Wer in einem Risikogebiet wohnt und in den nächsten Tagen verreisen will, hat ein Problem: In vielen Bundesländer darf man weder in Hotels, Pensionen noch in Ferienwohnungen übernachten, wenn man keinen negativen Corona-Test vorlegen kann. Wohin jetzt noch Reisen innerhalb Deutschlands erlaubt sind – trotz Beherbergungsverbots.

Als die Bundeskanzlerin gestern Abend gemeinsam mit Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder und Berlins regierendem Bürgermeister Michael Müller vor die Presse trat, hatte sie keine gute Nachricht für alle, die in den Herbstferien noch schnell ein paar Tage verreisen wollen. Alle Bürgerinnen und Bürger werden eindringlich aufgefordert, »nicht erforderliche innerdeutsche Reisen« in und aus Risikogebieten zu vermeiden.

Angela Merkel in einer Pressekonferenz

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Eindringlich aufgefordert? Wer die Beschlüsse zu den Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern seit März verfolgt, weiß: Appelle gibt es in der Regel dann, wenn sich Bund und Länder nicht auf verpflichtende Maßnahmen einigen wollen oder können. So auch beim Beherbergungsverbot. Es geht wild durcheinander.

Aber der Reihe nach. Seitdem die Zahl der positiv auf Corona getesteten Menschen in Deutschland wieder steigt und mehrere Städte und Kreise zu Risikogebieten erklärt wurden, versuchen die Landesregierungen gegenzusteuern. Eine der Maßnahmen, die im Kampf gegen Corona helfen soll: das Beherbergungsverbot. Es gilt für alle Urlauber, die aus einem Risikogebiet kommen und keinen maximal 48 Stunden alten negativen Corona-Test im Gepäck haben.

Corona-Testzentrum am Kölner Hauptbahnhof

Frank Störbrauck

Was sagt das Robert-Koch-Institut zu Reisen in Corona-Zeiten?

Aber bringt das Beherbergungsverbot wirklich etwas? Selbst das Robert-Koch-Institut (RKI) hat Zweifel. Zwar sagt es: »Erhöhte Mobilität (berufliche oder private Reisetätigkeit) bedeutet erweitertes Risiko.« Damit bekräftigt es zunächst eine Binsenweisheit: Wer – statt zu Hause zu bleiben – unterwegs ist, hat ein höheres Risiko, sich mit Corona zu infizieren. Klar. Im Flugzeug oder in der Bahn ist das Risiko höher als auf dem Sofa im Wohnzimmer. Aber, so das RKI, wenn man schon unterwegs sei, dann spiele es keine besonders große Rolle, ob man in ein Risikogebiet reise oder nicht: »Jedoch ist dieses Risiko nicht primär an den Ort der Reise oder ein spezifisches Gebiet gebunden, sondern hängt wesentlich von dem Verhalten des Einzelnen in einem Gebiet mit Virusübertragungen ab.«

Auch sieht das Robert-Koch-Institut die Maßnahme mit Blick auf die vorhandenen Test-Kapazitäten kritisch: »Der zusätzliche Testbedarf durch Urlauber nach Einführung des Beherbergungsverbots mit der Option zur ‘Freitestung’ durch Vorlage eines negativen Testergebnisses hat die Situation weiter verschärft und es kam regional zu einem zusätzlich stark erhöhten Probeaufkommen«, heißt es in dem gestern veröffentlichten Corona-Lagebericht.

Beherbergungsverbot »dürfte kaum Wirksamkeit entfalten«

Dieser Argumentation folgen unter anderem Nordrhein-Westfalen, Thüringen oder Berlin – sie wollen von einem Beherbergungsverbot nichts wissen. Hier darf jeder hinreisen und Urlaub machen; egal, ob aus einem Risikogebiet oder nicht. Sie setzen auf die Eigenverantwortlichkeit der Reisenden. Die Argumente der Gegner des Beherbergungsverbots: Das bringt doch nichts. »Diese Maßnahme muss weg. Sie ist alles andere als zielgerichtet, sie dürfte kaum Wirksamkeit entfalten«, sagt etwa Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann.

