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Der Bissagos-Archipel ist ein einziges Naturwunder. Die vorgelagerten Inseln von Guinea-Bissau sind nicht nur Heimat von Flusspferden, sondern auch Brutplatz für Schildkröten und unzählige Vogelarten – inmitten einer weitgehend intakten Flora – und sie sind Heimat von Bewohnern, bei denen die Frauen die Hosen anhaben. Andreas Dauerer hat sich die Sache einmal angesehen. In Flip-Flops.

Die Ankunft in fernen Ländern beginnt fast immer mit dem Ausstieg aus dem Flieger. Wenn man die Gangway hinab marschiert, kann einem schon mal die Luft wegbleiben. Wegen der Höhe oder dem Smog, im schlimmsten Falle wegen beidem zusammen. In Bissau ist es die Temperatur, weil die Mittagssonne besonders unbarmherzig auf das kleine Land zwischen Guinea im Süden und Gambia im Norden brennt, was bei ungeübten Europäern dann schon mal zu Hitzewallungen führt und die eigene physische Unzulänglichkeit schnell zutage treten lässt. 45 Grad, also nichts wie rein in den Schatten. Der Dampfhammer ist aber schon da, die letzte Flasche Wasser ausgetrunken und fortan fließt das einzige Wasser aus den Poren des eigenen Körpers. Willkommen in Afrika, willkommen in Guinea-Bissau.

Bissau, die Hauptstadt Guinea-Bissaus

Andreas Dauerer

Für die wirklichen Unzulänglichkeiten sorgt hingegen die TAP. Mein Gepäck mochte die portugiesische Airline nicht mitnehmen. Bei einem Direktflug wohlgemerkt. Immerhin, allein bin ich damit nicht. Acht anderen Leidgenossen geht es ebenso. Schwitzend am Ausgang warten, dass nichts kommt. Vielleicht liegt es auch an der Band mit ihrer hübschen Sängerin, die ebenfalls im Flugzeug saß und mittlerweile Autogramme schreiben muss. Eine Local Heroine mit langen schwarzen Zöpfen und einer Entourage, die es mit jedem US-Rapper aufnehmen könnte. Obwohl sie in Bissau geboren wurde, lebt sie inzwischen in Lissabon. Natürlich.

Ungeplante Shoppingtour durch Bissau

Wer kann, verlässt das bettelarme Land, um woanders sein Glück zu versuchen. Vergessen hat sie ihre Heimat nie, deshalb ist sie ja auch wieder da. Und die Leute danken es ihr. Ehe ich jedoch noch überlegen kann, ob mein Zeitplan es vielleicht erlaubt, einem der beiden Konzerte beizuwohnen, holt mich die Realität schnell zurück. Kein Koffer bedeutet, dass ich für 45 Grad nichts Adäquates anzuziehen habe.

Streeart in Bissau

Andreas Dauerer

Ehe ich jedoch gedanklich meine Liste für die Must-Haves dieser Breitengrade aufschreibe, sitze ich bei Hafes im Auto. Ziel: Grundausstattung kaufen. Wo? Ich weiß es nicht. Schnell finde ich mich mit meinem zunächst unbekannten Begleiter in einem kargen Kleidermarkt unter Neonlicht wieder und probiere Hose über Hose, Hemd über Hemd, T-Shirt über T-Shirt. Der Lernfaktor ist enorm. Die angegeben Größen sind maximal Empfehlungen und wenn Cotton ausgewiesen wird, dann ist es meist doch Polyester. Offenbar haben hiesige Kunden eine deutlich andere Transpirationsschwelle. Sei’s drum. Nach zwei Stunden bin ich fürs Erste durch. Hafes auch.

Ob jetzt vom Verhandeln oder weil er mich quasi ständig nur in Unterhose bekleidet beim Anprobieren verschiedenster Ober- und Unterteile gesehen hat (Stichwort: weiße Waden), bleibt sein höfliches Geheimnis. Er ist jedenfalls der Schwiegersohn von Mariana Ferreira, der Chefin des Hotel Orango auf der gleichnamigen Insel im Bijagos-Archipel, das seit 1996 zum Unesco-Biosphärenreservat gehört. Genau dort werde ich die nächsten vier Tage verbringen.

