Biometrische Identifikation statt Pass-Kontrolle: Am Changi Airport in Singapur soll das noch in diesem Jahr Wirklichkeit werden. Ist das noch ferne Zukunftsmusik oder werden auch wir bald ohne Ausweis durch die Welt fliegen?
Bei Reisenden aus aller Welt gehört er seit Jahren zum beliebtesten Flughafen der Welt: der Changi Airport in Singapur. Es gibt einen Dschungel mit Wasserfall, einen Swimmingpool auf dem Dach, ein Kino, ein Fitnessstudio, blitzblanke Gänge, Sitze und Sanitärbereiche sowie Mitarbeiter, die nur dafür da sind, Missstände unverzüglich zu beseitigen. Kurzum: ein Flughafen, wie er besser kaum sein könnte. Das finden auch die Passagiere. Im jährlich erscheinenden Ranking der Beratungsfirma Skytrax landet er stets auf dem Siegertreppchen.
Biometrische Identifikation statt Passkontrolle
Innovation wird im Flughafen großgeschrieben. Das gilt nun auch für einen Bereich, der für viele Passagiere – egal auf welchem Flughafen auf der Welt – seit Ewigkeiten ein Ärgernis ist: die langen Wartezeiten bei der Abfertigung. Ob beim Einchecken, Sicherheitscheck oder bei der Passkontrolle: Gewartet wird oft eine gefühlte Ewigkeit. Hier nun setzt der Airport seit einiger Zeit auf eine technische Innovation: die biometrische Identifikation. Und die hat es in sich, denn: Das Mitführen des Reisepasses oder des Personalausweises für die Ein- und Ausreise soll dann an dem Flughafen der Vergangenheit angehören. Das Vorhaben des Changi Airports in Singapur ist revolutionär.
In einer ersten Phase konnten die Einwohner Singapurs die neue Technologie bereits nutzen. Ab der zweiten Jahreshälfte soll es allen ausländischen Reisenden ermöglicht werden, in das Land nur mithilfe automatisierter Kontrollen ein- und auszureisen. Singapur wäre damit das erste Land der Welt, in dem das möglich sein würde – so ganz ohne physischen Pass und Bordkarte.
Und bis dahin wird Tempo gemacht: Seit vergangenem Jahr arbeitet die dafür zuständige Immigration and Checkpoints Authority daran, alle Kontrollpunkte mit dem kontaktlosen Automated Border Control System (ABCS) einschließlich Iris-, Gesichts- und Fingerabdruckerkennung zu ersetzen. Wer nun aber glaubt, der Reisepass kann bei Reisen nach Singapur zu Hause in der Schublade bleiben, irrt: Bei Ein- und Ausreisen in die oder aus der EU muss natürlich der Reisepass weiter vorgezeigt werden.
Biometrische Zugangskontrolle: In Dubai, Hongkong, Tokio und London schon im Einsatz
Der Airport ist freilich nicht der einzige Flughafen, an dem eine biometrische Zugangskontrolle bereits im Einsatz sind. Immer mehr Airports rüsten auf. Die Gesichtserkennungstechnik wird beispielsweise schon an den Flughäfen in Dubai, Hongkong, Tokio, London-Heathrow und am Charles-de-Gaulle-Flughafen eingesetzt. Auch in Deutschland ist die Technik bereits im Einsatz. So etwa am größten Flughafen Deutschlands in Frankfurt. »Smart Path« heißt das Zauberwort.
Seit 2020 können Passagiere der Lufthansa und den Airlines der Star Alliance die neue Technik nutzen – seit Ende Oktober 2023 steht sie allen Passagieren offen. Das Interesse sei groß, sagt Sandra Kraft, Pressesprecherin der Lufthansa, gegenüber reisen EXCLUSIV:
»Seit der Einführung im November 2020 haben sich mehr als 100.000 Kunden der Lufthansa Group im Star Biometric Hub registriert.«
Lufthansa arbeite mit Fraport und Star Alliance zusammen, um die Technologie am Frankfurter Flughafen weiter auszubauen.