Schild in einem Hof mit Aufschrift "Hotel & Restaurant"

Jason Briscoe

Thomas Bareiß, Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, pflichtet bei und sagt, die Hotels hätten schließlich bewiesen, dass sie die Hygienemaßnahmen umgesetzt und für Sicherheit gesorgt hätten. Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hält nichts davon: »Reisebeschränkungen im Inland sind das falsche Signal und nicht hilfreich«, sagt er. Berlins Bürgermeister Michael Müller holt noch weiter aus verweist auf die wechselvolle Vergangenheit der Stadt: »Die Stadt war in ihrer Geschichte mehrfach abgeriegelt. Das ist für mich keine erneute Option.« Aber auch Wissenschaftler bezweifeln, dass diese Maßnahme dazu geeignet ist, die Corona-Pandemie einzudämmen.

Park Inn Hotel und Fernsehturm am Berliner Alexanderplatz

Florian Wehde

Andere dagegen, allen voran die Ministerpräsidentin jenes Bundeslandes, das besonders viele Urlauber anlockt, bleiben hart: Mecklenburg Vorpommerns Landeschefin Manuela Schwesig ist besonders streng. Sie will weiterhin nichts von einer Aufhebung des Beherbergungsverbots wissen.

Wohin kann man innerhalb Deutschlands eigentlich noch reisen?

Alle, die in einem Risikogebiet wohnen, und jetzt noch ein paar Tage in den Herbstferien-Urlaub fahren wollen, stellt sich somit die Frage: Wohin kann man eigentlich noch reisen? Hier ein Überblick:

Wer aus einem Corona-Hotspot kommt und nach Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Sachsen-Anhalt oder Schleswig-Holstein reisen und in einem Hotel oder einer Pension übernachten will, braucht einen negativen Coronatest, der nicht älter als 48 Stunden ist (Stand 15.10.20). Die meisten Länder erlauben aber Tagesausflüge. Und auch wer die Familie besucht, darf in den meisten der genannten Bundesländern übernachten.

Hotel Sommer in Füssen, im Hintergrund Alpenpanorama

Nikolay Kovalenko/Colin Viessmann

Einziger Ausreißer ist Mecklenburg-Vorpommern. In dem Bundesland müssen Urlauber nach ihrer Ankunft in Quarantäne. Sie können sich nur durch zwei Negativ-Tests im Abstand von mindestens fünf Tagen freitesten lassen. Das dürfte sehr uninteressant für alle sein, die in den Herbstferien ein paar Tage Urlaub an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern machen wollen.

Ganz anders die Linie in Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Diese Länder halten nichts von einem pauschalen Beherbergungsverbot für Bürger aus Corona-Hotspots. In Sachsen gilt das Beherbergungsverbot noch. Noch. Ministerpräsident Michael Kretschmer Sachsen teilte heute mit, das Beherbergungsverbot werde ab kommenden Samstag nicht mehr angewandt. Ein Verbot treffe viele Menschen, die nichts mit der Krankheit zu tun hätten, sagte Kretschmer. Sie sollten nach Sachsen kommen und Urlaub machen können. In die gleiche Kerbe schlug heute morgen das Saarland. Auch dort soll das Beherbergungsverbot wegfallen.

Appelle, nicht zu verreisen

Aber, auch das gehört zur Wahrheit: Menschen aus Risikogebieten, in denen der Inzidenzwert bei 50 liege, seien dringend aufgerufen, nicht zu verreisen, wenn es nicht dringend nötig sei, sagt Manu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz. Auch Kanzleramtsminister Braun sagt:

»Jetzt ist nicht die Zeit für Reisen.«

Es sei an der Zeit, Kontakte in allen Lebensbereichen deutlich zu reduzieren.

Der Appell, überhaupt nicht mehr zu verreisen, verärgert die Tourismusbranche. »Mit der gestrigen Entscheidung bleibt es bei den verwirrenden Regelungen. Bürger werden zudem eindringlich aufgefordert, am besten gar nicht zu verreisen, auch innerhalb Deutschlands nicht. Das trifft unsere Branche hart und ist nicht nachvollziehbar. Die Betriebe kämpfen mit der sorgsamen Umsetzung strenger Schutzauflagen nicht nur um ihr Überleben, sondern auch erfolgreich um das Wohl ihrer Gäste. Das hat der Sommer eindrucksvoll gezeigt«, sagt Heike-Döll-König, Geschäftsführerin des Tourismus NRW.