Streetfood in Bissau

Andreas Dauerer

Fehlen noch Schuhe und eine Kopfbedeckung. Die bekomme ich am großen Straßenmarkt in der Avenida dos Combatentes da Liberdade da Patria. Und tatsächlich, ein bisschen was von Kampf hat es anfangs schon, wenn man sich seinen Weg zwischen Menschenmengen und Händlern durch den Straßenrand bahnt. Zu kaufen gibt es alles. Von der Wunderwurzel einer jungen Frau, die in jedem Fall potenzfördernd sein soll, bis hin zum quicklebendigen Huhn. Immerhin auch totes Getier wird am Rande bei den Garküchen serviert, fein aufgespießt und mit einem unwiderstehlichen Geruch, sodass man es einfach probieren muss. Am Ende habe ich nicht nur den Magen voll, sondern nach zehn Versuchen sogar Flip-Flops in meiner Größe bekommen, nebst einer Baseball-Kappe, die mich vor der Sonne schützen soll. Denn Kleidung und allerlei anderen Tand gibt’s natürlich auch.

Auf zum Bissagos-Archipel

Tags darauf geht es früh mit dem Boot nach Orango. Der Morgen schimmert graublau und Dunst verdeckt den Sonnenaufgang. Das fahle Licht weicht dann Sekunde um Sekunde der stärker werdenden Sonne, als hätte jemand unsichtbar den Schalter der Abzugshaube betätigt. Erst befahren wir den Rio Petu, dann aufs Meer, das es gnädig mit uns meint. Kaum Seegang. Das Geräusch des Zweitakters lullt mich ein und die Augenlider werden schwer. Nach vier Stunden sind wir da. Orango. Ein Name, wie eine Verheißung. Das Terrain ist fremd, zumindest für diejenigen, die hier nicht wohnen. 300 Flusspferde gibt es hier. Deren Besonderheit? Diese Exemplare leben sowohl im Fluss als auch im Meer. Vor allem, wenn die Trockenheit das Wasser in den Lagunen schrumpfen lässt, gehen sie im Meer baden. So schützen sie sich vor der Sonne und nebenher dürfen Parasiten die Haut reinigen.

das Bissagos-Archipel

Andreas Dauerer

Die Bevölkerung verehrten sie als weise Tiere, sagt Belmiro, unser Guide für die nächsten Tage. Aber auch Koch, Kellner, Geschichtenerzähler und schnell auch guter Kumpel, der gerne und viel lacht. Dann funkeln seine Augen noch ein Stückchen mehr, die Zähne blitzen hervor und der Körper biegt sich. Ob er Angst vor den großen Mitbewohnern der Insel habe? »Anfangs schon, klar«, entgegnet der junge Mann. »Aber jetzt nicht mehr so sehr.« Das hänge natürlich mit seiner Arbeit zusammen, weil er ja die Besucher regelmäßig zu den Hippos führen müsse. Ein Restrisiko bliebe aber immer.

Man hat bereits viel versucht auf Orango. Zäune bauen zum Beispiel. Mit Strom. Aber ein Hippo ist keine Kuh. Wenn die nachtaktiven Kolosse nach Sonnenuntergang dann ihre Schneisen durch das mannshohe Gras schlagen, um Futter zu suchen, dann steht man besser nicht im Weg. Das Zaunprojekt gibt es noch, aber es fehlt an Geld, um es gut in Schuss zu halten. Was aber vor allem hilft, ist, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr in der Nähe des Flusspferd-Habitats unterwegs zu sein. Mit dieser Kombination sei es in den letzten Jahren zu immer weniger tragischen Zwischenfällen gekommen.

Bootsfahrer in Guinea-Bissau

Andreas Dauerer

Ein Besuch bei den einzigartigen Nilpferden

Auch wir ziehen mit einer kleinen Gruppe los. Die ersten tellergroßen Abdrücke der Flusspferde finden wir direkt am Strand, dann geht es immer weiter hinein ins Inselinnere. Die Natur erinnert an die Savanne, nur ohne die Gefahr, auf Gnus, Elefanten, Löwen, Büffel oder Ähnliches zu treffen. Stattdessen gibt es Krokodile und neulich sei noch eine schwarze Mamba gesehen worden. Ich gucke kurz runter auf meine Flip-Flops, während meine Mitstreiter in festem Schuhwerk durch den Sand stapfen. Immerhin gibt es auch ein paar ungefährlichere Zeitgenossen hier. Chamäleons oder Edelfalter. Auch der Schilffrosch, der so klein ist, dass man ihn buchstäblich übersieht, klammert sich am hohen Gras fest und kann die Trockenzeit über reglos überstehen. Dazu fährt er seinen Metabolismus einfach runter. Würde uns auch nicht schaden, denke ich bei mir.

