Tansania bietet mehr als nur organisierte Safari-Reisen. Wer also die Big Five schon abgehakt hat und eine Afrika-Reise eher erleben als konsumieren will, sollte sich vielleicht doch einmal mit dem Gedanken befassen, auf eigene Faust im allradgetriebenen Pick-up vom Kilimandscharo an den Indischen Ozean zu reisen. reisen-EXCLUSIV-Autor Martin Häußermann hat sich auf diesen Roadtrip begeben und dabei Einblicke in das Leben in Tansania gewonnen. Ah ja, wilde Tiere hat er auch gesehen.
So ähnlich stelle ich mir das Paradies vor. Am frühen Morgen kitzelt mich die Sonne an der Nase. Nach der gestrigen Fotosafari, bei der ich eine Menge mir fremder Vögel vor die Linse bekam, habe ich geschlafen wie ein Baby. Ich bin herrlich ausgeruht und tiefenentspannt. Also raus auf die Terrasse und, oh Wunder, da steht ja frisch gebrühter Kaffee. Herrlich. Die Koffein-Injektion weckt die Lebensgeister. Rein in die Badehose, raus aus dem Haus und ab an den Strand. Ab und zu einen Blick nach oben, denn wenn sich eine der Kokospalmen mal ein wenig schüttelt, kann das mehr als eine Beule zur Folge haben. Aber alles bleibt ruhig.
Auch das Meer, dessen angenehme Temperaturen zu einem Bad förmlich einladen. Den kilometerlangen Traumstrand habe ich ganz für mich allein. Nach dem Schwimmen ab unter die Dusche. Das Frühstück wartet. Mein Paradies heißt Kijongo Bay Beach Resort, liegt am Indischen Ozean, ganz im Osten Tansanias.
Eine Feriensiedlung mit gerade einmal sieben Bungalows, die jeweils vier bis fünf Personen Platz bieten. Erbaut wurde das Resort von einem ugandischen Juristen und seiner kanadischen Frau.
»Alfred wurde als Kindersoldat rekrutiert, konnte aber entkommen und hat sich mit viel Energie durchs Leben gekämpft«, erzählt Debbie, die im Resort alle Fäden zusammenhält.
Wie genau Alfred es geschafft hat, zu entkommen und später sogar zum Studium in die Schweiz und nach Kanada zu kommen, das weiß Debbie auch nicht so genau. Was sie aber sicher weiß, ist: Alfred arbeitet als Jurist für die Vereinten Nationen und lebt mit Frau Kim und seine beiden Töchtern in Uganda. Alfred wäre sicher ein interessanter Gesprächspartner, denke ich mir.
Nachhaltig und individuell durchs Land
Von denen habe ich auf dieser Reise schon einige getroffen. Tatsächlich markiert der Aufenthalt im Paradies schon fast das Ende eines zehntägigen Roadtrips, den ich zusammen mit Johannes Soeder unternommen habe. Johannes reist schon seit fast 15 Jahren durch Afrika, lebte einige Zeit in Südafrika, studierte Afrikanistik und forschte im Rahmen dieses Studiums mehrere Monate lang in Ghana. Ein Überzeugungstäter, der seine Liebe zu diesem Kontinent und deren Menschen sowie seine Ausbildung dazu verwendet, Reisende – und eben nicht nur Touristen – genau dorthin zu bekommen.
Gemeinsam mit seinem Freund David Heidler, der seinerseits eine Weile in Tansania lebte, gründete er den Reiseveranstalter Akwaba Travel, der sich auf die Fahnen schreibt, nachhaltige und individuelle Afrika-Reisen anzubieten.
