Sie sind jung, gern auch tätowiert. Mal klischeeblond, mal ohne Haupthaar. Bart ist beliebt. Sie sind Singles, alleinerziehend, Mütter und Väter, Paare – und eines haben alle gemeinsam: Sie können kochen. Gesund. Nachhaltig. Vegetarisch. Regional. Saisonal. Manchmal sogar ausgezeichnet und auf Sterneniveau. reisen-EXCLUSIV-Autorin Simone Sever hat Platz genommen an Tafeln, Tischen und Theken der modernen Restaurantszene in Stockholm. Smaklig Måltid!

Dabei beginnt mein appetitlicher Stockholm-Trip mit einem mittelschweren kulinarischen Schock, lerne ich doch im Land des Mittsommers und der rot-weißen Holzhäuser, dass ich bis zu diesem Tag die schwedischen Hackbällchen, die im bekannten Möbelhaus mit den vier Großbuchstaben gern auf die Tabletts kommen, völlig falsch geordert habe. Die Teile heißen ausgesprochen nämlich gar nicht Köttbullar – das sind Schöttbullar. Alter Schwede, ich hatte ja keine Ahnung!

Aber auch sonst sind mir schwedische Mahlzeiten eher unbekannt. Gerade mal Zimtschnecken, Knäckebrot, Hering und Kalles, diesen verpackungsschönen Lachskaviar in der Tube, kenne ich. Naja und eben die K… äh, Schöttbullar. Schwedens Küche, so verrät Wikipedia, »gilt als unkompliziert und einfach«. Das lasse ich mir jetzt auf der Zunge zergehen und auf einen Besuch ankommen.

Schwedische Zimtschnecken

Visit Stockholm

So schmeckt der schwedische Sommer

Ich treffe Elvira Lindqvist, Mutter von zwei Kindern und zugleich kreative Chefin des »Restaurant Oxenstierna«. Beide Fulltime-Jobs managt sie mit Herz, Seele und voller Überzeugung. Mitten im Stockholmer Citycenter liegt ihre Oase des Geschmacks idyllisch versteckt. Elvira folgt mit ihrem Team in den Restaurant-Menüs sowohl der Natur als auch der Jahreszeit. Besonders spannend: Sie hat den Geschmack des schwedischen Sommers eingefangen. Denn den hat die sympathische junge Frau einfach mal in Gläser gesteckt.

Köchin Elvira Lindqvist aus dem Restaurant Oxenstiernan in Stockholm

Restaurant Oxenstiernan

Das Haltbarmachen, weiß Lindqvist, ist Teil der schwedischen Kochtradition, aber dieses Handwerk ist eben nicht nur die Vergangenheit, es ist auch die Zukunft. Wie die alten Methoden des Einlegens und Fermentierens mit Milchsäure mit modernen Geschmackskombinationen einhergehen und welche Gräser, Kräuter und Früchte sich eignen, findet sie zusammen mit Lena Engelmark Embertsén heraus, ihres Zeichens Geschmacksexpertin und Wald- und Wiesengängerin. Die beiden ergänzen sich ausgezeichnet. Die Treffen resultieren in schmackhaften Ergebnissen: eingelegte Fichtenblüten, Geeister Flieder mit Wiesen-Sauerampfer, fermentierter Birkensaft, Ruchgras-Schnaps oder Veilchenzucker. All das findet der Gast schließlich in aromenreichen Kombinationen auf seinem Teller wieder. Einfach? Nicht wirklich!

Restaurant Oxenstiernan in Stockholm

Restaurant Oxenstiernan

Appetitliche Nordlichter

In der fein restaurierten Saluhall, im noch feineren Stadtteil Östermalm, haben zwölf Michelin-Star-Chefs aus den Nordländern geschmackvolle skandinavische Menüs zusammengestellt. Ende Oktober fanden sich die Küchenzauberer erstmalig zum »Stars-du-Nord«-Event zusammen. Gemeinsam servierten sie das Beste, was Länder und Landschaften zu bieten haben und was den Starköchen dazu einfiel.

Küche aus Stockholm konnte man beim Stars du Nord Event in der Saluhall erleben

www.instagram.com/starsdunord/

Die Schweden, genauer Jacob Holmström vom »Gastrologik«, nur ein paar Minuten von der Markthalle entfernt, und Johan Björkman vom »Koka« in Göteborg machten den Gourmetgästen die Münder wässrig mit einer Waldpilzsuppe von gegrillten Wildäpfeln mit eingelegten Pfifferlingen. Dazu wurde ein leicht moussierender 2019 Elstar Æble von der dänischen Andersen Winery empfohlen. Passt!

Die Finnen servierten Zander, Hering und Mandelkartoffeln und dazu ein schwedisches Linnaeus Organic Lager aus Uppsala. Skål! Tartar von der schwedischen Bergkuh, dazu geräucherter Forellenkaviar … der Gaumen kam mit jedem Bissen jedes einzelnen Starkochs voll auf seine Kosten. Zur Stunde ist noch nicht bekannt, wo die Sterne des Nordens das nächste Mal den Gourmethimmel erleuchten, aber sie werden leuchten, das ist so klar wie die Nordlichter.

Küche in Stockholm kosten in der saluhall

Alexanderstock23/Shutterstock.com

Zero Waste und maximale Sustainability

Nachhaltigkeit ist das Thema, das bei »Paul Taylor Lanthandel« in Sundbyberg, ein bisschen außerhalb des Stockholmer Stadtkerns, im Fokus steht. Im Shop des Nachbarschafts-Restaurants wird nicht nur auf jegliche Verpackungen verzichtet, Paul kauft seine Waren mit Bedacht, bei den lokalen Bauern. Aber er holt auch Waren, die kurz vor dem Ablaufdatum sind, in ausgewählten Märkten ab.