Savanne in Guinea-Bissau

Andreas Dauerer

Bald kommt der Morast und wo ich auch auftrete, hinterlasse ich ein lautes Schlurpen. Mein Hemd ist voller Schlamm und zunehmend fällt es mir schwer, mich in meinen neuen Schuhen überhaupt fortzubewegen. Irgendwann bleibt Belmiro vor einem Sumpf aus Wasserlilien stehen. Er klatscht in die Hände und ahmt das Grunzen der Flusspferde nach. Ob Brunft- oder Begrüßungslaut kann ich nicht genau ausmachen. Es passiert: nichts. Nach 30 Minuten Klatschen und Schreien und Suchen: eine kleine Antwort. Flusspferdunmutsgebrüll. Immerhin, sie sind hier irgendwo. Gut versteckt zwischen Büschen, Gestrüpp und Gräsern. Nicht mal Augen sehen wir.

Nach einer weiteren halben Ewigkeit neigt sich die Sonne hinter Baobabs und Kapokbäumen. Allmählich wird es also auch gefährlicher, gerade für Europäer in Flip-Flops. Wir ziehen weiter. Keine 50 Meter haben wir uns entfernt, als die Flusspferde uns scheinbar hämisch hinterherlachen. Aber auch das gehört dazu. In der Natur gibt es keine Garantien. Außer Fressen und gefressen werden. Höchste Zeit also, die Wanderung zum Boot zu beenden, durch die Mangroven nach Orango zu schippern und nach einer Dusche das Abendessen zu genießen.

Trekking durch die Savanne im Bissagos-Archipel

Andreas Dauerer

Jahrhundertealte Traditionen

Magisch sind sie, die Bissagos-Inseln, nicht nur wegen der Tierwelt. Sondern auch wegen ihrer Legenden, Religion und Riten. Fanado heißt jener Initiationsritus, der etwa bei Belmiros Onkel Augustino schwere, aber kunstvolle Narben hinterließ, die sich wie eine Schlange um den Oberkörper winden. Was genau passiert, wenn junge Männer für ein paar Wochen auf heiligen Inseln ausgesetzt werden, weiß niemand, außer denjenigen, die es selbst erlebt haben.

Narben von Mann nach Initationsritus

Andreas Dauerer

Auch für Frauen gibt es die Tradition, was man bei ihnen meistens an den Armen erkennt. Anschließend sind sie geachtete Mitglieder ihrer Gemeinde, ihres Stammes. Belmiro, Mitte 30, hat es noch nicht gemacht. Und er weiß auch noch nicht, ob er sich der archaischen Tradition unterwerfen mag. Ob ihn das für Frauen unattraktiver mache? Da lacht er. Er hat zwei Frauen. Nichts Ungewöhnliches im Örtchen Eticoga auf Orango. Allerdings bestimmen die Frauen, mit wem sie sich einlassen und so kommt es auch vor, dass sie mal in einer fremden Hütte übernachten. Liebesbekundungen an ihn laufen durch den Magen, wenn man dem Erzählten Glauben schenken mag. Sie stellt dem Begehrten eine Schale Reis und Fisch vor die Tür, isst er auf, willigt er einer künftigen Liaison ein.

Kein Wunder, dass es Okinka Pampa, eine Priesterin, einst war, die Anfang des 20. Jahrhunderts den Widerstand gegen die portugiesische Krone anführte und soziale Reformen anstieß. Sie wird noch heute tief verehrt und man darf das selbstverständlich auch bei ihren sterblichen Überresten in einer Hütte tun, die in Eticoga aufbewahrt werden. Auf dem Spaziergang zurück zum Orango Parque Hotel denke ich nach, wie gut eigentlich das Leben hier auf diese Weise funktioniert. Die Probleme sind dann auch eher Frühehen und HIV, oder eben die Hippos. Die Grundversorgung wird durch diverse Programme, allen voran der CBD-Habitat Foundation, unterstützt. Diese latente, maskuline Aggressivität, die man in manch anderen Ländern dieser Erde ständig vorfindet, sucht man hier vergebens. Das empfinde ich als wunderbar wohltuend.

Fest auf dem Bissagos-Archipel

Andreas Dauerer

Und nachts kommen die Meeresschildkröten

Poilão heißt dann auch das letzte Abenteuer, eine der entlegensten der 88 Inseln im Bissagos-Archipel. Eine heilige Insel und zugleich Brutstätte der grünen Meeresschildkröte. Die Fahrt mit dem Aluboot dauert vier Stunden, anschließend ist es Zeit für ein kühles Bier, ehe die Zelte für die Nacht aufgebaut werden. Hier gibt es nämlich nichts. Alles, was man braucht, muss gebracht und auch wieder mitgenommen werden. Die Schildkröten, nicht selten bis zu 200 Kilogramm schwer, kommen zum Eierlegen auf die Insel, wo sie einst selbst geschlüpft sind. Das geht natürlich mit der Flut leichter, weshalb man schon mal um drei Uhr morgens aufstehen muss, wenn die Gezeiten es zwischen August und Januar eben so festgelegt haben. Zumindest dann stehen die Zeichen gut, diese wunderbaren Tiere bei der Eiablage zu beobachten.

