Mit dem Nachtzug lässt sich bequem über Nacht in Europas Metropolen reisen. Einige europäische Bahngesellschaften erweitern auch 2023 ihr Streckenangebot für Nachtzüge. 

Bahnfahren ist eine klimaschonende Alternative zu Flugzeug und Auto und besonders bei umweltbewussten Urlaubern beliebt. Das gilt auch für Bahnreisen über Nacht. Und die sind längst besser als ihr Ruf!

Nachtzug rast durch Bahnhof

Tom Grünbauer

Meist bieten Nachtzüge den Passagieren spezielle Schlafwagen, die Abteile mit bis zu vier Betten, Bettwäsche und einer Waschgelegenheit offerieren. Und in sogenannten Liegewagen können Reisende die Sitze zu einer Liege umklappen. Immerhin.

Was allen Abteilen gemein ist: Man checkt abends sein, bezieht seinen Schlafplatz, tuckert die ganze Nacht durchs Land und steigt morgens im besten Fall ausgeschlafen am Zielbahnhof aus. Damit sind die Nachtzüge deutlich entspannter als Autofahrten oder Flugreisen in aller Herrgottsfrühe. Und umweltschonender sowieso. Eigentlich eine gute Sache.

Rückblick: Aus für die City Night Line 2016

Lange Zeit waren Schlafwagen in Deutschland gang und gäbe. Die Mitteleuropäische Schlafwagen- und Speisewagen-Gesellschaft, kurz Mitropa genannt, erblickte 1916 das Licht der Welt und wollte den Menschen das Reisen in Speise- und Schlafwagen in Deutschland, Österreich und Ungarn schmackhaft machen. Das ging auch sehr lange Zeit gut.

Blick in den Speisewagen eines alten Mitropa-Zuges

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Das Problem irgendwann: Zu wenigen Menschen nutzen die Nachtzüge. Die DB European Railservice wurde gegründet, sie war fortan verantwortlich für die Nachtzüge. Mit dem City Night Line, so hieß der Nachtzug der Deutschen Bahn fortan, ging es komfortabel und unkompliziert auf insgesamt 17 Verbindungen in acht europäische Länder. Einfach abends in den City Night Line einsteigen und morgens ausgeschlafen im Zentrum von Amsterdam, Berlin, Kopenhagen, München, Paris, Prag, Rom, Wien oder Zürich ankommen, so das Versprechen der Nachtzug-Betreiber. Tickets für europaweite Ziele gab es ab 59 Euro pro Person und Strecke im Liegewagen.

Bis Ende 2016. Dann hatte die Bahn-Konzernzentrale die Nase voll – und nahm die Nachtzüge aus dem Verkehr. Zu hohe Kosten, zu unrentabel. Die Bahn fuhr nur noch Verluste mit den Nachtzügen ein, hieß es. Im Dezember 2016 wurde dann endgültig der Stecker gezogen: Die Bahn wollte das Nischengeschäft nicht länger betreiben. Tot waren die Nachtzüge in Deutschland damit aber noch lange nicht.

Die Liebe der ÖBB zu den Nachtzügen

In unserem Nachbarland, bei der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), war man von dem radikalen Einschnitt nicht überzeugt. Ganz im Gegenteil. Die Österreicher griffen beherzt zu, als sich die Deutsche Bahn zurückzog. Sie übernahmen 40 Prozent der Nachtzuglinien der Deutschen Bahn und kauften ihr 15 Liegewagen und 42 Schlafwagen ab.

Ein ÖBB-Nightjet im Wiener Hauptbahnhof vor der Abfahrt

ÖBB/Harald Eisenberger

Mit ihrem Brand »Nightjet« sind sie es, die Urlauber und Geschäftsreisende nachts über Deutschlands Gleise transportieren.

»Seit die ÖBB 2016 die Marke Nightjet etabliert haben, gab es jedes Jahr zumindest eine neue Strecke«

sagt Bernhard Rieder, Pressesprecher der ÖBB. Im Januar 2020 wurde die Strecke Wien-Brüssel ins Leben gerufen, im März 2021 folgten Wien-Amsterdam sowie Innsbruck-München-Amsterdam.

Wer überlegt, wie lang man unterwegs ist, hier ein paar Infos: Die ÖBB-Nightjet-Züge nach Amsterdam beispielsweise fahren in Innsbruck um 20:44 Uhr los, Ankunftszeit in Amsterdam-Centraal ist 09:58 Uhr. Retour fahren die ÖBB-Nightjet-Züge um 19:30 Uhr ab Amsterdam Centraal mit Ankunft in Innsbruck um 09:14 Uhr bzw. in Wien um 09:19 Uhr. Rund 13 Stunden also ist man unterwegs.

