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Was uns in der Redaktion alle vereint, ist die große Leidenschaft fürs Reisen. Unterwegs läuft aber bei Weitem nicht immer alles glatt. Wir stellen euch im Wechsel unsere größten Reise-Fails vor. Teil 10 kommt von Redakteur Frank. 

In den 2000ern war ich häufig in den USA unterwegs. New York, Florida, Oregon, Texas, Washington, Illinois, Massachusetts, Nevada, Arizona, North Dakota, Kalifornien – jahrelang ging es kreuz und quer durch die USA. Einer der Höhepunkte meiner USA-Reisen stand Ende August 2008 an – allerdings entpuppte sich die Reise zu einem ganz anderen Höhepunkt, als ich dachte. Aber der Reihe nach. Meine Reise führte mich dieses Mal nach Louisiana, nach New Orleans. Die Stadt gilt als Partyluder der USA. Ich wollte eine Reportage über das Southern-Decadence-Festival schreiben. Das ist ein Festival der Gay-Community der Stadt, das jedes Jahr rund um den Labor Day veranstaltet wird.

Southern Decadence in New Orleans: Party rund um die Uhr

Im Gegensatz zu den großen Pride-Veranstaltungen, die hierzulande CSD heißen, geht es beim Southern-Decadence-Festival nicht um Politik, sondern um Party. Sechs Tage lang feiern die Teilnehmenden, vornehmlich aus den USA, im Vergnügungsviertel French Quarter auf der Bourbon und St. Ann Street. Viele schmeißen sich dafür richtig in Schale. Sie tragen bunte Kostüme, es gibt zahlreiche Motto-Partys und sogar eine kleine Parade durchs Viertel. Wenn man so will, die schwule Version des feucht-fröhlichen Mardi-Gras-Festivals, das New Orleans zeitgleich zu unserem Karneval feiert.

Allerdings stand mein Besuch gleich vom ersten Tag an unter keinem guten Stern. Als ich spätabends in einer Kneipe an meinem Bier nippte, wurde ich unfreiwillig Zeuge eines Gesprächs zweier Amerikaner. Sie sorgten sich sehr wegen eines Hurrikans namens Gustav, der in der Karibik wütete und womöglich Kurs auf die USA nahm. Auf Louisiana. Dazu muss man wissen: Genau drei Jahre zuvor, Ende August 2005, verwüstete der Hurrikan Katrina die Stadt. Der Hurrikan gilt bis heute als eine der verheerendsten Naturkatastrophen in der Geschichte der USA. Besonders schlimm traf es damals New Orleans. Ich hielt die Sorgen der beiden für übertrieben. Schließlich wies nichts in der Stadt daraufhin, dass ein Hurrikan unterwegs sein könnte. Das aber sollte sich schnell ändern.

New Orleans: Die Tage vor Hurrikan Gustav

Illustration eines verbarrikadierten Gebäudes.

Illustration: Gemma Portella

Als ich am nächsten Mittag durch die Stadt flanierte, beobachtete ich, wie die ersten Schaufenster von Bars, Restaurants und Shops verbarrikadiert wurden. Aus den Nachrichten erfuhr ich, dass mehrere Gemeinden im Raum New Orleans Pläne für freiwillige Evakuierungen für den nächsten Tag bekanntgaben. Langsam wurde ich nervös. Der Barkeeper einer Kneipe im French Quarter aber war ganz entspannt. »Seit Katrina ist die Stadt paranoid, sobald irgendwo in der Karibik ein Sturm aufzieht. Das ist doch total übertrieben, was hier gerade abgeht«, sagte er. Nur zu gern glaubte ich ihm.

Als ich in der Nacht darauf in mein Hotel zurückkehrte, fiel ich allerdings aus allen Wolken: Vor meiner Zimmertür lag ein Brief der Hoteldirektion. Darin wurden alle Gäste darüber informiert, dass das Hotel wegen der nun »obligatorischen Evakuierung der Stadt« geschlossen werde. Maximal zwei Nächte dürfe man noch bleiben.