Der Strand sieht aus, als wäre er mit einspurigen Riesenreifen befahren worden. Ein Zeichen, dass die Schildkröten in der Nacht fleißig waren. Der Weg ist trotz Gezeiten ein beschwerlicher. Die schwerfälligen Körper schieben sich dann über die Insel, manchmal bis zu 100 Tiere in einer Nacht. Sie suchen ein Fleckchen, um ihre 80 bis 120 Eier abzulegen. Vorher müssen sie graben und nach dem Ablegen das Nest wieder zuschütten. Dadurch bleiben die Eier wohltemperiert und sind vor Fressfeinden gut geschützt.

Spuren von Schildkröten im Sand

Andreas Dauerer

Zwei Stunden dauert eine solche Prozedur in der Regel, ehe die Schildkröten den Rückzug ins Wasser antreten. Es ist faszinierend. Und traurig. Denn der Strand, obwohl als Nationalpark deklariert und alle zwei Wochen gesäubert, strotzt vor angeschwemmten Dreck. Shampooflaschen, Koffer, Schuhe, eine abgerissene Taucherweste. Es ist beinahe normal, dass die Tiere beim Buddeln nicht nur den Sand, sondern auch Plastik aller Länder aus dem Weg räumen müssen. Mir bricht es das Herz. Jede Schaufelbewegung wird mit dem Geräusch einer zusammengedrückten Plastikflasche quittiert.

Alles ist seltsam eng beieinander hier auf Poilão. Die globale Umweltverschmutzung auf der einen, Leben geben und Leben nehmen auf der anderen. Während Eier abgelegt werden, schlüpfen bereits andere. Putzig sehen die kleinen Schildkröten aus, die ihren allerersten Gang ins Wasser vor sich haben. Die Palmgeier oben auf den Bäumen wissen das – und mit ihren weichen Panzern sind sie ideale, vor allem aber auch leichte Beute für die fliegenden Räuber. Belmiro sagt, nur eine von 500 Schildkröten käme durch. Ein Wahnsinnsprozentsatz. Die Natur hat es aber ideal eingerichtet. Eine Überproduktion auf der einen Seite, führt zur Lebensgrundlage einer anderen Spezies. Fressen und gefressen werden. So normal, so schön, so einfach. Wäre da nicht jenes Geräusch von auszubuddelnden Plastikflaschen, das ich nicht mehr aus dem Ohr kriege.

Vögel im Bissagos-Inseln-Archipel in Guinea-Bissau

Andreas Dauerer

Auf der Rückfahrt kommen mir all diese wunderbaren Naturschauspiele in den Sinn, die ich hier erleben durfte. Ich denke daran, dass diese Lebewesen schon seit Jahrtausenden – Jahrmillionen – den Planeten bevölkern und gut durchgekommen sind. Während wir alles dafür tun, uns selbst auszulöschen, werden sie immer noch da sein. Und, da bin ich mir sicher, sie werden dann ein Lächeln auf den Lippen haben. Auch das kann Magie sein – oder einfach: die Gerechtigkeit der Natur, der auch wir uns unterwerfen werden müssen.

Infos zu Guinea-Bissau

Guinea-Bissau zählt nicht zu den einfachsten Reisedestinationen – man findet deshalb nicht ganz so viel online. Wertvolle Informationen liefert hingegen der Reiseführer Senegal/Gambia/Guinea-Bissau aus dem Reise Know-How Verlag (aktualisiert 2019/20), 16,90 Euro.

Anreise. Erfolgt mit der TAP, inklusive Zwischenstopp in Lissabon, in die Hauptstadt Bissau. Eine weitere Möglichkeit bietet die Royal Air Maroc über Casablanca. Von Bissau aus geht es per Fähre oder Privatboot auf den Bissagos-Archipel.

Unterkunft. Das Orango Parque Hotel ist ideal für alle Exkursionen auf den Inseln. Ein 10-Tage-Programm ab Flughafen Bissau mit Übernachtung im Orango, Vollpension, sämtlichen Transporten, geführte Exkursionen und Nationalparkgebühren gibt es ab 1.775 Euro pro Person im Doppelzimmer. Buchbar direkt auf der Hotel-Webseite oder als Reisebaustein über einen Afrika-Reiseveranstalter.

Reisezeit. Die angenehmste Reisezeit für Guinea-Bissau ist Dezember bis Mitte Mai. Dann herrscht Trockenzeit und es ist zwar wärmer, aber nicht so schwül. Die Schildkröten kann man am besten zwischen September und Januar beobachten, die Flusspferde (theoretisch) ganzjährig.

Mitarbeiter des Hotel Orango Parque

Andreas Dauerer