Tische, Stühle, Wasserflaschen und Vasen sind in dem einladenden und hellen Shop-Restaurant aus recycelten Materialien. Und weil das Thema Nachhaltigkeit damit noch lange nicht ausgeschöpft ist und der Kreislauf noch nicht abgeschlossen, setzt man zudem bei »Paul Taylor Lanthandel« auf eine eigens angeschaffte Kompostmaschine. Die Erde, die mit der Maschine gewonnen wird, ist dann Mutterboden für die nächsten Rüben, Salate und Kohlköpfe. Ein gesunder Kreislauf, der beeindruckt.

Saisonale und regionale Speisen gibt es in der Küche von Stockholm im Paul Taylor Lanthandel

www.instagram.com/paultaylorlanthandel

Dr. Mat: Gesund und lecker

»Lass Nahrung deine Medizin sein und Medizin deine Nahrung«

steht auf einem Schild an der Wand beim Eingang zu »Dr. Mat«. »Dr. Mat«, das sind Danielle und Johan Lalin, die ihren kleinen gesunden Stehimbiss, inklusive Verkaufskühltheke, mit viel Herz, einem Leuchten in den Augen und einer großen Portion herzlichem Engagement betreiben. Eigentlich wollte das sympathische Paar sich restauranttechnisch vergrößern. Alles war schon in Planung, doch dann kam Corona und machte einen Strich durch die Rechnung. Nun verwöhnt das harmonische Duo erst einmal weiterhin die Gästeschar im überschaubaren Ambiente mit 100% Organic, gluten- und lactosefreien saisonalen Gerichten wie etwa Salate, Bowls und Pasta.

Gesunder Salat von Dr. Mat

www.instagram.com/drmat.se/

Ein Knaller sind die gesunden Shots mit Ingwer, Kurkuma, Schwarzpfeffer, Apfelessig, Zitrone und all den herrlich gesunden Zutaten. »Tant Kurant« ist ein echter Rachenputzer, und bei »Fru Snyting« versteht sich der Spruch, der am Eingang die Gäste begrüßt, wie von selbst: Nahrung ist Medizin, Medizin ist Nahrung. Ich nehme gleich noch einen zweiten Shot. Kann in der langsam kälter werdenden Jahreszeit eh nicht schaden. Und schmeckt außerdem!

Stockholm kulinarisch entdecken im Dr. Mat

Simone Sever

Menü von Pilzen

Ich bin etwas zu früh dran und damit nicht allein. Es warten schon andere Hungrige auf den Einlass ins Gewächshaus, ins »Växthuset«, was irgendwie konspirativ unter einer Autobahnüberführung und direkt neben den Räumlichkeiten eines Nightclubs liegt und offensichtlich gerade sehr angesagt ist. Ich bin gespannt, denn ich habe bereits von Niki Sjölund gehört und seine farbenfrohen Bilder der Natur auf Instagram bestaunt.

Niki ist ein Waldläufer, einer der hinausgeht und schaut, was er Essbares findet. Einer, der findet und mitnimmt, was ihm das Jedermannsrecht gestattet. Und weil es gerade Herbst ist und der Herbst vor allem für Pilze eine gute Jahreszeit ist, kommen heute in meinem neungängigen Menü im »Växthuset« immer wieder Pilze auf den Teller: goldene Pfifferlinge, Trompetenpilze und Birkenpilze. Saisonal. Raffiniert. Von Einfachheit keine Spur.

Stockholm kulinarisch entdecken im Restaurant Växthuset

www.instagram.com/restaurangvaxthuset

Ein Sellerie zum Träumen

Der Tisch ist für den letzten kulinarischen Schwedenhappen im Grand Hotel Stockholm, im »Rutabaga«, gedeckt. »Rutabaga«, was übersetzt Steckrübe heißt, ist, wie der Name vielleicht erahnen lässt, ebenfalls ein vegetarisches Restaurant. Die Kochkunst vom vierfach gewählten »Schwedischen Koch des Jahres«, Mathias Dahlgren, erhebt im »Rutabaga« die grüne Küche auf Weltklasseniveau.

Gedeckter Tisch im Rutabaga, einem der besten restaurants in Stockholm

Tuukka Ervasti/ imagebank.sweden.se

An der langen Tafel wird aufgetragen: Getrüffelte, vegetarische Foie Gras mit Croutons aus Weizensauerteig. Gegrillter Apfelsalat mit Endivien, Blumenkohl, Walnüssen und einer fein abgestimmten Hagebutten-Vinaigrette. Jasminreis in Salatblättern mit frittierten Zwiebeln, Ingwer, Wasabi und asiatischer Apfelbirne. Dazu immer wieder alkoholfreie und farblich harmonierende Getränke. Mal mit der fruchtigen Frische von Äpfeln, dann haut einen das Aroma des Trüffels im Glas zum dunklen Beerensaft beinahe um, und plötzlich wird duftend der Sellerie serviert, fein und slow über Nacht gebacken – mit Trüffeln, brauner Butter, Molke und Zitronenzeste, so weich und aromareich, dass er butterweich auf der Zunge zergeht.

Mathias Dahlgren ist einer der angesehensten Köche Schwedens. Seine Restaurants im Grand Hotel bieten ein exklusives Fine-Dining-Erlebnis.

Tuukka Ervasti/ imagebank.sweden.se

Schwedische Küche, »einfach und unkompliziert«, so beschrieb das doch Wikipedia? Ich würde mal sagen, es ist höchste Zeit, das zu korrigieren.