Was tun, wenn man nur wenig Zeit für eine Millionenmetropole hat? Man erkundet sie mit Einheimischen! In Melbourne liegen die Schätze zudem im Verborgenen. Text: Ulrike Klaas

Life is too important to be taken seriously – prangt in großen Lettern der Spruch von Oscar Wilde auf dem Federation Square in der Innenstadt, dem zentralen Platz der zweitgrößten australischen Metropole. Vor dem gigantisch architektonisch gestalteten Würfelgebäude wartet Fiona Sweetman. Als Erstes fallen ihre knallroten Stiefel auf. Bei zweitem Hingucken die beiden Broschen auf ihrem langen Jeansmantel: eine Wolke und ein Pilz. Dass Fiona die besten versteckten Shops junger kreativer Designer kennt, glaubt man ihr sofort. Doch bevor es so richtig losgeht, steht erst einmal gemütliches Kaffeetrinken auf dem Programm. Fiona führt mich über einen Hinterhof zu einer Stahltür, die in ein altes, dunkles Treppenhaus führt. Auf einmal stehen wir im Captains of industry, einem lichtdurchfluteten hellen Raum. Statt Blumen stehen Petersiliensträuße auf den hell gebeizten Holztischen. In der Ecke steht Großmutters Nähmaschine, auf dem Tresen eine steinalte Registrierkasse, und an der Wand hängt von Opas altem Tennisschläger aus Holz bis zur rostigen Säge alles, was der Speicher der Ahnen hergegeben haben muss. Aber das »Captains of industry« ist nicht nur ein Café, sondern Fionas absoluter Geheimtipp für Männer. Denn mit zum Inventar gehören Friseur und Herrenausstatter. Vom neuen Schnitt über einen maßgeschneiderten Anzug bis hin zum Lederschuh – selbstredend bei einem Glas guten Single Malts –, die Herren der Schöpfung verlassen von Kopf bis Fuß erneuert das Café. Und die Frauen? Ja, die veranstalten entweder einen Kaffee-Klatsch oder lassen ihre Männer zurück und folgen Fiona zum Shop-Hopping.

Eine lebenswerte Stadt

Wir bummeln durch die engen Gässchen der Innenstadt, wo sich Cafés und kleine Klamotten-Lädchen aneinanderreihen. Laut Fiona ist die Innenstadt perfekt für ausgedehnte Schlender-Shoppingtouren. Es ist Mittagszeit, und die arbeitende Bevölkerung hat sich zum Lunch vor die Cafés niedergelassen. Musiker stehen an Straßenecken und verströmen Open-Air-Konzert-Feeling. Die rund 3,4 Millionen Einwohner Melbournes haben Glück: Sie leben in der lebenswertesten Stadt der Welt 2012, was die kulturellen Gegebenheiten, Klima, Lebenshaltungskosten und soziales Umfeld angeht. Dabei ist die australische Metropole keine Stadt für die Liebe auf den ersten Blick. Man muss ihr etwas Zeit geben, ihre Qualitäten zu zeigen. Und mit den richtigen Menschen unterwegs sein – wie mit Fiona, die hier geboren ist und die die Stadt ebenso gut kennt wie den Inhalt ihrer Handtasche. Vor sechs Jahren hat sie beschlossen, Einheimischen und vor allem Touristen die »Hidden Secrets« zu zeigen. Auf ihren Touren zum Thema Shopping, Cafés, Kunst und Design oder auch Architektur führt sie die Teilnehmer in verwinkelte Gässchen und über Hinterhöfe zu ganz besonderen Shoppingorten.

Hidden Secrets in Melbourne

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So eröffnen sich in verborgenen Arkaden schicke Studios und niedliche Boutiquen, und in unauffälligen Hinterhöfen stößt man nichts ahnend auf ausgeflippte und extravagante Bistros und Cafés. Kein Wunder, dass die Einwohner Melbournes sogar ihr eigenes Wort für die Gässchen haben: Laneways und Sidewalks.

