Mit Wanderschuhen in die Oper? Zugegeben, die Anreise für diese besondere Vorstellung war nicht ganz leicht. Redakteurin Marie Tysiak stapfte auf über 2.000 Metern, um beim Musikfestival »Sounds of the Dolomites« dabei zu sein, wenn Berge und Menschen sich treffen.
Als wären die dunklen Wolken Teil der Inszenierung der Sounds of the Dolomites, brodelt es gewaltig am Horizont. Wie eine gewollte Kulisse werfen erste Regengüsse im Hintergrund dunkle, bedrohliche Streifen. Eugenio Leggiadri Gallani, der den Bartolo spielt, klagt in seiner Arie über das ungerechte Leben. Auf Italienisch klingt es gleich noch gefühlvoller. Sein tiefer Bass bebt, die Berge erwidern den Klang. Dieser Nachhall, er lässt gleich einen mehrstimmigen Chor vermuten, samt Orchester. Dabei steht Luigi alleine da, lediglich von einem Quartett aus Bratsche, Geige, Cello und Piano begleitet.
Sobald der letzte Ton verklungen ist, blickt Gallani in den hohen, goldenen Spiegel, rückt seine weiße Perücke zurecht und setzt sich zwischen die Zuschauer auf die grüne Wiese. Ein paar Plätze weiter steht Massimo Cagnin alias Graf Almaviva auf und bahnt sich seinen Weg zur freien Fläche, die für heute die große Bühne darstellt. Auf den Gräsern, die die Welt bedeuten, beginnt er sanft in hohem Tenor seine Liebe zu Rosina zu besingen, die sich (gespielt von Lara Matteini) nur kurz darauf aus einer anderen Ecke des Publikums erhebt und in das Duett einsteigt.
Sounds of the Dolomites: Auf den Bergen, die die Welt bedeuten
Um die 500 bunt gekleideten Wanderer lauschen dem Spektakel. Die ungewöhnlichen Opernbesucher sind nicht zufällig hier. Eineinhalb Stunden Anstieg haben sie auf sich genommen, um nun ihren Logenplatz gleich hinter der Berghütte Malga Tasula auf knapp über 2.000 Meter Höhe einzunehmen. Bei einem kurzen Rundumblick fällt auf: Das Publikum ist jung. Sogar Kinder sitzen, die matschigen Wanderschuhe von sich gestreckt, auf den eigens mitgebrachten Picknickdecken. Alle Blicke folgen gebannt dem Paar, das sich nun singend seinen Weg durch die sitzende Menge bahnt.
Eine Opernaufführung hoch oben in den Bergen – mit diesem wörtlichen Höhepunkt haben die Veranstalter sich zum 25. Jubiläum des Festivals »Suoni delle Dolomiti« (Sounds of the Dolomites) selbst übertroffen. »Der Barbier von Sevilla« ist ein voller Erfolg. Wie es sich für eine schnulzige italienische Oper gehört, geht es um die Liebe, und ein paar theatralische Intrigen dürfen natürlich auch nicht fehlen. Der Graf Almaviva verliebt sich in Rosina. Doch er möchte, dass sie ihn nicht bloß wegen seines Geldes liebt, und verkleidet sich vor seinem Besuch bei ihr. Aber es gibt auch einen anderen Herrn, der um die Dame buhlt. Ihr Vormund, Bartolo, erwägt sie zu heiraten, um so an ihr Vermögen zu kommen. Und der unscheinbare Mittelsmann und Komplize in allem ist, wie könnte es anders sein: der Friseur.
Der Friseur als Drahtzieher beim Sounds of the Dolomites
Auch wer sich vorher nicht in die berühmte Oper von Giovanni Rossini eingelesen hat, amüsiert sich prächtig. Noch nie war man in einer Oper den Schauspielern so nah. Anders als in den bedeutenden Konzertsälen, wird hier fleißig fotografiert und gefilmt. Selbst einer der Schauspieler, der für eine kurze Pause am Bühnenrand sitzt, zückt einmal amüsiert sein Smartphone und filmt seine Kollegen.
Als die Sonne durch die Wolkendecke blitzt, legt sich so mancher Besucher auf seine Decke, die warmen Septemberstrahlen im Gesicht, und lauscht dem Gesang mit geschlossenen Augen. Andere trinken genüsslich Kaffee aus der Thermoskanne. Alles erlaubt – die übliche Opernetikette gilt hier nicht.
Grandiose (Berg-)Kulisse und der perfekte Sound
Doch was diese Aufführung so besonders macht, ist die grandiose Szenerie. Wie ein natürliches Amphitheater umrundet die Hauptgebirgskette der Brenta-Dolomiten samt dem Gipfel Cima Tosa (3.133 Meter) weitläufig das Geschehen auf der Hochebene Pian della Nana. Dabei dient sie nicht nur als eindrucksvoller Bühnenhintergrund, sondern sorgt auch für eine einzigartige Akustik. Ohne Mikrofone singen die insgesamt vier Schauspieler mit voller Inbrunst – ihre Stimmen füllen den gesamten Bergkessel scheinbar mühelos. Gelegenheit für Proben hier oben auf dem Berg gab es nur gestern. Für die italienischen Musiker aus dem Venediger Ensemble ist diese Erfahrung ähnlich absurd wie für uns Besucher.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Schließlich ist diese Oper auch verkürzt, eineinhalb Stunden auf der Picknickdecke scheint genau die richtige Länge. Graf Almaviva und Rosina fallen sich zum Happy End – der Graf und Rosina heiraten, Bartolo erhält eine finanzielle Entschädigung – in die Arme. Die Menge applaudiert und springt begeistert auf, während der letzte Ton noch nachhallt. Die Schauspieler genießen ihre Standing Ovations, die Sonne blitzt hervor und strahlt mit ihnen um die Wette.
