Allein Mallorcas Hauptstadt Palma ist eine Truhe voller Schätzchen – von zeitlos schön bis lecker-bis-der-Arzt-kommt. Folgt man den Spuren der Genüsse bei einer Landpartie, werden sie zu Kulinarik-Abenteuern. Da kommt der Schwips auch schon mal ohne Alkohol. Text: Carsten Heinke
Sommerurlaub auf dem Dorf. Dieser hier stammt vor allem aus den getrockneten Blattfasern der balearischen Zwergpalme Garballó – kunstvoll verarbeitet zu zeitlos schönen Körben, Taschen, Teppichen, Hängematten, Hockern, Hüten und unzähligen anderen Dingen. Regelrecht vollgestopft damit ist die »Mimbrería Vidal«. Bei meinem Bummel durch Mallorcas Hauptstadt mit all ihren protzigen Bauwerken, unzähligen Schlemmerplätzchen und glamourösen Shoppingmeilen bin ich bei einem Korbmacher gelandet. Der urige, 1926 eröffnete Handwerksladen mitten in Palma ist die letzte Korbflechterei in der Calle Corderia.
»Früher waren es mal zwölf«, sagt José Vidal, 76. Wie schon sein Vater, der das Geschäft 1955 übernommen hatte, gab er es an den Sohn weiter. Und der ist ganz verliebt in seine Arbeit.
An seinem Werktisch klemmt die Sitzfläche eines Stuhls. Faser für Faser zieht Tomas mit den Fingern in die feine geometrische Struktur, deren Gittermuster dem seines karierten Hemdes ähnelt. Verrückt, was Hände alles hinkriegen! Korbgeflechte für Möbel sind heute die einzige Ware, die die Vidals selber herstellen – Reparaturen inklusive. »Die Körbe und Taschen werden in den Dörfern Capdepera und Artà gefertigt«, sagt der 49-jährige Junior.
Im Norden Mallorcas sei Llatra, das jahrhundertealte Handwerk des Korbflechtens, noch lebendig. Zwischen den vielen eleganten Designershops und Modeboutiquen von Palmas Innenstadt erscheinen die Läden aus Urgroßelterns Zeiten fast museal. Doch genau wie das Mittelmeer gleich vor der Tür, die Palmen in den Parks und die von offenen Lokalen dicht gesäumten Straßen sowie die Fassaden ihrer Häuser, Kirchen und Paläste, sind es diese altmodischen, liebenswürdig schrulligen Geschäfte, die mit ihrer Einzigartigkeit den besonderen Charme der Inselmetropole prägen.
Schwelgen wie die alten Mönche
Ob die 80-jährige royale Rentnerin auch einen Lieblingsbäcker in Palma hat, ist mir nicht bekannt. Meiner jedenfalls heißt Tomeu Arbona, ist studierter Psychologe und Sozialpädagoge und seit 2018 Inhaber einer der schönsten Konditoreien, die ich je gesehen habe: der Fornet de la Soca (ehemals Fornet des Teatre) an der Plaça Weyler beim Teatre Principal. Mit seiner üppigen Jugendstilfassade ist das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert schon von außen eine Augenweide. Über grünen Schnörkeln posen kleine Drachen. Im Laden drin habe ich schließlich das Gefühl, man hätte mich in eine Käthe-Kruse-Puppenstube hineingebeamt.
Alles ist ganz zuckersüß. Von dem Gebackenen gleicht weder äußerlich noch im Geschmack etwas dem Süßkram von der Stange. Da liegen Ensaïmadas (puderbezuckerte Schmalzteigschnecken – die Renner schlechthin unter den balearischen Teigwaren), Rubiols (mit Aprikosenmarmelade gefülltes Mürbeteiggebäck), Gori de Muro Xeixa (Weizenmehlkekse), aber ebenso herzhafte Cocas (mit Zwiebeln, Paprika oder Tomaten belegte Teilchen), Cocarrois (Pasteten mit Gemüse, Pinienkernen und Rosinen) und Panades (gefüllte Teigtaschen). Alles, was hier in den Ofen kommt, wird vorher frisch verrührt, gerollt, geknetet und belegt.
Bei einem Blick in die offene Backstube kann ich mich vom Laden aus selbst davon überzeugen. Sein handwerkliches Engagement sieht der Autodidakt Arbona, der seine Bäckerkarriere erst 2010 mit einem alten Pizzaofen im Carrer Sant Jaume begonnen hatte, zugleich als kulturelle Aufgabe. Deshalb will er backen, wie man auf Mallorca schon vor Hunderten von Jahren buk. Sich selbst bezeichnet der ambitionierte Genusskünstler als »gastronomischen Archäologen«.