Eigenes Bett im Schlafabteil des Nightjets

Im Gegensatz zu den normalen Tageszügen, die nur die 1. und 2. Klasse kennen, bieten die Österreicher für die Fahrt durch die Nacht Schlaf-, Liege- und Sitzwagen an. Die Ausstattung der ÖBB-Züge könnte eine Blaupause für das sein, was Reisende in den Nachtzügen auch anderenorts in Zukunft erwartet.

Am komfortabelsten sind die Schlafwagen-Abteile. Es gibt sie in der Standard- und Deluxe-Variante. Wer hier einsteigt, den erwarten frisch bezogene Betten mit Decke, Laken und Kopfkissen, die vor und nach dem Schlafengehen in Sitze umgewandelt werden können. Es gibt ein Willkommensgetränk, eine Zeitung, Handtücher, Seife, Hausschuhe und Ohrstöpsel, Mineralwasser sowie ein Frühstück, das aus einer Speisekarte nach Belieben zusammengestellt werden kann.

Während das Standard-Abteil mit einem Waschbecken aufwartet, bietet das Deluxe-Abteil sogar ein eigenes Bad mit Waschbecken, Dusche und WC. Beide Varianten können von ein bis drei Personen gebucht werden. Wer mehr Privatsphäre will, der kann die Abteile in den drei Kategorien auch als eigenes (Privat-)Abteil buchen. Für allein reisende Frauen gibt es sogar die Möglichkeit, das »Damenabteil« in einem Liegewagen zu wählen. Eine Fahrt von Wien nach Köln oder Hamburg ist im Schlafwagen ab rund 220 Euro zu haben.

Junge Frauen liegen in einem Abteil des ÖBB-Nightjets

ÖBB/Harald Eisenberger

Die ÖBB unterhalten aktuell 20 Nachtzuglinien, es werden aber auch seit 2016 Strecken ausgebaut, dies ist auch in den nächsten Jahren geplant. So wurden 33 komplett neue Nightjet Züge angeschafft, die ab Ende 2023 eingeflottet werden. Vor allem ÖBB-Chef Andreas Matthä glaubt an den Erfolg: Die Klimadebatte habe das Thema Nachtzüge »noch einmal ordentlich geboostet«, sagte er im Sommer 2020 im Gespräch mit der FAZ. Matthä ist überzeugt: »Der Nachtzug bringt uns ein enorm positives Image. Nachtzüge sind rollende Werbung«, erzählte er der Wirtschafswoche.

ÖBB-Chef Andreas Matthä

ÖBB/Marek Knopp

Die Klimadebatte und das Comeback der Nachtzüge

Vielen missfällt, dass die Deutsche Bahn keine Nachtzüge mehr unterhält. Es passe einfach nicht in den Trend, dass die klimaschonendste Reise ein Produkt vergangener Zeiten sein sollte. Im EU-Parlament sah man das genauso. Am 1. Dezember 2019 schließlich hatten sich die Europaabgeordneten des Verkehrsausschuss darauf geeinigt, 2020 der Stärkung des Schienenverkehrs zu widmen. Ein starkes Schienennetz, so hieß es, sei unverzichtbar, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Dazu gehört auch ein starkes Nachtzugnetz, das Schlüssel zu einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Mobilität sein solle.

EU-Flaggen vor EU-Gebäude in Brüssel

Guillaume Périgois

13 Metropolen sollen miteinander verbunden werden

In der Folge wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Die bereits bestehenden Kooperationen zwischen den vier Bahnunternehmen Deutsche Bahn (DB), den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), der französischen SNCF und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sollen ausgebaut werden. Neue Nightjet-Linien sollen in den nächsten Jahren angeboten werden können. Insgesamt 13 europäische Millionenmetropolen sollen so miteinander über Nacht verbunden werden.

Auch in Deutschland wächst aktuell der Druck: Die Verkehrsminister der Länder fordern vom Bund und der Deutschen Bahn, die Nachtzugverbindungen auszubauen. Trotz steigender Nachfrage würden derzeit auf zu wenigen Strecken Nachtzüge angeboten, heißt es in einem Papier.

Luftaufnahme vom Wiener Hbf

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Bahn-Expertin: »Mit dem Nachtzug ein besonderes Reiseerlebnis genießen«

Maria Leenen, Chefin der auf das Bahn-, Infrastruktur und Verkehrsbusiness spezialisierten Unternehmensberatung SCI weist darauf hin, dass nicht jede Strecke für eine Nachtverbindung passe. Sie müsse die richtige Distanz und Reisedauer bieten, und die Abfahrts- und Ankunftszeiten seien nur in einem bestimmten Zeitfenster abends und morgens möglich, sagt sie. Das funktioniere auf vielen Strecken. Aber längst nicht auf allen.