Während die ersten Wanderer den Abstieg bestreiten, geben sich die Veranstalter und Schauspieler nach der Aufführung sichtlich zufrieden und sind beim Abbau für einen kurzen Plausch zu haben. Ich beglückwünsche Chiara Bassetti. Die künstlerische Leiterin des Festivals erzählt mir, dass sie die Natur durch eine universelle Sprache, nämlich die der Musik, den Menschen näherbringen möchte. Ihr T-Shirt ziert das Zitat von William Blake und den Leitspruch des Festivals
»Great things are done when men and mountains meet.«
Eine großartige Sache war diese Oper in den Bergen in der Tat.
Im Tal der Äpfel
Ich mache mich auf zum Abstieg auf dem gut ausgebauten Weg. Als ich am Bus ankomme, fallen die ersten Tropfen. Die Oper hätte keine Minute länger gehen dürfen. Wegen der Wettervorhersage hatte man den Beginn der Vorstellung nach Ankündigung auf zwölf Uhr mittags vorgezogen. Doch wenig später, als ich nach einer kurvenreichen Fahrt wieder im Val di Non zu Füßen des Berges ankomme, hat es bereits wieder aufgehört zu regnen. In den Alpen schlägt das Wetter eben minütlich um.
Das Nonstal befindet sich östlich der Malga Tasula rund um den Lago di Santa Guistina. Ins schöne Trient sind es etwa 40 Kilometer. »Apfeltal« nennen es ihre Bewohner liebevoll – denn in diesem malerischen Tal gedeiht ein Drittel der gesamten Apfelproduktion Italiens an den Hängen des Nonsbergs. Auch wenn die meisten der jährlich 1,6 Milliarden geernteten Äpfel von Tausenden kleinen Familienbetrieben stammen und noch per Hand gepflückt werden, laufen sie alle unter einem Dach zusammen: Melinda.
Apfelgrotten soweit das Auge reicht
Der bekannte Apfelproduzent mit Sitz im Nontal kauft den Bauern die Äpfel ab und verarbeitet sie zu Säften und anderen Lebensmitteln weiter. Eine Werksführung wird zur richtigen Abenteueraktion – und lohnt sich wegen der leckeren Apfelchips im Shop ohnehin. Denn man bedient sich einer alten, simplen wie praktischen Tradition: 16 unterirdische Grotten unter den Hängen dienen den sechs verschiedenen Apfelsorten als natürliche Lagerräume. Wenn in den abgeschotteten Kammern unter Tage der Sauerstoff- und Kohlenstoffgehalt reduziert wird, bleiben die Äpfel dort bis zu zwölf Monate lang frisch. Sehr simpel, aber so ist es ohne den Einsatz von Chemie möglich, dass wir, obwohl in Europa die Äpfel nur im Herbst geerntet werden, das ganze Jahr frische Äpfel genießen können!
Noch hängen die grünen und roten Äpfel saftig an den Bäumen, aber es dauert nur noch wenige Wochen bis zur Ernte. Bei einem der schönen Spaziergänge und den Wanderungen ist man gar verlockt, Mundraub zu begehen und eine der saftigen Früchte gleich frisch zu vernaschen. Auch im angrenzenden Val di Sole, dem Sonnental, finden sich noch einige Apfelplantagen, als ich mich am folgenden Morgen zu einer Wanderung zur Hängebrücke im Val di Rabbi aufmache, die 100 Meter lang eindrucksvoll im Stelvio Nationalpark hängt. Nichts für Menschen mit Höhenangst.
Hängebrücke der Träume
Zu meiner Linken rauscht ein hoher Wasserfall, zu meiner Rechten erstreckt sich das wunderschöne Vale di Sole, das seinem Namen just alle Ehre macht – die Sonne geht gerade strahlend auf. Unter mir klafft 60 Meter nichts, die schmale Hängebrücke wackelt leicht unter meinen vorsichtigen Schritten. Der Wind weht zarte Melodien herbei – das »Sound of the Dolomites«-Festival bezaubert fast den ganzen Sommer die Berge. Nicht nur die Brücke scheint auf einmal leicht zu vibrieren. Tatsächlich, unbewusst wippt mein Körper zu den schönen Tönen Mario Brunellos, der oben auf dem Gipfel ein Cellokonzert zum Sonnenaufgang gibt. Alleine auf dieser Hängebrücke, die noch zarten Sonnenstrahlen im Gesicht, tanze ich. Ja, große Dinge passieren, wo Menschen und Berge sich treffen.
Info
Oper: Während des Festivals »Suoni delle Dolomiti« (Sound of the Dolomites) finden unzählige Veranstaltungen in den Brenta-Dolomiten der Provinz Trentino statt. Das Programm ist vielfältig wie die wunderschönen Berge Trentinos. Und fast alle Veranstaltungen kosten kein Geld, nur Schweiß. Mehr Infos über das Val di Sole und Val di Non findet ihr unter den Links.
2023 locken vom 23. August bis 1. Oktober 17 verschiedene Konzerte bei den Sounds of the Dolomites in die traumhafte Kulisse der Berge!
Persönlicher Outdoor-Tipp: Die örtliche Kultmarke Montura aus Südtirol ist Partner des Festivals und ein toller Geheimtipp, wenn es um Outdoorkleidung mit Herz geht.
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