Es ist ein Samstag im Februar. Jan Malte Andresen, Deutschlands erster Fischbrötchenkönig, fährt mich durch Schleswig-Holstein, um mir sein Königreich und seine Untertanen zu zeigen. Eine Tour entlang der Ostsee. Text: Jennifer Latuperisa-Andresen
Wo ist denn bitte seine Krone? Zugegeben, ein lächerlicher Gedanke. Dennoch ist es die erste Assoziation, wenn man sich mit einem gekrönten Haupt trifft. Insbesondere dann, wenn doch die vielen landwirtschaftlichen Königinnen, sei es die des Weins oder der Kartoffel, bei öffentlichen Auftritten ja ständig ein Krönchen auf dem Köpfchen tragen. Jan Malte Andresen tut das nicht.
»Ich hab nicht mal die Krone. Die hat man mir sozusagen nur geliehen.«
Braucht er auch gar nicht, so ein majestätisches Symbol. Die Körpergröße von ein Meter neunzig und der blonde Schopf zeigen auch ohne weiteres Zutun Präsenz, sozusagen auf ganz natürliche Art und Weise.
Näheres zum Fischbrötchenkönig
Jan Malte Andresen ist ein Bilderbuch-Norddeutscher, obwohl er in Baden-Baden geboren wurde. Und wenn man ihn lieb darum bittet, kann er tatsächlich Badisch babbeln. Das wiederum passt nicht so ganz zu seiner ehrenamtlichen Position als Majestät des Fischbrötchens. Und es passt auch nicht zu seinem alltäglichen Job, denn auch da vertritt er im gewissen Sinne Schleswig-Holstein, und zwar aus tiefstem Herzen.
Er ist Radiomoderator beim NDR – genauer gesagt bei NDR1 Welle Nord (das hat sich mittlerweile geändert, dazu aber später mehr), wo er die Hörer über die Ereignisse im in Schleswig-Holstein informiert. Hinzu kommt, dass er zu den Besten seiner Zunft gehört.
Es wäre keineswegs übertrieben, zu behaupten, dass er dort oben im Norden ein Star ist. Die Menschen auf der Straße in Schleswig-Holstein erkennen ihn, sprechen ihn an und danken ihm seine Liebe zur Region mit einer außerordentlichen Beliebtheit. Und er interpretiert es als die Aufgabe, Botschafter zu sein für ein Fleckchen Erde, welches ihm bereits seit Kindertagen am Herzen liegt.
Die Wahrzeichen von Kappeln
Das erste Ziel auf unserer Tour entlang der östlichen Seite des Landes führt uns nach Kappeln an der Schlei. »Kappeln hat drei Wahrzeichen«, erklärt mir Jan Malte, »und zwei davon haben mit Fisch zu tun. Da wäre einmal die Windmühle Amanda aus dem Jahre 1888, in der sich heute die Tourist-Information befindet, das ist zum anderen der letzte Heringszaun Deutschlands, der schon über 600 Jahre alt ist und auch weiterhin zum Fangen verwendet wird, sowie die Fischräucherei För.«
Letztere wird dann auch unser erster kulinarischer Stopp. Vorfreude auf ein Fischbrötchen mit dem Fischbrötchenkönig. Die drei Schornsteine der Räucherei tragen die Aufschrift Aal, wahlweise, so verrät der Speiseplan, kann aber frisch oder geräuchert belegt werden.
Auf Fischbrötchen-Suche
Dumm nur, dass für uns nichts mehr belegt werden kann. Denn wie es der Zufall so will, kauft die nette junge Dame vor uns das allerletzte Fischbrötchen des Tages. Wir gehen leer aus. Da kann selbst ihre Majestät, der Fischbrötchenkönig, nichts ausrichten.
Man hat es nicht leicht mit seinem Volk, nicht wahr, Herr Andresen?
Und da liegt die Frage, was genau denn die definierte Aufgabe des amtierenden Fischbrötchenkönigs sei und welche Rechte damit überreicht werden, verdammt nah.
Das kann Jan Malte selbst nicht so genau beantworten. Er kam dazu wie die Jungfrau zum Kind. Als Sammler von Jahrestagen und Geburtstagen fiel ihm eines Tages auf, dass es keinen Fischbrötchentag gibt – wie naheliegend also, dass man ihn krönte, als sich Ostsee-Holstein Tourismus diesen kuriosen Tag erdachte.
Vielleicht wäre die Frau För aus der Räucherei ja mit einer Krone zu bewegen gewesen, eventuell noch ein Brötchen aufzutun, um den Bismarkhering zwischen dessen Hälften zu legen. Aber so verließ der König mit knurrendem Magen die Räucherei, allerdings guten Mutes, alsbald eine andere Chance aufzutun.
Also treten wir an, um das Königreich zu durchkämmen.
