Wem etwas auf dem Herzen liegt – sei es belastend oder aber auch hoffnungsvoll – der findet in North Carolina die »Kindred Spirit Mailbox«, ein ganz besonderer Kummer- und Freudenkasten an einem ebenso besonderen Ort, der Geheimnisse anonym verwahrt. Text: Kirsten Bungart

Ganz allein steht er da, der schwarze Briefkasten. Auf einem Treibholz-Pflock in den Sand gerammt, am Sunset Beach in North Carolina. Ein paar Dünen drumherum, heißer Sand unter den Füßen, zwei einfache Holzbänke rechts und links. Und der unvergleichliche Blick auf das Meer. »Kindred Spirit« steht in Klebebuchstaben auf der Box. Darin liegen Kladden, Hefte, Blöcke, einzelne Briefe und ein paar Stifte. Jeder kann hier seine Geschichte erzählen oder die Gedanken zu Papier bringen, die ihn am meisten bewegen.

Kindred Spirit Mailbox in North Carolina

Kirsten Bungart

Die Geschichten, die sich in der Kindred Spirit Mailbox finden: herzzerreißend, traurig, enttäuscht, wütend, verzweifelt nachdenklich. Aber auch: vergnügt, lustig, hoffnungsvoll. Alle Gefühle, zu denen der Mensch fähig ist, kommen vor auf den oft dicht beschriebenen Zetteln. Meistens geht es um die Liebe, die Familie, eine schlimme Enttäuschung.

Geschichten in der Kindred Spirit Mailbox, die zu Tränen rühren

Da schreibt eine alte Frau von dem, was sie am meisten bereut im Leben: Nachdem ihr Mann sie betrogen hatte, wollte er sie wieder zurückgewinnen. Sie aber zeigte ihm die kalte Schulter. Eines Abends stand die Polizei vor ihrer Haustür und berichtete, dass ihr Mann bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Für die Frau bracht eine Welt zusammen. Jeden Tag ihres langen Lebens, so schreibt sie auf ein paar losen gelben Zetteln, bereue sie, dass sie nicht über ihren Schatten gesprungen sei und sich mit ihrem Mann versöhnt habe.

Eine andere berichtet davon, wie sie erst als Erwachsene erfahren habe, wer ihr leiblicher Vater sei. Sie habe ihn ausfindig gemacht, fuhr zu seiner Adresse – habe es aber nicht fertiggebracht, aus dem Auto auszusteigen und den Mann kennenzulernen.

Kindred Spirit Mailbox in North Carolina

Kirsten Bungart

Geschichten wie diese sind es, oft anonym geschrieben und in der Kindred Spirit Mailbox deponiert, die die Menschen hier verweilen lassen an diesem wunderschönen Ort, mitten am weißen Sandstrand im Süden North Carolinas, zu dem keine Straße und kein Weg führt. Gut eineinhalb Meilen muss man vom nächsten Holzsteg am Strand von Sunset Beach spazieren gehen, ehe man zu dem Kasten kommt.

Eine Inspiration selbst für Nicolas Sparks

Romantiker verbringen Stunden an der Box und lesen die Geschichten der Menschen, die sich ihre Sorgen von der Seele geschrieben haben – nicht wenige verdrücken dabei ein paar Tränen. Mancher kommt zum Hochzeitstag hierher. Ein paar soll sich sogar bei der Box kennengelernt haben – und der Mann hat seiner Frau natürlich auf ab der schwarzen Box einen Heiratsantrag gemacht. Auch Nicholas Sparks, bekannt für seine gefühligen Romane und beheimatet in North Carolina, hat die Box als Inspiration für sein neuestes Buch »Every Breath« genommen.

Doch: Wie kam die Kindred Spirit Mailbox eigentlich an den Strand? Auch das ist eine romantische Geschichte: Claudia, eine frühere Freundin von Frank Nesmith, hatte die Idee, vor mehr als vier Jahrzehnten. Erst stand sie auf einem kleinen Fleckchen Sand in Tubbs Inlet, später kam sie nach Bird Island. Frank schrieb Claudia Liebesbriefe und deponierte sie in dem Kasten. Andere taten es ihm gleich.

Kindred Spirit Mailbox in North Carolina

Kirsten Bungart

Über die Jahre wurde ein Kummer- und ein Freudenkasten aus der Kindred Spirit Mailbox, Menschen liefen über den weiten Strand, um hier ihre Sorgen und auch ihr Glück zu Papier zu bringen. Ultraschallbilder einer Schwangerschaft hat Nesmith ebenso gefunden wie Todesanzeigen oder Briefe an verstorbene Partner. Über Jahre hat der heute hochbetagte Nesmith die Briefe und Hefte gesammelt, inzwischen gehören sie zu einer Kollektion der University of North Carolina in Wilmington. Heute bestücken Bekannte von Nesmith die Box mit Schreibutensilien und leeren sie, wenn sie zu voll wird. Und erfahren von allen Sorgen und Nöten, die die Menschen hier ihrer »verwandten Seele« anvertrauen.