Hinweiskleber auf Boden eines Hotels

Waldemar Brandt

Erste Gerichte in Baden-Württemberg und Niedersachsen kippen Beherbergungsverbote

Aber womöglich ist das Beherbergungsverbot schneller vom Tisch, als manch einer denkt. Schützenhilfe kommt von der Justiz. Heute Vormittag gab der Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg einem Eilantrag gegen das Beherbergungsverbot in dem Bundesland statt. Die Antragsteller hatten für die Zeit vom 16. Oktober bis 23. Oktober 2020 einen Urlaubsaufenthalt im Landkreis Ravensburg gebucht. Am 10. Oktober 2020 wurde im Kreis Recklinghausen, in dem die Antragsteller wohnen, die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten Corona-Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie nicht in dem Kreis übernachten dürfen.

Die Antragsteller wanden sich gegen das Beherbergungsverbot und trugen vor, dieses mache den Aufenthalt in der gebuchten Unterkunft – die über 2.000 Euro gekostet habe – unmöglich und sei daher unverhältnismäßig und willkürlich. Die Möglichkeit zur Vorlage eines negativen Coronatests diskriminiere Gäste aus Regionen mit schlechten Testkapazitäten und Familien. Es sei bei vorangehenden Testungen in der Familie nie gelungen, das Testergebnis innerhalb von weniger als 72 Stunden zu erlangen. Weiterhin müsse der Test privat bezahlt werden und belaste die Antragsteller mit ihren drei Kindern mit Gesamtkosten von 774,55 Euro (154,91 Euro pro Test) erheblich.

Das Gericht gab den Antragstellern recht und urteilte, das Beherbergungsverbot greife in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht auf Freizügigkeit ein. Derzeit seien trotz steigender Fallzahlen in Deutschland keine Ausbruchsgeschehen in Beherbergungsbetrieben bekannt, so das Gericht.

Storno bei Beherbergungsverbot einfach so möglich?

Wer bereits eine Reise gebucht hat und plötzlich feststellt, dass das Hotel einen nicht aufnehmen wird, weil plötzlich der eigene Wohnort zum Risikogebiet zählt, wird sich fragen: Kann ich die Reise kostenlos stornieren? Dazu gibt es bisher noch keine verlässlichen Urteile. Die Verbraucherzentrale sagt dazu:

Erlassen Bundesländer oder Gemeinden Beherbergungsverbote, können Sie auch eine individuell gebuchte Unterkunft nicht nutzen – und müssen unserer Ansicht nach auch nicht dafür bezahlen.

Wie geht es jetzt weiter? Einige Bundesländer wollen bis zum Ende der Herbstferien am Beherbergungsverbot festhalten. Das heißt, das Durcheinander geht noch bis zum 8. November weiter. Dann enden im letzten Bundesland, in Bayern, die Herbstferien. Anschließend will man die Wirksamkeit der Maßnahme prüfen. Ergebnis offen.

Beherbergungsverbot: So sieht es in den Bundesländern aus (Stand 19.10.20)

Baden-Württemberg: Beherbergungsverbot, aber am 15.10.20 von Gericht gestoppt
Bayern: kein Beherbergungsverbot mehr ab Samstag, 17.10.20
Berlin: kein Beherbergungsverbot
Brandenburg: kein Beherbergungsverbot (vom Oberverwaltungsgericht am 16.10.20 gekippt)
Bremen: kein Beherbergungsverbot
Hamburg: moderates Beherbergungsverbot (Arzt-Bescheinigung notwendig)
Hessen: Beherbergungsverbot noch in Kraft, vermutlich ab nächste Woche nicht mehr
Mecklenburg-Vorpommern: Beherbergungsverbot und Quarantäne-Pflicht entfällt ab Mittwoch (21.10.20)
Niedersachsen: Beherbergungsverbot, aber am 15.10.20 von Gericht gestoppt
NRW: kein Beherbergungsverbot
Rheinland-Pfalz: kein Beherbergungsverbot
Saarland: kein Beherbergungsverbot (genauer Termin unklar)
Sachsen: ab Samstag, 17.10.20 kein Beherbergungsverbot mehr
Sachsen-Anhalt: Beherbergungsverbot
Schleswig-Holstein: Beherbergungsverbot
Thüringen: kein Beherbergungsverbot