Wir passieren Dörfer, entlegene Häuser, um an den Stegen von Maasholm zig Fischerbötchen vorzufinden, die aufgeregt im stürmischen Wind schaukeln. Aber eben doch nur schaukeln. »Arg leer hier«, war Jan Maltes Kommentar, als wir über den Damm zu der ehemaligen Insel Maasholm kamen und durch die leer gefegte Hauptstraße, entlang des niedlichen Rathauses, fuhren. Niemand da.
»Fisch und Fischerei begleiten den Besucher hier sonst an jeder Ecke«, erklärt mir Jan Malte, der ziemlich verdutzt ist, als auch der hochgelobte Hafenimbiss geschlossen ist. Dafür aber brettern Windsurfer in Renngeschwindigkeit innerhalb der Schleimündung an uns vorbei, während wir fast weggeweht werden mit unseren knurrenden Mägen.
Vor verschlossenen Türen
»Es ist ja nicht so, als müsste man hier verhungern«, verteidigt sich Jan Malte. »In Schleswig-Holstein ist manches einfach ungewöhnlich. Hier kann man den Fisch direkt vom Kutter per SMS bestellen, auf Booten schlafen, in Leuchttürmen heiraten …« Und spätestens da muss ich einmal unterbrechen. In Leuchttürmen heiraten, das will ich sehen. »Da gibt es aber garantiert kein Fischbrötchen. Nur einen Campingplatz und einen Traumstrand.« Egal, nur einmal gucken.
Deswegen müssen wir einen kleinen Abstecher machen. Genauer gesagt nach Gelting, um dann in Falshöft den kleinen, schnuckeligen rot-weiß gestreiften Leuchtturm anzusehen, der allerdings – wie sollte es auch anders sein – hinter geschlossenen Toren wartet. Nicht einmal besichtigen ist möglich im Februar.
»Dat is kein Speck na mien Beck«, schimpft der Fischbrötchenkönig. Heute will einfach nichts gelingen. »Dann fahren wir eben in die Stadt.« Und so führt mich der Moderator nach Eckernförde, trotz Hunger, aber mit reichlich Elan, um doch noch irgendwann in ein außen knuspriges und innen saftiges Fischbrötchen zu beißen. Aber selbst am Eck Vier, dort, wo der langhaarige Fischer gerade den auf Eis gelegten Dorsch entschifft, gibt es kein Fischbrötchen, und auch die Heimat der echten Kieler Sprotte, nämlich »Meergold – Rehbein & Kruse«, hat bereits geschlossen.
»Die Kieler Sprotte kommt nämlich nicht, wie bundesweit oft fälschlich angenommen, aus Kiel, sondern aus Eckernförde«, erklärt mir Jan Malte, ganz in der Funktion des Fischbrötchenkönigs, »dort wurden und werden die aus der Ostsee gefangenen Sprotten im Buchen- und Erlenholzrauch zu einer wahren Delikatesse veredelt.«
Doch noch satt geworden!
Es ist ein wenig verhext. Fast schon so ein wörtliches Im-Trüben-Fischen. Als wäre der Fischbrötchenkönig ohne Fischbrötchen der wahre Botschafter der Region. Denn auf der Suche nach einem leckeren Bissen habe ich einen Großteil der Ostseeküste des Bundeslandes gesehen (immerhin bis nach Scharbeutz). Bin an breiten Sandstrände spaziert, habe in Strande bei Kaiserschmarrn und Kaffee entspannt und den Abend in Weissenhaus bei einem feinen Dark’n’Stormy-Cocktail begonnen.
Am Ende haben wir in Laboe in der Fischküche zwar kein Fischbrötchen, dafür aber Gerichte aus der Meeresküche gekostet und dabei den Schiffen beim Wanken im Wind zugesehen. Dabei ist mir eines aufgefallen: Jan Malte Andresen hat den ganzen Tag von Schleswig-Holstein geschwärmt und war dabei ungemein überzeugend. Als Monarch ein Naturtalent, wenn er doch nur sein Volk finden würde.
P.S.: Wie das Leben so spielt, hat sich aus der flüchtigen Bekanntschaft der Autorin zum Fischbrötchenkönig eine Beziehung entwickelt. Das hat den die Majestät dann auch ins Rheinland gelockt, wo er heute als Moderator bei WDR2 das Morgenprogramm zweiwöchentlich moderiert. Die Liebe zu Schleswig-Holstein und seine unglaubliche Ortskenntnis dort, sind selbstverständlich geblieben. Und wie es der Zufall so will, ist er immer noch Fischbrötchenkönig, denn ein neuer wurde bisher nicht gewählt.
Info. Am 3. Mai ist Weltfischbrötchentag, etwa 15 bis 20 Orte werden sich mit einem Rahmenprogramm daran beteiligen. Aber das Fischbrötchen ist das ganze Jahr über eine zu genießende Delikatesse.
Mehr Infos unter www.ostsee-holstein.de
Lesen Sie auch unseren Reise-Guide zu Schleswig-Holstein.