Perth, die Stadt am Swan River, der eigentlich ein See ist, ist eine der spannendsten Metropolen der Südhalbkugel. Eine Entdeckungstour. Text: Jan Schnettler

Traut er sich, oder traut er sich nicht, der kleine graue Racker? Das Känguru nähert sich langsam, es schnuppert und mampft dabei eifrig Gras, während wenige Meter entfernt ein Speedboat über den Fluss rauscht. Im Hintergrund glitzern die Bürotürme des Central Business Districts in der Sonne. Ein kurzes Zögern, ein Blick aus klugen braunen Augen, dann ist er da, der große, kleine Moment: Das Tier stößt mit der Nase in die offene Hand, lässt sich sogar ein paar Sekunden lang im Nacken kraulen – nicht anbiedernd wie in einem Streichelzoo, aber auch nicht so scheu wie im Outback.

Känguru auf Heirisson Island

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Sondern so abgeklärt, wie Kängurus, die inmitten einer Millionenstadt weitgehend ungestört auf einer kleinen Insel leben, eben so sind. Als sein Interesse erlischt, hüpft das possierliche Kerlchen dann auch davon. Es gilt schließlich, noch andere saftige Wiesen im Skulpturenpark von Heirisson Island mitten im Swan River abzugrasen – einem Fluss, der so breit ist wie ein See und Perth die einmalige Anmutung verleiht, es sei bewusst um einen Schärengarten herum erbaut worden.

Noch immer die große Unbekannte Australiens

Perth? Perth. Noch immer die große Unbekannte des australischen Kontinents, obwohl es in den Ranglisten der lebenswertesten Metropolen völlig zu Recht Stammgast in den Top 10 ist. 300 Zehn-Stunden-Sonnen-Tage im Jahr, blitzblanke Strände, große innerstädtische Parks und Ruheoasen, ein intensives kulturelles Leben, ein so hohes Maß an Sicherheit und Sauberkeit, dass Kriminalität und Umweltverschmutzung in etwa so weit entfernt wirken wie die nächste Großstadt (Adelaide, 2.100 Kilometer), und eine kulinarische Szene, die ihresgleichen sucht, sollten eigentlich genügen, um sich als Stadt ein gesundes Selbstbewusstsein anzueignen. Und doch ist es feine, fast ungläubige Zurückhaltung, die Perth am besten kennzeichnet. »Da fühlte er sich beschämt und steckte den Kopf unter seine Flügel; er wusste selbst nicht, was er beginnen sollte, er war allzu glücklich, aber durchaus nicht stolz; denn ein gutes Herz wird nie stolz«, heißt es im Märchen »Das hässliche Entlein« von Hans Christian Andersen, und fast scheint es, als hätten die Anwohner des Swan River sich das mit der Verwandlung von der Ente zum Schwan etwas zu sehr zu Herzen genommen.

Denn obwohl der Bundesstaat Western Australia und seine Hauptstadt, vom jüngsten Bergbauboom getragen, vor Kraft kaum laufen können, hat man noch nicht recht verinnerlicht, wie lebenswert es hier ist. Es fehle ein echtes Wahrzeichen wie das Opernhaus in Sydney, quengeln Lokalpolitiker gerne, und fragt man die Einwohner, was man sich denn in Perth dringend ansehen sollte, schicken sie einen nach außerhalb. Nach Fremantle etwa, den Hafen an der Mündung des Flusses in den Indischen Ozean, an den Strand von Cottesloe oder ins Swan River Valley zu einer Weinexkursion. Alles äußerst sehenswert, nur: In Perth selbst gibt es so viel zu entdecken wie in kaum einer zweiten Stadt auf der Südhalbkugel. Nur dass diese Stadt eine ist, die sich eben nicht bei einer schnellen Hopon-hop-off-Busfahrt erschließt. Sie will entdeckt werden, wenn möglich: erwandert. Ein Backsteinhäuschen, das von Wolkenkratzern umrahmt wird, oder ein Kirchlein, das nahezu nahtlos in ein Einkaufszentrum übergeht: In Perth gleicht kein Gebäude dem nächsten, und daraus ergeben sich die ungewöhnlichsten Kombinationen, Blickwinkel und Sichtachsen.

Und überall diese Kunst …

Folglich gibt es an jeder Straßenecke etwas zu entdecken – einfach deswegen, weil jede Straßenecke individuell ist. Speziell in Northbridge, einst so etwas wie das kombinierte Little Italy und Chinatown Perths, ist alles echt und nichts bloß Fassade. Zumal das quirlige Szeneviertel, in dem auch die meisten Kunst- und Kultureinrichtungen wie das nach dem verstorbenen Hollywoodstar benannte Heath Ledger Theater eine Heimat gefunden haben, dankenswerterweise gänzlich ohne die gesichtslosen Filialen internationaler Kaffee- und Fastfoodketten auskommt. In und zwischen den Lokalen, Nachtclubs und inhabergeführten Geschäften der verschiedensten Einwanderergruppen pulsiert das Leben, hier fließt zusammen, was in einen vernünftigen Schmelztiegel gehört – etwa dann, wenn sich Passanten an einem lauen Winterabend um die Riesenleinwand am Northbridge Plaza versammeln, um ihren Helden Cadel Evans bei der Tour de France anzufeuern. Da fiebern dann
Fahrradpolizisten Seite an Seite mit Rucksacktouristen, den Partygängern aus den umliegenden Clubs und distinguierten Pärchen auf dem Weg zum Konzerthaus (dem eine bessere Akustik als dem Opernhaus in Sydney nachgesagt wird!) mit; jedoch stets entspannt, »No worries, mate «, er schafft’s schon, der Cadel, und wenn nicht, dann eben nicht.