»Ich bin ständig auf der Suche nach vergessenen Rezepten, grabe sie in Familiennachlässen, Bibliotheken oder Klosterarchiven aus und rekonstruiere sie«, schwärmt der 56-Jährige von seiner Arbeit.
Mein Favorit: der fluffige Mandelkuchen Gató d‘amettla
So helfe er nicht nur, den Schatz des kulinarischen Erbes seiner Insel zu bewahren, sondern nach und nach sogar zu mehren. Da die Konditorei zu klein ist, um Tische und Stühle darin aufzustellen, nehme ich – ganz nach Empfehlung – mein sündhaft lecker schnupperndes Kuchenpaket und setze mich nach nebenan in die Bar Central, um die Köstlichkeiten dort bei einem großen Kaffee zu verspachteln. Mein Favorit: der ganz ohne Mehl gebackene, fluffige Mandelkuchen Gató d‘amettla – zu dem eigentlich noch eine Kugel Mandeleis gehört.
Und da ich weiß, dass Tomeu Arbona seine kleinen raffinierten Wunder prinzipiell nur aus regionalen Ingredienzen zaubert, will ich nun wissen, wo die Kuchenmandel herkommt. Wer nicht fragt, bleibt dumm. Deshalb starte ich zu einer Landpartie. Mein Ziel: die Bodega Ramanyà im Dorf Santa Maria del Camí. Auf der Fahrt zu dem Familiengut 20 Autominuten nordöstlich von Palma wird mir bewusst, warum die »kalte Jahreszeit« in Mallorca ein prima Mittel gegen Winterblues ist.
Denn spätestens, wenn ab Mitte Januar auf der Insel sieben Millionen Mandelbäume blühen, gibt es keinen Halt für Glückshormone. Vier bis sechs Wochen währt die Pracht in Weiß und Baby-Rosa. Vor strahlend blauem Himmel inmitten ostergrüner Wiesen vereinen sich Milliarden zarter Blüten zu Schmetterlingsarmeen. Im flachen, milden Inselosten fängt das Schauspiel zuerst an – je weiter westlich, desto später. In den Bergen der Serra de Tramuntana kann man es mancherorts bis in den April hinein erleben.
Mitten auf der Mandelplantage
Umsummt von Bienen, stehe ich nun unter einer dieser Blütenwolken, Teil einer Mandelplantage, die größer als zehn Fußballfelder ist. Ihr Eigentümer, Antoni Ramis, zeigt sie mir und erzählt alles, was er über Mandeln weiß – etwa, dass die süßen weiß, die bitteren rosa blühen, und dass man zur Produktion von einem Kilo Mandelkernen etwa 15.000 Liter Wasser braucht. Außerdem seien sie sehr gesund.
Wer regelmäßig welche esse, stärke Herz und Kreislauf, so der Landwirt. Doch wachsen sie schon immer hier? »Die Araber brachten sie vor über 1.000 Jahren nach Mallorca«, sagt er. Der Grund soll der Legende nach ein Liebesdienst gewesen sein. Eine vom spanischen Festland stammende Prinzessin hatte sich nach Schnee gesehnt. Ihr Mann, ein maurischer Herrscher, ließ Mandelbäume bringen (die ursprünglich im südwestlichen bis mittleren Asien beheimatet waren) und in ihren Garten pflanzen.
Als deren Blütenblätter wie Flocken durch die Luft wirbelten, war ihm die Dame seines Herzens wieder gut. Wechselvolle Weingeschichte Im Agrarbetrieb von Toni und seiner Mutter Magdalena geht es jedoch weniger um Schönheit als um Geschmack und Qualität. Und da die hier im Spätsommer und Herbst geernteten Mandeln beides haben, sind sie bei den Mallorquinern sehr begehrt – nicht nur als Zutat für Backwerk und Süßigkeiten, Mandelöl, -likör und -milch. Ja, selbst Parfüm macht man daraus.
Ich selbst mag sie am liebsten frisch geröstet – in Olivenöl, mit Meersalz, knusprig golden und noch warm. »Das feine Aroma der Mandeln passt auch hervorragend zu Käse oder Fleischgerichten wie gefüllte Spanferkel oder Escaldums, einer typisch mallorquinischen Geflügelfleischpfanne«, zählt der Experte auf. Bekannt ist der 43-Jährige jedoch vor allem als Winzer. Seit er die Bodega Ramanyà 2003 mit seiner Mutter gründete, machte sich Toni mit seinen Weinen einen Namen.
