Die Unesco hat auf ihrer letzten Sitzung des Welterbekomitees in Riad mehrere Dutzend neue Welterbestätten bekannt gegeben. Darunter befinden sich heilige Tempel in Kambodscha, ein Nationalpark in Ruanda, alte Teewälder in China und historisch bedeutsame Orte in Europa. Wir stellen die neuen Unesco-Welterbestätten in einer mehrteiligen Serie vor. Im ersten Teil widmen wir uns den Neulingen in Europa.

Mit Spannung werden sie jedes Mal erwartet: die jährlichen Treffen des Welterbekomitees der Unesco. Bei den Sitzungen geht es in der Regel um die Bekanntgabe neuer Kultur- und Naturstätten in der Welterbeliste. Es befasst sich aber auch mit dem Erhaltungszustand bereits bestehender Stätten.

Dabei sind es nicht nur die sich um eine Aufnahme in die begehrte Liste beworbenen Länder, Regionen und Städte, die mit Argusaugen die Entscheidungen des Welterbekomitees beobachten. Auch viele Kultur- und Geschichtsinteressierte aus aller Welt blicken mit Neugier auf die Neulinge.

Die 21 Ausschussmitglieder wählten in Riad aus einer Liste von Nominierungen aus, die 2022 und 2023 aus aller Welt eingereicht wurden. Um in die illustre Liste aufgenommen zu werden, muss eine Natur- oder Kulturstätte von außergewöhnlichem universellem Wert sein. Außerdem muss es mindestens eines von zehn weiteren Auswahlkriterien erfüllen, beispielsweise ein »Meisterwerk menschlichen Schaffens« darstellen oder von außergewöhnlicher natürlicher Schönheit und ästhetischer Bedeutung sein.

Auf der Liste des Unesco-Welterbes stehen derzeit fast 1.200 Kultur- und Naturstätten in 167 Ländern. Deutschland verzeichnet – nach der Aufnahme des Jüdisch-Mittelalterlichen Erbes in Erfurt – mittlerweile 52 Welterbestätten.

Das sind die neuen Unesco-Welterbestätten in Europa:

Jüdisch-Mittelalterliches Erbe in Erfurt, Deutschland

Das Jüdisch-Mittelalterliche Erbe Erfurts war lange fast vergessen. Der Grund: Die Infrastruktur der jüdischen mittelalterlichen Gemeinde war mehr oder weniger überbaut. 

Ihre Vergangenheit reicht bis ins späte 11. Jahrhundert zurück. Nach einem Pogrom im Jahr 1349 wurde das Gotteshaus zunächst als Lager, später als Gastwirtschaft samt Tanzsaal und Kegelbahnen (!) genutzt. Es überdauerte so Jahrhunderte, bis 1988 das Institut für Denkmalpflege und andere Experten den Wert des Gebäudes erkannten.

Fassade der Alten Synagoge Erfurt

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Auch die Erfurter Mikwe geriet in Vergessenheit. Dabei handelt es sich um ein Tauchbad, dessen Wasser der Erlangung ritueller Reinheit durch Untertauchen dient. Ihre älteste Mauer stammt vom Anfang des 12. Jahrhunderts. Als 1452 die zweite jüdische Gemeinde vertrieben wurde, die nach dem Erfurter Pogrom in der Stadt Fuß gefasst hatte, schüttete man das Wasserbecken zu und nutzte das Ritualbad als Keller. Nur einem Zufall war es zu verdanken, dass die Mikwe 2007 wieder zum Vorschein kam. Mit dem Steinernen Haus gehört auch ein Profanbau zum neu gekürten Welterbe.

Eisinga Planetarium in Franeker, Niederlande

Das Königliche Eise Eisinga Planetarium im niederländischen Franeker ist das älteste Planetarium der Welt, das kontinuierlich betrieben wird. Es wurde zwischen 1774 und 1781 in einem einfachen Stadthaus errichtet. Es zeigt bis heute präzise die Positionen von Sonne, Mond, Erde und den fünf anderen Planeten, die zu dieser Zeit bekannt waren: Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Die Bürgerin Eise Eisinga entwarf und entwickelte den komplizierten Mechanismus hauptsächlich eigenständig. Er ist in der Wand und Decke des Wohnzimmers eingelassen. Dadurch wurde der Bereich unter dem bedeutenden Planetarium als Empfangsbereich genutzt.

Wer vorbeischaut, kann sich das Räderwerk, die alte Wollkämmerei, astronomische Instrumente und wechselnde Ausstellungen ansehen. Daneben werden Einblicke in die moderne Sternkunde geboten.

Royal Eise Eisinga Planetarium, Franeker

Royal Eise Eisinga Planetarium

Žatec und die Landschaft des Saazer Hopfens, Tschechien

Im Nordwesten Tschechiens befinden sich Žatec sowie die Region des Saazer Hopfens samt den Dörfern Stekník und Trnovany. Seit über 700 Jahren wird hier die berühmte Hopfensorte angebaut, hergestellt und verkauft. Neben den typischen Hopfenfeldern mit ihren Spalten aus Stangen und Drähten prägen Industriegebäude die Landschaft. Im Herzen von Žatec gibt es Lagerhäuser, Darren und Schwefelkammern. Im 19. Jahrhundert erhielt der Ort weltweit Anerkennung aufgrund des hier entwickelten und verfeinerten Fachwissens im Bereich des Hopfenanbaus.