Per App oder am Check-in registrieren
Sie ermöglicht es Fluggästen, die Kontrollstellen im Airport mit nur einem Blick zu passieren. Um die biometrische Zugangskontrolle nutzen zu können, müssen sich Passagiere allerdings zunächst registrieren. Wer mit einer Fluggesellschaft von Star Alliance fliegt, kann sich mit dem Smartphone bei Star Alliance Biometrics anmelden. Alternativ funktioniert die Registrierung mit einem biometriefähigen Reisepass direkt am Check-in-Automaten. Der Vorgang soll nur wenige Sekunden dauern. Wie Dieter Hulick vom Fraport gegenüber reisen EXCLUSIV erklärt, sollen innerhalb der kommenden zwei Jahre mindestens 50 Prozent aller Check-in-Automaten sowie Bordkartenkontrolle und Abfluggates mit einer biometrischen Zugangskontrolle ausgestattet sein.
Wer sich registriert hat, kann anschließend die mit Gesichtserkennungstechnik ausgestatteten Kontrollpunkte passieren. Konkret geht es um die Bordkartenkontrolle vorm Securitycheck, den Einlass in eine Lounge und das Boarding am Gate. Mit Blick auf den Datenschutz heißt es von der Lufthansa: »Die Speicherung der tagesaktuell hinterlegten Daten erfolgt auf einer lokalen Datenbank am Flughafen Frankfurt und dient dem späteren Abgleich an den jeweiligen Reiseprozessstellen wie Check-in, Passagierkontrolle und Boarding. Die biometrischen Daten werden drei Stunden nach der effektiven Abflugzeit gelöscht.«
ID-Check der Bundespolizei bleibt weiterhin
Außen vor ist allerdings weiterhin die Passkontrolle der Bundespolizei. Denn, so heißt bei der Star Alliance: »Ihr biometrisches Profil bei Star Alliance Biometrics ersetzt nicht den ID-Check am Flughafen.« Aber auch die Bundespolizei arbeitet schon längst mit der Gesichtserkennungstechnik. EasyPASS wird das Procedere genannt, hat aber nichts mit dem biometrischen Profil des Frankfurter Flughafens oder der Star Alliance zu tun. Bei EasyPASS ist weiterhin ein Dokument in Papierform, in dem Fall also der Reisepass, vonnöten.
Vielen dürften das (teil-)automatisierte Grenzkontrollsystem bei der Ein- und Ausreise bereits vertraut sein; seit Jahren ist es schon im Einsatz. Nachdem der Reisepass eingescannt ist, wirft man einen kurzen Blick in die Kamera – und schon hat man in der Regel zügig die Grenzkontrolle passiert. Das automatisierte Grenzkontrollsystem EasyPASS wird nicht nur in Frankfurt am Main, sondern mittlerweile auch an den Flughäfen München, Köln/Bonn, Düsseldorf, Berlin, Stuttgart, Hannover und Hamburg eingesetzt.
In Deutschland dauert es wahrscheinlich erstmal
Ob Deutschlands Flughäfen dem Singapurer Beispiel folgen werden, hängt von der Politik in Brüssel und Berlin ab. Die behördlichen Einschätzungen hinsichtlich der Vorteile für Sicherheit und Kundenservice im digitalen Reiseprozess seien Gegenstand vieler nationaler und internationaler Initiativen, sagt Sandra Kraft. Sie ist sich sicher: »In den kommenden Jahren werden die Möglichkeiten von biometriegestützter Passagiererkennung an den Flughäfen weltweit voranschreiten sowie die nationalen Zustimmungen zur Übermittlung elektronischer Passdaten.« Lufthansa und Star Alliance würde die Entwicklung im Interesse der Kunden mitgestalten.
Bis es aber so weit ist, wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen. Dass aber in den kommenden Jahren weitere Länder dem Vorbild Singapurs folgen werden, dürfte auf der Hand liegen.