Über das Thema Nachhaltigkeit muss ich noch ein bisschen nachdenken, über das Thema Individualität nicht. Individuell ist eine Selbstfahrerreise durch Tansania zweifellos. Denn während man an den Flughäfen Europas oder Nordamerikas zwischen Hertz, Avis, Sixt oder was weiß ich wählen kann, hat man am Kilimanjaro-Airport eigentlich nur die Wahl zwischen Bus oder Taxi. Eine Marktlücke, die Akwaba gemeinsam mit einem tansanischen Partner füllt. Vier indische Pickup-Trucks der Marke Tata haben sie gekauft und vermieten sie nun an Touristen. Es sind weiße Klein-Lkw mit einer Passagierkabine, die vier Personen fasst, das Reisegepäck kommt auf die mit einer großen Klappe verschlossenen Ladefläche.
Um uns an das Fahrzeug und den Verkehr zu gewöhnen, unternehmen wir einen kleinen Trip ins Umland von Moshi und besuchen einen Kaffeefarmer. Weil die Einfahrt in seine Farm etwas versteckt liegt, kommt uns Josephat-August Minde, der sich aber nur Jos nennen lässt, zu Fuß entgegen. Er trägt ein Fußballtrikot, genauer gesagt das argentinische Nationaltrikot, auf dessen Rücken Messi aufgedruckt ist. Aber mit Fußball hat Jos so gar nichts am Hut, und mit dem kickenden Multimillionär, dessen Namen er spazieren trägt, erst zweimal nicht. Die Farbe hatte es ihm angetan: »Dieses Weiß und Blau ist doch wirklich schön«, sagt er und berichtet, dass er dies in einem Secondhand-Laden erworben habe.
Im Schnelldurchgang durch die Kaffee-Farm
Über diese Läden werden Kleiderspenden, vor allem aus Europa, in Tansania vertrieben. Auch wenn diese Kleidungsstücke schon gebraucht seien, die Qualität sei immer noch viel besser als die Neuware aus China, meint Jos. Dann führt er uns über seine Farm und demonstriert uns im Schnelldurchgang, wie Kaffee entsteht – von der Ernte über die Fermentierung, Trocknung, Sortierung und Röstung. Ein Aha-Erlebnis für einen Kaffeeliebhaber wie mich. Der frisch gebrühte Kaffee aus Arabica-Bohnen, die Jos soeben in einer kleinen Schale über dem offenen Feuer geröstet hat, ist ein Gedicht. Jos, ein ebenso stolzer wie freundlicher Mensch, ist einer von knapp 70.000 Kaffeebauern in der Region, die sich in der Kilimandscharo-Kaffee-Erzeugergemeinschaft KNCU zusammengetan haben.
Die sorgt für Verarbeitung und vor allem den Vertrieb, der die einzelnen Bauern überfordern würde, schließlich werden 95 Prozent des tansanischen Kaffees exportiert. Sicherheit gibt den Bauern angesichts stark schwankender Marktpreise auch der von der KNCU garantierte Einkaufspreis von genau einem US-Dollar für ein Kilogramm rohe Bohnen. Ein Dollar für ein echtes Bioprodukt, denn laut Jos ist den Farmern hier Chemie zum Düngen oder gar Spritzen viel zu teuer. Stoff zum Nachdenken bei der nächsten Tasse Kaffee. Auf jeden Fall hole ich mir morgen vor der Abfahrt gen Westen im örtlichen KNCU-Laden gleich noch ein Kilo Bohnen. Ich liebe Roadtrips, weil einem das eigene Fahrzeug – oder in diesem Fall der Mietwagen – viele Freiheiten gibt.
Die Freiheit, genau dort anzuhalten, wo man etwas Interessantes entdeckt. Die Freiheit, zumindest ein Stückchen in die Welt des Gastlandes einzutauchen und mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Sei es nur, um nach dem Weg zu fragen. Und das müssen wir trotz guter Routenbeschreibung immer wieder mal. Sich alleine auf Google Maps zu verlassen, das funktioniert in Tansania nicht. Denn Straßenverläufe und vor allem Straßenzustände ändern sich hier so schnell, dass selbst Big Brother Google überfordert ist.
