»Friesland? Meinst du Ostfriesland?«, war eine häufige Frage, bevor ich mich in die fast nördlichste Provinz der Niederlande aufmachte. Friesland zählt zu den unbekannteren Zielen in unserem schönen Nachbarland. Dabei gibt es hier viel zu entdecken, denn die niederländischen Friesen haben sich ihre besondere Kultur bewahrt. Bis heute sprechen sie zum Beispiel ihre eigene Sprache. Unsere Redakteurin Marie Tysiak war zu Besuch in Friesland, das weit mehr als Kühe, Küste und Käse hervorgebracht hat.

Unweigerlich neige ich leicht den Kopf. Dann schaue ich mich auf dem weiten Platz um. Nein – der Turm Oldehove ist wirklich schief, und zwar nicht nur ein bisschen. Christina, die mir im Namen von A guide to Leeuwarden die Hauptstadt von Friesland zeigt, lacht. »Das bildest du dir nicht ein«, und sie zückt das erste Bild aus ihrer Mappe. »Hier«, beginnt sie zu erklären, »siehst du, wie diese spätgotische Kirche aus dem 16. Jahrhundert aussehen sollte!«

Christina, Tour-Guide in Leeuwarden

Marie Tysiak

Ein prachtvolles Bauwerk auf ihrem Ausdruck kontrastiert mit dem einsamen Turm aus rotem Backstein vor mir. Denn, was der Bauherr nicht beachtete: Leeuwarden wurde gegründet, in dem sich drei Dörfer auf Warften zusammenschlossen. Das sind aufgeschüttete Erdhügel, die vor Sturmfluten schützen sollen. Und genau unter dem Turm befindet sich einer dieser ersten Hügel, der noch zu Bauzeiten der Kirche unter dem Gewicht absackte. Sie wurde nie fertig gebaut – alles was blieb, ist der schiefe Turm von Leeuwarden. Heute bietet er von oben den schönsten Blick über die Stadt. Nur schwindelfrei sollte man sein, denn beim Aufstieg scheint nichts unter seinen Füßen ebenerdig zu sein.

Aussicht auf Leeuwarden

Marie Tysiak

Leeuwarden: eine Stadt voller Kuriositäten

Es ist nicht die einzige Kuriosität, die ich auf unserer Stadtführung entdecken sollte. Christina kommt aus Deutschland, doch sie blieb nach ihrem Studium in Leeuwarden und leitet heute unter anderem die deutschen Stadtführungen.

Es fühlt sich fast ein wenig an, als würde ich mit einer Freundin durch die beschauliche Innenstadt bummeln. »Schau mal«, Christina zieht mich zu einem schmalen Fenstersims eines alten Hansehauses. Darauf stehen fünf kleinste Figürchen, die eine Alltagsszene am Spielplatz abbilden. Die Miniaturmenschen von Leeuwarden, die sich über die Stadt verteilen, sind eines der unzähligen Kunstprojekte hier. Ob Streetart oder das renommierte Fries Museum – die Stadt sprüht vor Kreativität. Deswegen bemühten die Einwohner sich persönlich um die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2018 – und erhielten die Ernennung!

Innenstadt in Leeuwarden, der Hauptstadt von Friesland

fokke baarssen/ Shutterstock.com

Die Friesen und ihre eigene Mentalität

Ich lerne schnell: Die Friesen sind hartnäckig und anders als der Rest von Holland, oder zumindest betonen sie das gerne. Jedenfalls sprechen sie heute noch ihre eigene Sprache: Friesisch. Besonders auf dem Dorf lernen viele Kinder zuerst in der Schule niederländisch.

Auch ist man stolz auf die kreativen Errungenschaften der Friesen. Der berühmteste von ihnen ist vermutlich M. C. Escher, der Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen unmöglichen Figuren und Grafiken berühmt wurde. Eschers prunkvolles Geburtshaus, ein Palais aus dem 18. Jahrhundert, das heute das Keramikmuseum in Leeuwarden beherbergt. Ein kleiner Geheimtipp ist sein Kellerraum, der als eine Art lebensgroßes Escher-Gemälde jeden Orientierungssinn der Besucher täuscht. Das Geburtshaus von Mata Hari, nur wenige Straßen weiter an einer schönen Gracht gelegen, steht hingegen aktuell leer. Das Fries Museum stellt eines ihrer berühmten, aufreizend opulenten Kostüme aus.

bilder im fries museum in leeuwarden

Marie Tysiak

Eine Post wird zum Hotel

Von hier aus führt Christina mich an den schönen Shops der Kleine Kerkstraat und den unzähligen Cafés der Nieuwestad durch schmale Gassen in den Osten der Innenstadt. Prunkvoll erstrahlt die Schönheit aus der niederländischen Neorenaissance, in dem auch ich in meiner Zeit in Leeuwarden nächtigen werde.