Selbst die üppige Fußgängerzone, Hay Street und Murray Street, hat ein ganz eigenes Flair, ist sie doch auf mehreren Ebenen vielfach und labyrinthartig ineinander verwoben. Und überall verbirgt sich Kunst: mal als gezackter Torbogen, der sich in irrwitzigen Volten über eine Straße spannt, mal in Form von Gedichten auf Treppenstufen, mal im unwahrscheinlichsten Winkel, etwa in Form eines Fischreliefs, das die Rücklehne einer Bank an der Flusspromenade bildet. Überhaupt der Fluss: 130 Fischsorten beheimatet er, wer Glück hat, erhascht sogar einen Blick auf einen Delfin. Reiher, quietschbunte Papageien und die namensgebenden schwarzen Schwäne tummeln sich an seinem Ufer, das stets ebenerdig, offen zugänglich und weitestgehend unbebaut ist (ganz bewusst, um sich von der Gold Coast abzusetzen) sowie von durchgängigen Rad- und Fußwegen gesäumt wird. Was ganz fehlt, ist Schiffsverkehr, auch störende Brücken sind aufs Mindestmaß reduziert.

Manchmal erinnert Perth an Boston, dann wieder an San Francisco

Derzeit baut sich Perth noch schöner, als es schon ist, um dem rasanten Bevölkerungswachstum Rechnung zu tragen: So werden etwa die Bahnlinie und der Busbahnhof, die die City bisher noch in zwei Hälften schneiden, unter die Erde gelegt, wodurch 13,5 Hektar Fläche im Herzen völlig neu entstehen. Ein weiteres Großprojekt, Elizabeth Quay, soll dafür sorgen, dass die Stadt näher an den Fluss heranwächst. Dafür wird der Pier erweitert und mit Restaurants aufgewertet, ein Aboriginee-Kulturzentrum und Cable-Car-Verkehr sind geplant.

Elisabeth Quay Perth

Wo Häuschen aus der Kolonialzeit dominieren, erinnert Perth ein wenig an Boston, andernorts an Seattle oder Portland, und da, wo die Straßen die absurdesten Neigungswinkel aufweisen, aber auch da, wo trendige Rooftop-Bars aus den Dächern schießen und nachts Studenten mit ihren Laptops in den Parks liegen, durchaus an San Francisco. Aber meistens erinnert Perth – an Perth.

Vielleicht am intensivsten dort, wo es sich Dinge leistet, die es sich nicht leisten müsste, wo Geld sinngewaltig investiert worden ist. Der botanische Garten im Kings Park, der grünen Lunge der Stadt, ist ohnehin schon ein Schmuckstück; zu zwei Dritteln besteht die 400 Hektar große Anlage aus unberührtem Buschland, darüber hinaus gibt es 3.000 angepflanzte Pflanzenarten zu bestaunen. Aber eine 52 Meter hohe Fußgängerbrücke aus Glas und Stahl, die quer durch die Wipfel eines Eukalyptushains führt? Gönnt sich nicht jeder. Und, weil im Wortsinn, noch atemberaubender ist das wohl ungewöhnlichste Kriegerdenkmal der Welt: 62 Meter beinahe senkrecht in die Höhe führen die steilen Stufen des Kokoda Track Memorial Walk. Auf den 150 Steinstufen kann der ambitionierte Spaziergänger ansatzweise die Qualen und Strapazen nachempfinden, denen die australischen Truppen im Zweiten Weltkrieg auf dem berüchtigten Kokoda-Buschpfad in Papua-Neuguinea ausgesetzt waren, als sie unter immensen Verlusten das Vorrücken der Japaner auf Port Moresby stoppten. Ein echter, obgleich ganz anders gearteter Hingucker ist auch das Point-Fraser-Projekt am Ufer des Swan River: Hier wurde die ursprüngliche Uferlandschaft wieder hergestellt und ein Feuchtbiotop angelegt, es gibt Spielplätze und einen Kajakverleih, und die Fußwege werden gerahmt von Zitaten aus der Mythologie der Aboriginees, der »Traumzeit«.