Der Polizist wünscht einfach nur eine gute Weiterreise
Manchmal halten wir auch unfreiwillig an. Nämlich dann, wenn die Polizei Routinekontrollen macht. Das ist an sich eine gute Sache, denn diese sogenannten Road Blocks dienen schließlich dazu, die Verkehrstüchtigkeit von Fahrzeug und Fahrern zu kontrollieren. Doch schwingt bei einer Polizeikontrolle – wer kennt das nicht? – auch immer ein latent schlechtes Gewissen mit. Bin ich vielleicht doch zu schnell gefahren? Hab ich sonst was falsch gemacht? Die Ungewissheit ist immer da, auch wenn ich mich wirklich schnell an den tansanischen Linksverkehr gewöhnt habe.
Und da passiert es auch schon: Die Hand des weiß uniformierten Gesetzeshüters geht hoch, ich lenke das Auto auf den Standstreifen. »Shikamoo«, begrüßt er mich, und als ich ihn verdutzt anschaue, fragt er in gebrochenem Englisch, wie es mir denn so gehe und was meine Familie so mache. Nach weiterem Austausch von Freundlichkeiten, Johannes hatte sich zwischenzeitlich mit seinen Swahili-Sprachkenntnissen in die Unterhaltung eingebracht, wünscht uns der Uniformierte eine gute Reise und lässt uns ohne weitere Kontrolle der Papiere weiterfahren.
Johannes grinst und erklärt: »Der sagte gerade zu Dir: ›Ich küsse Deine Füße. Das ist ein Gruß, der Respektspersonen und älteren Leuten entgegengebracht wird.«
Darüber muss ich erst mal nachdenken. Bin ich jetzt eine Respektsperson, oder? Auf jeden Fall sollte ich mir mal einen Minimal-Wortschatz Swahili aneignen – wie das eigentlich jeder gute Gast in einem fremden Land tun sollte.
Während ich so vor mich hin schweige, erhalte ich vom Beifahrersitz aus ein kleines Proseminar über afrikanische Lebens- und Verhaltensweisen. Johannes ist eben ein Afrika-Liebhaber vor dem Herrn. Oder doch eher vor Allah? Im Zweifelsfall passt beides. Ally Kaniki würde dem ohne Weiteres zustimmen. Der Endzwanziger ist unser Fremdenführer in Mambo, einem kleinen Städtchen in den Usambara-Bergen. Er selbst ist Christ wie die eine Hälfte seiner Familie, die anderen sind Moslems: »Das ist kein Problem bei uns, wir verstehen uns alle sehr gut.« Sein Großvater sei zum Islam konvertiert, weil er mehrere Frauen haben wollte, insgesamt wurden es vier, mit denen er zusammen 20 Kinder hatte.
Den Reisenden Natur und Kultur der Region nahebringen
Ally, der ausgezeichnet Englisch spricht, denkt da anders: »Ich habe eine Frau, und eine Frau, das ist genug.« Wichtig sei ihm, dass er seiner Frau und seiner Tochter ein gutes Leben garantieren könne. Das gehe am besten, wenn man im Tourismus tätig sei. Und so gründete der junge Mann zusammen mit zwei anderen die Firma Usambara Eco Tours, die Reisenden Natur und Kultur der Region nahebringen will. Dazu gehört beispielsweise auch ein Besuch in der örtlichen Grundschule. Ally ist mit dem Rektor Thomas Joseph Anzigari befreundet, der uns gerne Einblicke in die Mambo Primary School gewährt.
Er zeigt sich stolz darüber, dass man hier jedem Kind eine Grundausbildung gewähren könne, sofern die Eltern nur bereit sind, sie in die »shule« – so heißt die Lehranstalt auf Swahili – zu schicken. Formal gibt es in Tansania eine Schulpflicht, kontrolliert wird diese aber nicht. Dafür ist hier ordentlich was los, fröhliches Kindergeschrei, großes Gewusel. Kein Wunder, schließlich besuchen rund 1.600 Kinder diese Schule.