Comeback des Mallorca-Weins in den 80er-Jahren
Als erster Mallorquiner wagte er sich an die Herstellung von Rosé-Sekt sowie rotem Süßwein – und hatte Erfolg. Heute stellt seine Bodega sechs verschiedene Rot- und Weißweine her, jährlich rund 65.000 Flaschen. Obwohl die Geschichte der mallorquinischen Rebkultur vor mehr als zwei Jahrtausenden begann, ist sie sehr lückenhaft. Die Römer fingen damit an und brachten sie zur ersten Blüte. Die Araber nutzten die Trauben nur als frische Früchte und getrocknet – als Rosinen. Erst nach der Rückeroberung durch König Jaume I im Jahre 1229 war das Winzern wieder »in«.
Eine kurze Superzeit brachte dem Mallorca-Wein die Reblausplage gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Denn während die Weinberge in Frankreich und anderswo auf dem Festland bereits vernichtet waren, wurde auf der vorläufig verschonten Insel fleißig weiter produziert und exportiert – bis die versoffenen Insekten wenig später auch hier einkehrten und wenig übrig ließen. Nach jahrzehntelanger Pause feierte der Mallorca-Wein in den 1980er-Jahren ein Comeback. Erstes anerkanntes Qualitätsgebiet wurde 1991 Binissalem, zu dem auch die Bodega Ramanyà gehört.
Im Nachhinein ein schöner Trost für den tragischen Verlust der Reben vor mehr als 100 Jahren ist das landwirtschaftliche Revival zweier uralter Mallorca-Einwanderer: Mandel und Olive. Als »Ersatzkulturen« gaben sie den arbeitslosen Winzern damals eine wirtschaftliche Zukunft. Seit 2002 mit der offiziellen Herkunftsbezeichnung »Oli de Mallorca« geadelt, hat das Olivenöl der Insel heute weltweit Fans und Freunde. Um selbst auf den Geschmack zu kommen, will ich es probieren – und zwar dort, wo es gemacht wird.
Olivenbaumparadies: Finca Aubocassa
Deshalb fahre ich zur Finca Aubocassa nahe Manacor. Der maurisch-mittelalterliche Landsitz mit Renaissance-Kapelle und Super-Hightech-Mühle (verborgen hinter gelben Feldsteinwänden), Zypressen, Palmen und Kakteen, umringt von über 7.000 Olivenbäumen, ist ein wirklich nettes Plätzchen, um etwas Gutes zu genießen. Das schon eine Stunde nach der Ernte kaltgepresste, sonnen- bis grünlich-gelbe Öl aus Arbequina-Oliven darf ich sowohl im Glas als auch mit Weißbrot, Käse und Tomaten kosten.
Die erste Sorte riecht zunächst nach Zitrusfrüchten, dann nach Gräsern und Pistazien und schließlich – meine Nase steckt bereits im Glas – nach Äpfeln, Kiwis und Bananen. Vor lauter Obst ist mir so schwindlig, dass ich »die Nuss im Nachgang« ganz verpasse. Benommen nippe ich das Öl. Meine Zunge jubelt. Auch der Gaumen. Samtig-sanft rinnt es darüber und mit ihm alle Fruchtaromen dieser Welt. Die Kehle wundert sich: null Kratzgefühl! Die nächste Sorte ist noch besser. Wie hieß die noch mal? Ich komme nicht mehr mit. Doch ganz egal: Mir schmeckt‘s, und zwar gigantisch gut. Es ist das erste Mal, dass ich Olivenöl aus Gläsern trinke – und auch das erste Mal, dass ich davon betrunken bin.
Tipps zur Anreise und zum Übernachten auf Mallorca
Anreise. Von nahezu allen Flughäfen im deutschsprachigen Raum kann man direkt nach Palma fl iegen – u. a. mit Condor, Easyjet, Eurowings, Iberia, Laudamotion, Lufthansa, Ryanair, Tuifly und Vueling.
Schlafen. Das luxuriöse Boutiquehotel Can Alomar in einem stilvollen Stadtpalast mit moderner Ausstattung mitten in Palma hat 16 elegante Zimmer mit 24-h-Roomservice, z. B. pro Nacht im Mai ab € 359 für zwei Personen. Als Package mit Flügen bei Dertour für eine Woche und zwei Personen im DZ (im Mai) ab € 2.248,
Landpartie Wein und Mandeln. Bodega Ramanyà, Cami des coscois 16, 07320 Santa Maria del Camí, Besichtigungen: montags bis freitags 15 bis 19 Uhr, samstags 9 bis 13 Uhr, Olivenöl: Finca Aubocassa, Camí de Son Fangos s/n, 07500 Manacor, Verkostungen nach Anmeldung. Auskunft beim Spanischen Fremdenverkehrsamt in Frankfurt, Telefon 069/725038. Den reisen-EXCLUSIV-Guide gibt es hier.