Optimale Startrampe für eine Tour durch Westaustralien

Ach ja, des Nachts zeigt sich übrigens auch, dass Perth nicht zufällig als »Stadt des Lichts« gilt (obwohl dieser Beiname aus der Zeit herrührt, als die Einwohner den Astronauten John Glenn, der im Orbit über der Stadt schwebte, mit einem Lichtermeer begrüßten): Dann nämlich werden etliche Gebäude, darunter das Council House und der Bell Tower, farbenfroh mit LED-Licht illuminiert. Letzterer ist, auch wenn die Einheimischen es vielleicht nicht wahrhaben wollen, im Übrigen ein veritables Wahrzeichen allererster Güte. Der spektakuläre Glas-Campanile wurde im Jahr 2000 eröffnet. Es ist der einzige Glockenturm weltweit, der so konstruiert wurde, dass die Besucher den Glöcknern bei der Arbeit zusehen können, und beherbergt eines der größten Musikinstrumente überhaupt. Unter den 18 Glocken sind zwölf, die ursprünglich in der Kirche St. Martin-in-the-Fields am Trafalgar Square in London erklangen und schon 1588 nach dem Sieg der englischen Flotte über die spanische Armada geläutet wurden. Und kaum minder sehenswert ist die Münzprägeanstalt, die Perth Mint.

Perth Mint

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Hier lebt der Goldrausch wieder auf: Das Gießen eines Barrens wird demonstriert, Nuggets werden gezeigt, Besucher können einen echten 12,5-Kilo-Barren stemmen und außerdem die, wie seit Kurzem im Guinness-Buch verewigt, größte Münze der Welt bestaunen. Mehr als eine Tonne wiegt sie; 53 Millionen Dollar ist sie wert, obwohl sie beim Bezahlen im Laden nur eine Million erbrächte. Die Münze zeigt im Übrigen ein Känguru und die Queen.

Wer nach all dem Entdecken hungrig und durstig geworden ist, hat einen großen Vorteil: Es ist im Grunde egal, wo er sich niederlässt, so viele exquisite Lokale gibt es in Perth. Da reicht ein Blick auf die Entrees aus westaustralischen Meeresfrüchten im Lokal Matilda Bay zwischen Yachthafen und Uni-Campus, um die Idee zu vermitteln: Garnelen aus Exmouth, Jakobsmuscheln von Rottnest Island, Langusten aus Jurien Bay, Flusskrebse aus Pemberton und Barramundi aus Cone Bay, das ist schwer zu toppen. Ganz nebenbei hat Inhaber Warwick Lavis noch sein eigenes Weingut. Seine Tropfen, vom Chardonnay bis zum Shiraz können sich schmecken lassen – und auch damit steht er exemplarisch für eine ganze Reihe ausgezeichneter Restaurants. Und ja: Wem das alles noch nicht genügt – natürlich ist Perth auch die optimale Startrampe für eine Tour durch Western Australia, einen Staat, der siebenmal so groß ist wie Deutschland und entsprechend viele unterschiedlichste Klimazonen und Regionen aufweist. Fremantle ist nah, der Hafen, durch den noch immer ein zarter Hauch der Boheme des 19. Jahrhunderts zieht und der ein Schiffsbruch-Museum sein Eigen nennt, ebenso die beliebte Ausflugsinsel Rottnest Island. Schon schmucke 800 Kilometer sind es bis Esperance, wo die Kängurus sich am Strand sonnen und der typische trockene Aussie-Humor in einer Anekdote aus dem Jahr 1979 vielleicht am allerbesten zur Geltung kommt: Als damals Teile der Raumstation Skylab über der Stadt niedergingen, belegte Esperance die USA mit einer Geldbuße von 400 Dollar – wegen illegalen Müllablagerns. 3.200 Kilometer wiederum sind es bis Kununurra, das für seine Helikopter-Angel-Touren berühmt ist. Und im äußersten Nordwesten Australiens, zwei Flugstunden von Perth, locken der Cape Range National Park mit aberwitzigen Steinformationen, sanften Lagunen und endlosem Sternenhimmel sowie das von der Unesco im Jahr 2011 zum Weltkulturerbe erklärte Ningaloo Reef, wo es sich mit Walhaien und Mantarochen schnorcheln lässt. Also: Nichts wie hin nach Perth. Bevor man dort vielleicht doch noch realisiert, dass die Stadt nicht etwa am Entenfluss liegt, sondern am Swan River.

 

Anreise. Mit Qatar Airways von Frankfurt a. M., Berlin und München über Doha nach Perth, www.qatarairways.de; Inlandsflüge am besten mit Skywest, www.skywest.com.au

Reisezeit. Am angenehmsten sind die Temperaturen im australischen Winter (Mai bis August).

Übernachten.
The Richardson Hotel & Spa, 32 Richardson Street, www.therichardson.com.au; Pan Pacific Perth, perfektes Stadthotel, 207 Adelaide Terrace, www.panpacific.com/en/Perth/Overview.html

Essen.
The Heritage Brasserie, Bar & Boardroom, 131 St Georges Terrace, www.theheritageperth.com.au; Frasers Restaurant, Kings Park, Fraser Avenue, www.frasersrestaurant.com.au; Matilda Bay Restaurant, 3 Hackett Drive, www.matbay.com.au

Info. Tourism Western Australia, www.westernaustralia.com/de