Da ist während des Unterrichts Disziplin gefordert, ihre Energie verpulvern die in eine blaue Schuluniform gekleideten Jungs und Mädchen dann während der Pausen. Die Jungs übrigens sehr gerne beim Kicken. Als Fußball nutzen sie zu einer Kugel zusammengerollte und -geknotete Plastiktüten. Und wenn ich mir die Artistik anschaue, mit der die Jungs dieses rudimentäre Spielgerät behandeln, dann frage ich mich, wann wohl die ersten Talentspäher aus Europa hier auftauchen.
Zu Besuch bei der 77-jährigen Heilerin Rashidi
Dann heißt es: Heiler statt Physiotherapie. Tatsächlich haben Heiler in dieser ländlich geprägten Region einen hohen Stellenwert. Ärzte oder gar ein Krankenhaus gibt es nur in den Städten. Ally bringt uns zur örtlichen Heilerin. Die 77 Jahre alte Hadja Rashidi praktiziert in ihrem Privathaus. Sie beschwört dort die bösen Geister, gibt ihren Patienten Ratschläge für ein gesünderes Leben und verteilt auch Medizin, die sie selbst aus heimischen Kräutern zubereitet hat. Selbst Ally schwört auf das von der Heilerin bereitete Kopfschmerzmittel. Behandeln lässt er sich allerdings nicht von ihr, der Okkultismus widerspreche seinen religiösen Überzeugungen.
Landschaftlich das komplette Gegenteil zu dem Mittelgebirge der Usambara-Berge ist der gar nicht so weit entfernte Mkomazi-Nationalpark. Der wurde aber erst 2008 zum Reservat erklärt, zuvor machten hier Wilderer Jagd, vor allem auf Nashörner und Elefanten. Deshalb verlaufen hier Pirschfahrten doch etwas anders als beispielsweise im Ngorongoro-Krater, wo sich die Big Five längst an die vielen mit Touristen besetzten Geländewagen gewöhnt haben – und regelrecht domestiziert sind.
Auf dem Weg zu unserem Zeltlager mitten im Park lässt der Ranger uns plötzlich anhalten. Es tut sich was im Busch. Und plötzlich brechen sechs Elefantenbullen mit ausgestellten Ohren und laut trompetend hervor. Mit ihrem aggressiven Imponiergehabe wollen sie offensichtlich die weiblichen Tiere, die mit ihrem Nachwuchs dahinter den Weg kreuzen, schützen. Es braucht wohl noch eine Weile, bis auch die Elefanten hier erkennen: Sie leben im Paradies.
Tipps für eine Rundreise mit dem Pick-up durch Tansania
Autofahren. Als Selbstfahrer sollte man schon Afrika-Erfahrung besitzen und auch den Umgang von Geländewagen auf unbefestigten Straßen beherrschen, sonst könnte die Tour zur Tortur werden. Angesichts der dünnen medizinischen Versorgungslage gilt beim Autofahren immer Safety first. Mit deutscher Vollkas- komentalität kommt man hier nicht weit. Übrigens: Ein internationaler Führerschein ist Pflicht.
Reiseveranstalter. Akwaba Travel GmbH, Brandvorwerkstraße 52-54, 304105 Leipzig, 0341/22387160, E-Mail: info@akwaba-afrika.de. Akwaba Afrika bezeichnet sich selbst als »die Experten für Afrika-Reisen«. Das können wir zumindest für unsere Tour bestätigen. Diese muss übrigens nicht ganz genau so nachgefahren werden. Wer klare Erwartungen an seine Reise formuliert, dem stellen die Leipziger mit ihrem Baukastensystem auch eine sehr individuelle Reise zusammen. Der Mindesteinsatz für eine zweiwöchige Reise liegt bei rund 4.000 Euro pro Nase.