Wegen des Hurrikans wird New Orleans evakuiert

Okay, dachte ich, nun ist es Zeit, mir Gedanken über die Abreise zu machen. Aber wohin? In eine Notunterkunft? Mit einem Mietwagen weit ins Landesinnere? Schnell mit dem Flieger zurück nach Deutschland? Ich telefonierte noch in der Nacht mit der Airline. Nach langem Hin und Her flatterte schließlich am Morgen eine E-Mail der Fluggesellschaft in mein Postfach. Am nächsten Tag, so hieß es darin, komme ich mit dem Flieger weg. Von New Orleans über Denver und Chicago nach Frankfurt. Die Airline empfahl, sich »aufgrund der aktuellen Situation sehr früh« auf den Weg zum Flughafen zu machen. Die Stadt hatte, so erfuhr ich, einen Shuttle-Bus zum Airport eingerichtet. Der aber sollte 20 Stunden vor meinem Abflug eingestellt werden.

Die Nacht im Flughafen zu verbringen, kam für mich nicht in Frage. Schließlich durfte ich ja noch eine Nacht im Hotel übernachten – und hatte das vermeintliche Glück, dass mich jemand zum Flughafen fahren würde. Der Barkeeper, der anfangs den aufziehenden Hurrikan für keine große Sache hielt, versprach mir, dass ein guter Bekannter von ihm sich ein paar Dollar dazuverdienen möchte und mich am Hotel abholen würde. Um auch ja rechtzeitig am Flughafen zu sein, bat ich darum, dass er um vier Uhr morgens kommen sollte.

Vor lauter Nervosität tat ich in der Nacht kein Auge zu. Als ich schließlich mit Sack und Pack am Morgen in der Hotellobby auf ihn wartete, tat sich – nichts. Er tauchte einfach nicht auf. Auf SMS (WhatsApp gab es damals noch nicht) reagierte er nicht, ans Telefon ging er auch nicht. Meine Nervosität wich einem Gefühl von Panik.

Schaurige Fahrt zum Flughafen am frühen Morgen

Illustration eines Autos vor einer Straßensperre.

Illustration: Gemma Portella

Der Rezeptionist beobachtete mein Malheur. Ein junger Mann, Ende 20, die Ruhe in Person. »Ich kenne jemanden, der könnte dich eventuell fahren. Er wohnt gleich um die Ecke. Ich rufe ihn mal an, okay?«. Oh ja, blendende Idee, am Geld solle es nicht scheitern, stammelte ich nur. 45 Minuten später tauchte sein Kumpel tatsächlich mit einem SUV auf. Sofort ging es los. Aber schon nach zehn Minuten wurden wir gestoppt. Von der Nationalgarde. Die hatte mittlerweile das Kommando in der Stadt übernommen. Vor einer roten Ampel leuchteten zwei Soldaten mit ihrer Taschenlampe in unser Auto und fragten, ob wir noch Platz hätten. Es seien noch immer gestrandete Touristen in der Stadt, die zum Flughafen müssten. Die Frage war freundlich formuliert, in Wahrheit war es natürlich eine Aufforderung, die Fremden mitzunehmen.

Die Fahrt zum Flughafen, am immer noch stockdunklen Morgen, werde ich nie vergessen. Wir fuhren vorbei an Häusern, deren Fenster und Türen verbarrikadiert waren. An Lkw, die Massen an Sandsäcken durch die Stadt transportierten. Wir sahen Soldaten, die an Straßenkreuzungen das Geschehen überwachten. Und eine Autobahn, auf der auf allen zehn Fahrspuren scheinbar unzählige Autos auf dem Weg ins Landesinnere waren. Szenen, wie ich sie bisher nur aus düsteren Roland-Emmerich-Katastrophenfilmen kannte.

Abflug kurz vor Schließung des Airports

Nicht besser sah es im Flughafen aus: Hunderte Passagiere hatten hier, zum Teil auf dem Boden schlafend, ihre Nacht verbracht. Die Restaurants waren geschlossen, die Snackautomaten leergeräumt, ein Flughafenmitarbeiter verteilte kostenlos Wasserflaschen, vor den Check-in-Schaltern lange Schlangen. Nach ein paar Minuten Schockstarre dann die große Erleichterung: Ein Mitarbeiter der Airline lief laut rufend durchs Terminal: »Machen Sie sich keine Sorgen. Jeder, wirklich jeder, wird heute noch den Flughafen mit dem Flieger verlassen. Es stehen genug Flugzeuge für alle bereit. Und wenn nicht, kommen welche.« Gegen 11 Uhr, wenige Stunden vor Schließung des Flughafens, hob mein Flieger Richtung Denver ab.

New Orleans habe ich danach nie wieder besucht.