ihr Essen, aber ihre Augen strahlen vor Glück.
Es ist nicht anzunehmen, dass sich jemals jemand die Mühe gemacht hat, Finnlands Saunen zu zählen. Die offizielle Zahl lautet: zwei Millionen Saunen auf fünf Millionen Einwohner.
Eine Sauna gehört nämlich wie das Waschbecken zum Inventar eines finnischen Hauses. In der Regel ist das Saunieren in Finnland kein Wellnessritual, sondern genauso selbstverständlich wie Zähneputzen. Ganz anders: eine finnische Rauchsauna. Diese hat selbst für Finnen einen hohen Seltenheitswert, der vom Staat als Kulturgut finanziell unterstützt wird. Es gibt nicht mehr viele solcher Räucherstuben, und wenn man bedenkt, wie aufwendig die Vorbereitung einer Saunasitzung ist, kann man das auch verstehen.
Allein acht Stunden dauert das Beheizen. Unmengen von Holz werden in der Sauna abgebrannt. Kurz vor dem Betreten öffnet man die Türen, damit der Rauch weichen kann, aber nicht die Wärme. Wer sich auf dieses Ritual einlässt, sollte alles vergessen, was er aus den heimatlichen Wellnesstempeln kennt. Zum Beispiel einen wohlriechenden Aufguss, kuschelige Handtücher oder gar eine Lichtquelle.
Eine Tour, bei der ich Mitgefühl für Hänsel und Gretel empfinde
Den Ort unserer Rauchsauna zu bestimmen, wäre von mir so gewagt, wie die Aussage eines Kleinkindes über das Älterwerden. Erfolgte doch die Anreise durch die dunkle Nacht vom Feriendorf in Iso-Syöte durch einen unbekannten und recht schwarzen Wald. Eine Tour, bei der ich ungeahnt viel Mitgefühl für Hänsel und Gretel empfinde, besonders, als die knarrende Tür der nur schwerlich beleuchteten Saunahütte aufgeht.
Weit und breit kein Zeichen von Zivilisation. Durch den Türspalt schaut aber keine Hexe, sondern der gütig lächelnde Saunameister, der uns auf Finnisch hereinbittet. Und nun? Kleider ablegen in einem mollig warmen und von wenigen Kerzen beleuchteten Vorraum. Statt auf Handtüchern sitzt man auf Papiertüchern. Und die Abkühlung danach? Ein Sprung ins Eisloch. Jawohl. Und der Weg dorthin muss zu zweit überwunden werden – als Absicherung. Schließlich besteht die Möglichkeit, auf der geeisten Leiter auszurutschen oder gar dort festzufrieren.
Wer schon mal gesehen hat, wie Fisch geräuchert wird, der hat im Grunde auch das Prinzip der Rauchsauna begriffen.
Es gibt keinen Kamin, es duftet nach Rauch, die Innenwände und die Sitzbänke sind pechschwarz. Aber das sieht man nicht, weil es in der Sauna stockduster ist. Es riecht heimelig. Puh. Ein Atemzug frische Luft wäre jetzt toll. Kari und ich sind ein Eislochteam geworden. Wir kommunizieren mit vier finnischen Begriffen. Wenn es zu heiß wird, ruft Kari: »Yksi, kaksi, kolme. Hyvä? Hyvä.« Und los geht’s, raus aus der Räucherkammer, an die eiskalte Luft, 30 Meter in Wollsocken bis zum Eisloch, wo Kari wieder yksi, kaksi, kolme abzählt, damit ich keinen Herzschlag im Wasser erleide.
Ein Mann, ein Name, eine Farm
Wer die finnische Seele verstehen möchte, der sollte Juha Virkkunen und seine Rentierfarm besuchen. Denn Juha ist ein Original. Er ist redselig, singfreudig und wenig trinkfest. Kurzum: er teilt gerne sein umfangreiches Wissen über Rentiere, immerhin ist Virkkunen die Wiege der Rentierzucht. Damals, in den 60er-Jahren, liefen die Tiere noch durch den Wald und ernährten sich von Pilzen, Flechten und dort wachsenden Kräutern. Heute jedoch gleicht eine Rentierfarm schon mehr der üblichen Viehzucht.
Wie viele Tiere Juha besitzt, will jemand wissen. Eine unzulässige Frage, denn die Zahl der Tiere ist ein Bankgeheimnis. Juha verrät es aber trotzdem: etwa 100 Tiere. Die jungen, frei lebenden Tiere fallen häufig den Räubern des Waldes zum Opfer. Und davon gibt es einige. Bären beispielsweise, Wölfe, Luchse oder auch Steinadler. Ein Wolf kann an einem einzigen Wochenende bis zu zehn Rentiere reißen.
Gegenwärtig leben etwa 200.000 Rentiere in Finnland, wovon jährlich etwa 90.000 geschlachtet werden – eine Zahl, die vom Agrarministerium vorgegeben wird, je nach Stärke der Herden.
Das meiste Rentierfleisch wird in Finnland als Wurst oder aber als Nationalgericht Poronkäristys gegessen, von dem uns Juha vorschwärmt: ein Rentiergeschnetzeltes mit Preiselbeeren und Kartoffelbrei. Zwei seiner Tiere jedoch bringen lebend mehr Profit, berichtet Juha und führt uns zu Turbo und Rudolf. Sie sind die Stars der Farm, haben sie doch schon in Fernsehserien mitgespielt und waren bei Modeshootings Staffage. Außerdem sind sie kräftig genug, um den knarrenden Holzschlitten um das Haus zu ziehen. Sehr beliebt bei den Touristen. Auch wenn die Rentiere den Schlitten nicht ganz freiwillig ziehen. Juha zieht Rudolf, und Rudolf zieht den Schlitten. So läuft das hier eben.
Nach einigen Stunden auf Juhas Farm habe ich nicht nur alles über das Gewicht und die Funktion der Rentiergeweihe gelernt, sondern weiß auch viel über Juhas Familie. Sein Sohn Matti, der sich in der Europäischen Union für Bio-Energie stark macht, ist in Finnland eine kleine Berühmtheit, dank seiner Band »Stella«. Eine Band, die auf jeder ordentlichen Karaoke-Songliste Finnlands aufgeführt ist, wie ich noch am Abend im Feriendorf in Iso-Syöte feststelle. Karaoke ist Pflicht für Finnlandbesucher. Aber anstatt eines »Stella«-Songs wage ich mich an ein passendes Monty-Python-Lied heran:
Finland, Finland, Finland,
The country where I quite want to be,
Your mountains so lofty,
Your treetops so tall,
Finland, Finland, Finland,
Finland has it all.
Winterurlaub in Finnland – mehr Info gefällig?
Darüber hinaus findet ihr ganz viel Input für den Winterurlaub in Finnland beim Fremdenverkehrsamt Finnland. Auch bei Finnlandreisen gibt es viele Infos, und vielleicht ist ja die Gebrauchsanweisung für Finnland etwas für euch?
Doch auch die Autoren von reisen EXCLUSIV haben noch mehr Tipps parat: Happy Finnland! Oh, wie schön ist der Schärengarten in Finnland, Finnlands ungewöhnlichste Saunen und Helsinki: Moderne Zeiten.