Wenn wir von deutschen Flüssen sprechen, so zieht es viele an den Rhein, den stets geschäftigen, die größte Wasserstraße Europas. Verkehrsader mit viel befahrenen Autostraßen auf beiden Seiten, und vor allem ständig ratternden, endlosen Zugkolonnen, die Tag und Nacht über die Gleise dröhnen. Doch: Die Mittelmosel hat dies alles auch – wenn auch im kleineren Format. Erholungssuchenden bietet sie einen unbestreitbaren und nicht zu unterschätzenden Vorteil: Ruhe und Beschaulichkeit. Text: Dieter Klaas
Der deutsche Dichter Jean Paul hat einmal gesagt:
»Nirgends strapaziert sich der Mensch mehr als bei der Jagd nach Erholung.«
Vermeidbare Strapazen: Denn es gibt Orte in Deutschland, die entspannen. Die Mittelmosel ist ein solcher Ort. Der Grund für die erholsame Ruhe, die sie ausstrahlt, liegt zuerst einmal am Fluss selber. Den Rhein bremst nichts. Warum auch ? Der Strom ist sich selbst genug. Die Mosel dagegen musste man einst mit Schleusen bändigen und ausgleichen, um sie schiffbar zu erhalten. Gerade das ist der Grund für die erholsame Grundstimmung dieser Landschaft.
Doch stille Wasser sind tief – und so zeigt die Mittelmosel ab und an ein anderes Gesicht, bäumt sich auf und tritt in aller Regelmäßigkeit so stark über die Ufer, dass in jedem Mosel-Ort die Pegelstände der Fluten an den Hauswänden abzulesen sind. Dadurch aus der Ruhe bringen lassen? Nein, das ist Moselland gewohnt.
Meine erste Moselwanderung habe ich 1967 mit einem Schulfreund gemacht. Die Freundschaft mit Uli hat ein Leben lang gehalten – bis heute. Ebenso wie jene zur Mosel, die Liebe zum Moselwein und die Wanderungen rund um die Moselschleifen, die ich durch die Jahrzehnte immer wieder mit Freunden gegangen bin.
Einzigartige Richtungswechsel
Wanderer finden hier ein beschauliches Paradies, denn drei der Moselschleifen lohnen ganz besonders einen Ausflug. Es ist beeindruckend, welchen erstaunlichen Verlauf ein solcher Fluss nimmt, der sich über Jahrmillionen in sein Bett eingegraben hat, je nachdem welche Erd- und Felsformationen sich ihm entgegenstellten. Wenn es sein musste, dann änderte er einfach seine Richtung, warf fruchtbares Schwemmland in seine Bahn oder grub sich tief in den Fels. So sind sie entstanden in unendlich vielen Jahren: die Schleifen – dort, wo der Fluss sich für sich urplötzlich für eine entgegen gesetzte Richtung entscheidet. Die Schleifen bescheren den Wanderern herrliche Ausblicke und wunderbare Wege.
Eine beschauliche Moselreise – ob nun als Tagestour oder Kurzurlaub – beginnt man am besten mit Blick auf den Hauptort der Mittelmosel: Cochem.
So steht man am gegenüberliegenden Moselufer und meint die Zeit sei stehen geblieben. Unten im Tal stehen wie Zinnsoldaten aufgereihte bunte Fachwerkhäuser, umrahmt von wirrem Grün. Die Stadt scheint in sich zu ruhen, versteinert im Mittelalter als Schatzkästlein einer reichen Gegend.
Erste Schleife: Kraxeln auf den Calmont
Das märchenhafteste an der Mittelmosel ist an einem schönen Tag der zarte, wunderbare Dunst am Morgen über dem Tal, der wie ein Schleier aus morgenländischen Träumen – eigentlich sind es ja moselländische Träume – die weichen Linien der Flusslandschaft umhüllt. Doch eigentlich spielt die Jahreszeit eine Nebenrolle, denn das Moseltal hat ganzjährig seine Reize. Vielleicht aber sollte man nicht gerade die Hauptsaison in den Ferienmonaten und die Zeit der Weinlese nehmen, wenn man ein nachhaltiges Erlebnis der Beschaulichkeit sucht. Die erste Schleife der Mittelmosel, die einen Besuch lohnt, liegt am Calmont bei Bremm rund 20 Autominuten von Cochem entfernt. Das ist ein alpines Erlebnis.
Da muss man trittsicher und schwindelfrei sein, denn der Calmont Klettersteig beherbergt den steilsten Weinberg Europas. Die Kraxelei hinauf auf rund 380 Meter belohnt mit einmaligen Eindrücken und es bleibt vor allem die Bewunderung und die Achtung vor der Arbeit der Winzer in den Steillagen, die Bergsteiger und Weingärtner in einem sein müssen.
Wem dies zu anstregend ist, auf den wartet auf der anderen Moselseite ein wunderbarer Wanderweg von Beilstein über den Berg und dann hinunter durch die flachen Weinberge zum Kloster Stuben, immer mit dem Blick auf die steilen Felsen und die kleinen Weinparzellen des Calmont.