Hopfenanbau in Zatec, Tschechien

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Wikingerzeitliche Ringburgen, Dänemark

Die Militärarchitektur der Wikingerzeit ist in den Ringburgen Aggersborg, Fyrkat, Nonnebakken, Trelleborg und Borgring zu sehen. Während der Amtszeit von Harald »Blauzahn« Gormsson wurden alle fünf Anlagen zwischen 970 und 980 errichtet. Ihre Struktur bestand aus vier Toren und befestigten kreisförmigen Wällen, die mit einem vorgelagerten Graben verbunden waren.

Das Innere wurde von den Torstraßen in vier gleiche Teile aufgeteilt. In ihnen wurden Wohngebäude gebaut. Auf der Halbinsel Jütland, den Inseln Fünen und Seeland wurden von dieser Festungskette bedeutende Land- und Seewege überwacht. Obwohl sie nur für kurze Zeit betrieben wurde, stellt die Kette unter Harald Blauzahn ein bemerkenswertes Beispiel für die Macht der Wikinger dar. Sein Einfluss reichte von Norddeutschland bis Dänemark, vom Süden Schwedens bis nach Norwegen.

Ringburg Trelleborg in Dänemark

Daniel Villadsen

Kuldīga/Goldingen in Kurland, Lettland

Kuldīga ist ein hervorragendes Beispiel für eine traditionelle kurländische Siedlung, die noch gut erhalten ist. Der erste Herzog von Kurland und Semgallen hatte hier seinen Sitz und sein Verwaltungszentrum unter dem Namen Goldingen. Zwischen 1561 und 1795 herrschten seine Nachkommen über weite Gebiete des Baltikums. Viele ausländische Kaufleute und Handwerker ließen sich aufgrund der internationalen Ausrichtung des Herzogtums in Kuldīga nieder. Lokale Bautraditionen und internationale Einflüsse prägen das historische Stadtgefüge.

Siedlung in Kuldiga aus der Luft aufgenommen

Kuldīga Municipality/Krists Spruksts

Architektur des Optimismus, Litauen

Kaunas war von 1919 bis 1939 Hauptstadt Litauens. Die heute rund 300.000 Einwohner zählende Stadt stellt ein herausragendes Beispiel für Urbanisierungs- und Modernisierungsprozesse dar, die zwischen den Weltkriegen in Ost- und Mitteleuropa stattfanden. Die Nachkriegsbevölkerung strebte nach einer Umgestaltung ihrer Stadt, um den sozioökonomischen Bedingungen der Zeit und der wachsenden Bedeutung gerecht zu werden. Die Errichtung wurde auf der Grundlage eines früheren Stadtgrundrisses durchgeführt und berücksichtigte sowohl die umliegende Natur als auch Teile der Befestigungsanlagen aus dem 19. Jahrhundert. Über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg wurde die Moderne in Litauen von den Entwicklungen in Kaunas inspiriert.

Kaunas in Litauen aus der Vogelperspektive

Kaunas City Municipality Administration/Martynas Plepys

Astronomische Observatorien der Föderalen Universität Kasan, Russland

Im Jahr 1837 wurde das astronomische Observatorium von Kasan errichtet. Es liegt auf dem Campus der Universität der Stadt. Die halbkreisförmige Fassade und drei Türme, in denen astronomische Instrumente untergebracht sind, lassen es schnell erkennen.

Das Engelhardt-Observatorium dagegen wurde bis 1901 in einem bewaldeten Vorort Kasans errichtet. Ziel war es, den Himmel außerhalb der immer heller werdenden Stadt genauer zu betrachten. Die beiden Observatorien, einschließlich ihrer Instrumente, sind außergewöhnlich gut erhalten und zeigen den Übergang von der Astrometrie zur Astrophysik.

Observatorium in Kasan, Russland

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Grab- und Gedenkstätten des Ersten Weltkriegs, Belgien und Frankreich

Die neue Welterbestätte in unseren beiden Nachbarländern erstreckt sich entlang der Westfront des Ersten Weltkriegs vom Norden Belgiens bis nach Ostfrankreich. Sie umfasst verschiedenste Gräber und Gedenkstätten (16 in der Wallonie, 27 in Flandern und 96 in Frankreich). Die Rede ist von großen Militärfriedhöfen, auf denen Zehntausende Soldaten aus Europa und den Kolonien der Kriegsparteien beigesetzt wurden, bis hin zu einzelnen Mahnmalen. Sie wurden als Reaktion auf das ungekannte Ausmaß des Kriegs errichtet und zeugen von einer neuen Gedenkkultur, die auch dem Bedürfnis nach individueller Trauer und Erinnerung Rechnung trägt.