Dennoch hält Leenen die Renaissance des Nachtzugs für ein gutes Zeichen. »Die Reisenden haben nun über die ICEs hinaus eine Alternative zum Flugverkehr und zudem die Chance, mit dem Nachtzug ein besonderes Reiseerlebnis zu genießen«, sagt sie. Allerdings hänge der Erfolg der Nachzüge nicht alleine vom Angebot der Bahnen und der Unterstützung der Politik ab – am Ende müsse auch die Nachfrage der Reisenden selbst ausreichend hoch sein. »Wir erleben aber derzeit, dass die Fahrgäste sich für diese Transportart interessieren – vor allem bei ihren Familien- und Gruppenreisen in den Urlaub«, so ihre Beobachtung.

Junges Paar sitzt händchenhaltend im Zug und blickt aus dem Fenster

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Ob die Nachfrage für die Nachtzüge hoch sein wird, hängt sicherlich auch unter anderem vom Preis ab. Will man in den Nachtzug komfortabel im Schlafwagen übernachten, werden locker 200 Euro fällig. Damit ließe sich bei rechtzeitiger Buchung schon fast in der Business Class fliegen. Mara Leenen findet den Vergleich mit dem Flieger »nicht ganz fair«. Richtiger wäre ein Vergleich mit Hotel und Flug, sagt sie. Dumpingpreise seien eher nicht zu erwarten, denn die Züge seien tagsüber nicht ausgelastet. »Aber auch durch ihre geringeren Fahrgastkapazitäten, den notwendigerweise großzügigeren und weit aufwändigeren Innenausbau und ihr höheres Servicelevel sind diese Züge für den Betreiber kostenintensiv«, erläutert sie.

»Nachtzüge bleiben immer ein Nischenangebot«

Maria Leenen, Chefin der Unternehmensberatung SCI

Maria Leenen

Politik und Medien sind also gut beraten, in den Nachtzügen nicht das Reisefortbewegungsmittel mit erheblichem Wachstumspotential zu sehen. »Nachzüge werden immer ein Nischenangebot bleiben, das Gros der Reisenden wird klassische Hochgeschwindigkeitszüge wie den ICE oder den TGV bevorzugen, da diese schneller sind und im Takt verkehren. Trotzdem ist eine Reise im Nachtzug zum Urlaubsort ein bleibendes Erlebnis – gerade für Familien und Gruppen«, so Leenen.

Um möglichst viele Bahnreisende für die Nachtzüge zu begeistern, sei es notwendig, vor allem moderne Nachtzüge anzubieten, sagt Leenen. »Nicht jeder Reisende weiß den Charme der Züge aus der Zeit von Agatha Christies Orientexpress zu schätzen.«

Tipps für eine Fahrt mit dem Nachtzug

Wer mit dem Gedanken spielt, eine Fahrt mit einem Nachtzug zu unternehmen, sollte einige Tipps beachten. Es geht los mit dem Ticket mit Platzreservierung. Das ist Pflicht. Die meisten Nachtzugverbindungen sind bereits bis zu 180 Tage im Voraus buchbar. Wer eine bestimmte Kabine möchte, sollte deshalb frühzeitig buchen. Auch wer auf ein besonderes Schnäppchen spekuliert, sollte sich mit der Buchung sputen, denn die Preise steigen erfahrungsgemäß, je näher das Abfahrtsdatum rückt.

Drei junge Frauen sitzen vor einem Notebook

John Schnobrich

Auch wenn es bei der Fahrt mit dem Zug keine Gepäckobergrenze oder Kostenzuschläge für Übergepäck gibt, empfiehlt es sich, mit wenig Gepäck zu reisen. Denn vor allem geteilte Kabinen bieten oft nicht viel Stauraum. Für eine ruhige Nacht und bequeme Fahrt sollten Reisende Gehörschutz, eventuell Bluetooth-Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung, Socken und gegebenenfalls eine Decke einpacken. Auch eine Schlafmaske ist nicht verkehrt für lichtempfindliche Schläfer.

Wer sich nach extra viel Platz sehnt oder nicht neben fremden Personen schlafen möchte, bucht ein privates Sitzabteil. So bezahlt man zwar mehrere Plätze, doch spart man häufig Geld im Vergleich zum Schlafwagen. Allerdings bietet sich diese Option vor allem für Paare oder Familien an. Als Single dürfte das private Sitzabteil zu teuer werden, bucht man es für sich allein.

Bei vielen Nachtzug-Anbietern dürfen Hunde mitreisen. Für einen Aufpreis können Hundebesitzer so mit ihrem Vierbeiner in den Urlaub fahren.