Im Post Plaza in Leeuwarden schläft man in einer alten Post.

Marie Tysiak

Das Post Plaza ist das schönste Grandhotel der Stadt, und bestimmt eine der ungewöhnlichsten Unterkünfte der ganzen Niederlande. Dort, wo früher in der gigantischen Eingangshalle Briefe an den Schaltern entgegengenommen wurden, werden heute Drinks in der Bar des Grand Café ausgeschenkt. Das ehemalige Telefonistinnen-Zimmer dient für Feierlichkeiten. Doch überall im Hotel erinnern Fotos und Artefakte an das Hauptpostamt, das von 1903 bis in die Neunziger Jahre Leeuwarden von hier mit der Welt verband.

Party hinter Gittern

Nur wenige Minuten weiter bleiben wir vor einem weiteren historischen Prunkstück der Stadt stehen: das ehemalige Gefängnis im Herzen von Leeuwarden. Beim ersten Anblick erinnert es an eine herrschaftliche Festung, umrahmt von einem Wassergraben.

ehemaliges Gefängnis in Leeuwarden, Friesland

Marie Tysiak

Auch hier zeigt sich wieder, wie es den Friesen gelingt, sich ihrer Geschichte und Kultur zu bewahren, und doch dabei tolle neue Orte der Moderne zu erschaffen. Während wir über das Kopfsteinpflaster der Fußgängerbrücke unter dem eisernen Tor in den Innenhof schreiten, steigt ein mulmiges Gefühl in mir auf. Gitterstäbe versperren die Fenster, in denen noch bis 2007 Kriminelle ihre Strafe absaßen. Als das Gebäude den Feuerschutzrichtlinien für Strafanstalten nicht mehr standhielt, verlagerte man das Gefängnis in ein neues Gebäude am Stadtrand. Und heute? Natürlich beherbergt der Komplex allerlei kreative Projekte.

Auf einer Gondel durch Leeuwarden zu schweben bleibt ein besonderes Erlebnis!

Marie Tysiak

»Die öffentliche Stadtbibliothek nimmt zum Beispiel diesen linken Gefängnisflügel ein«

zeigt Christina auf einen Teil des ockerfarbenen Baus. »Und in den ehemaligen Zellen«, sie weist ein Stück weiter, »haben heute viele kleine Läden ihre Ausstellungsfläche.«

Wir treten durch den ersten Innenhof in einen weiteren. Sand, Liegestühle, bunte Dekoration und Lampions zieren den Hof. »Da hinten ist das Proefverlof, eines der schönsten Restaurants der Stadt.« Gleich am Wassergraben werden auf der Terrasse edle Steaks und Seafood serviert. »Manche Einwohner aus Leeuwarden reisen mit ihrem eigenen Boot zum Restaurant an«, führt Christina fort, als wir das ehemalige Gefängnis wieder durch das Tor verlassen und ein Boot unter der Brücke passiert.

Unterwegs mit dem Gondelier von Leeuwarden

Wie sehr Leeuwarden von Wasser und Kanälen bestimmt ist, lerne ich am Abend, als ich einen weiteren Einwohner der Stadt kennenlerne. Hette van den Brink, den Gondelier von Leeuwarden, treffe ich am Museumshafen, er hat seine original venezianische Gondel schon fertig gemacht. Es ist ein perfekter Sommerabend, die einstündige Fahrt auf dem elf Meter langen Kahn über die Grachten der Stadt vorbei an den vielen Segelbooten und schönen Häusern versetzt mich in absolute Verzückung. Leeuwarden kann absolut mit Italien mithalten, nicht nur Dank des schiefen Turms.

Gondelier Hette van den Brink in Leeuwarden

Marie Tysiak

Ein Besuch im Landschaftspark Oranjewoud

Die Tage in Leeuwarden vergehen viel zu schnell. Doch zum Glück habe ich noch einen weiteren Ort in Friesland auf dem Programm. Weite Felder und saftige Wiesen, die hier und da mit grasenden Kühen, Seen oder manchmal einer historischen Windmühle bespickt sind, begleiten mich auf dem Weg nach Süden. Dass es nur noch knapp drei Stunden bis nach Hause nach Köln sind, verdränge ich.