Zweite Schleife: Unterwegs mit der Kanonenbahn an der Mittelmosel
Als nächstes verbinden wir die Bahnen mit den Schleifen. Wir fahren nach Bullay, wo die Zeller Schleife beginnt und wenden uns der Kanonenbahn zu. Aber keine Sorge: Es wird nicht mehr scharf geschossen. Der Begriff stammt aus dem 19. Jahrhundert, als die Preußen gegen Frankreich siegten und 1871 das Deutsche Reich gegründet wurde, begann man ab 1872 eine Eisenbahnstrecke von Berlin nach Metz zu bauen – aus rein militärstrategischen Gründen. Acht Jahre lang dauerte das Projekt bis die erste Eisenbahn über die Schienen ratterte, um eben Kanonen so schnell wie möglich vor den Toren des »Erbfeindes« Frankreich zu haben, dem man bekanntlich Lothringen abgenommen hatte. Das Ganze wurde aus den Reparationszahlungen der Franzosen bezahlt und alle sprachen nur von der Kanonenbahn. So war’s und man sollte sich einmal anschauen, welchen Aufwand das neugegründete deutsche Reich damals getrieben hat.
Das kann man am besten von Bullay aus. Vom Bahnhof geht es über die erste Doppelbrücke für Bahn und Fahrzeuge in Deutschland aus dem Jahre 1877, schließlich über die Höhe zum ehemaligen Augustinerchorherrenstift Marienburg mit herrlichem Blick auf die Zeller Moselschleife und hinab zum Tunnel und zum gewaltigen Pündericher Hangviadukt – mit seinen 786 Meter der längste Hangviadukt in Deutschland.
Die Wanderung endet in Reil, von wo aus das Moselbähnchen, liebevoll auch »Säuferbähnchen« genannt, mitten durch den Ort auf seinem Weg nach Traben-Trarbach entlang zockelt. Niemand drängt es, denn die Schnellzugstrecke nach Trier und Luxemburg, eben die Kanonenbahn, ist unterwegs längst abgebogen.
Und nun? Ein Moselriesling!
Jetzt kann man entweder gemütlich mit dem Säuferbähnchen weiter Mosel aufwärts fahren oder sich zurück nach Bullay bringen lassen. Natürlich ist die Umrundung der Zeller Schleife auch eine sehr lohnende Wanderung. Der Weg, der am Chorherrenstift Marienburg Mosel abwärts beginnt und die Schleife bis Zell umrundet, führt fast ausschließlich durch Weinberge.
Stetiger Begleiter auf allen Moselwanderungen: der Wein. Am besten ist es, man probiert ihn beim Winzer im Weinkeller oder auf der Strecke einer Wanderung in einer der vielen Straußwirtschaften am Wege. Der griechische Philosoph Plutarch hatte die Essenz des Weines schon durchschaut:
»Der Wein ist unter den Getränken das nützlichste, unter den Arzneien das schmackhafteste, unter den Nahrungsmitteln das angenehmste«.
Der Moselriesling mit seiner exquisiten würzigen, mineralischen Note ist wirklich etwas Besonderes in der Welt des Weins.
Dritte Schleife: Der unbestreitbare Höhepunkt
In der Welt der Schleifen ist die dritte Schleife unbestreitbar ein Höhepunkt: die Moselschleife zwischen Bernkastel-Kues und Traben-Trarbach. Und die sollte man auf dem Höhenweg von Bernkastel aus mit Anstieg durch die weltbekannten Steillagen der Weinberge hinüber nach Traben-Trarbach an ihrer engsten Stelle durchschneiden und dann mit dem Moselschiff zurückfahren.
Erst an Bord realisiert man, wie lang diese Schleife sich tatsächlich durch die Landschaft zieht. Zudem bekommt man ein besonderes Erlebnis geboten: eine Schleusendurchfahrt in Zeltingen. So eine Durchschleusung braucht ihre Zeit. Hektik sieht anders aus – wieder hat Beschaulichkeit Vorrang. Eigentlich müssen wir bei unserem Moselerlebnis von Bahnen, Schleifen und Schleusen sprechen.
Am Ende haben wir drei, eigentlich vier der vielen wunderbaren Möglichkeiten für einen Tagesausflug oder einen Kurzurlaub erwandert, die die Mittelmosel bietet. Beschaulichkeit, die man nicht vergisst. Zeit, die man nicht bereut. Eindrücke, die bleiben. Erholung, die anhält. Und vergessen Sie nicht: um jede Schleife sollten Sie einen guten Riesling binden oder doch lieber umgekehrt?
Die drei Moselschleifen im Blick
Weinlokale und Übernachten in Cochem. Nettes Ambiente und hervorragende Weine: Weingut Haxel & Rieslingstub’n, Endertstr. 26-28, 56812 Cochem; Weingut mit Übernachtungsmöglichkeiten (Ferienwohnungen): Weingut Gästehaus Clemens, Weinstraße 8, 56821 Ellenz-Poltersdorf
Die erste Schleife: Der Calmont-Klettersteig. Mehr Informationen über das alpine Erlebnis sowie Routenvorschläge rund um den Calmont mit Wanderkarten auf der Website der Calmont-Region.
Die zweite Schleife: Von/bis Bullay mit dem Moselbähnchen. Eine phantastische Art die Moselschleifen und Orte an der Mosel zu erkunden: Das Moselbähnchen fährt auf der Strecke zwischen Bullay und Trier und macht an jedem Weinort Halt, immer die Moselschleifen entlang. Und bringt einem nach einer langen Wanderung wieder zum Startpunkt zurück. Mehr Infos zur Bullay. Fahrpläne der Moselbahn unter www.moselbahn.de.
Die dritte Schleife: Von Traben-Trarbach nach Bernkastel-Kues mit dem Moselschiff: Die einfache Fahrt kostet € 13 p. P. Auch andere Strecken sowie Rundfahrten sind buchbar online.