S-H-O-P-P-I-N-G

Wir betreten das Curtain House Building, mitten in der Innenstadt in der Swanston Street gelegen. Vor einer eisernen Aufzugstür machen wir Halt, die sich plötzlich wundersamerweise öffnet. Eine grauhaarige Dame mit Föhnfrisur und adrett im Hosenanzug gekleidet heißt uns willkommen. Sie ist sozusagen der Liftboy oder eher das Elevator-Girl des Hauses und bringt altes amerikanisches Hollywoodflair in das Art-decó-Gebäude. Sie entlässt uns in der dritten Etage in einen winzigen Flur, von wo aus Fiona mich in ein kleines, aber feines Lädchen mit niedlichem Schnickschnack lotst. Junge kreative Mode von einheimischen Designern bekommt man im Parterre des Alice Euphemia. Wunderhübsche extravagante Mode, die allerdings ihren Preis hat. Auf Highheels, Kleider und Taschen à la Carrie Bradshaw stoße ich dann im ersten Stock, im Secondhand-Shop Retrostar Vintage Clothing.

Doch Fionas Geheimtipps für die besten Geschäfte sind noch lange nicht ausgereizt:

»Wer auf Vintage steht, für den ist das das Viertel Fitzroy Pflicht«, rät sie.

Und so setzen wir uns in die Bahn und steigen eine halbe Stunde später an der Brunswick Street Ecke Gertrude Street wieder aus. Wir schlendern vorbei an Schaufenstern mit schwarzen Lederjacken, klobigen Boots, Hemden im Schottenmuster und taillierten pinken Blazern. Im Bohemian-Viertel reihen sich Cafés, Bars und Secondhand-Läden mit Vintage-Style à la Vivienne Westwood neben kreativer Gothic-Mode. Auch das Viertel selbst besitzt einen heruntergekommen Schick: man trifft sich in Läden wie dem Naked for Satan zu Kaffee und Kuchen – das im Inneren aber luftiger und einladender wirkt als es der Name verspricht – und am späten Nachmittag versackt man in einem der düsteren Jazzlokale auf ein Bier.

Sich durch die Geheimtips futtern …

Shoppen macht hungrig! Fiona übergibt mich in gute Hände: Autorin Michelle Matthews kennt sie alle und in eine Sammlung namens Restaurant und Bar Secrets of Melbourne zusammengefasst. Die erste Station: das Cutler & Co in der Gertrude Street, das stylisch und edel daherkommt. Die Innenausstattung ist minimalistisch: weiß verputzter Backstein, mit weißem Kreppband umwickelte Lampen in einer Art Lagerhalle. Nichts soll vom Genuss ablenken. Wobei: auch die Gerichte scheinen auf den ers­ten Blick bodenständig. Einfach Lebensmittel gewagt kombiniert wie Gnocchis und Blumenkohl verarbeitet Besitzer Andrew McConnell in ein wahres Geschmackserlebnis. Ebenfalls ein absolutes Muss laut Michelle: das asiatische Restaurant Gingerboy in der Crossley Street (Innenstadt), das sich längst vom Geheimtipp zum absoluten Szenerestaurant gemausert hat. In lebhaftem Ambiente zaubert der Chefkoch wahre Geschmacksexplosionen auf die Teller. Was serviert wird? Südostasiatische Küche, deren Gewürze und Konsistenzen von knackig bis weich die Gäste in ungeahnte Genusswelten entführen.