»Oranjewoud«, zu Deutsch der orangene Wald, liegt etwas versteckt doch umso majestätischer im Süden von Friesland. Ich folge schmalen Alleen und idyllischen Kanälen. Der erste Landsitz taucht am Wegesrand zwischen hohen Eichen auf.

Oranjewoud nennen sich die herrschaftlichen Wälder im Süden von Friesland.

Marie Tysiak

Gut ein halbes Dutzend herrschaftliche Häuser aus dem 18. Jahrhundert thront heute noch in diesem versteckten Winkel Hollands. Daher rührt auch der Name Oranjewoud: Besonders die Königsfamilie pflegte in dem dichten Wald ihre Sommerhäuser und nutzte den nahen Wald als Jagdgründe. Die Idylle hier ist kaum zu übertreffen. Heute ist der Landschaftspark ein Paradies für Fahrradfahrer und Wanderer. Und auch Kunstliebhaber kommen nicht zu kurz. Deshalb bin auch ich heute hier.

Oranjewoud nennen sich die herrschaftlichen Wälder im Süden von Friesland.

Marie Tysiak

Moderne Kunst im Museum Belvédère

Ich parke gleich vor dem modernen Glasbau, der sich wie selbstverständlich über einen der vielen Kanäle im Park spannt. Es ist Mittagszeit und heiß, Kinder springen von der kleinen Holzbrücke mit einem lauten Platsch ins kühle Nass, das von Schilf und Springbrunnen umrahmt ist. Im Glasbau des Museum Belvédère erwartet mich nicht nur eine heiß ersehnte Klimaanlage, sondern auch modernste Kunst – ein toller Kontrast zu der geschichtsträchtigen Landschaft.

Museum Belvedere in Friesland

Marie Tysiak

Die aktuelle großformatige Foto- und Videoausstellung zur Generation Z – also den Jugendlichen, die um die Jahrtausendwende geboren sind – lässt tief einblicken in die Gedanken der Teens auf der Suche nach Identität, Zugehörigkeit und persönlichen Werten in einer Welt, die von Großereignissen und Digitalität bestimmt wird.

Im Museum Belvedere wartet moderne Kunst.

Marie Tysiak

Zum Abschluss meiner Reise freue ich mich noch auf ein Highlight in der Region Friesland: Ein Mittagessen im »De Heeren van Harinxma«, dem einzigen Michelin-Sterne-Restaurant von Friesland. Es liegt prachtvoll im alten Landsitz Lauswolt, das außerdem Frieslands einziges Fünf-Sterne-Hotel und den schönsten Golfplatz der Provinz beherbergt. Auf den Tisch, so wurde mir versprochen, kommen raffinierte und regionale Köstlichkeiten, die größtenteils im eigenen Garten angepflanzt werden. Beim Aussteigen bin ich mir sicher: Auch hier werden mich die Friesen wieder überraschen mit ihren einzigartigen und ganz speziellen Kreationen!

Im Landgut Lauswolt lockt das einzige Michelin-Sterne-Restaurants Frieslands.

Marie Tysiak

Infos und Tipps für eine Reise nach Friesland

Mehr Informationen zur Provinz gibt es auf der Webseite des Fremdenverkehrsamtes Visit Friesland.

A Guide to Leeuwarden. Spannend gestaltete private und kostenfreie öffentliche Stadtführungen durch Leeuwarden, auch auf Deutsch möglich.
Post Plaza. Die schönste Unterkunft in Leeuwarden, eindrucksvoll im alten Postamt gelegen. Vier-Sterne-Hotel, DZ ab 116 Euro.
Gondeltour. Die schönste Art, Leeuwarden vom Wasser aus zu erkunden. Einstündige Fahrt ab 18,50 Euro.
Proefverlof. Edles Restaurant im ehemaligen Gefängnis von Leeuwarden mit Terrasse am Wassergraben.

Im Museum Belvedere wartet moderne Kunst.

Marie Tysiak

Museum Belvédère. Museum für moderne Kunst im Oranjewoud mitsamt seiner herrschaftlichen Landgüter.
Landgut Lauswolt. Frieslands einziges Michelin-Sterne-Restaurant, das lokale Zutaten in köstliche Kreationen verwandelt – zum Dahinschmelzen.