Militär-Friedhof in Colleville-sur-Mer, Normandie

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Maison Carrée von Nîmes, Frankreich

Das Maison Carrée ist ein herausragend gut erhaltener römischer Tempel aus dem ersten Jahrhundert. Er entstand in der Übergangszeit von der Republik zum Kaiserreich und war den jung verstorbenen Erben von Kaiser Augustus – Gaius und Lucius Caesar – gewidmet. Sein Platz im Forum des ehemaligen Nemausus spiegelt die Wichtigkeit des neuen Kaiserkults in den römischen Provinzen wider. Der Tempel kombiniert architektonische und dekorative Merkmale aus dem antiken Rom mit denen aus der augusteischen Epoche. Das Bauwerk zeigt den Wunsch des Kaisertums, das Römische Reich in eine Periode des Friedens, des Wohlstands und der Stabilität namens Pax Romana zu führen.

Besucher vor dem Maison Carrée in Nîmes

Ville de Nîmes/Dominique Marck

Evaporitischer Karst und Höhlen im Nordapennin, Italien

Der evaporitische Karst und die Höhlen im Nordapennin umfassen eine Fläche von mehr als 3.600 Hektar. Das ausgedehnte Gipskarstgebiet weist über 900 Höhlen auf. Darunter befinden sich einige der tiefsten Gipshöhlen der Welt. Sie reichen bis zu 265 Meter unter die Erde. Die neue Welterbestätte gehört zu den am besten erforschten Karstregionen der Erde. Bereits im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet wissenschaftlich untersucht. Es war entscheidend für die Entwicklung der Geologie, Höhlenforschung, Mineralogie und Hydrogeologie.

Forscher in Höhle in Nordapennin, Italien

Graziano Agolini

Prähistorische Stätten des Menorca Talayotica, Spanien

Menorca hat mit über 1.500 prähistorischen Ausgrabungsstätten die höchste Dichte und Anzahl dieser Stätten weltweit. Das Menorca Talayotica ist ein einzigartiges Zeugnis einer prähistorischen Inselkultur mit einem außergewöhnlichen Repertoire an Denkmälern, die die verschiedenen Phasen der Vorgeschichte veranschaulichen. Die Unesco betrachtet die prähistorischen Stätten, ihre ungewöhnliche Erhaltung und Bauwerke wie Navetas (Grabmäler), Rundhäuser, Taulas und Talayots als außergewöhnliches Beispiel für die Architektur und ihre Entwicklung über 1.500 Jahre. Sie lieferten viel Wissen über die Talayot-Kultur.

Menorca Talayotica

Arxiu AETIB/ Eduardo Miralles

Kulturlandschaft Zagori, Griechenland

Die Kulturlandschaft von Zagori liegt im Nordwesten Griechenlands. Sie ist von kleinen Dörfern, auch Zagorochoria genannt, und deren traditioneller Architektur geprägt. Kalksteinmauern und gepflasterte Trockensteinwege dominieren die Szenerie. Die Orte liegen inmitten von Wäldern. Häufig sind sie um einen zentralen Platz mit einer Platane errichtet. Im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich die Infrastruktur, die Zagorochoria veränderten sich. Seitdem ein Netzwerk aus Steinbogenbrücken, gepflasterten Wegen und Treppen die Dörfer miteinander verband, wuchsen sie mehr und mehr zu einer politischen und sozialen Einheit zusammen.

Steinborgenbrücke in Konitsa, Griechenland

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Gordion, Türkei

Das antike Phrygien hatte Gordion als politisches und kulturelles Zentrum. Etwa 90 Kilometer südwestlich von Ankara befand sich die Stadt an der Kreuzung der großen Reiche Assyrer, Babylonier und Hethiter im Osten sowie Griechen und Römer im Westen. Dadurch ist die Gordion-Grabstätte für das Verständnis der phrygischen Zivilisation und der gesamten Eisenzeit von Bedeutung. Am Eingang zur Zitadelle Gordion befindet sich der am besten erhaltene Torkomplex der Eisenzeit.

Kessel mit Sirenen- und Dämonenaufsätzen aus Bronze

MoCT, Gen. Directorate of Cultural Heritage and Museums, Museum of Anatolian Civilizations (Ankara)

Holzsäulenmoscheen des mittelalterlichen Anatolien, Türkei

Die fünf anatolischen Moscheen zeichnen sich durch ihre ungewöhnliche Kombination aus äußerem Mauerwerk und mehreren Reihen hölzerner Säulen im Inneren aus. Entstanden sind sie zwischen dem späten 13. Jahrhundert und der Mitte des 14. Jahrhunderts. Sowohl die Säulen als auch die Holzdecken sind mit äußerst anspruchsvollen Schnitzereien verziert, die eine hohe handwerkliche Fertigkeit beweisen. Handwerker aus Zentralasien brachten dieses Wissen und Können nach Anatolien, wo sie sich nach den Einfällen der Mongolen in den 1240er-Jahren niederließen. Die fünf Moscheen aus Holzsäulen sind bis heute ein gutes Beispiel für die Entwicklung islamischer Architektur. 

Holzmoschee Afyon Anatolien

MoCT, General Directorate for Cultural Heritage and Museums