Nizar Pangarkar

Und jetzt, Michelle? Ja, da warten diverse Bars – selbstverständlich liegen diese nicht offensichtlich an der Straßenecke. Michelle führt mich zu unscheinbaren Türen in verwinkelten Gässchen in der Innenstadt. Wir steigen eine Treppe hinab, und ich werde zunächst vom strahlenden Weiß der Wände geblendet, bevor ich den edlen Fabrik-Style von Isakaya Den erfassen kann. Aufgestylte Menschen unterhalten sich, während im Hintergrund R’n’B und House-Lieder laufen. Nanu, so viele Cocktails waren es nun auch wieder nicht. Eine lebensgroße Giraffe und ein Strauß mit weißer Perlenkette mitten in Melbourne? Das Palmz ist das Kontrastprogramm zum kühlen minimalistischen Stil des Isakaya Den. Abgedunkelt mit plüschigen roten Sesseln, ist es einer afrikanischen Lodge nachempfunden. Schließlich enden wir in einer Bar mit dem Namen RA, die so verborgen in einem Hinterhof liegt, dass ich ihn niemals alleine betreten hätte. Projektionen an den Häuserwänden, roter Teppich vor dem Eingang und Ledersofas mit bunten Kissen strahlen stylischen Schick aus.

Zu guter Letzt: hoch hinaus

Am nächsten Morgen betrachte ich die Dinge mal von oben: Der Eureka Tower am Yarra River ist der zweit­höchste Aussichtspunkt der südlichen Hemisphäre. Die 88. Stockwerke schießt der Aufzug in gnadenlosen 40 Sekunden hinauf.

Eureka Tower Melbourne

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Und plötzlich liegt mir Melbourne zu Füßen: die schnurgeraden breiten Hauptstraßen, die hohen Wolkenkratzer, die Seite an Seite neben wuchtigen Gebäuden aus Zeiten des Goldbooms sowie Häusern mit viktorianischen oder filigranen Art-déco-Fassaden stehen. In der Ferne blitzt ein heller Streifen auf: der Strand in St. Kilda, wo man perfekte Sonntage verbringen kann. Erst frühstücken im Monarch Cakes, wo es die wohl besten Cupcakes des Viertels gibt, anschließend über den Art & Craft Market auf der Promenade schlendern und den Blick auf die Skyline von Melbourne genießen. Nichts wie hin! Manchmal lohnt es sich eben nicht über den Dingen zu stehen, sondern man betrachtet sie besser aus nächster Nähe!

Anreise. Mit Qatar Airways nach Melbourne via Doha, www.qatarairways.com

Einreise. eVisitor ist gültig für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten und kann kostenlos im Internet beantragt werden unter www.immi.gov.au/e_visa/visitors.htm

Übernachten. Das Grand Hyatt Melbourne bietet einen atemberaubenden Blick über Melbourne und liegt zentral mitten im Zentrum der Stadt im Business District, 123 Collins Street.  www.melbourne.grand.hyatt.com

Shopping. Retrostar Vintage Clothing, 1st FL und Alice Euphemia, Shop 6, beide 37 Swanston Street

Cafés. Captains of industry, Gentlemans Outfitter and Cafe – Level 1, 2 Somerset Pl. Melbourne, www.captainsofindustry.com.au Naked for Satan, 285 Brunswick Street, Fitzroy 3065, www.nakedforsatan.com.au; Monarch Cakes, 103 Acland Street, St. Kilda 3182, www.monarchcakes.com.au

Restaurants. Gingerboy, 27-29 Crossley Street, Melbourne, VIC 3000, www.gingerboy.com.au; Cutlers & Co, 55-57 Gertrude Street, Fitzroy 3065, www.cutlerandco.com.au

Bars. Izakaya Den, 114 Russell Street, www.izakayaden.com.au; The Palmz, 193 Bourke Street, RA, 322 Little Collins St; Melbourne, VIC 3000

Eureka Tower. Der zweithöchste Aussichtspunkt der südlichen Hemisphäre. Der Besuch des Skydecks im 88. Stock. Es gibt auch die Möglichkeit, eine Würfelplattform mit Glasboden zu betreten, die drei Meter aus dem Gebäude herausragt, www.eurekaskydeck.com.au

Touren. Hidden Secrets Tours von Fiona Sweetman zum Thema Architektur und Design, Shopping und Cafés, www.hiddensecretstours.com. Michelle Matthews hat die besten Shopping, Bar und Restaurants Secrets jeweils in einer Art Kartenspiel versammelt, die man wie einen kleinen Reiseführer nutzen kann. Zu bestellen unter www.deckofsecrets.com

Info. www.visitmelbourne.com/de